Lesejahr C: 2021/2022

2. Lesung (2 Kor 5,17-21)

17Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.

18Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat.

19Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er ihnen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat.

20Wir sind also Gesandte an Christi statt und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!

21Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden.

Überblick

Neuschöpfung - Versöhnung - Änderung der Wege: Das ist der Dreiklang, mit dem Paulus zu einer christlichen Exstenz aus dem Glauben an Jesus Christus ermutigt und mahnt und von dem er sein eigenes Leben bestimmt sein lässt.

 

Die Lesung in ihrem größeren Zusammenhang

Ähnlich wie die Zweite Lesung am Aschermittwoch gehört auch die Zweite Lesung am Sonntag Laetare in die Grundsatzausführungen des Paulus zum Thema "Versöhnung". Sie umfassen insgesamt die Passage  2 Kor 5,11 - 6,10 (vgl. die Auslegung zur Zweiten Lesung am Aschermittwoch). Statt der Verse 5,20-21; 6,1-2 sind diesmal allerdings die Verse 2 Kor 5,17-21 ausgesucht. Sie ergeben einen klaren Dreischritt in der Gedankenführung:

 

Durchgang durch die Lesung in vier Schritten

Schritt 1 (Vers 17)

Christus ist nicht nur als Mensch zu betrachten (wie Paulus es vermutlich während seiner Zeit als Christenverfolger sah), sondern in seiner durch Kreuz und Auferstehung bewirkten Heilsbedeutsamkeit. Sie besteht im "Auslöschen unseres Schuldscheins" vor Gott, wie  es im Gefolge des Paulus der Kolosserbrief in Vers 2,14 einmal anschaulich formuliert. Ohne "Schuldschein" zu leben bedeutet aber eine neue, befreite Existenzweise für den Menschen. Paulus nennt sie "eine neue Schöpfung" (Vers 17 als erster Vers der Lesung und als Abschlussvers der Einheit 2 Kor 5,14-17 im Zweiten Korintherbrief). Sie beginnt im Augenblick der Taufe und wird durch den Ritus von Untertauchen und Wiederauftauchen - Paulus hat hier nur Erwachsene vor Augen - eindrücklich erfahrbar. Was hier an Wandlungs geschieht, ist allerdings nicht Magie, sondern eine Zusage, die durch das ganze sich daran anschließende Leben angenommen und in Praxis umgesetzt werden will.

 

Schritt 2 (Verse 18-19)

Hinter Tod und Auferweckung Christi steht letztlich Gott selbst: "Aber das alles kommt von Gott ..." (Vers 18). Er ist es, der durch den Sohn Jesus Christus handelt (vgl. bereits das Berufungserlebnis des Paulus: "Als es aber Gott gefiel ...., in mir seinen Sohn zu offenbaren ..." (Galater 1,15-16). Wie bereits im Alten Testament der Bund nicht einen vom Menschen initiierten Pakt mit Gott meint, sondern ein einseitig von Gott ausgehendes Angebot zu einer Lebensfreundschaft meint, das der Mensch bzw. das Volk Israel mit den daraus erwachsenden Konsequenzen annehmen oder aus dem sich der Mensch auch verabschieden kann, so ist auch die mit der Taufe gegebene Zusage Gottes "Du bist meine geliebte Tochter"/"Du bist mein geliebter Sohn" eine einseitig und voraussetzungslos erfolgende Liebeserklärung Gottes, deren Bewantwortung ganz in der Verantwortung des Menschen liegt. Von Seiten Gottes ist alles, was seiner Liebe zum Menschen im Wege stehen könnte, durch ihn selbst - nämlich durch Kreuz und Auferweckung seines Sohnes - beseitigt. Das meint die Rede von der "Versöhnung".

 

Schritt 3 (Vers 20)

Wenn das Ziel Gottes die Versöhnung ist, muss auch das Werk der Menschen von Versöhnung bestimmt sein. Dies zu verkünden, sieht sich Paulus beauftragt. Er versteht sich als "Gesandter Christi" (Konsequenz aus Schritt 1), der aber letztlich in der Vollmacht Gottes handelt (Konsequenz aus Schritt 2). 

