Beten gegen den Untergang?
1. Verortung im Evangelium
Wir befinden uns im Lukasevangelium (Lk) kurz vor der Erzählung vom Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu. Jesus befindet sich bereits in Jerusalem. Dort sieht er sich Anfragen und Konfrontationen ausgesetzt und verkündigt ein letztes Mal in größerer Öffentlichkeit. In seiner großen Rede im Tempelbezirk (Lk 21,7-36) spricht Jesus über die Ereignisse der Endzeit. Ausgangspunkt dafür ist die Frage seiner Jünger, wann die Ankündigung Jesu, im Tempel werde kein Stein auf dem anderen bleiben (LK 21,6) eintreten wird. Jesus blickt nun voraus auf Ereignisse, die weit über die unmittelbar kommenden Erlebnisse und das Erzählte hinausragen. Nach Leiden, Tod, Auferstehung und Himmelfahrt wird es eine Zeit des Wartens und Bewährens geben. Eine Wartezeit auf das Ende der Zeit und die Wiederkunft des Herrn. Wie sich dieses Zeitenende ankündigt (Verse 25-28) und wie man ihm entgegengehen sollte (Verse 34-36) davon erzählt uns der Text.
2. Aufbau
Der Evangeliumstext ist aus zwei Teilen zusammengesetzt: Die Verse 25-28 sprechen von den kosmischen Anzeichen der Endzeit und dem Kommen des Menschensohnes und enden mit einer ersten Aufforderung an die Hörer. Die Verse 34-36 setzen mit weiteren Aufforderungen und Mahnungen fort, die die Hörer in die richtige Ausgangsposition für das Heranbrechen der Endzeit versetzen sollen. Die dazwischen liegenden Verse (29-33), die das Gleichnis vom Feigenbaum beinhalten, werden ausgelassen. Da der letzte Vers (28) des ersten Textteils aber bereits überleitet zu den Versen 34-36 schließen sie gut aneinander an.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 25: Der Text setzt ein mit einem klassischen Bild der apokalyptischen Literatur. Wenn es um das Enthüllen (Apokalypsis) der Geheimisse der Endzeit geht, spielen kosmische Phänomene eine große Rolle. Die Zeichen an Sonne, Mond und Sternen von denen der Evangelist Lukas hier spricht, sind beobachtbare Veränderungen an den Gestirnen, die vollkommen ohne Vorwarnung hereinbrechen. Weil sie für die Menschen unerklärlich sind und ihre Folgen nicht abschätzbar, haben sie etwas unkontrollierbares und beängstigendes an sich. Lukas bleibt dabei hier eher allgemein in der Darstellung der angekündigten Zeichen. Der Evangelist Markus schreibt in seinem Evangelium beispielsweise viel deutlicher: "Aber in jenen Tagen, nach jener Drangsal, wird die Sonne verfinstert werden und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels erschüttert werden." (Markusevangelium 13,24-25)
Vers 25-26: Was sich am Himmel ereignet, bleibt nicht ohne Folgen für die Erde. Denn auch dort macht sich die anbrechende Endzeit sichtbar und erfahrbar. Wenn es heißt, dass das Meer in Donnern und Tosen verfällt, dann steigert der Evangelist mit diesem Bild geschickt die Bedrohlichkeit der kaum zu kontrollierenden Urmacht des Wassers. Entsprechend drastisch sind auch die Reaktionen der Menschen. Lukas spricht von Bestürzung und Ratlosigkeit und davon, dass die Menschen vor Angst vergehen. Für den Leser oder Hörer des griechischen Originaltextes wird dieses Szenario sprachlich noch gesteigert, denn der Evangelist benutzt für alle hier genannten Phänomene Begriffe, die im Neuen Testament kein zweites Mal verwendet werden. So werden die Not und die Unberechenbarkeit des Geschehens im Hören und Lesen noch eindringlicher.
Vers 27: Die Vorstellung des Menschensohns, der auf den Wolken daher kommt, ist dem Buch Daniel entlehnt. Dort "kommt mit den Wolken des Himmels einer wie ein Menschensohn" (Daniel 7,13), er bringt in eine Situation des Kriegs, der Zerstörung und sich bekämpfender Weltherrschaften eine neue, von Gott gegebene Macht, der sich die anderen beugen müssen. Mit ihm beginnt eine neue Zeit der Stabilität und eine Herrschaft, die unter anderen Vorzeichen steht. Das Bild der Wolke und die Begriffe Kraft und Herrlichkeit, die hier mit dem Menschensohn zusammenhängen, verweisen auf Gott selbst. Sie sind Zeichen und Attribute, die in der Sprache der Bibel immer wieder verwendet werden, um die Macht Gottes und seine Gegenwart oder sein Erscheinen zu veranschaulichen.
Verse 34-35: Der Evangelist Lukas formuliert mit Blick auf „jenen Tag“, den Tag des Herrn, den Tag, an dem der „Menschensohn“ kommt (Vers 27) einige Verhaltenshinweise. Die Ermahnung, auf Rausch und Trunkenheit zu verzichten, entspricht der antiken Abwertung von übermäßigem Alkoholgenuss. Trunkenheit und Rausch sind Zeichen für ein unvernünftiges Leben. Sich nicht in den Sorgen des Alltags zu verlieren, erweitert die Ermahnungen. Hier geht es vor allem darum, das Herz nicht mit den negativen Gedanken und „Kleinigkeiten“ zu belasten. Der Grund für diese klaren Appelle liegt in der Plötzlichkeit, mit der „jener Tag“ auf der ganzen Erde hereinbricht („wie eine Falle“). Wer nicht in diese Falle einer unvermittelten Ankunft des Herrn tappen möchte, muss sich von allem fernhalten, was ablenkt und gefangen nimmt.
Vers 36: Abschließend werden zwei positive Haltungen formuliert, die die Jünger und späteren Leser des Evangeliums für den Tag, an dem der Menschensohn kommt, zurüsten: wachen und beten sind Grundhaltungen („allezeit“) der christlichen Existenz und zeigen eine grundlegende und stetige Bereitschaft, sich auf Gott hin auszurichten.