Lesejahr C: 2021/2022

Evangelium (Lk 3,10-18)

10Da fragten ihn die Scharen: Was sollen wir also tun?

11Er antwortete ihnen: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso!

12Es kamen auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und fragten ihn: Meister, was sollen wir tun?

13Er sagte zu ihnen: Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist!

14Auch Soldaten fragten ihn: Was sollen denn wir tun? Und er sagte zu ihnen: Misshandelt niemanden, erpresst niemanden, begnügt euch mit eurem Sold!

15Das Volk war voll Erwartung und alle überlegten im Herzen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Christus sei.

16Doch Johannes gab ihnen allen zur Antwort: Ich taufe euch mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.

17Schon hält er die Schaufel in der Hand, um seine Tenne zu reinigen und den Weizen in seine Scheune zu sammeln; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.

18Mit diesen und vielen anderen Worten ermahnte er das Volk und verkündete die frohe Botschaft.

Überblick

Johannes der Täufer fasziniert die Menschen, sie kommen in Scharen an den Jordan, lassen sich taufen und erhoffen sich Antworten auf das, was sie bewegt. Die Antworten des Täufers sind wegweisend – im doppelten Sinne.

1. Verortung im Evangelium
Zu Beginn des Lukasevangeliums wird die Person Johannes‘ des Täufers ausführlich vorgestellt. Wir bekommen die Ankündigung seiner Geburt, seine Geburt und sein Wirken berichtet. Denn das Wirken und Verkündigen Johannes‘ des Täufers leitet über zu dem, was über Jesus selbst erzählt wird. Der Text aus dem dritten Kapitel gehört in die Gesamtdarstellung des öffentlichen Wirkens des Täufers. Unter dem Eindruck seiner Predigt erhofft sich die Menge konkrete Hinweise zur Lebensführung. Die Verse 10-14 präzisieren die Botschaft des Johannes inhaltlich, bevor in den Versen 18-20 politische Spitzen gegen die Machthaber folgen, die später zur Inhaftierung des Täufers führen werden. Der Abschnitt leitet über zur Erzählung von der Taufe Jesu.

 

2. Aufbau 
Hatte Johannes der Täufer zuvor dem Volk, das in Scharen zu ihm kam, gepredigt, entwickelt sich nun eine Dialogszene zwischen dem Täufer und den Zuhörern. Zunächst richtet die Menge als ganze ihre Fragen an Johannes (Verse 10-11), bevor dann einzelne Gruppen hervortreten (Verse 12-14). Immer geht es um praktische Hinweise, wie der Ruf nach einem anderen, gottgewollten Leben Gestalt gewinnen kann. Den Abschluss bildet eine Verhältnisbestimmung zwischen Johannes und dem erwarteten Messias (Verse 15-16).

 

3. Erklärung einzelner Verse
Vers 11: Das chitòn (χίτων, Gewand), das Leinengewand meint ein auf der Haut oder über einem Hemd getragenes Untergewand. Es konnte in der Länge variieren (bis zum Knie oder Knöchel) und mit langem wie kurzem Arm getragen werden. Vergleichbar mit der römischen Tunika, ist es so etwas wie eine Grundbekleidung.

 

Vers 12: Der Beruf des Zöllners steht im Neuen Testament und der römischen Welt in keinem guten Ruf. Die Römer ließen gerne Einheimische in den Provinzen die Steuern eintreiben. Sie pachteten Gebiete und zogen auf ihnen die Abgaben ein. Da sie selbst ihre Kosten an den römischen Staat im Voraus bezahlt hatten und z.B. bei schlechten Ernten nichts erlassen bekamen, versuchten sie einen entsprechenden Überschuss zu erzielen. Eine hohe eingeforderte Abgabe sichert dem Zöllner einen hohen Gewinn. Dieses (oft skrupellose) Geschäftsgebaren brachte dem Zöllner einen schlechten Ruf ein. Entsprechend wird er im NT oftmals in einem Atemzug mit Sündern genannt.

