Lesejahr C: 2021/2022

2. Lesung (1 Kor 12,31 - 13,13)

Ich zeige euch jetzt noch einen anderen Weg, einen, der alles übersteigt:

131Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, /

hätte aber die Liebe nicht, /

wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.

2Und wenn ich prophetisch reden könnte /

und alle Geheimnisse wüsste /

und alle Erkenntnis hätte; /

wenn ich alle Glaubenskraft besäße /

und Berge damit versetzen könnte, /

hätte aber die Liebe nicht, /

wäre ich nichts.

3Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte /

und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, /

hätte aber die Liebe nicht, /

nützte es mir nichts.

4Die Liebe ist langmütig, /

die Liebe ist gütig. /

Sie ereifert sich nicht, /

sie prahlt nicht, /

sie bläht sich nicht auf.

5Sie handelt nicht ungehörig, /

sucht nicht ihren Vorteil, /

lässt sich nicht zum Zorn reizen, /

trägt das Böse nicht nach.

6Sie freut sich nicht über das Unrecht, /

sondern freut sich an der Wahrheit.

7Sie erträgt alles, /

glaubt alles, /

hofft alles, /

hält allem stand.

8Die Liebe hört niemals auf. /

Prophetisches Reden hat ein Ende, /

Zungenrede verstummt, /

Erkenntnis vergeht.

9Denn Stückwerk ist unser Erkennen, /

Stückwerk unser prophetisches Reden;

10wenn aber das Vollendete kommt, /

vergeht alles Stückwerk.

11Als ich ein Kind war, /

redete ich wie ein Kind, /

dachte wie ein Kind /

und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, /

legte ich ab, was Kind an mir war.

12Jetzt schauen wir in einen Spiegel /

und sehen nur rätselhafte Umrisse, /

dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, /

dann aber werde ich durch und durch erkennen, /

so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.

13Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; /

doch am größten unter ihnen ist die Liebe.

Überblick

Der Weg der Liebe, der alles übersteigt.

1. Verortung im Brief
Die Kapitel 12 und 14 des 1. Korintherbrief (1 Kor) befassen sich den unterschiedlichen Charismen, die aus dem einen Geist hervorgehen. In Kapitel 12 geht es um die grundsätzliche Zuordnung der Geistesgaben zueinander und um das Kriterium des Nutzens für die Gemeinde. In Kapitel 14 wird dieser Faden aufgenommen und die Einbindung der Charismen in das Gemeindeleben und die Gottesdienstfeier näher in den Blick genommen. Das Kapitel 13 wendet den Blick nicht von den Geistesgaben weg, fügt ihrer Beurteilung aber eine weitere Perspektive hinzu: die Liebe als Wesensmerkmal Gottes, die eine beständige christliche Lebenshaltung ist.

 

2. Aufbau
Der Text ist rhythmisch verfasst und lässt sich in drei Strophen untergliedern. Die Verse 12, 31b-13,3 beschäftigen sich mit dem Verhältnis der zuvor beschriebenen Charismen zur Liebe. In 13,4-7 werden die Eigenschaften der Liebe beschrieben, bevor sich die abschließende Strophe 13,8-13 der Sehnsucht nach dem Beständigen widmet.

 

3. Erklärung einzelner Verse

Verse 1-3: Die Verse sind gleich aufgebaut mit einleitenden Konditionalsätzen, dem Verweis auf die Liebe und einer abschließenden Folgerung. Die Formulierung "hätte aber die Liebe nicht" spricht von der Liebe fast wie von einer Person. Die Liebe ist hier gedacht als eine Eigenschaft Gottes, sein Wesensmerkmal. Von Gott ausgehend strahlt die Liebe auf den Menschen aus und befähigt ihn zum Miteinander.

Einzelne Geistesgaben aus dem vorangegangenen Kapitel werden hier wieder aufgenommen und zur Liebe in Relation gesetzt. Die Sprache der Engel und Menschen ist eine Umschreibung für die Zungenrede. Sie wird verglichen dröhnendem Erz oder der lärmenden Pauke. Beides Bilder entspringen einerseits dem heidnischen Kult und sind andererseits Umschreibungen für viel Lärm hinter dem nichts steht. Hier ist die Kritik an der Geistesgabe, wenn sie ohne Liebe agiert, besonders scharf. Aber auch die Prophetie und der Glauben der Wunder wirkt, sind für Paulus ohne die Liebe als Grundlage nichts wert. Auch die Selbstaufgabe im Verschenken des Besitzes und dem selbstgewählten Martyrium ist für Paulus auf ihre eigentliche Motivation zu hinterfragen. Steht nicht die Liebe als Beweggrund solcher Handlungen dahinter, sind auch sie nichts wert.

