Lesejahr C: 2021/2022

2. Lesung (2 Thess 2,16-3,5)

16Jesus Christus selbst aber, unser Herr, und Gott, unser Vater, der uns liebt und uns in seiner Gnade ewigen Trost und sichere Hoffnung schenkt,

17ermutige eure Herzen und gebe euch Kraft zu jedem guten Werk und Wort.

31Im Übrigen, Brüder und Schwestern, betet für uns, damit das Wort des Herrn sich ausbreitet und verherrlicht wird, ebenso wie bei euch!

2Betet auch darum, dass wir vor den bösen und schlechten Menschen gerettet werden; denn nicht alle nehmen den Glauben an.

3Aber der Herr ist treu; er wird euch Kraft geben und euch vor dem Bösen bewahren.

4Wir vertrauen im Herrn auf euch, dass ihr jetzt und auch in Zukunft tut, was wir anordnen.

5Der Herr richte eure Herzen auf die Liebe Gottes aus und auf die Geduld Christi.

Überblick

Voranschreitende Zeiten verlangen offensichtlich strengere Sitten. An die Stelle des typisch paulinischen Wortes "parakalo", das zwischen "ermutigen", "trösten" und "ermahnen"  oszilliert, tritt nun das auffallende Verb "anordnen" (Vers 3,5). Da ist man gespannt, was denn "angeordnet" wird.

 

Einordnung in den Kontext

Der heutige Lesungsabschnitt gehört zum "Zwischenstück" innerhalb des Zweiten Thessalonicherbriefs. Dieses insgesamt die Verse 2 Thess 2,13 - 3,5 umfassende "Zwischenstück" bildet die Brücke zwischen dem ersten Brief-Hauptteil 2,1-12, der vor allem vom Gericht über die Bedränger der (Recht-)Gläubigen der Gemeinde spricht, und dem zweiten Brief-Hauptteil 3,6-13 mit seinenl Weisungen zur Lebensführung der Gläubigen. Das "Zwischenstück" lässt  selbst sich auch noch einmal unterteilen, so dass sich folgende Übersicht ergibt:

  • 2,1-12:   Erster Hauptteil (Gericht für die Falsch-Gläubigen) 
        • 2,13 - 3,5:    Zwischenstück:
          • 2,13-15:   Dank an Gott
          • 2,16-17:   Gebetswunsch für die Gemeinde
          • 3,1-5:      Aufruf an die Gemeinde zum Gebet für den Autor ("Paulus")
  • 3,6-16:   Zweiter Hauptteil: Lebensweisungen an die (Recht-)Gläubigen

Aus diesem Zusammenhang bilden die Teilstücke 2,16-17; 3,1-5 den heutigen Lesungstext.

 

Was es braucht, wenn es länger dauert (Vers 2,16)

Der erste Teil des Gebetswunsches knüpft an die dem Lesungstext vorangehende Ermahnung der Gemeinde an, standhaft zu bleiben und an den Unterweisungen des Briefautors festzuhalten (Vers 15), der "in persona Pauli" schreibt. In Wirklichkeit ist er ein uns unbekannter Verfasser ist, der als "Paulus" schreibt und sich in seiner Spur sieht. Sicherlich ganz im Sinne des Apostels Paulus macht der Gebetswunsch deutlich, dass alles rechte Tun aus Glauben nicht allein menschlicher Machbarkeit entspringen kann, sondern der Unterstützung Gottes selbst bedarf. Die Unterstützung ist das, was die Theologie "Gnade" nennt. Wie Paulus auch spricht der Zweite Thessalonicherbrief von Gott noch nicht in der Dreifaltigkeitsformel, also von "Vater, Sohn und Heiliger Geist", sondern meistens von "Gott, dem Vater", und "Jesus Christus, seinem Sohn" bzw. "Jesus Christus, unser Herr". Beide werden hier als Geber dessen, benannt, was die Gemeinde braucht. Dabei knüpft die auffällige Formulierung "Gott, unser Vater" den Eröffnungsvers des gesamten Briefes an:

"Paulus, Silvanus und Timotheus an die Kirche der Thessalonicher, die in Gott, unserem Vater, und in Jesus Christus, dem Herrn ..." (2 Thessalonicher 1,1).

