Lesejahr C: 2021/2022

2. Lesung (Gal 6,14-18)

14Ich aber will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt.

15Denn es gilt weder die Beschneidung etwas noch das Unbeschnittensein, sondern: neue Schöpfung.

16Friede und Erbarmen komme über alle, die diesem Grundsatz folgen, und über das Israel Gottes.

17In Zukunft soll mir niemand mehr solche Schwierigkeiten bereiten. Denn ich trage die Leidenszeichen Jesu an meinem Leib.

18Die Gnade Jesu Christi, unseres Herrn, sei mit eurem Geist, meine Brüder und Schwestern! Amen.

Überblick

Einordnung in den Brief

Von einer langen Rede, einer Predigt oder auch einem Brief bleiben meistens die letzten Worte besondes im Gedächtnis. Das wusste auch die griechische Redekunst (Rhetorik), nach deren Grundsätzen Paulus seinen Brief an die Christen in Galatien abgefasst hat (zur Einführung in den Brief vgl. den Überblick am 12. Sonntag im Jahreskreis). Und so fallen die letzten Sätze des Galaterbriefs wie einzelne Hammerschläge, die noch einmal die wichtigsten Aussagen des Schreibens festhalten wollen, um schließlich mit einer Alle einbindenden Segensbitte zu schließen.

Also: nicht viel Neues, aber dafür viel Prägnantes.

 

Vers 14: Kein "Selbstruhm"

Gerade am Ende eines Briefes, in dem Paulus immer wieder auch seine persönliche Verärgerung  über die jüdisch-christlichen Misisonare kundegetan hat, die seine Evangeliumsverkündigung ohne Forderung der Beschneidung unterwandern bzw. rückgängig machen wollen, ist es ihm wichtig, festzuhalten: "Mir geht es nicht um mich".  Selbstruhm ist die Sache des Paulus nicht.

Die Gefahr einer falschen Rühmung sieht Paulus eher bei den "Evangeliumsverfälschern", wie er seine Gegner im Brief nennt (Galater 1,7). Indem sie die Beschneidung fordern, würden sie die Menschen zur Befolgung des jüdischen Gesetzes zwingen, das sie selbst - so behauptet Paulus - nicht halten würden. Ihnen ginge es einerseits nur darum, Menschen für ihre Sicht zu gewinnen, um sich mit ihrem Missionserfolg rühmen zu können. Und auf der anderen Seite würden sie die Folgen vermeiden wollen, die ihnen die von Paulus geforderte alleinige Verkündigung des Kreuzes Christi (ohne Beschneidung) einbringen könnten. Das Gemeinte bleibt etwas unklar: Sind Verfolgungen aufgrund der Kreuzesverkündigung durch die Römer gemeint oder eher Verfolgungen durch die eigenen jüdischen Glaubensgeschwister, die nicht zum Christusglauben gekommen sind? Wie auch immer, auf dem Hintergrund der heftigen Polemik gegen seine Gegner in den der Lesung vorangehenden Versen 12 und 13 formuliert Paulus nun deutlich: Ihm geht es allein um die Verkündigung des Kreuzes, und damit rühmt er sich allein der heilenden und vergebenden Kraft Christi. Im Übrigen ruft Paulus mit diesem Vers seine Aussage aus Galater 2,17 in Erinnerung:

"Denn ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich für Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt worden.

 

Vers 15: "Neue Schöpfung"

Dieser Vers fasst noch einmal auf knappste Weise die Tauftheologie des Paulus zusammen: Durch die Taufe auf den gekreuzigten Christus, durch dessen sündenvergebende Kraft und den Leben schaffenden Geist Gottes geschieht in der Taufe so etwas wie eine Neu-Schöpfung. Um ein nicht-theologisches Bild zu verwenden, das in unsere Zeit passen könnte: Die "Festplatte" des Menschen, wird zumindest von Gott her von aller denkbaren Schadens-Software bereinigt. Paulus selbst hat dabei die Erwachsenentaufe im Blick, so dass das Leben vor der Taufe schon genug Möglichkeiten hatte, "Viren" einzubauen. Die Anfälligkeit dafür liegt in der Schwäche des Menschen.

Solche tiefgreifende Erneuerung des Menschen ist für Paulus mit der Beschneidung nicht verbunden.

 

Vers 16: Segen auch für "das Israel Gottes"

Vers 16 ist ein Segenswunsch für diejenigen, die sich auf die Evangeliumsverkündigung des Paulus einlassen. Aber er beschränkt sich nicht darauf, sondern spricht diesen Segen auch über das erwählte Volk Israel, aus dem er selber stammt. Damit klingt hier verborgen an, was Paulus in Römer 9 - 11 breit entfalten wird: Auch wenn Paulus darunter leidet, dass sehr viele seiner jüdischen Glaubensgeschwister nicht zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind, hält er an der Treue Gottes zu seinem Volk fest und geht davon aus, dass Gott am Ende der Zeiten für sie eine Erlösug ohne Christusglauben bereit hält, so wie er eben auch überzeugt ist, dass Gott diejenigen liebt, die sich seinem Sohn Jesus Christus verschrieben haben und sich nicht beschneiden lassen.

