Lesejahr C: 2021/2022

Evangelium (Lk 12,49-53)

49Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!

50Ich muss mit einer Taufe getauft werden und wie bin ich bedrängt, bis sie vollzogen ist.

51Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf der Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, sondern Spaltung.

52Denn von nun an werden fünf Menschen im gleichen Haus in Zwietracht leben: Drei werden gegen zwei stehen und zwei gegen drei;

53der Vater wird gegen den Sohn stehen und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen ihre Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.

Überblick

„Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen.“ Den Christen werden keine rosigen Zeiten verheißen im heutigen Evangelium, sondern die möglichen Konsequenzen ihres Bekenntnisses zu Jesus Christus.

1. Verortung im Evangelium
Das gesamte 12. Kapitel des Lukasevangeliums (Lk) steht unter dem Vorzeichen einer riesigen Menschenmenge von mehreren Tausend Personen (Lk 12,1) und den Jüngern, an die Jesus sich mit seinen Worten explizit wendet (Lk 12,1.4.22). Im vorangehenden Abschnitt (Lk 12,35-48) geht es um die Frage nach der notwendigen Wachsamkeit und damit um die richtige Bereitschaft für den Tag, an dem der Herr wiederkommt und das Reich Gottes endgültig zum Durchbruch kommt. Damit steht die Zeit im Mittelpunkt, die sich zwischen dem irdischen Wirken Jesu und seinem erneuten Kommen aus dem Himmel, in den er nach Ostern auffährt, ergibt. Im vorliegenden Abschnitt ist der Fokus verlagert. Nun stehen die Auswirkungen des Wirkens Jesu im Vordergrund, die sich dann freilich auch auf die Zeit zwischen irdischem Wirken und Parusie (Wiederkunft) auswirken.

 

 

2. Aufbau
Der Text lässt sich einmal unterteilen. Der erste Teil ist geprägt durch das Wort von Feuer und Taufe (Verse 49-50). Der zweite Teil ist gekennzeichnet durch das Thema der Zerstörung sozialer Beziehungen (Verse 51-53).

 

 

3. Erklärung einzelner Verse

Verse 49-50: Die Rede von „Feuer“ und „Taufe“ ist alles andere als einfach zu deuten. Die Formulierung „ich bin (nicht) gekommen“ findet sich auch im Markus- und im Matthäusevangelium (z.B. Markusevangelium 2,17; Matthäusevangelium 5,17) und an weiteren Stellen im Lukasevangelium (Lk 19,10). Die inhaltliche Sinnspitze hier ist aber nicht leicht zu erschließen. Jesus spricht von einem Feuer, das er auf die Erde werfen wird, das aber noch nicht entzündet ist. Gleichzeitig spricht er von einer noch nicht vollzogenen Taufe und beide Ereignisse drängen auf das Realitätwerden: Entzünden des Feuers und Vollzug der Taufe. Da die wirkliche Taufe Jesu im Jordan bereits erfolgt ist (Lk 3,21-22), kann diese hier nicht gemeint sein. Vielmehr ist Taufe als Anfangsgeschehen des Wirkens Jesu zu lesen, deren Vollendung noch aussteht, und zwar mit der Vollendung des irdischen Wirkens in Leiden, Tod und – womöglich auch schon mitgedacht – der Auferstehung und Himmelfahrt. Das „Hindrängen“ auf die ausstehenden Ereignisse wird im Passiv beschrieben. Gott ist als der eigentliche Initiator der Handlungen zu verstehen und damit auch als der, der für die Sendung und Vollendung des Weges Jesu im Letzten verantwortlich zeichnet. Dieser Ausblick auf das, was noch aussteht im irdischen Weg Jesu, korrespondiert mit der Ankündigung, die seit Lk 9,51 im Hintergrund aller Erzählungen steht: „Als sich die Tage erfüllten, dass er hinweggenommen werden sollte, fasste Jesus den Entschluss, nach Jerusalem zu gehen.“ Jesus befindet sich also auf dem Weg hin zur Vollendung seines irdischen Wirkens und „sehnt“ sich nach dem, was damit einhergeht: das Entzünden und Werfen des Feuers (Vers 49).
Vor dem Hintergrund der Sendung Jesu, die eben auch nach dem irdischen Wirken weitergeht, ist beim Feuer dann an das Pfingstereignis zu denken. Denn im Kommen der Feuerzungen (Apostelgeschichte 2,3) wird die Ankündigung Johannes‘ des Täufers aus Lk 3,16 Wirklichkeit: Nach ihm (Johannes) kommt einer, der mit Feuer taufen wird. Zugleich kommt damit die Verheißung Jesu selbst zur Erfüllung, die er den Jüngern nach seiner Auferstehung gegeben hat (Lk 24,49).

 

Verse 51-53: Als rhetorischer „Dialog“ von Fragen und Antworten wird die Konsequenz aufgezeigt, die das Feuer haben wird: Unfriede und Spaltung. Dies ruft die Weissagung des greisen Simeon in Erinnerung, der in Lk 2,34-35 bereits davon gesprochen hatte, dass Jesus ein Zeichen sei, dem „widersprochen“ wird und durch das „in Israel viele zu Fall kommen und aufgerichtet werden“.
Die konkrete Auswirkung von Spaltung und Unfrieden veranschaulicht Jesus am kleinsten und zugleich wichtigsten Sozialsystem seiner Zeit: der Familie. Gedacht ist an einen Haushalt mit fünf Personen und zwei Generationen, in der sich am Ende jeder gegen jeden wendet. Anders als im Buch des Propheten Micha, in der der Konflikt von der Kindergeneration ausgeht (Micha 7,6), beschreibt Lukas das Geschehen als von beiden Generationen ausgehend.

