Wen lade ich ein und wer sitzt wo? Das Evangelium vom 22. Sonntag im Jahreskreis erinnert an beliebte Ratgeberliteratur, trifft aber die menschliche Sehnsucht nach Anerkennung.
1. Verortung im Evangelium
In Lukasevangelium 9,51 hatte Jesus den Entschluss gefasst, nach Jerusalem zu ziehen. Viele der Erzählungen seitdem waren Geschichten am Wegesrand ohne klare Zuordnung zu einem Ort und vor allem durch die handelnden Personen geprägt. Das 14. Kapitel setzt hingegen an einem klar benannten Ort an: Im Haus eines führenden Pharisäers. Alle Episoden in Lk 14,1-24 spielen in diesem Haus, erst mit Lk 14,25 wird das Erzählte aus diesem Kontext herausgelöst. Der Kontext (Mahl im Haus des Pharisäers) bildet eine Bühne für zwei unterschiedliche Schwerpunkte der Verse 1-24. Zunächst geht es um die Frage nach dem Sabbat (Lk 14,2-6), dann um Reihe von Beobachtungen und Hinweisen rund ums Gast und Gastgeber sein (Lk 14,7-24).
2. Aufbau
Nach dem einleitenden Vers Lk 14,1, der in die Hintergrundszene einführt, folgen zwei voneinander abgegrenzte Erzählungen, die über das Motiv „Gast und Gastgeber sein“ miteinander verknüpft sind.
Lk 14,7-11 besteht aus einer Einführung in die Szene (Jesus beobachtet das Verhalten der Gäste) in Vers 7 und einer Mahnrede in den Versen 8-10. Vers 11 liefert eine Begründung zu den vorangegangenen Ermahnungen.
Lk 14,12-14 setzt ein mit einer weiteren Folge von Mahnungen, die nun aber an den Gastgeber gerichtet sind (Verse 12-13). Der abschließende Vers 14 beschreibt die Folge des eingeforderten Verhaltens im Hinblick auf das Verhältnis zu Gott.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Die Einleitung „und es geschah“ findet sich so z.B. auch in Lk 5,1. Die Kombination „Sabbat + Pharisäer“ wird dem aufmerksamen Zuhörer oder Leser andere Szenen in Erinnerung rufen, in denen es um die Auseinandersetzung zwischen Jesus und Pharisäern rund um die Sabbatfrage ging (z.B. Lk 6,1-11). Die Charakterisierung des Pharisäers als „führender“ hebt hervor, dass Jesus sich in gehobenen Kreisen bewegt und bei einem angesehenen Mann der Gesellschaft zu Gast ist. Dies ist wichtig für die kommenden Worte zum Gastgeber sein.
Ein klassisches Gleichnis ist die folgende Erzählung nicht. Wohl aber formuliert der abschließende Vers 11 einen Grundsatz, der der Episode eine Bedeutung beimisst, die über die reine Erzählsituation im Haus des Pharisäers hinausgeht.
Vers 7: Die Ausgangsszene (Vers 1) wird präzisiert: Jesus beobachtet das Verhalten der Gäste und deren Suche nach den Ehrenplätzen. Die Platzverteilung oder Platzwahl bei einem Festmahl ist in der antiken Welt eine Statusfrage. Daher findet sich auch in antiker Literatur Erzählungen, die sich mit dem Thema „Streben nach dem Ehrenplatz“ beschäftigen.
Verse 8-10: Die Mahnungen Jesu sind antithetisch formuliert, d.h. sie arbeiten mit Gegensätzen. Wird zunächst in den Versen 8-9 beschrieben, welches Verhalten unterlassen werden soll, zeigt Vers 10 das gewünschte Verhalten auf. Sowohl das falsche wie das richtige Verhalten werden sofort begründet und in beiden Fällen steht das soziale Ansehen im Hintergrund der Begründung. Denn die falsche oder richtige Platzwahl kann zu Prestigeverlust oder Prestigegewinn führen. Die Begründung des richtigen Verhaltens erfolgt also der pragmatischen Frage: Was ist für mich besser oder: Was bringt mir mehr Ansehen ein?
Vers 11: Mit „denn“ wird eine klare Begründung eingeleitet, die das Dargestellte auf eine allgemeingültige Ebene hebt. Hinter der Formulierung vom Erhöhen und Erniedrigen könnte ein Wort aus dem Buch Ezechiel stehen: „Hoch das Niedrige, nieder das Hohe“ (Ezechiel 21,31). Aus der Tischszene heraus spricht Jesus den Grundsatz aus, dass ein sich selbst Erhöhen nur zu einer Erniedrigung durch andere führen kann und umgekehrt. Der Evangelist Lukas lässt Jesus hier nicht ein theologisches Programm formulieren, in dem es um Gott als den Erhöhenden oder Erniedrigenden geht. Es geht vor allem um eine menschliche Haltung, die sich sowohl auf das Verhältnis zu den Mitmenschen als auch auf das Verhältnis zu Gott bezieht: Nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellen.
Verse 12-13: Wie die Verse 8-10 werden auch hier antithetische Mahnungen formuliert, diesmal mit Blick auf den Gastgeber und die Auswahl der Gäste. Dabei ist zu beachten, dass nicht die eingeladen werden, die sich revanchieren können, sondern diejenigen, die keine Mittel haben, selbst zum Gastgeber zu werden. Ähnlich wie in Lk 6,27-35 (Gebot der Feindesliebe) steht dahinter die Aufforderung, sich vom Prinzip der „Wechselseitigkeit“ (Reziprozität) zu verabschieden. Das bedeutet, seine Handlungen nicht danach auszurichten, ob einem das eigene Handeln entsprechend vergolten wird.
Die Personen, die in Vers 12 benannt werden, entstammen allesamt dem näheren sozialen Umfeld des Gastgebers, dies wird mit dem „reichen Nachbarn“ sogar noch betont. Alle Personen sind damit Menschen, die eine Einladung – aus Höflichkeit, Verbundenheit oder Prestigegründen – mit einer Gegeneinladung beantworten. Die Gegenüberstellung von Armen, Krüppeln, Lahmen und Blinden ist fast plakativ, dafür aber auch einleuchtend: von ihnen ist keine Gegenleistung zu erwarten.
Vers 14: In Form einer Seligpreisung wird die Folge des in den Versen 12-13 angemahnten Verhaltens dargelegt. Derjenige, der sich vom Prinzip der Wechselseitigkeit (auf Erden) verabschiedet, wird von Gott „bei der Auferstehung der Gerechten“ also am Ende der Zeiten eine positive Vergeltung seines Tuns erhalten.