 

Verse 4-7: Mit fünfzehn Verben beschreibt Paulus nun die Eigenschaften der Liebe. Die Liebe erweist sich also in der Tat, sie kann nur mit Tätigkeitsworten richtig gefasst werden. Die ersten beiden Zuweisungen „langmütig und gütig“ sind dabei Eigenschaften, die im Alten Testament fast nur Gott zugeordnet werden. Hier zeigt sich, dass die Liebe eine Wesenseigenschaft Gottes ist und ihr gründet.
Die mit Verneinungen umschriebenen Eigenschaften der Liebe erinnern an die Situation der Gemeinde von Korinth, in der es Spaltungen (1 Kor 1,10-17), Streitigkeiten (1 Kor 6) und offensichtlich die Tendenz gibt, die Gaben des Geistes in Konkurrenz zu einander zu sehen (1 Kor 12,29-30). Paulus mahnt die Gemeinde indirekt, dass sie mit solchen Umgangsformen untereinander kein Zeichen der Liebe sein kann.

 

Verse 8-13: Weil die Liebe aus Gott entspringt, ist sie wie er unvergänglich. Das unterscheidet sie von den Gaben, die der Geist den Menschen schenkt. Sie dienen dazu, im Hier und Jetzt die Welt zu gestalten, miteinander zu leben und zu glauben. Daher finden sie ein Ende, vergehen oder verstummen, sie stoßen an Grenzen oder bleiben unvollkommen oder Stückwerk. Insbesondere die letzten beiden Bilder des Wachsens vom Kind zum Mann und des Schauens von Angesicht zu Angesicht statt in einen Spiegel zeigen das Mehr der Liebe an. Die Liebe ermöglicht mündig wie ein Erwachsener und mit der Klarheit des direkten Schauens (nicht mehr das Sehen eines Abbildes) der Wirklichkeit Gottes zu handeln. Von „Angesicht zu Angesicht“ erinnert dabei an Mose, dem zugesprochen wird, direkt mit Gott gesprochen zu haben und nicht in Träumen oder Rätseln wie die anderen Propheten Gottes Weisungen vermittelt bekommen zu haben (Numeri 12,6-8). Auch wenn dieses direkte Erkennen der Liebe und damit Gottes für Paulus noch in der Zukunft liegt, so ist es für ihn doch Gewissheit. Grund dafür ist das Erkannt werden durch Gott, von dem er in Vers 12 spricht. Weil Gott jeden Menschen kennt und ihn liebt, kann Paulus das Vertrauen aussprechen, in die Erkenntnis der Liebe hineinwachsen zu können. Weil sie Wesensmerkmal Gottes ist, ist sie unter den christlichen Haltungen Glaube, Liebe, Hoffnung die wichtigste.

 

Auslegung

Im Hintergrund des Textes steht die Frage, wie in der Gemeinde die unterschiedlichen Fähigkeiten und Begabungen gut aufeinander abgestimmt werden können und wie sie gemeinsam dem Ganzen der Gemeinde nutzen. Dem schnell entstehenden Konkurrenzdenken zwischen den mit verschiedenen Geistesgaben ausgestatteten Menschen war Paulus schon im 12. Kapitel des 1. Korintherbriefs mit dem Bild vom einen Leib und den vielen Gliedern entgegengetreten. Nun formuliert er seine Gedanken aus einer anderen Richtung weiter. Den vielen unterschiedlichen Gaben der Menschen, die sich mal mehr und weniger zeigen, die manchmal verleiten nur sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und manchmal ganz im Dienst für andere aufgehen, ihnen stellt Paulus die Liebe zur Seite. Die Liebe ist unvergänglich, weil sie in Gott ihren Ursprung hat. Gott ist die Liebe und wer an ihn glaubt und sich ihm anvertraut, kann selbst aus dieser unvergänglichen Liebe heraus handeln. Sie schaut geduldig und ohne nachzutragen auf den anderen, sie stellt sich nicht über andere, sondern hofft und glaubt mit ihnen. Die Gaben des Geistes erweisen sich im Zusammenspiel in der Gemeinde. Dort ist mal die eine, mal die andere von größerer Bedeutung. Die Liebe aber ist wie Hoffnung und Glaube Grundlage des christlichen Lebens, weil sie aus Gott hervorgeht. So ist sie das unvergängliche Fundament des christlichen Daseins. Sie verbindet die Unterschiede, gewinnt Ausdruck im Handeln und streckt sich aus nach Gott.

Paulus stellt im 13. Kapitel den zuvor dargestellten Geistesgaben einen anderen, höheren Weg zur Seite: Den Weg der Liebe, der alles übersteigt.

Kunst etc.

Eine moderne Vertonung des Nachdenkens über die Liebe als größte Gabe Gottes bietet das folgende Hörbeispiel (externe Seite) HIER.