Lesejahr C: 2021/2022

2. Lesung (1 Tim 2,1-8)

21Vor allem fordere ich zu Bitten und Gebeten, zu Fürbitte und Danksagung auf, und zwar für alle Menschen, 2für die Herrscher und für alle, die Macht ausüben, damit wir in aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können.

3Das ist recht und wohlgefällig vor Gott, unserem Retter; 4er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.

5Denn: Einer ist Gott, / Einer auch Mittler zwischen Gott und Menschen: / der Mensch Christus Jesus, 6der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle, / ein Zeugnis zur vorherbestimmten Zeit,

7als dessen Verkünder und Apostel ich eingesetzt wurde - ich sage die Wahrheit und lüge nicht -, als Lehrer der Völker im Glauben und in der Wahrheit.

8Ich will, dass die Männer überall beim Gebet ihre Hände in Reinheit erheben, frei von Zorn und Streit.

Überblick

Das Gebet ist entgrenzt: Christen beten für alle Menschen, weil Gott das Heil für alle Menschen will und Jesus Christus deshalb sein Leben als Lösegeld für alle hingegeben hat.

 

1. Verortung im Buch

Der Erste Timotheusbrief gehört zu den sogenannten Pastoralbriefen (1 und 2 Timotheus, Titus) – ihnen ist gemein, dass sie nicht an eine Gemeinde, sondern jeweils an einen Mitarbeiter des Paulus adressiert sind und es in ihnen wesentlich um Fragen der Gemeindeleitung geht. Sie stammen nicht von Paulus selbst, sondern stehen in seiner Tradition, d.h. der Autor schreibt im Namen von Paulus. 

Am Anfang des Ersten Timotheisbriefes steht die Erinnerung an den Adressaten, dass er in Ephesus dazu beauftragt ist, Falschlehrer zu bekämpfen, „damit du bestimmten Leuten verbietest, falsche Lehren zu verbreiten“ (1 Timotheus 1,3) – positiv gewendet ist es die Aufgabe Timotheus‘ und damit eines jeden Gemeindeleiters, die Gläubigen zu „Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben“ anzuleiten (Vers 5). 

In 1 Timotheus 2,1-3,6 ergehen sodann, bevor näher auf die Falschlehren eingegangen wird (4,1-11; 6,3-21a) und Weisungen zur Gemeindeleitung gegeben werden, allgemeine Weisungen zur Gemeindeordnung, bzw. das wünschenswerte Gemeindeleben wird skizziert. Dies beinhaltet Ausführungen zum rechten Gebet (Verse 1-7), zum Verhalten von Männern und Frauen im Gottesdienst (Verse 8-15) und die Voraussetzungen für das Episkopen- und DIakonenamt werden bestimmt (3,1-13). Am Ende dieser Weisungen wird dann Timotheus / der Gemeindeleiter indirekt dazu aufgefordert, sie im Gemeindeleben umzusetzen: „Ich schreibe dir das in der Hoffnung, schon bald zu dir zu kommen. Falls ich aber länger ausbleibe, sollst du wissen, wie man sich im Haus Gottes verhalten muss, welches die Kirche des lebendigen Gottes ist, Säule und Fundament der Wahrheit“ (Verse 14-15).

 

2. Aufbau

Die Aufforderung zum Gebet für alle Menschen (Vers 1-2) wird mit dem Willen Gottes, alle Menschen retten zu wollen, und der Erlösungstat Jesu Christi begründet (Verse 4.6). Dreimal, in den Versen 1.4.6, wird betont: Es geht um „alle Menschen“. Nach der inhaltlichen Weisung für das Gebet, der Motivation dazu, geht es um die äußerliche Ordnung des Gottesdienstes (Verse 8-15) – während der Blick auf den Männern nur kurz verweilt (Vers 8), ergehen in den folgenden Versen, die nicht zum Lesungstext gehören für die Frauen Kleidungsanweisungen (Verse 9-10) und ein gottesdienstliches Schweigegebot (Verse 11-14). Sowohl die Anordnungen für die Männer als auch für die Frauen, sind jedoch kein göttliches Gesetz, sondern werden ausdrücklich als Wille des Autors, entsprechend der Fiktion des Briefes also Paulus, eingeführt: „Ich will, …“, wie auch der Abschnitt zum Gebet (Verse 1-7) als eine Forderung Paulus‘ formuliert ist (Vers 1: „Vor allem fordere ich…“).

