Lesejahr C: 2021/2022

Evangelium (Lk 14,25-33)

25Viele Menschen begleiteten ihn; da wandte er sich an sie und sagte:

26Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.

27Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir hergeht, der kann nicht mein Jünger sein.

28Denn wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und berechnet die Kosten, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen?

29Sonst könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertigstellen kann. Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten

30und sagen: Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen.

31Oder wenn ein König gegen einen anderen in den Krieg zieht, setzt er sich dann nicht zuerst hin und überlegt, ob er sich mit seinen zehntausend Mann dem entgegenstellen kann, der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt?

32Kann er es nicht, dann schickt er eine Gesandtschaft, solange der andere noch weit weg ist, und bittet um Frieden.

33Ebenso kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.

Überblick

Mittendrin oder nur „dabei“. Den vielen „Mitläufern“ auf seinem Weg stellt Jesus vor Augen, was es bedeutet wirklich einer seiner Jünger zu sein.

1. Verortung im Evangelium
Nachdem die vorangehenden Erzählungen im Lukasevangelium (Lk) im Hause eines angesehenen Pharisäers spielten, beginnt mit Lk 14,25 eine neue Szene. Diese wird örtlich nicht klar zugeordnet, durch die Bemerkung „viele Menschen begleiteten ihn“ sollte man sie sich jedoch als Wegszene vorstellen. Jesus ist mit seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge (vgl. Lk 12,1) unterwegs durch Dörfer und Städte mit dem Fernziel Jerusalem (Lk 9,51). Waren in Lk 14,1-24 der Pharisäer und seine Gäste Zeugen der Worte Jesu, sind es ab Lk 14,25 die vielen Menschen, die mit ihm ziehen. Orts- und Personenwechsel markieren so die neue Szene, die auch ein neues Thema mit sich bringt. Zuvor ging es um die Frage nach dem Sabbat bzw. die Rolle des Gastes bzw. Gastgebers, nun thematisiert Jesus die Bedingungen für eine wirkliche Nachfolge.

 

 

2. Aufbau
Dreimal wird auf die Bedingung für den Eintritt in die Jüngerschaft hingewiesen (Verse 26.2.33). Die Formulierung „kann nicht mein Jünger sein“ hält den Abschnitt thematisch zusammen. Zwischen die zweite und dritte Bedingung sind zwei kurze Gleichnisse gesetzt (Verse 28-30.31-32). Wegen ihrer ihrer unmittelbaren Zusammengehörigkeit und ihres identischen Aufbaus bezeichnet man sie auch als „Doppelgleichnis“. Anhand zweier Vorhaben (Turmbau und Kriegseintritt) veranschaulicht Jesus seine formulierten Bedingungen zum Eintritt in seine Jüngerschaft.

 

 

3. Erklärung einzelner Verse

Vers 25: Mehrfach – zuletzt in Lk 12,1 – hatte der Evangelist Lukas auf die Größe der Volksmenge hingewiesen, die Jesus begleitet. Sie wird hier jedoch nicht nur erwähnt, um den Wechsel zwischen dem Haus des Pharisäers und der Erzählung auf dem Weg zu markieren. Die Volksmenge ist die Kulisse für die Worte Jesu und zugleich Adressat seiner Worte.

 

Vers 26: Wichtig in der Unterscheidung zwischen der Menge und den Jüngern ist die Beschreibung ihres Mitgehens mit Jesus. Während die Menge hier in Vers 26 erst einmal nur „zu ihm kommt“ (erchetai pros me, griechisch: ἔρχεται πρός με) wird die wirkliche Jüngerschaft in Vers 27 mit „hinter mir her geht“ (erchetai hopiso mou, griechisch: ἔρχεται ὀπίσω μου) umschrieben.
Das Wort „gering achten“ (misein, griechisch: μισεῖν) beschreibt eine Entscheidung, die man bewusst gegen etwas oder hier jemanden trifft. Man könnte auch „ablehnen, zurückweisen, verwerfen“ übersetzen. Mit Blick auf Lk 9,24 („Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten.“) kann man „gering achten“ auch als das Gegenteil von „retten“ verstehen. Wenn „retten“ das krampfhafte Festhalten an etwas ist, dann geht es hier um die bewusste Entscheidung gegen etwas und das Loslassen.
Die Nennung der verschiedenen Personen zeigt das dichte soziale Gefleht an, in dem sich Menschen bewegen und verweist auf die Vielzahl der Beziehungen, die angesichts einer wirklichen Jüngerschaft hinten an gestellt werden sollen.

