Lesejahr C: 2021/2022

1. Lesung (Koh 1,2; 2,21-23)

2 Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch.

[…]

21 Denn es kommt vor, dass ein Mensch, dessen Besitz durch Wissen, Können und Erfolg erworben wurde, ihn einem andern, der sich nicht dafür angestrengt hat, als dessen Anteil überlassen muss.

Auch das ist Windhauch und etwas Schlimmes, das häufig vorkommt.

22 Was erhält der Mensch dann durch seinen ganzen Besitz und durch das Gespinst seines Geistes, für die er sich unter der Sonne anstrengt?

23 Alle Tage besteht sein Geschäft nur aus Sorge und Ärger und selbst in der Nacht kommt sein Geist nicht zur Ruhe.

Auch das ist Windhauch.

Überblick

Aller Besitz ist leid und mühsame Nutzlosigkeit – diese Lehre ist nicht buddhistisch, sondern findet sich im biblischen Buch Kohelet. In seinen Worten: „Alles ist Windhauch“. Was bedeutet dieser Pessimismus für den Glauben?

 

1. Verortung im Buch

„Windhauch“ zieht sich als Leitwort durch das gesamte Weisheitsbuch Kohelet. Es ist das erste Wort und das abschließende Wort des Weisheitslehrers Kohelet: „Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch.“ (Kohelet 12,8). Und dieses Wort führt den Leser und die Leserin dann im Nachwort zur Aufforderung: „Fürchte Gott und achte auf seine Gebote!“ (Kohelet 12,13). Im Buch Kohelet wird die philosophische Frage behandelt, was ein Leben ohne Gott bedeuten würde.

Für den Lesungstext ist neben dem Themenvers in Kohelet 1,2 ein Abschnitt aus einem Gedankenexperiment ausgewählt. Der Weisheitslehrer denkt sich selbst als König – aber als König ohne Gott (Kohelet 1,12-2,26). Der mächtige und weise König sieht ein, dass sein Besitz im Tod keine Bedeutung mehr hat (Kohelet 2,18-20). Aus dieser Erkenntnis heraus, beschreibt er die Not eines jeden Menschen (Verse 21-23). Doch anstatt zu verzweifeln, besinnt er sich dann auf Gott: „Nicht im Menschen selbst gründet das Glück, dass er essen und trinken und durch seinen Besitz das Glück selbst kennenlernen kann. Ich habe vielmehr beobachtet, dass dies von Gottes Verfügung abhängt“ (Vers 24); und so kommt er im Folgenden zu einer positiven Sichtweise auf die Schöpfung (siehe zum Beispiel Kohelet 3,11).

 

2. Aufbau

In der Buchüberschrift wird der Weisheitslehrer als Sohn Davids, als König eingeführt. Im direkten Kontrast zu diesem Glanz sind seine ersten Worte ein negatives Fundamentalurteil: „Alles ist Windhauch“. Im hebräischen Text wird das Wort "Windhauch" in diesem Vers sechsmal verwendet – sozusagen eingehämmert. Eng mit diesem Themensatz verbunden ist die Leitfrage des Buches, die im nächsten Vers folgt: „Welchen Vorteil hat der Mensch von all seinem Besitz, für den er sich anstrengt unter der Sonne?“. Diese Frage bestimmt den folgenden Gedankengang, einschließlich des für die Lesung zusätzlich ausgewählten Abschnittes Kohelet 2,21-23. Auch in diesen Versen kommt das Wort „Windhauch“ vor und zwar direkt zweimal. Das diese Verse prägende Wort ist jedoch der dreimal vorkommende Begriff „Mensch“. Kohelet entfaltet in diesen generalisierenden Worten die Sinnlosigkeit der menschlichen auf Gewinn zielenden Mühen.

 

3. Erklärung einzelner Verse

Vers 2: Das hebräische Wort הֶבֶל (gesprochen: häväll) bedeutet nicht nur „Windhauch“, sondern auch „Eitelkeit“. Der Windhauch ist ein Symbol für das Vergängliche und Flüchtige: „Der Mensch gleicht einem Hauch, seine Tage sind wie ein flüchtiger Schatten“ (Psalms 144,4). Im Zentrum der mehrfachen Wiederholung dieses Wortes steht die Aussage, dass „alles“ Windhauch ist. Dem Leser der Kohelet in Vers 1 als König vorgestellt wurde, könnten dessen ersten Worte königskritisch klingen. Der folgende Vers verdeutlicht jedoch, dass hier eine allgemeine Aussage über das Menschsein gemacht wird: Was für einen weltlichen Gewinn hat der Mensch bei all seinen Mühen, mit denen er sich im diesseitigen Leben abmüht?