 

Vers 17: Endlich Ruhe

Dass Paulus hofft, die Wirren der Gemeinden von Galatien durch seine briefliche Einlassung beseitigt zu haben, ist verständlich. Ob danach wirklich Ruhe war, wissen wir nicht. Die Dringlichkeit seines Wunsches um ein Ende der Kämpfe in Galatien, die ihm geradezu Schmerzen bereiten, wird deutlich, wenn er auf Schmerzen ganz anderer Art hinweist, die er wohl auch zu ertragen hat: Er trägt die sogenannten Stigmata, also Wunden an Händen und Füßen, die wie eine Nachbildung der Kreuzeswunden Jesu sind. Bei wem diese Wundmale auftreten (sie werden in später Zeit z. B. mit Franz von Assisi und im letzten Jahrhundert mit dem in Italien sehr verehrten Pater Pio verbunden), dem bereiten sie große Schmerzen. Diese will Paulus offenbar gerne tragen als Nachfolger Christi - im Gegensatz zu der Pein, die ihm der galatische Streit bereitet. 

 

Vers 16: Zum Schluss die Stärkung

Ein stärkender Christus-Segen, der Zuspruch seiner hilfreichen Zuwendung und Aufrichtung der inneren Kräfte ("Geist") gegen die Schwächen des Fleisches (zu denen auch der Streit oder das ängstliche Nachgeben vor unangemessenen bzw. falschen Forderungen Anderer gehören), beschließen den Galaterbrief.

Auslegung

Verse 14-15: Die merkwürdige Rede von der "Rühmung des Kreuzes"


14 Ich aber will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt. 15 Denn es gilt weder die Beschneidung etwas noch das Unbeschnittensein, sondern: neue Schöpfung (Galater 6,14-15). 

Wie kann man sich des Kreuzes rühmen? So darf man zu Recht fragen.

Schon zur Zeit des Paulus war der Gedanke alles andere als selbstverständlich. Im Ersten Brief an die Gemeinde von Korinth bringt Paulus es glasklar auf den Punkt:

"Wir dagegen verkünden Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit" (1 Korinther 1,23), 

Für die Einen, nämlich für seine jüdischen Geschwister, ist ein Toter am Kreuz Ausdruck dafür, dass Gott ihn verflucht hat. An einen gekreuzigten Heilsbringer zu glauben ist daher geradezu ein "Ärgernis". Diese Sichtweise stützt sich auf Deuteronomium 21,2-23:

22 Wenn jemand ein Verbrechen begangen hat, auf das die Todesstrafe steht, wenn er hingerichtet wird und du den Toten an einen Pfahl hängst, 23 dann soll die Leiche nicht über Nacht am Pfahl hängen bleiben, sondern du sollst ihn noch am gleichen Tag begraben; denn ein Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter. Du sollst das Land nicht unrein werden lassen, das der HERR, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt.

Für die Anderen, nämlich die Römer, ist der Glaube an einen Gekreuzigten "töricht", genauer: purer Aberglaube. Denn für einen Römer gilt die Kreuzigungsstrafe als derart ehrlos, dass sie nicht mit Heil und Rettung verbunden werden kann, wie es bei den Christen der Fall ist.

Genau dies war aber die tiefe Glaubenserkenntnis des Paulus, als er noch Jude war und Gott ihm "seinen Sohn offenbarte" (Galater 1,16): In diesem einen Fall, bei der Kreuzigung des Jesus von Nazareth, ist in einer in der Tat ehrlosen Hinrichtung das Heil für die Menschen geschehen. So schreibt er im Zweiten Brief an die Gemeinde von Korinth:

"Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er ihnen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat" (2 Korinther 5,19). 


Einen solchen Gott glauben zu dürfen, der sich auch des schäbigsten Todes nicht zu schade ist, um den Menschen nicht den Folgen all der Schäbigkeiten, zu denen er fähig ist, zu überlassen - das ist für Paulus allen Rühmens wert. Nur ist das eben kein Ruhm, den man sich selbst zuschreiben könnte. 

Sich aber darauf einzulassen, im Tiefsten und Letzten  ganz aus Gott und nicht aus irgendwelcher Eigenleistung zu leben, führt zu einem Existenzwandel. Den nennt Paulus "neue Schöpfung". Dieser Gedanke findet sich nicht nur in Vers 15 der heutigen Lesung, sondern auch im bereits erwähnten Zweiten Korintherbrief:

"16 Also kennen wir von jetzt an niemanden mehr dem Fleische nach; auch wenn wir früher Christus dem Fleische nach gekannt haben, jetzt kennen wir ihn nicht mehr so. 17 Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden" (2 Korinther 5,16-17). 