Dabei liegt vermutlich noch keine Anspielung auf das "Vaterunser" vor, sondern mit dieser Redeweise schafft der Briefschreiber ein enges Glaubens- und damit auch Vertrauensband zwischen sich und seinen Adressaten.

Die Begriffe "Trost" und "sichere Hoffnung" verweisen auf das Kernanliegen des Briefs. Er wendet sich ja gegen die Behauptung, der "Tag des Herrn", also die Zeit der Wiederkunft Christi, sei schon da, die von einigen in der Gemeinde verbreitet wird. Weil dem nicht so ist, und wahrscheinlich auch noch lange Zeit nicht so ist, braucht es für das Aushalten aller Widrigkeiten in dieser irdischen Zeit, die es zu gestalten gilt, Stärkung. Dazu dienen - in wörtlicher Übersetzung - der "ewige Trost" und die "gute Hoffnung". Gemeint ist, dass die Menschen, wie lange auch immer der Tag der Begegnung mit Christus sich herauszögern möge, auf eine heilvolle Begegnung vertrauen und daraus Gelassenheit für den Alltag schöpfen dürfen.

 

"Herzenstrost" (Vers 2,17)

Offensichtlich teilt 2 Thessalonicher 2,17 die alttestamentlich-jüdische Sicht vom Menschen, dass das Herz weniger der Sitz des Gefühls als des Denkens, Planens und Wollens ist, aus dem alles Handeln und alle Schaffenskraft hervorgeht. Niedergeschlagenheit, fehlender Tatendrang bzw. Antriebslosigkeit sind biblisch also eine "Herzkrankheit" und bedürfen der "Herzensermutigung" bzw. des "Herzenstrostes", wie man auch übersetzen könnte. Die Folge eines so wieder aufgerichteten Herzens sind das "gute Werk", an das man wieder geht, und das "gute Wort" (s. dazu die Rubrik "Auslegung).

 

Die Bitte um Fürbitte (Verse 3,1-2)

Klingen die Verse 2,16-17 wie eine Variation zum Gebetswunsch 1 Thessalonicher 3,11-13, so könnten die Verse 3,1-2 der Lesung eine Entfaltung von 1 Thessalonicher 5,25 sein: "Brüder und Schwestern, betet auch für uns!" Bleibt hier völlig offen, was Paulus genau als Gebet für sich erhofft, hat der Verfasser des Zweiten Thessalonicherbriefes sehr klare Vorstellungen: Er bittet um das Gebet, dass ihm missionarischer Erfolg beschieden sei und dass er vor Glaubensfeinden gerettet werden möge. Damit gibt sich der sich als Paulus ausgebende Briefschreiber deutlich ich-bewusster als Paulus selbst. Hier bahnt sich schon untergründig die Positionsbeanspruchung an, die in Vers 5 im Verb "anordnen" deutlich erkennbar wird.

 

"Treue Christi" (Vers 3,3)

Das Bekenntnis zur "Treue Christi" (die Vorlage 1 Thessalonicher 5,24 spricht von der "Treue Gottes") meint, dass Christus sich auch die in 3,2 angedeuteten Widrigkeiten nicht abhalten lässt von seiner Grundentscheidung  für die Seinen. Daraus dürfen sie die Kraft schöpfen, sich nicht auf die Seite der Bedränger und damit letztlich auf die Seite des Bösen zu schlagen. Was mit der Gefährdung durch das Böse konkret gemeint ist, wird erst die Lesung am kommenden Sonntag aufzeigen. Um es mit einem Wort vorwegzunehmen: lebenszersetzende Faulheit.

 

Die Einforderung von Gehorsam (Vers 3,4)

Vers 4 pocht letztlich auf Gehorsam: Tut bitte, was wir angeordnet haben. Gerade, weil  so unbestimmt bleibt, was genau gemeint ist, wächst der strenge Unterton. Der im Brief angeblich sprechende Paulus wird zur unwiderruflichen und maßstabsetzenden Autorität. Der anonyme Briefautor hat vermutlich wieder den Ersten Thessalonicherbrief als Vorlage im Kopf. Doch klingt die Rede von der "Anordnung" bei Paulus selbst noch deutlich wärmer:

"10 ... Wir ermahnen euch aber, Brüder und Schwestern, darin [d. h. in der Bruderliebe] noch vollkommener zu werden. 11 Setzt eure Ehre darein, ruhig zu leben, euch um die eigenen Aufgaben zu kümmern und mit euren Händen zu arbeiten, wie wir euch aufgetragen (wörtlich: angeordnet) haben. 12 So sollt ihr vor denen, die nicht zu euch gehören, ein rechtschaffenes Leben führen und auf niemanden angewiesen sein" (1 Thess 4,10-11).