 

Vers 27: Die Aufforderung zum Kreuztragen ist auch in Lk 9,23 bereits einmal erfolgt. Das Bild nimmt Bezug auf die Praxis, dass der Verurteilte den Querbalken seines Kreuzes selbst zur Hinrichtungsstätte tragen musste. Damit geht es nicht um das Kreuz Christi, das von den wirklichen Jüngern getragen werden muss, sondern um das je eigene Kreuz. Wer ein Jünger Jesu sein will, der folgt ihm wie ein Schüler seinem Meister auf Schritt und Tritt folgt, um von ihm zu lernen („hinterhergehen“). Und der wirkliche Jünger muss auch bereit sein, zu leiden und Schmach und Schande, die mit dem Kreuz verbunden werden, auf sich zu nehmen.

 

Verse 28-30: Der erste Teil des Doppelgleichnisses macht am Beispiel eines Turmbaus deutlich, dass es wichtig ist, „zuerst“ die notwendigen Mittel für das Vorhaben zu berechnen und zu prüfen, ob der Bau finanzierbar ist. Das Gleichnis warnt vor einer „halben Lösung“, bei der am Ende die Mittel nur für das Fundament reichen. Um die Folgen einer nicht gut durchdachten Entscheidung deutlich zu machen, greift Lukas wieder auf die Kategorie des drohenden Spotts durch die Mitmenschen zurück. Mit diesem drohenden Imageverlust hatte er auch in Lk 14,7-11 dazu gemahnt, sich nicht selbst den besten Platz auszusuchen, um nicht Gefahr zu laufen, von dort herabgesetzt zu werden. Offensichtlich konnten die Leser des Evangeliums mit dieser Art von drohendem Verlust des eigenen Ansehens mehr anfangen als mit einem drohenden finanziellen Schaden, der im Beispiel vom Turmbau ebenfalls zu befürchten war.

 

Verse 31-32: Der zweite Teil des Doppelgleichnisses bringt das Beispiel eines Königs, der von einem anderen in den Krieg hineingezogen wird. Auch hier ist es ratsam zuerst zu überlegen, ob die eigenen Truppen ausreichend sind, um Krieg zu führen. Andernfalls ist die Bitte um Frieden bzw. Unterwerfung die klügere Lösung, anstatt im Krieg unterzugehen.

 

Vers 33: Mit „ebenso kann keiner von euch“ wird die Verbindung zu dem vorangegangenen Doppelgleichnis hergestellt. Die dritte Bedingung für den Eintritt in die Jüngerschaft (nach Versen 26 und 27), die hier formuliert wird, geht auf den Besitzverzichtet ein. Dass dies eine wesentliche Bedingung für die Nachfolge ist und die Identität der Jünger Jesu prägt, ist den Lesern des Evangeliums durch die Berufung des Petrus (Lk 5,11), aber auch durch die Berufung des Levi (Lk 5,27-28) und die Aussendungsrede in Lk 9,1-6 bekannt.

 

Auslegung

Die vielen Menschen, die immer wieder herbeiströmten, um Jesus zu sehen oder einen Teil des Weges mit ihm zu gehen, dürften von den Worten Jesu zuerst einmal schockiert gewesen sein. Denn mit den formulierten Bedingungen für die Nachfolge zieht Jesus eine klare Trennlinie zwischen denen, die „nur dabei“ und denen, die „mittendrin“ sind.
Auch die Menschen, die mit Jesus einen Teil des Weges mitgehen, nehmen dafür Strapazen auf sich, sie lassen vielleicht für eine Zeit die Heimat hinter sich, um noch mit ins nächste Dorf zu ziehen und zu sehen, was Jesus dort sagt und tut. Sie riskieren mit ihm gesehen zu werden und womöglich mit ihm, der nicht von allen bewundert wird, in einen Topf geworfen und verachtet zu werden. Sie sind vielleicht auch bereit, Jesus auf verschiedene Weisen zu unterstützen… Und doch müssen sie nach den Worten Jesu im heutigen Evangelium feststellen, dass sie nicht mehr als „Mitläufer“ sind.