Vers 21: Anhand des Vererbens verdeutlicht der Weisheitslehrer die Sinnlosigkeit der weltlichen Mühen. Der im Leben angehäufte materielle Besitz – sei es durch harte Arbeit oder auch durch Weisheit –, geht der Person, die sich ein Leben lang abgemüht hat, verloren. Dies sei eine Ungerechtigkeit, denn so erbt jemand einen Besitz, für den er sich selbst nicht bemüht hat.

Verse 22-23: Kohelet spitzt die Frage die Leitfrage aus Kohelet 1,3 an dieser Stelle zu. Er fragt nicht mehr nach dem „Vorteil“ im Sinne von Gewinn, sondern stellt fest, dass der sterbliche Mensch durch seine Mühen nicht vermag etwas „Bleibende“ zu erlangen in der diesseitigen Welt. Diese Feststellung kleidet er in eine Frage, um in deren Beantwortung kritisch die Schöpfung Gottes zu hinterfragen: Wie kann es gut sein, dass der Mensch zu einem ruhelosen, mühsamen Leben erschaffen wurde? (siehe auch die Rubrik "Kontext").

Auslegung

Das häufig in der Nachkriegsgeneration anzutreffende Ideal, ein Leben lang zu schaffen, um den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen und wenn möglich Wohlstand zu vererben, ist aus der Sicht Kohelets Trug. Seine Sicht ist eine individualistische. Ihm geht es um die große Frage nach dem Sinn des Lebens: Welchen Sinn hat die Mühe des Lebens, das Streben nach weltlichen Gütern, wenn am Ende nur der nackte Tod dasteht. Alles weltliche ist vergänglich – und mit dieser Sicht kommt er dem buddhistischen Denken sehr nahe: Alles ist daher Leid. Die für die Lesung ausgewählten Verse bleiben bei diesem Pessimismus stehen. Kohelet geht jedoch in seinen Gedanken weiter. Die Schöpfung zielt nicht auf ein leidsames Leben bis zum Tod, sondern gestaltet sich im Gegenüber zu Gott. Sein Glaubenszeugnis im Angesicht der Verzweiflung lautet: „Nicht im Menschen selbst gründet das Glück, dass er essen und trinken und durch seinen Besitz das Glück selbst kennenlernen kann. Ich habe vielmehr beobachtet, dass dies von Gottes Verfügung abhängt.“ (Kohelet 2,24)

Kunst etc.

„Vanitas“ ist ein bedeutendes Thema in der Kunstgeschichte. Der Begriff ist ein lateinisches Wort und bedeutet „leerer Schein“, „Nichtigkeit“ und „Eitelkeit“. In der lateinischen Übersetzung von Kohelet 1,2 wird mit diesem Wort das hebräische Wort הֶבֶל (gesprochen: häväll), „Windhauch“, wiedergegeben. Auf der unten zu sehenden Vanitas-Skulptur aus dem 18. Jahrhundert ist dieser Vers auch eingeschrieben: „vanitas vanitatum, et omnia vanitas.“ Die eine dargestellte Seite des Gesichtes zeigt den Menschen während seines Lebens, während die andere seinen Tod verdeutlicht. Die Insekten, die sich an dem verrottenden Fleisch erfreuen, zeigen die Vergänglichkeit des Menschen an.

Vanitas aus Wachs, Europa, 18. Jahrhundert. Credit line: “This file comes from Wellcome Images, a website operated by Wellcome Trust, a global charitable foundation based in the United Kingdom.” Weitere Angaben: “Library reference: Science Museum A99821; Photo number: L0057436” – Lizenz: Creative Commons Attribution 4.0 International.
Vanitas aus Wachs, Europa, 18. Jahrhundert. Credit line: “This file comes from Wellcome Images, a website operated by Wellcome Trust, a global charitable foundation based in the United Kingdom.” Weitere Angaben: “Library reference: Science Museum A99821; Photo number: L0057436” – Lizenz: Creative Commons Attribution 4.0 International.