 

Zurück zum Anfang (Vers 3,5)

Der Schlussvers des Zwischenstücks schlägt den Bogen noch einmal versöhnlich zurück zum Gebetswunsch 2,16-17, also zu den ersten beiden Versen der Lesung.

Auslegung

"... zu jedem guten Werk und Wort" (Vers 2,16)

Dass ein Briefschreiber im Neuen Testament zum "guten Werk" auffordert, wird kaum überraschen. Jeder, der es tut, darf Jesus selbst auf seiner Seite wissen:

"So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen" (Mt 5,16).

Weitaus weniger selbstverständlich ist die Einforderung des "guten Wortes", an dem es gerade in der Gegenwart zu mangeln scheint. Man denke nur an die massiven Sprachentgleisungen in den Socal Media, an manche Hasstiraden auf öffentlichen Demonstrationen, aber auch an die "Sprachkultur" in manchen dienstlichen oder familiären Zusammenhängen, wo man das "gute Wort" vergeblich sucht, obwohl letztlich jede/r darauf wartet.

Die Heilige Schrift weiß von Anfang an um die Bedeutung des Wortes  für den Zusammenhalt oder - im negativen Fall - für die Zersetzung und den Zerfall der Gesellschaft. Wenn man dem Wort nicht mehr trauen kann, ist gelingendes Zusammenleben nicht mehr möglich - so die Sicht der lebensklugen Weisen des Alten Testaments, deren Wissen im Buch der Sprichwörter, später z. B. im Buch Jesus Sirach, aber auch in den Psalmen gesammelt ist. Sie warnen vor Lüge, Verleumdung und "bösen" Worten (Psalm 141,4), die mit Gottes lebensschaffendem und heilendem Wort nicht vereinbar sind. Ja, der Wortmissbrauch ist geradezu "brandgefährlich". Dieses Feuer-Bild verwendet im Neuen Testament der stark weisheitlich inspirierte Jakobusbrief, der dem Gebrauch der Zunge - als Organ des Redens - eine lange Passage widmet. In ihr heißt es unter anderem:

"Auch die Zunge ist ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit. Die Zunge ist es, die den ganzen Menschen verdirbt und das Rad des Lebens in Brand setzt; sie selbst aber wird von der Hölle in Brand gesetzt" (Jakobus 3,6).

Gerade aber weil die Zunge oft schneller ist als der Verstand, weil ihr Motor auch die Triebe sind, die es mit der/dem Anderen nicht gut meinen, gerade deshalb ist die Gebetsbitte um die Unterstützung durch Gott selbst durchaus nachvollziehbar. Dies gilt ganz besonders in einer angespannten Situation wie derjenigen, in der der Verfasser des Zweiten Thessalonicherbriefs offensichtlich seine Gemeinde sieht. Denn da, wo verschiedene Glaubenspositionen ("Der Tag des Herrn ist schon da" ↔ "Der Tag des Herrn ist noch lange nicht da.") aufeinandertreffen, ist das "gute Wort" oft in Gefahr.

 

"... damit das Wort des Herrn sich ausbreitet" (Vers 3,1)

Wieder einmal ist die Übersetzung zwar sinngemäß richtig, aber nicht genau. "Damit das Wort des Herrn seinen Lauf nehme" wäre die wörtlichere Wiedergabe. Der Unterschied ist deshalb nicht unbedeutend, weil nur so die Bildsprache des "Laufens" anklingt, die wiederum an verschiedene biblische Vorläufertexte anknüpft.

Es beginnt im Buch der Psalmen. Psalm 19 erzählt davon, dass Gott, der die Welt als Lebenshaus mit einer guten Lebensordnung erschaffen hat, sozusagen am Himmel ablesbar ist. Die dort erkennbare Ordnung der Gestirne verweist den biblischen Menschen auf den Alles in Weisheit ordnenden Gott. Besonders genannt wird der "Lauf der Sonne" von einem Ende des Himmels bis zum anderen, der Tag und Nacht strukturiert. Und so, wie sich vor dieser Sonne nichts verbergen kann, so dringt auch die Kunde von Gott durch diesen stummen, aber beständig "laufenden" Himmelsboten in die Welt:

2 Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes

und das Firmament kündet das Werk seiner Hände.