 

Schritt 4 (Vers 21)

Der Schlussvers spitzt noch einmal das Gesagte zu und deutet damit das Kreuzesgeschehen: Mit dem Kreuzestod nimmt der von keiner Schuld belastete Jesus ein Schicksal auf sich, das nur für Schuldige vorgesehen war, und lässt durch den Sieg über den Kreuzestod in der Auferweckung den absurden Zirkel von Schuld und Strafe ins Leere laufen. Er überwindet ihn, weil und damit der Mensch trotz aller Schuld, die er auf sich lädt, vor Gott als Gerechter dazustehen vermag; also als einer, dem Gott vergeben und den er mit sich versöhnt hat. Da dieser Zusammenhang ganz von Gott her gedacht ist und geglaubt wird, geht es nicht um eine Selbsttrechtfertigung des Menschen ("Ich bin in jedem Fall gerecht."), sondern  darum, diese Versöhnung Gottes wirklich glauben zu können und daraus Leben zu gestalten. Wo das geschieht, ist weder Platz für Kriegserklärung noch für Diskriminierung, Missbrauch jeglicher Art oder sonst irgendeinen Versuch, die bzw. den anderen klein zu machen, um selbst groß dazustehen. Der Glaube selbst kann nur im Modus der Hoffnung, dass Gott ein vergebender ist, gelebt werden, nicht des Anspruchs oder gar der Instrumentalisierung.

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Auslegung

"Neues ist geworden" (Vers 17)

Das Bild der "Neuschöpfung" verbindet zwei ältere Vorstellungen aus der Welt alttestamentlichen und jüdischen Denkens. Auf der einen Seite erwartet eine Prophetie wie Jesaja 65,17 nach dunklen Zeiten für Israel einen gottbewirkten Heilszustand, der in das Bild umfassender Erneuerung gekleidet wird: "Ja, siehe, ich erschaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde.". Dieses kosmische Bild wird in späteren Texten (der letzten beiden Jahrhunderte vor Christus) auf Einzelpersonen übertragen; so z. B. wenn jemand von seinen alten Wegen abkehrt und in die sehr auf Reinheit bedachte jüdische Gemeinschaft von Qumran am Toten Mer aufgenommen wird.  Den so gewendeten Gedanken der Neuschöpfung zieht Paulus heran, um das zu deuten, was in der Taufe auf Tod und Auferstehung Jesu Christi geschieht: Es ist nicht nur ein Sich-Unterstellen unter das Wirken Gottes, sondern ein dadurch bewirktes Eintauchen in eine neue Existenz. Sie lebt aus dem Glauben an das ewige Leben, ist aber zugleich schon in diesem irdischen Leben geprägt von einer Neuausrichtung. Einfach gesagt: Aus einem Leben nur "für sich" (2 Kor 5,15) wird ein Leben, das in jeder und jedem Nächsten einen ebenfalls mit Gott Versöhnten erkennt. Respekt und Liebe gegen jedermann sind also eine konkrete Folge des Neuschöpfung-Seins. Es geht um eine Daseinsweise, die sich nicht nur laut der eigenen Größe rühmt, um das Gesicht zu wahren, ohne aber "das Herz zu zeigen" (2 Kor 5,13), das heißt: ohne die eigenen Gedanken erkennen zu lassen, die hinter den wohlklingenden Worten dunkle Absichten offenbaren würden.

 

Versöhner "an Christi statt" (Verse 18-21)

Als ein von der neu erschaffenden Kraft Gottes Erfasster sieht sich auch Paulus (vgl. 2 Kor 4,6). Er will als gutes Beispiel vorangehen und stellt sich daher ganz in den Dienst der Versöhnung, die Gott selbst bewirkt (Verse 18-19). Seine Aufgabe bringt er am Ende von Vers 20 auf den Punkt: "Lasst euch mit Gott versöhnen!" Es geht also um eine Veränderung der Beziehung zwischen Gott selbst und der korinthischen Gemeinde, in der einiges im Argen liegt: Ruhmsucht, Pöstchengeschacher, Verachtung der ärmeren Gemeindemitglieder usw. Und tatsächlich hat das griechische Wort katallásso ("versöhnen") weder etwas mit "Sühne" nocht mit "Sohn" zu tun, wie es das Deutsche zumindest klanglich nahelegt, sondern mit állos "(der) andere". Um Veränderung vom Schlechten zum Guten geht es, um den Austausch von Feindschaft durch Liebe, vom Gegeneinander zum Miteinander. Konkret im Blick hat Paulus so manches Gebaren in der korinthischen Gemeinde von Angeberei und Protzgehabe, um Einfluss und Macht zu gewinnen, aber auch von übler Nachrede und ehrabschneidender Beleidigung. Dies alles betrachtet Paulus aber nicht einfach unter juristischen Gesichtspunkten oder unter der Rubrik menschlicher Anstand. Denn er hat mit der Gemeinde von Korinth nicht einfach einen weltlichen Verband vor sich, sondern Menschen, die sich aufgrund ihrer Taufe zusammengehörig und auf Jesus Christus bezogen wissen. Den sollen sie in ihrem (Gemeinde-)Leben widerspiegeln. Insofern aber Christus  ganz auf die Seite Gottes gehört, geht es also in allem Tun immer um die Frage: Ist das jeweilige Handeln wirklich mit Gott vereinbar, oder schafft es nicht vielmehr einen Riss in der Verbindung Mensch - Gott. 