Auslegung

Dieser Abschnitt aus dem Lukasevangelium dürfte mitten aus der alltäglichen Erfahrung der christlichen Gemeinde des Evangelisten stammen. Vielleicht überspitzt die Situation einer grundsätzlichen Entzweiung, eines Streits „jeder gegen jeden“ etwas. Doch das Erleben der frühen christlichen Gemeinden bzw. der einzelnen Gemeindemitglieder wird davon durchsetzt gewesen sein, dass das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus, dem Gesalbten Gottes, nicht ohne spürbare Konsequenzen bleibt. Was Jesus hier in Worte fasst, ist die wahrnehmbare Unterscheidung zwischen „uns“ und „allen“, die bereits im vorangegangenen Abschnitt des Evangeliums eine Rolle spielte (Lk 12,41). Dort ging es auf der Erzählebene des Textes darum, den Jüngern deutlich zu machen, was ihnen verheißen und anvertraut wurde. Auf der übertragenen Ebene der Hörer und Leser des Evangeliums sollte das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass ihnen ein Geschenk zuteil geworden ist, dem sie sich immer wieder als treu erweisen sollen: das Reich Gottes. Daran knüpfen die Worte Jesu im Evangelium nun an. Denn das Dazugehören zur Gruppe der Jünger wird nicht nur durch eine Verheißung und Zusage qualifiziert, sondern auch durch negative Konsequenzen eines Bekenntnisses. Die Jünger Jesu erfahren das in mancherlei Bedrängnis, die der Evangelist Lukas in seinem Fortsetzungsband, der Apostelgeschichte, beschreibt. Die späteren Jünger, die Christen, für die der Evangelist seine Jesusgeschichte aufschreibt, erleben die Folgen ihrer Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde in ihren sozialen Bezügen. Indem mit der Familie das kleinste System menschlichen Zusammenhalts betroffen ist, wird die Situation im Evangelium möglichst eindringlich und drastisch dargestellt. Lukas beschreibt damit den Extremfall, in dem sogar die Menschen, mit denen man am Engsten vertraut ist, die Entscheidung für Jesus Christus als Mittelpunkt des Lebens nicht nachvollziehen können. Neben diesem Szenario ist für die Leser des Evangeliums aber sicher auch an die Kleinigkeiten des Alltags zu denken, die für einen Christen aufgrund seines Bekenntnisses komplizierter werden. So war für Christen der Kaiserkult des römischen Reiches, der mit öffentlichen Opfern verbunden sein konnte, nicht mehr tragbar. Für manche Berufsgruppen gehörte aber ein gemeinsam ausgeübter Kult zum Sozialgefüge dazu. Zugleich war den Jüngern Jesu vom Auferstandenen die „Zeugenschaft“ und damit das Verkündigen des Reiches Gottes aufgetragen worden. In einer Gesellschaft mit vielen unterschiedlichen Religionen und einem Staatskult (Kaiserverehrung) wurde das offene Werben für eine bestimmte Religionsform, die dann auch die Abkehr von allen anderen Kulten einforderte, vielfach mit Argwohn betrachtet. All diese Erfahrungen stehen im Hintergrund der Worte Jesu im vorliegenden Evangelium.

Wenn der Evangelist Lukas Jesus dann auch sagen lässt, dass er das Entfachen des Feuers kaum erwarten kann, dann erinnert er daran, dass es keine Alternative zu den aufgezeigten Konsequenzen geben kann. Die Botschaft Jesu steht unter der Spannung von Verheißung und Realität. Die Jünger Jesu leben mit der Gewissheit, dass das Reich Gottes angebrochen ist (und sie haben manche Auswirkung mit eigenen Augen gesehen) und doch noch nicht zum Durchbruch gekommen ist. Die Ankündigung Jesu von Feuer und Entzweiung spielt gezielt mit den Erwartungen der Menschen seiner Zeit, die sich nach einem Messias sehnen, der Frieden und politische Sicherheit schafft, aber so wie sie es sich wünschen und vorstellen. Doch so ist das Reich Gottes, so ist Gott nicht. Er ist nicht der handelt, wie die Menschen meinen und es sich vorstellen („meint ihr“, Vers 51). Er ist auch in seinem Kommen und sich Zeigen nicht erwartbar (vergleichbar dem Dieb in der Nacht, Lk 12,39). Gott ist einer, der seinen Verheißungen treu bleibt, aber dessen Wege unergründlich sind. Er ist einer der bisher Gültiges umkehrt und Machtverhältnisse verändert, wie es im Magnifikat von Maria besungen wird (Lk 1,46-55). So können auch die Engel bei der Geburt Jesu den „Frieden auf Erden“ verkünden (Lk 2,14) und dennoch spricht Jesus von Auseinandersetzungen und Bedrängnissen. Die Verheißung des Friedens gilt und an manchen Stellen greifbar. Für die Jünger Jesu wurde Frieden erlebbar in Situationen der Heilung. Für die christliche Gemeinde wird Frieden real, wenn Sklaven und Freie, Juden und Griechen gemeinsam beten und das Mahl halten. Aber es sind eben auch andere Alltagserfahrungen da, die das Leben der Christen prägen: das Unverständnis von Freunden, Nachbarn und Familienmitgliedern für ihren neuen Glauben, Auseinandersetzungen auch in der Gemeinde etc. In dieser Spannung gilt es zu leben, sie gehört zum Christsein dazu und Ausdruck der Erwartung auf das, was noch kommt, was Gott verheißen hat. Dass es nicht leicht ist, diese Spannung auszuhalten und womöglich zu ertragen, was vor der Wiederkunft Jesu geschieht, darauf bereitet das Evangelium an diesem Sonntag vor.