3 Ein Tag sagt es dem andern,

eine Nacht tut es der andern kund,

4 ohne Rede und ohne Worte,

ungehört bleibt ihre Stimme.

5 Doch ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus,

ihre Kunde bis zu den Enden der Erde.

Dort hat er der Sonne ein Zelt gebaut.

6 Sie tritt aus ihrem Gemach hervor wie ein Bräutigam;

sie frohlockt wie ein Held, ihre Bahn zu laufen.

7 Am einen Ende des Himmels geht sie auf

und läuft bis ans andere Ende;

nichts kann sich vor ihrer Glut verbergen. (Psalm 19,2-6)

Geht es in Psalm 19 um die "laufende" Verkündigung der "Herrlichkeit Gottes", so bezieht Psalm 147,15 das Motiv auf das Wort Gottes : "Er sendet seinen Spruch zur Erde, in Eile läuft sein Wort dahin."

Diese Vorstellung vom sich  laufend verselbstständigenden Wort findet sich - hier im Bild des sich ausbreitenden Echos - auch bei Paulus im Ersten Thessalonicherbrief:

"... von euch aus ist das Wort des Herrn aber nicht nur nach Mazedonien und Achaia gedrungen (wörtlich: "hinausgeschallt" wie ein Echo), sondern überall ist euer Glaube an Gott bekannt geworden, sodass wir darüber nichts zu sagen brauchen" (1 Thessalonicher 1,8)

In seinen späteren Briefen sieht Paulus sich selbst als "Läufer" im Dienste des Evangeliums (Galater 2,2; Philipper 2,6), wobei ihm zumindest im Ersten Korintherbrief der Wettkampfläufer im Stadium als Vorbild vorschwebt (1 Korinther 9,24-27).

An diese Vorstellungswelten knüpft die heutige Lesung wohl an. Wenn der Briefschrieber sich als Paulus ausgibt, verdeutlicht er seiner Gemeinde: Der "Lauf" des Apostels Paulus ist nun bei euch angekommen. Hier darf das "Lauffeuer" des Evangeliums aber nicht stehen bleiben. Hindert nicht, dass das Evangelium, das Paulus verkündet hat - das "Wort des Herrn" - seinen Lauf nimmt. Betet vielmehr um die weitere Verbreitung.

Die abschließende Formulierung "ebenso wie bei euch" ist dabei zum einen Mahnung in die Gemeinde hinein, zum anderen aber und vor allem eine Öffnung des Horizontes weit über die Gemeinde hinaus. Versteckt dringt hier das große "Laufziel" durch, das schon die oben zitierten Psalmen ansprachen: "... bis zu den Enden der Erde" (Psalm 19,5) soll die Botschaft von Gott dringen. Und Paulus spricht in 1 Thessalonicher 1,8 von "überall" (s. o.). Bei aller Fixierung des Zweiten Thessalonicherbriefs auf die Frage der Wiederkunft Christi geht ihm diese große Perspektive doch offensichtlich nicht verloren!

 

 

 

Kunst etc.

Paulus-Statue Vatikan, Foto: AngMoKio 2006, Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5
Paulus-Statue Vatikan, Foto: AngMoKio 2006, Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5

Adamo Tadolinis Paulus-Statue vor dem Vatikan (1838) verkörpert wie vielleicht wenige andere Darstellungen den Weisung gebenden Paulus. Das entspricht ziemlich gut dem Paulusbild, das auch der unbekannte Verfasser des Zweiten Thessalonicherbriefs vermitteln will. Für ihn ist die Verkündigung des Paulus im wörtlichen Sinne maß-geblich und ihr ist zu folgen. Vor allem aber ist sie auch richtig zu verstehen. Dieses richtige Verständnis spricht der Zweite Thessalonicherbrief jenen ab, die die Gemeinde "bedrängen", die "Gott nicht kennen" und ihm "nicht gehorchen" (2 Thessalonicher 1,8). Vor ihnen will der Brief die Gemeinde schützen und vor allem innerlich stärken. Das ist das Thema der heutigen Lesung.