Lesejahr C: 2021/2022

Evangelium (Lk 12,13-21)

Die Vorläufigkeit des Besitzes: 12,13–21

13Einer aus der Volksmenge bat Jesus: Meister, sag meinem Bruder, er soll das Erbe mit mir teilen!

14Er erwiderte ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbteiler bei euch eingesetzt?

15Dann sagte er zu den Leuten: Gebt Acht, hütet euch vor jeder Art von Habgier! Denn das Leben eines Menschen besteht nicht darin, dass einer im Überfluss seines Besitzes lebt.

16Und er erzählte ihnen folgendes Gleichnis: Auf den Feldern eines reichen Mannes stand eine gute Ernte.

17Da überlegte er bei sich selbst: Was soll ich tun? Ich habe keinen Platz, wo ich meine Ernte unterbringen könnte.

18Schließlich sagte er: So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen; dort werde ich mein ganzes Getreide und meine Vorräte unterbringen.

19Dann werde ich zu meiner Seele sagen: Seele, nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink und freue dich!

20Da sprach Gott zu ihm: Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann das gehören, was du angehäuft hast?

21So geht es einem, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber bei Gott nicht reich ist.

Überblick

1. Verortung im Evangelium
Der Abschnitt aus dem Lukasevangelium (Lk), der in der Einheitsübersetzung mit „Die Vorläufigkeit des Besitzes“ überschrieben ist, steht mit seinem mahnend-kritischen Unterton in einer Reihe ähnlicher Erzählungen im näheren Umfeld des Evangeliums. Unmittelbar zuvor hatte Jesus vor allem seinen Jüngern Mut gemacht, angesichts von kommenden Bedrängnissituationen (Lk 12,1-12). Nach dem vorliegenden Evangeliumsabschnitt steht die rechte Sorge im Mittelpunkt der Worte Jesu (LK 12,22-34) und danach die Mahnung zur Wachsamkeit angesichts der kommenden Zeit der Entscheidung (Lk 12,35-13,1). Die gemeinsame Perspektive dieser Abschnitte besteht in der Frage nach der sinnvollen Gestaltung des eigenen Lebens vor Gott.

 

 

2. Aufbau
In den Versen 13-15 wird eine zufällige Situation geschildert: Jesus wird aufgefordert, sich in eine Familienangelegenheit einzumischen und Stellung zu beziehen. Jesu Antwort ist allgemein und konkret zugleich und leitet über zu der Erzählung eines Gleichnisses im zweiten Teil des Textes (Verse 16-20). Der abschließende Satz Jesu (Vers 21) weist sowohl zurück auf die Ausgangsfrage wie auch voraus auf weitere Hilfestellungen zum Umgang mit Fragen der Vorsorge.

 

 

3. Erklärung einzelner Verse


Verse 13-14: Der Zuruf eines Unbekannten aus der Menge heraus führt zu einer neuen Situation: Im Erbstreit unter Brüdern wird Jesus aufgefordert, Stellung zu beziehen und eine Ermahnung an einen Erben zu richten. Diese Ausgangssituation (und auch die Lösung der Frage) ist für den weiteren Fortgang unerheblich. Der Evangelist Lukas nutzt die Situation lediglich, um ein neues Thema einzuführen und das Thema „Finanzen und Vorsorge“ in den Mittelpunkt zu rücken.

Die Antwort Jesu nimmt Bezug auf Exodus 2,14. Dort wird Moses, der einen Streit schlichten will, mit der Frage konfrontiert, wer ihn zum Richter eingesetzt hat. Das Wort meristehs (griechisch: μεριστής, Erbteiler ) steht für eine Person, die außergerichtliche Schiedssprüche festsetzt. Jesus sieht sich also – im Rückgriff auf die Mose-Geschichte – nicht als einer, der sich in (familien)interne Angelegenheiten einmischt.

 

Vers 15: Nach der direkten und konkreten Antwort an den Fragesteller aus Vers 13 spricht Jesus nun alle an, die Zeuge des Dialogs geworden sind. Seine Warnung vor der Habgier greift dabei ein allgemeines antikes Motiv auf. Habgier ist gefährlich für den sozialen Zusammenhalt, denn wer nur auf das Zusammenraffen seines Besitzes aus ist, vergisst allzu leicht die Mitmenschen und sät womöglich Streit und Zwietracht, so die Sorge. Weil dieses zentrale Gut des christlichen Zusammenlebens nicht in Gefahr geraten durfte, war die Mahnung vor Habgier ein verbreitetes Thema der frühchristlichen Literatur. Der Evangelist Lukas legt den Fokus jedoch auf die persönlichen Konsequenzen. Das Streben nach „Mehr“ wird zur Falle, dauerhaft im Überfluss leben zu wollen.