Meister (vgl. griech. διδάσκαλoV,didaskalos, hebr. רַבִּי, Rabbi) ist eine respektvolle Anrede für einen Lehrer oder eine Person, deren Wissen das eigene übersteigt, d.h. von der man etwas lernen kann. Dass Johannes hier als „Meister“ angesprochen wird, verdeutlicht seine lehrende Rolle. Die Menschen, die ihn aufsuchen erwarten von ihm eine größere Erkenntnis im Hinblick auf ein vor Gott gelingendes Leben. Auch Jesus wird mit dieser Anrede angesprochen, im Lukasevangelium (Lk 7,40) zum ersten Mal in der Erzählung.

 

Verse 15-16: Die vorangegangene Situation und die Worte des Täufers zu den Soldaten, Zöllnern und dem Volk (Lukasevangelium (Lk) 3,7-14) klingt nach. Die ethischen Weisungen des Johannes und die Klarheit seiner Worte, mit denen er zur Umkehr ruft (Lk 3,8-9) hinterlassen eine gewisse Unruhe. So wird das Volk in Vers 15 als „voll Erwartung“ beschrieben, denn jeder überlegt für sich, ob nicht Johannes der Messias ist, auf den man so sehnsüchtig wartet.
Johannes stellt das (unausgesprochene) Missverständnis richtig. Durch das Bild vom Lösen der Riemen an der Sandale, bringt er das Verhältnis zwischen ihm und dem, der kommen wird, deutlich zum Ausdruck. Das Lösen der Riemen am Unterschenkel, die die Ledersohle der Sandale am Fuß hielten, ist eine typische Sklavenaufgabe. Es wird also ein für jeden nachvollziehbarer Vergleich aus dem gesellschaftlichen Alltag genutzt, um den Unterschied zwischen ihm und Jesus ins Bild zu bringen. Zusätzlich nimmt Johannes Bezug auf seine eigene Tätigkeit: Er tauft mit Wasser und diese Taufe ist äußeres Zeichen einer inneren Umkehr. Derjenige der kommen wird aber, tauft mit dem heiligen Geist und Feuer zwei Zeichen. Diese Zeichen bleiben nicht äußerlich, sondern stehen für die andere Vollmacht, die Jesus kennzeichnet: Der Geist bestätigt die Gotteskindschaft, das Feuer steht für das Gericht am Ende der Zeiten.

Auslegung

Die Predigt des Johannes am Jordan provoziert und polarisiert und zieht offenbar ganz unterschiedliche Menschen an. Die Rede von Umkehr und Buße und die dahinterstehende Frage nach einem vor Gott gelingenden Leben trifft den Nerv der Zeit. Und nicht nur die vermeintlich Frommen, sondern auch Zöllner, Soldaten und andere sehen die Notwendigkeit, sich und ihr Leben zu hinterfragen. Dabei geht es nicht um eine innere Lebensführung, sondern um ein äußeres Tun, das zum Leben beiträgt. „Was sollen wir tun?“, ist die Suche nach einem Handeln, das die innere Umkehrbereitschaft zum Ausdruck bringt.
In der ersten Antwort, die Johannes der Menge gibt, geht es um Nahrung und Kleidung und damit um menschliche Grundbedürfnisse. Wer mehr als das Lebensnotwendige hat, soll den Bedürftigen das für sie Notwendige abgeben. Den Zöllnern und Soldaten trägt der Täufer jeweils auf, ihre Macht nicht zu missbrauchen. Sie sollen den beruflichen Auftrag nicht für persönliche Macht und Bereicherung ausnutzen und damit andere mutwillig schädigen.