 

3. Erklärung einzelner Verse 

Vers 1: Die Forderung nach dem Gebet für alle Menschen wirkt unvermittelt – im Verlauf des Briefes vielleicht im ersten Moment sogar überraschend. Sie steht sogar scheinbar in einem Kontrast zu dem zuvor in 1 Timotheis 1,18-20 beschriebenen Fall der Exkommunikation von zwei Gemeindemitgliedern: „Diese Ermahnung lege ich dir ans Herz, mein Kind Timotheus, gemäß den prophetischen Worten, die über dich gesprochen wurden; durch diese Worte gestärkt, kämpfe den guten Kampf, gläubig und mit reinem Gewissen, das manche missachtet und so im Glauben Schiffbruch erlitten haben! Zu ihnen gehören Hymenäus und Alexander, die ich dem Satan übergeben habe, damit sie in Zucht genommen werden und nicht mehr lästern.“ Doch das Gebet für alle, in all seinen verschiedenen Formen, ist Grundlage des christlichen Gottesdienstes, denn Gott will das Heil für alle Menschen (siehe Verse 4-5). In der Entstehungszeit dieses Briefes (ca. 100 n.Chr.) wird den noch kleinen, verstreuten Gemeinden – aber zugleich auch den heutigen Lesern und Leserinnen – die alle Grenzen überschreitende Verantwortung ihres Gottesdienstes vor Augen geführt.

Vers 2: Aus allen Menschen werden besonders die Mächtigen als diejenigen hervorgehoben, für die Christen und Christinnen beten sollen. Hier geht es jedoch nicht um ein bürgerliches Ideal – die Christenverfolgung der damaligen Zeit spiegelt sich an deren Stellen in den Pastoralbriefen (2 Tim 1,8; 3,12-13). In dem Gebet für die Mächtigen geht es nicht um deren wohl, sondern um die Bitte um Frieden, die das Leben entsprechend des Evangeliums erleichtert: „damit wir in aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können“. In dieser Begründung deutet das Wort „Frömmigkeit“ auf das gottgefällige Leben und das Wort „Rechtschaffenheit“ auf die Verantwortung gegenüber den Mitmenschen.

Vers 3: Das geforderte Gebet ist die Erfüllung des Willens Gottes – denn er ist der Gott, der alle retten will. Bereits zum Anfang des Briefes wird er als „Erretter“ (1,1) bezeichnet, vgl. auch 4,10: „Dafür arbeiten und kämpfen wir, denn wir haben unsere Hoffnung auf den lebendigen Gott gesetzt, den Retter aller Menschen, besonders der Gläubigen.“

Vers 4: Nachdem Gott als Retter in Vers 3 bezeichnet wird, wird diese Aussage nun erklärt. Gott will alle Menschen retten. Der christliche Glaube ist keine Geheimlehre und auch kein Intellektualismus. Es geht um die Erkenntnis der Wahrheit für alle, d.h. die Anerkenntnis des einen Gottes, der das Heil für alle Menschen will – das Ziel ist keine Lehre, sondern der Lebenswandel entsprechend dem Willen Gottes.