 

Vers 16: Es beginnt ein Gleichnis mit der typischen Darstellung der Ausgangssituation, die alles andere als außergewöhnlich ist: Ein reicher Mann, er ist als Besitzer mehrerer Ländereien vorzustellen, erwartet eine gute Ernte. Ihm steht also in Aussicht, seinen Besitz mehren zu können.

Das Image des „Reichen“ ist in der biblischen Tradition zwar nicht besonders gut (z.B. Buch der Sprichwörter 18,11), er wird hier jedoch auch nicht wegen seines Besitzes verurteilt oder als unrechtmäßig Besitzender qualifiziert.

 

Verse 17-19: Mit der an sich selbst gerichteten Frage „Was soll ich tun?“ beginnt ein innerer Monolog des reichen Mannes. Mehrere Antwortmöglichkeiten sind denkbar im Hinblick auf das Problem fehlenden Lagerplatzes für die Ernte, das Evangelium präsentiert jedoch nur eine Schlussfolgerung: Der Reiche trifft mit dem Bau weiterer Lagerkapazitäten Vorsorge für die bevorstehende große Ernte. Eine eigentlich selbstverständliche Entscheidung. Er ist Besitzer von Land und Feldern, sicher hat er Arbeiter, für die er Sorge trägt, womöglich auch eine Familie. Die guten Einnahmen zu sichern und gleichzeitig für schlechtere Zeiten und evtl. eine andere Marktsituation zu lagern ist sinnvoll. Schritt für Schritt plant der reiche Mann nun, was zu tun ist. Abreißen, Neubauen und Einlagern tragen passgenau zur Lösung des Problems bei. Wobei das Einlagern schon mehr zu umfassen scheint als die aktuelle Ernte, denn in Vers 19 könnte er sonst nicht behaupten, „ausgesorgt“ zu haben. Der Reiche denkt also an das Zusammenziehen all seines Besitzes, so dass er dann da Leben genießen kann und keine Sorge mehr auf seinen Besitz verwenden muss. „Ruh dich aus, iss und trink und freue dich“ zeichnet das künftige Leben im Wohlstand aus.

 

Vers 20: In der Gottesrede wird der Reiche mit „Narr“ angesprochen. Das Wort aphrohn (griechisch ἄφρων, der Unvernünftige, Törichte, der Narr) erklärt sich nicht aus dem eigentlichen Verhalten des Mannes, erst unter Hinzuziehung der Ankündigung Gottes ist das Handeln als „töricht“ und der Mann als „Narr“ zu betrachten. Der plötzliche Tod ist ein vertrautes Motiv biblischer Literatur, es dient dazu das Leben als göttliches Geschenk in Erinnerung zu rufen, über das der Einzelne am Ende Rechenschaft ablegen muss.

 

Vers 21: Die Anwendung des Gleichnisses durch Jesus gibt eine klare Richtung der Interpretation vor: Es geht um den wahren und falschen Reichtum. Der falsche Reichtum ist der, den man für sich selbst als Schatz ansammelt (vgl. Selbstgespräch des Mannes). Der wahre Reichtum ist der, mit dem man auch vor Gott etwas vorweisen kann – und nicht nur vor sich selbst. Die weitere Klärung wie und womit solcher Reichtum zustande kommt, wird hier nicht vorgenommen.

