Lesejahr C: 2021/2022

Evangelium (Lk 21,25-28.34-36)

25Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres.

26Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.

27Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen.

28Wenn (all) das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.

34Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht,

35(so) wie (man in) eine Falle (gerät); denn er wird über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen.

36Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt.

Überblick

Beten gegen den Untergang?

1. Verortung im Evangelium
Wir befinden uns im Lukasevangelium (Lk) kurz vor der Erzählung vom Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu. Jesus befindet sich bereits in Jerusalem. Dort sieht er sich Anfragen und Konfrontationen ausgesetzt und verkündigt ein letztes Mal in größerer Öffentlichkeit. In seiner großen Rede im Tempelbezirk (Lk 21,7-36) spricht Jesus über die Ereignisse der Endzeit. Ausgangspunkt dafür ist die Frage seiner Jünger, wann die Ankündigung Jesu, im Tempel werde kein Stein auf dem anderen bleiben (LK 21,6) eintreten wird. Jesus blickt nun voraus auf Ereignisse, die weit über die unmittelbar kommenden Erlebnisse und das Erzählte hinausragen. Nach Leiden, Tod, Auferstehung und Himmelfahrt wird es eine Zeit des Wartens und Bewährens geben. Eine Wartezeit auf das Ende der Zeit und die Wiederkunft des Herrn. Wie sich dieses Zeitenende ankündigt (Verse 25-28) und wie man ihm entgegengehen sollte (Verse 34-36) davon erzählt uns der Text.

 

2. Aufbau
Der Evangeliumstext ist aus zwei Teilen zusammengesetzt: Die Verse 25-28 sprechen von den kosmischen Anzeichen der Endzeit und dem Kommen des Menschensohnes und enden mit einer ersten Aufforderung an die Hörer. Die Verse 34-36 setzen mit weiteren Aufforderungen und Mahnungen fort, die die Hörer in die richtige Ausgangsposition für das Heranbrechen der Endzeit versetzen sollen. Die dazwischen liegenden Verse (29-33), die das Gleichnis vom Feigenbaum beinhalten, werden ausgelassen. Da der letzte Vers (28) des ersten Textteils aber bereits überleitet zu den Versen 34-36 schließen sie gut aneinander an.

 

3. Erklärung einzelner Verse
Vers 25: Der Text setzt ein mit einem klassischen Bild der apokalyptischen Literatur. Wenn es um das Enthüllen (Apokalypsis) der Geheimisse der Endzeit geht, spielen kosmische Phänomene eine große Rolle. Die Zeichen an Sonne, Mond und Sternen von denen der Evangelist Lukas hier spricht, sind beobachtbare Veränderungen an den Gestirnen, die vollkommen ohne Vorwarnung hereinbrechen. Weil sie für die Menschen unerklärlich sind und ihre Folgen nicht abschätzbar, haben sie etwas unkontrollierbares und beängstigendes an sich. Lukas bleibt dabei hier eher allgemein in der Darstellung der angekündigten Zeichen. Der Evangelist Markus schreibt in seinem Evangelium beispielsweise viel deutlicher: "Aber in jenen Tagen, nach jener Drangsal, wird die Sonne verfinstert werden und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels erschüttert werden." (Markusevangelium 13,24-25)

 

Vers 25-26: Was sich am Himmel ereignet, bleibt nicht ohne Folgen für die Erde. Denn auch dort macht sich die anbrechende Endzeit sichtbar und erfahrbar. Wenn es heißt, dass das Meer in Donnern und Tosen verfällt, dann steigert der Evangelist mit diesem Bild geschickt die Bedrohlichkeit der kaum zu kontrollierenden Urmacht des Wassers. Entsprechend drastisch sind auch die Reaktionen der Menschen. Lukas spricht von Bestürzung und Ratlosigkeit und davon, dass die Menschen vor Angst vergehen. Für den Leser oder Hörer des griechischen Originaltextes wird dieses Szenario sprachlich noch gesteigert, denn der Evangelist benutzt für alle hier genannten Phänomene Begriffe, die im Neuen Testament kein zweites Mal verwendet werden. So werden die Not und die Unberechenbarkeit des Geschehens im Hören und Lesen noch eindringlicher.

 

Vers 27: Die Vorstellung des Menschensohns, der auf den Wolken daher kommt, ist dem Buch Daniel entlehnt. Dort "kommt mit den Wolken des Himmels einer wie ein Menschensohn" (Daniel 7,13), er bringt in eine Situation des Kriegs, der Zerstörung und sich bekämpfender Weltherrschaften eine neue, von Gott gegebene Macht, der sich die anderen beugen müssen. Mit ihm beginnt eine neue Zeit der Stabilität und eine Herrschaft, die unter anderen Vorzeichen steht. Das Bild der Wolke und die Begriffe Kraft und Herrlichkeit, die hier mit dem Menschensohn zusammenhängen, verweisen auf Gott selbst. Sie sind Zeichen und Attribute, die in der Sprache der Bibel immer wieder verwendet werden, um die Macht Gottes und seine Gegenwart oder sein Erscheinen zu veranschaulichen.

 

Verse 34-35: Der Evangelist Lukas formuliert mit Blick auf „jenen Tag“, den Tag des Herrn, den Tag, an dem der „Menschensohn“ kommt (Vers 27) einige Verhaltenshinweise. Die Ermahnung, auf Rausch und Trunkenheit zu verzichten, entspricht der antiken Abwertung von übermäßigem Alkoholgenuss. Trunkenheit und Rausch sind Zeichen für ein unvernünftiges Leben. Sich nicht in den Sorgen des Alltags zu verlieren, erweitert die Ermahnungen. Hier geht es vor allem darum, das Herz nicht mit den negativen Gedanken und „Kleinigkeiten“ zu belasten. Der Grund für diese klaren Appelle liegt in der Plötzlichkeit, mit der „jener Tag“ auf der ganzen Erde hereinbricht („wie eine Falle“). Wer nicht in diese Falle einer unvermittelten Ankunft des Herrn tappen möchte, muss sich von allem fernhalten, was ablenkt und gefangen nimmt.