Der Glaube sagt nun dem Paulus: Gott selbst ist an der Kittung dieses Risses interessiert, der durch uns Menschen aufgrund unserer Schwäche immer wieder entsteht. Gott zieht sich nicht beleidigt zurück, lässt uns aber auch nicht hängen. In Christus sagt er: 'Ihr Menschen müsst nicht die letzte Folge Eures Fehlverhaltens tragen; die trage ich lieber selber. Dies zeige ich euch dadurch, dass mein Sohn Jesus gestorben ist, ohne selbst eine einzige Sünde begangen zu haben. Unser Verhältnis war immer ohne einen Riss.' Dieser schuldlose Tod Jesu schafft - bildlich gesprochen - ein Vakuum, in das alle denkbare Schuld dieser Welt hineinpasst. Sie ist, weil Jesus nicht im Tod geblieben, sondern auferstanden ist, in Leben verwandelt. Das ist die Bedeutung der sehr verdichteten Formulierung in Vers 21, dass Gott den sündenlosen Christus für unsere Gerechtigkeit zur Sünde gemacht hat.

Das glauben zu können und wrklich zu glauben - so Paulus - verändert die Beziehung zu Gott, führt aber aus solchem Vertrauen auf Gottes Zuwendung auch zu einem zuwendenden, versöhnlichen Verhalten untereinander. Wenn also die Gemeinde untereinander versöhnt lebt, bezeugt sie nach innen wie nach außen, wie sehr sie vom Glauben an Gott wirklich getragen ist.

Da aber weder Gott selbst in direkter Weise zu hören ist und auch Christus nach Tod und Auferweckung nicht mehr sicht- und greifbar in dieser Welt ist, braucht es denjenigen und diejenige, die von dieser Versöhnung sprechen, sie zu ihrem Herzensanliegen machen und so weit wie möglich vorleben. In dieser Funktion sieht sich Paulus. Er sieht sich als Gesandter Jesu,  für den er unterwegs ist. Dieses "für" (griechisch: hypèr) ist doppelt zu verstehen: Paulus missioniert zugunsten Jesu, aber auch stellvertretend für ihn ("an Christi statt"). 

Kunst etc.

Molecule Man (2013), Copyright CC BY-SA 3.0
Molecule Man (2013), Copyright CC BY-SA 3.0

Der Molecule Man wurde im Mai 1999 von dem amerikanischen Bildhauer Jonathan Borofsky geschaffen. Es handelt sich um eine Drei-Personen-Skulptur, die  nahe dem Schnittpunkt der drei Ortsteile Kreuzberg, Alt-Treptow und Friedrichshain in Berlin aufgestellt wurde. Der Künstler selbst schreibt zu dieser Skulptur:

„[Die Skulptur soll daran erinnern …] dass ...  es das Ziel aller kreativen und geistigen Traditionen ist, Ganzheit und Einheit innerhalb der Welt zu finden.“ (zitiert nach dem Wikipedia-Eintrag zum Molecule Man: https://de.wikipedia.org/wiki/Molecule_Man).

Was der Künstler hier eher aus einer philosophisch-geistesgeschichtlichen Betrachtung sagt, bringt gut zur Sprache und zur Anschauung, was Paulus als die von Gott herkommende Versöhungs(auf)gabe formuliert. Die Bewegung der drei Menschen aufeinander zu ist ein wunderbares Symbol für die mit der Versöhnung angesprochene "Veränderung". Aus christlicher wird man, auch wenn der Künstler dies nicht im Blick gehabt haben mag, auf den dreifaltigen Gott als den eigentlichen Bewirker der Versöhnung  verwiesen: 

"Aber das alles kommt von Gott  ..." - wie es am Beginn der Lesung zum Sonntag Laetare heißt (2 Kor 5,18).