Auslegung

Die Frage des Zurufers versetzt die Erzählung ins pralle Leben. Wie viele Familien haben sich bereits in der Frage ums Erbe zertritten? Es ist ein ernstes Anliegen und für den Fragenden offensichtlich ein von ihm selbst nicht zu lösendes Problem, weshalb er sich an den „Rabbi“ Jesus als einen offenkundig verständigen und klugen Mann wendet. Und Jesus reagiert ganz als „Rabbi“ mit einer klugen und für den Fragenden zugleich unzufriedenstellenden Antwort. Denn er macht deutlich, dass er sich nicht einmischen wird in das innerfamiliäre Geschehen. Dies ist jedoch nur die erste Antwort. Die zweite folgt sogleich: Die Warnung vor Habgier, die an dieser Stelle auch noch auf den Zwischenrufer gemünzt ist, nimmt den Einzelnen und sein Verhältnis zu Besitz in den Blick. Dabei wird wie im gesamten Text nicht der Besitz selbst als verwerflich abqualifiziert, sondern der Umgang des Menschen mit dem Besitz kritisch hinterfragt.
Obwohl Jesus mit Blick auf das erzählte Gleichnis und die Gottesrede darin den Gedankengang abschließt und auch dem Fragenden aus Vers 13 eine Antwort auf seine Frage anbietet, bleiben im heutigen Text auch Fragen offen: Wie ist man denn bei Gott reich? Und was bedeutet für sich selbst sammeln? Der Evangelist Lukas leitet damit zu seinem nächsten Abschnitt und der Frage nach der rechten Sorge oder Vorsorge fürs Leben über. In der Einteilung des Evangeliums für die sonntägliche Leseordnng entsteht auf diese Weise jedoch ein „Cliffhanger“ – also ein Überhang, der leider nicht am kommenden Sonntag aufgelöst wird. Denn die Frage nach der rechten Sorge und dem Blick auf das Reich Gottes in Lk 12,22-34 schließt nicht nahtlos in der Leseordnung an.
Doch auch ohne die direkte Auflösung der Fragen bleibt das Evangelium nicht ohne Antworten, nur ist ihr Fokus ein anderer. Denn die gerechte Aufteilung des Erbes, die Ausgangsfrage aus Vers 13, hat einen ähnlichen Grundtenor wie die Pointe des Gleichnisses. Es geht um den irdischen Besitz, der zu einer gewissen Sorglosigkeit führen kann, die schlimmstenfalls Gott vergessen lässt. Und mit ihm die Tatsache, dass der Mensch, egal was er schafft und anhäuft, der Sterblichkeit unterworfen ist. Der reiche Mann im Gleichnis wird zum Narr, weil er seine Lebenspläne ohne Gott macht. Er meint, alles selbst im Griff zu haben, sein Leben, seinen Verlauf und seine Zukunft. Er hofft, mit seiner Vorsorge ausgesorgt zu haben und sich ausruhen zu können auf dem, was geschafft und als Ernte eingefahren ist. Er sehnt sich eine Sicherheit herbei, die über das Heute und die absehbare Zukunft („viele Jahre“) hinaus geht. Diese Form der Vorsorge wird im Evangelium kritisiert. Denn so wenig der Besitz des reichen Mannes als vollkommen falsch gemaßregelt wird, so sehr wird der Überfluss (Vers 15) und das Ausruhen auf den Besitztümern (Vers 19) in Frage gestellt. „Überfluss“ und „Ausruhen im Besitz“ geben dem Hab und Gut einen Beigeschmack. Sie können den Blick und das Herz festhalten und verstellen und dazu führen, dass der Besitzende sich selbst genügt und sich nur mit sich und seinen Dingen beschäftigt. Das aber lässt den Blick nicht frei sein, um Gott und die anderen wahrzunehmen und – und nun kommt der Ausblick auf den folgenden Abschnitt im Lukasevangelium (Lk 12,22-34) hinzu – es lässt keinen Spielraum des Gottvertrauens. In der Suche nach dem „noch mehr“ und dem Sichern der eigenen Güter mache ich mich selbst allzu leicht zum Maß der Dinge. Mein Vertrauen setze ich auf mich und das Erreichte und nicht auf Gott, der allein das Leben in Fülle schenkt. Reich vor Gott ist aber derjenige, der sein Vertrauen wirklich und existentiell auf ihn zu setzen wagt. Derjenige hortet nicht und plant nicht in eine Zukunft, die er sich selbst nicht schenken kann. Vielmehr gestaltet er sein Leben im Vertrauen auf Gott und hofft auf seine bleibende Zuwendung und Güte (vgl. Bitte um tägliches Brot im Vaterunser).

Kunst etc.

Die Frage nach dem, was der Mensch für sich selbst besitzt und hortet, was er für sich zu sichern sucht, ohne dabei auf ein „reich sein vor Gott“ zu schauen, ist ein in der Literatur verbreitetes Motiv. Das wohl bekannteste Theaterstück, das sich diesem Thema widmet ist „Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ von Hugo von Hofmannsthal (1911 in Berlin uraufgeführt). Der reiche Jedermann soll dort vor Gott treten und über sein Leben Rechenschaft ablegen. Mit dem Ausblick auf den kommenden Tod muss er feststellen, dass er mit seinem Reichtum zwar ein angenehmes Leben führt und sich nur um sich selbst kümmern muss, es aber wenig vorzuzeigen hat, dass sein Leben auch vor Gott bestehen lässt. Weder dem armen Nachbarn wendet er sich zu, noch geht er mit den Schuldnern milde um.