Vers 5: Vorgeordnet ist das Bekenntnis zu dem einen Gott, zu dessen „Mittler“ Jesus Christus als Mensch wurde. Der Weg zu dem einen Gott wird durch Jesus Christus gebahnt – er ist der einzige Mittler. Vielleicht findet sich in dieser Aussage eine Aufnahme der Bitte Ijobs, wie sie in einer antiken, griechischen Übersetzung zu finden ist: „Wenn doch unser Mittler da wäre und einer, der zurechtwiese und genau zuhöte in der Mitte von uns beiden!“ Ein Vorfigur für Jesus Christus als Mittler ist Mose, der gemäß Paulus von den Engeln den Willen Gottes empfangen und dem Volk überbracht hatte (Gal 3,19).   

Vers 6: Jesus ist mehr als nur ein Vermittler zwischen Gott und den Menschen, sondern sein Kreuzestod, seine Hingabe für alle in der durch Gott festgesetzten Zeit, ermöglich entsprechend dem Willen Gottes das Heil für alle Menschen.

Vers 7: In der Fiktion des Ersten Timotheusbriefes betont Paulus, dass er der Herold und Apostel dieses, in den Verse 4-6 zusammengefassten Glaubens ist. Seine Mitarbeiter sollen seinen Auftrag weiterführen (1 Timotheus 2,15) und den Feinden dieser Wahrheit entgegentreten (1 Timotheus 6,5).

Vers 8: Das Beten mit den geöffneten Händen ist eine altorientalische Gebetshaltung, die so auch in den Psalmen belegt ist: „Erhebt eure Hände zum Heiligtum und preist den HERRN!“ (Psalm 134,2). Das öffentliche Gebet der Männer soll „kultisch rein“ und das bedeutet in diesem Kontext frei von Zorn und Streitsucht sein (vgl. Matthäus 5,23-25). Man könnte vielleicht sogar übersetzen „ohne Zorn und Zweifel“. Dann würde das zweite Wort die Haltung des absoluten Vertrauens auf Gott fordern.

Auslegung

Die christliche Gemeinde soll im Gebet weder weltflüchtig noch weltförmig, sondern weltoffen auftreten. Im Gebet gibt es keine Grenzen, sondern das Bekenntnis zu dem einen Gott der ganzen Welt führt zum Gebet für alle Menschen – da dieser eine Gott alle Menschen retten will. Dies ist eine große Verantwortung für eine kleine Gemeinde, die doch eigentlich machtlos ist. Doch im Angesicht der weltlichen Gewalt erklingt das Gebet um Frieden, „damit wir in aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können“. Und auch das Ziel des Gebetes führt nicht in die Isolation, sondern zu einem gottgefälligen Leben und zur Rechtschaffenheit gegenüber den Mitmenschen, d.h. zur Nächstenliebe. Im Gebet schließt sich die Gemeinde dem Willen Gottes an und will das Heil für alle Menschen.

Dieser entgrenzten Gebetstheologie steht Vers 8 aus heutiger Sicht im Wege. Den Männern, nicht den Frauen, wird das öffentliche Gebet auferlegt, sie sollen „heilig“ die Hände erheben und beten – so will es der Autor des Briefes in seiner der damaligen Zeit entsprechenden und begrenzten Perspektive, in der Frauen auch nicht öffentlich in der Synagoge beten durften. 

Kunst etc.

Das Gebet mit erhobenen, offenen Händen, wie es in Vers 8 gefordert wird, ist ein alter Gestus, der weit vor das Alte Testament zurückreicht. Schon in Mesopotamien findet man sowohl zum Gebet verschränkte als auch emporgestreckte Hände. Aus der altbabylonischen Zeit, vermutlich 2900-2300 v.Chr.) stammt zum Beispiel diese Tonplakette, die eine stehende männliche Figur zeigt, die im Gebet die rechte Hand hebt.

Sumerian Worshippers from Sumer, Southern Mesopotamia, Iraq“, Sulaymaniyah Museum, Irak, fotografiert von Dr. Osama Shukir Muhammed Amin. Lizenz: CC BY-SA 4.0