Durch den hier vorangestellten Vers ("Wir kennen von jetzt an niemanden mehr dem Fleische nach") wird die praktische Konsequenz des "Existenzwandels" deutlich, die wohl auch im Galaterbrief mitzuhören ist: Die neue Sicht auf Gott und auf Jesus Christus führt zu einer neuen Sicht auf den Menschen: Jede und jeder wird zur Schwester bzw. zum Bruder, für die bzw. den Jesus den Tod auf sich genommen hat. Wer glauben kann, dass Alle aus dem Geheimnis Gottes Leben, hat keinen Grund mehr, im Anderen den Feind oder Konkurrenten zu sehen. Dann muss niemand mehr kleiner gemacht werden, damit man selbst größer dasteht. Dann entfällt eben auch jeglicher Selbstruhm und das, was an Taten geschieht, die nur dazu dienen, damit man selbst besser dasteht. 

Die Unterwanderung dieser im Letzten befreienden Botschaft durch die anonym bleibenden judenchristlichen Missionare, die doch mehr auf Taten der Menschen setzen, um sich vor Gott zu beweisen - diese Unterwanderung ist es, die Paulus leiden und ihn zur Feder greifen lässt, um seine galatischen Mitschwestern und Mitbrüder in ihren Selbststand als "neue Schöpfung" zu stärken und vor dem Verlust ihrer Freiheit (durch die drohende Annahme der Beschneidungsforderung) zu bewahren.

 

Kunst etc.

Beaune, Notre-Dame, Marienleben, Beschneidung Jesu (Photo Dierk Schaefer, 17.8.2014), CC BY 2.0
Beaune, Notre-Dame, Marienleben, Beschneidung Jesu (Photo Dierk Schaefer, 17.8.2014), CC BY 2.0

Der im Chorraum der Pfarrkirche von Beaune hängende Wandteppich aus dem Jahr 1500 (Teil einer größeren Wandteppichfolge zum Marienleben) zeigt behutsam, aber deutlich die operative Handlung der Beschneidung, wenn auch in der eher künstlichen Szenerie eines jüdischen Mohel (Beschneiders), dem ein katholischer Priester assistiert. Wie so oft in der Kunstgeschichte werden Handlungen aus biblischer Zeit szenisch in die Zeit des Malers bzw. Künstlers und das christliche Ambiente übertragen. 

Das Bild kann auf einen wichtigen Zusammenhang hinweisen: Jesus wie Paulus sind Geschwister in der Beschneidung, denn beide gehören zum jüdischen Volk. Sie unterscheiden sich allerdings deutlich darin, dass uns von Jesus keine Stellungnahme zur Beschneidung überliefert ist, während Paulus sehr deutlich Position in dieser Frage bezieht.

Dabei wäre ihm die moderne Debatte zu diesem Thema fremd, die eher medizinisch und mit Blick auf den Eingriff in die Unversehrtheit des Leibes bzw. die Bewahrung des Kindes vor Schmerz argumentiert. Als jemand, der selbst in der Tradition des Judentums groß geworden ist, sich dann für die Nachfolge Jesu entschieden hat und in der Verkündigung dieses Glaubens vor allem bei Nicht-Juden (sog. "Heiden") im griechisch-römischen Raum unterwegs war, stellte sich ausschließlich die theologische Frage: Muss ein Nicht-Jude, der Christ werden möchte, zunächst Jude werden und dies durch die Beschneidung kundtun? 

Paulus verneint diese Frage, weil sich für ihn durch seine eigene Wandlung im Glauben die Gewichte verschoben haben. Aus dem "einschneidenden" Zeichen für das Eintreten in den Bund, den Gott mit seinem Volk geschlossen hat (vgl. dazu als Grunderzählung die Beschneidung Abrahams in Genesis 17), wird für ihn in dem Augenblick, wenn dieses Zeichen auch für Nicht-Juden gelten soll, ein Gestus, der auf die Möglichkeiten des Fleisches setzt - letztlich ein Ritus, der auf Machbarkeit und menschliche Möglichkeiten setzt. 

Der Griff zum Messer als ein Handeln am Fleisch verbirgt für Paulus das Eigentliche, um das es im christlichen Glauben geht: den Eintritt in eine neue Gottesbeziehung, die Alles von Gott her erwartet und ihm vertraut, weil er in Jesus Christus alles zum Heil der Menschen Notwendige getan hat. Die Beschneidung als Teil der Befolgung des Gesetzes des Mose mit seinen weiteren Ge- und Verboten verdunkelt für Paulus diesen Glauben. Sie erweckt den Eindruck, dass es darüber hinaus doch noch ein unverzichtbares Handeln des Menschen zu seinem Heil geben muss. Beschneidung verdunkelt für ihn die Freiheit, die aus der alleinigen Beziehung zu Christus erwächst und nicht vom Fleisch, sondern vom Geist bestimmt ist.

All dies steht im Hintergrund auch der letzten Worte aus dem Brief an die Galater.