Wenn man auf die klaren Formulierungen Jesu schaut, gilt es aber auch festzustellen, dass er die Menge nicht für ihr „Mitlaufen“ kritisiert. Jesus schickt die Menschen nicht fort, die sich um ihn scharen, weil sie sich von ihm ein gutes Wort, eine Ermunterung, einen Rat, eine spirituelle Ermutigung oder eine spektakuläre Tat erwarten. Er urteilt auch nicht über sie und sagt „ihr könnt oder wollt ja gar nicht meine Jünger sein“. Und Jesus pauschalisiert auch nicht, indem er ihnen vorhält „zu mehr seid ihr wohl nicht bereit“. Jesus sieht die Menge, er sieht ihre Hoffnungen und nimmt ihre Sehnsüchte wahr. Und gerade deshalb zeigt er den Menschen in klaren Worten auf, was es bedeutet, wirklich der Sehnsucht nachzugeben und sein Jünger zu werden.

Jesus formuliert drei klare Bedingungen für eine wirkliche Jüngerschaft. Die erste Bedingung lautet: Wer Jesu Jünger und Jüngerin sein will, der muss bereits sein, alte Beziehungsnetze loszulassen und sich womöglich auch von Menschen zu trennen, die einen in der eigenen Jüngerschaft nicht unterstützen. Die zweite Bedingung ist die Bereitschaft bin in die letzte Konsequenz den Weg Jesu mitzugehen. Auch dahin, wo es weh tut, wo Hoffnungen erst einmal enttäuscht werden, wo Scheitern droht – bis zum Kreuz. Die dritte und letzte Bedingung nimmt die Lebensbedingung eines Jüngers in den Blick. Jüngerschaft verträgt sich nicht mit einer ständigen Sorge um das, was man besitzt. Denn das Herz eines Jüngers soll frei sein, sich auf Gott hin auszurichten. Dies gelingt nicht, wenn die materiellen Dinge im Vordergrund stehen und das Denken und Handeln bestimmen.

Jesus formuliert diese drei Bedingungen angesichts der großen Menschenmenge sehr pointiert und untermauert sie mit zwei Beispielen. Seine Worte zielen darauf, sich gründlich zu prüfen und die eigene Bereitschaft zur Aufgabe gewohnter Muster und Lebenskontexte in den Blick zu nehmen. Und zwar bevor man womöglich bevor man losgeht und mitzieht und dann auf halber Strecke merkt, dass es mehr ist als man zu geben bereit ist. Das Beispiel vom Turmbau und vom König zeigen, dass ein Vorhaben zuerst gründlich geprüft und die Konsequenzen bedacht werden sollten. Zu dieser Überprüfung der eigenen Bereitschaft in eine konsequente Nachfolge Jesu einzutreten, ermutigt die Erzählung aus dem Lukasevangelium. Zur Jüngerschaft gehört Entschiedenheit und Mut, sie fordert heraus und eckt an im gesellschaftlichen Miteinander. Deshalb wird man nicht leichtfertig ein Jünger oder eine Jüngerin Jesu und ist nicht leichtfertig Christ.

Doch wer mittendrin sein will, wer der Sehnsucht nach Gott und seinem Reich ernsthaft folgen will, wer die Botschaft Jesu weitertragen und Menschen von der Liebe Gottes künden will, der kann gar nicht anders als Jünger Jesu zu werden. Mit Entschiedenheit und angesichts aller Konsequenzen und Herausforderungen, die Jesus im Evangelium aufzeigt.

Kunst etc.

Die Szene am See von Genesareth zeigt die Berufung der Brüderpaare Andreas und Petrus und Johannes und Jakobus. Die Apostel lassen alles hinter sich, wie es Jesus im heutigen Evangelium fordert: Beruf und Sicherheiten, Familie und ihre Boote.

Carl Oesterley, Jesus und seine Jünger am See von Genesareth (1833), gemeinfrei via wikimedia
Carl Oesterley, Jesus und seine Jünger am See von Genesareth (1833), gemeinfrei via wikimedia