Sowohl die Antworten an die Menge im Allgemeinen wie auch an die konkret genannten Berufsgruppen sind weder überraschend noch extrem. Johannes der Täufer fordert ein, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Fürsorge für die Armen und Einhaltung der Grundwerte von Solidarität, Gerechtigkeit und Respekt. Dem wiederholten Ruf zu Umkehr und Buße folgen also typisch ethische Forderungen, die Johannes zwar als weisen Lehrer, aber nicht als radikalen Prediger auszeichnen. Die fragenden Gruppen erhalten von ihm eine Antwort, die passgenau für die jeweilige Lebenssituation ist und in der das alltägliche Tun mit dem Glauben verbunden wird.

Die letzte Frage des Abschnitts bleibt unausgesprochen und betrifft nicht das Leben der Fragenden, sondern die Vollmacht und Funktion des Johannes. Den Erwartungen und Hoffnungen der Menge, dieser kraftvoll auftretende Täufer könnte der ersehnte Messias, der Christus, sein, erteilt Johannes eine Absage. In einem Vergleich setzt er sich selbst ins Verhältnis zu dem, der nach ihm kommt. Das Bild vom Lösen der Riemen beruht auf einer sozialen Kategorie: Es handelt sich um eine typische Sklaventätigkeit. Doch nicht einmal dazu sieht sich Johannes der Täufer im Hinblick auf Jesus berufen. Er selbst tauft mit Wasser und lädt ein, das Verhalten zu ändern und das Leben neu auszurichten. Jesus aber tauft mit dem Heiligen Geist, Zeichen der Nähe, der Sendung und Rettung. Und zugleich tauft er mit Feuer, Zeichen des Gerichts. Der qualitative Unterschied zwischen Johannes dem Täufer und Jesus liegt in der Vollmacht Jesu, die Heil und Gericht zugleich umfasst. Dem entspricht, dass Jesu Antwort auf die Frage „Was sollen wir tun?“ ungleich radikaler ausfällt („Verkaufe alles, was du hast…“ Lk 18,22). Das „stärker sein“ Jesu liegt in der göttlichen Vollmacht, die nicht nur das Jetzt und Hier, sondern auch das Zukünftige umfasst. Die Verkündigung und Forderung des Johannes zielt auf das Leben und Miteinander im Weltlichen, die Fortführung im Himmlischen ist bleibende Verheißung.

Kunst etc.

Eine der bekanntesten Darstellungen Johannes‘ des Täufers ist die von Matthias Grünewald (16. Jh.), der auf dem Isenheimer Altar Johannes mit langem Zeigefinger auf den Gekreuzigten zeigen lässt. Die Inschrift lautet „Jener muss wachsen, ich aber kleiner werden“ und ist den letzten Worten des Täufers im Johannesevangelium 3,30 entnommen.

Matthias Grünewald, Kreuzigung Isenheimer Altar (Detail), 1515, Öl auf Holz, Musée d'Unterlinden, Colmar, Web Gallery of Art, gemeinfrei
Matthias Grünewald, Kreuzigung Isenheimer Altar (Detail), 1515, Öl auf Holz, Musée d'Unterlinden, Colmar, Web Gallery of Art, gemeinfrei

Den Aspekt, dass Johannes Menschen aus allen sozialen Schichten und Berufsgruppen predigt und auf Jesus verweist, stellt Pieter Bruegel der Ältere eindrucksvoll in seinem Gemälde „Die Predigt Johannes des Täufers“ (1566) dar. In der Szene, die aus der Wüste heraus in eine vertraute Landschaft versetzt wurde, steht Johannes der Täufer inmitten einer großen Menschenmenge. In ihr sind Personen unterschiedlichster Herkunft vereint. Ein Chinese und ein Mongole finden sich ebenso, wie zwei Mönche, interessierte und uninteressierte Zuhörer. Noch unscheinbarer als Johannes selbst steht Jesus rechts von ihm im hellen Gewand.

Pieter Bruegel der Ältere, Die Predigt Johannes des Täufers, 1566, Öl auf Holz, gemeinfrei
Pieter Bruegel der Ältere, Die Predigt Johannes des Täufers, 1566, Öl auf Holz, gemeinfrei