 

Vers 36: Abschließend werden zwei positive Haltungen formuliert, die die Jünger und späteren Leser des Evangeliums für den Tag, an dem der Menschensohn kommt, zurüsten: wachen und beten sind Grundhaltungen („allezeit“) der christlichen Existenz und zeigen eine grundlegende und stetige Bereitschaft, sich auf Gott hin auszurichten.

Auslegung

Ob sich die Jünger und Hörer dieser letzten öffentlichen Rede Jesu die Frage gestellt haben, wie sie sich das Ende der Zeit und das Heranbrechen der Heilszeit vorstellen sollen? Vielleicht hätten sie noch andere Fragen und Themen gehabt. Jesus jedenfalls entwirft ein Szenario, das nicht nur von den himmlischen Zeichen, sondern sehr bedrohlich auch von den irdischen Auswirkungen und Reaktionen spricht. Die Zeichen an Sonne, Mond und Sternen sind von ihm wohl bewusst allgemein gehalten und doch mit ihrer großen Wirkung auf die Menschen eindrucksvoll beschrieben. Denn erst die große Bedrohungslage, die die Menschen dazu bringt vor Angst zu vergehen, lenkt hin auf die eigentliche Sinnspitze des Textes. Weil selbst die verlässlichsten Dinge wie die Gestirne in Erschütterung geraten, wird die Vorstellung einer erlösenden Gestalt zum großen Rettungsanker und die darauf folgenden Mahnungen gewinnen an Unmittelbarkeit.

In alles Chaos hinein, in Todesangst und Ungewissheit kommt der Menschensohn mit Macht und Herrlichkeit. Wenn der Evangelist Lukas Jesus selbst vom Menschensohn sprechen lässt, dann identifiziert er in ihm denjenigen, auf den sich die Vorstellungswelt des Danielbuches bezieht. Er Christus wird wiederkommen am Ende der Zeit und mit ihm bricht eine neue Zeit an. Dass dieses Zeitenende immer auch mit dem Gedanken des Gerichts oder anders gesprochen der umfassenden Gerechtigkeit verbunden ist, thematisiert Lukas hier nicht eigens. Ihm ist der Gedanke der Erlösung wichtig, die Vorstellung, des Freiseins von Not und Bedrängnis. Denn so die Überzeugung des Evangelisten, die er in den Worten Jesu zum Ausdruck kommen lässt: Wer gut vorbereitet ist und wer weiß, dass es Christus ist, der am Ende kommt, der braucht nicht zu verzweifeln oder nicht in der existentiellen Angst zu vergehen.

Im Gegenteil: „Richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe“, so spricht Jesus. Wer auf ihn vertraut, der muss nicht vor Angst den Blick abwenden, wer sich auf den Moment seiner Ankunft vorbereitet, der kann aufrecht und gerade diesem Tag entgegengehen. Wie eine gute Vorbereitung aussehen kann, dass zeigen die folgenden Verse. Sich von Rausch und Trunkenheit fernzuhalten bedeutet nichts anderes als die Sinne wach zu halten und nicht zu vernebeln. Es bedeutet aber auch, sich nicht mit vermeintlichen „Ablenkungen“ so sehr zu beschäftigen, dass das Wesentliche aus dem Blick gerät. Ähnlich ist die Mahnung zu verstehen, nicht das Herz mit den Sorgen des Alltags zu beschweren. Auch hier geht es um die Fähigkeit, sich neben dem Alltäglichen immer noch Luft und Raum übrigzulassen, das Leben zu gestalten und in bewusster Hinwendung auf Gott hin zu leben. Denn so schließt der Text: Der Tag des kommenden Menschensohns, der Tag an dem der Herr wiederkommt und die Erlösung naht, er kommt unerwartet und plötzlich (vgl. 1. Thessalonicherbrief) und dann braucht man alle seine Sinne und einen wachen Verstand, um die Zeichen der Zeit zu erkennen. Entsprechend braucht es zwei Haltungen, um diesem Tag X in rechter Weise entgegen zu gehen: Wachsamkeit und Gebet als Zeichen des Vertrauens auf Christus den Herrn. Wer so unterwegs ist, der ist bereit für das was kommt, für DEN, der kommt und die Erlösung bringt. Wer so unterwegs ist, weiß, dass die Zeichen der Endzeit, die Zeichen seines Heils sind und kann sich deshalb aufrichten und das Haupt erheben.

Kunst etc.

Eine der häufigsten Szenen, in denen Jesus selbst betend dargestellt wird, ist der Moment im Garten Getsemani (Lk 22,36-49). Jesus zieht sich dorthin mit seinen Jüngern zurück nach dem letzten gemeinsamen Mahl zurück, mit Wissen um den kommenden Verrat und das Leiden wendet er sich im Gebet voll Vertrauen und zugleich fragend an den Vater im Himmel. Die Darstellung von El Greco um 1590 entstanden zeigt Jesus ganz ausgerichtet nach oben. Die Begegnung mit dem Vater im Gebet ist durch die weißen Linien angedeutet. Das Vertrauen und die Grundhaltung Jesu, sich mit allem an den Vater zu wenden und so auch Situationen der Not, der Unsicherheit und Bedrängnis durchleben zu können, ist vorbildhaft für die Jünger und das, wozu uns Jesus im Evangelium auffordert.