Lesejahr C: 2021/2022

2. Lesung (Röm 4,13.16-18.22)

13Denn Abraham und seine Nachkommen erhielten nicht aufgrund des Gesetzes die Verheißung, Erben der Welt zu sein, sondern aufgrund der Glaubensgerechtigkeit.

16Deshalb gilt: aus Glauben, damit auch gilt: aus Gnade. Nur so bleibt die Verheißung für die ganze Nachkommenschaft gültig, nicht nur für die, welche aus dem Gesetz, sondern auch für die, welche aus dem Glauben Abrahams leben. Er ist unser aller Vater,

17wie geschrieben steht: Ich habe dich zum Vater vieler Völker bestimmt - im Angesicht des Gottes, dem er geglaubt hat, des Gottes, der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft.

18Gegen alle Hoffnung hat er voll Hoffnung geglaubt, dass er der Vater vieler Völker werde, nach dem Wort: So zahlreich werden deine Nachkommen sein.

22Darum wurde es ihm auch als Gerechtigkeit angerechnet.

Überblick

In Anlehnung an Pilatus könnte man fragen: "Was ist Gerechtigkeit?". Diese Frage passt zum Hochfest des heiligen Josef, dem das Neue Testament Gerechtigkeit nachsagt (s. Evangelium des Tages). Unabhängig von ihm beschäftigt sich Paulus im Römerbrief sehr ausführlich mit dem Begriff der Gerechtigkeit. Die Lesung bietet einen Auszug aus seinen Überlegungen, die bei aller Komplexität im Letzten ermutigen wollen, mit Gottvertrauen in diesen Tag und ins Leben zu gehen.

Die Lesung im Kontext des Römerbriefes

Der Römerbrief kann als eine Summe der Theologie des Paulus gelten, in der er unter anderem seine Rede von der "Rechtfertigung" entwickelt. Im Rahmen eines Dreiecks der Begriffe "Gerechtigkeit", "gerecht machen" und "Gesetz" kann man vereinfachend sagen:

Der "gerechte", nämlich treue, an seinem Ja zu Mensch und Schöpfung festhaltende Gott eröffnet den Menschen in Kreuzestod und Auferweckung des "gerechten", d. h. schuldlosen Jesus einen Weg, an eigener Schuld nicht zu zerbrechen. Der Gott vertrauende Mensch darf glauben, von Gott her trotz allem Versagen nie aus dem Gottesverhältnis herauszufallen, auch und besonders im Tode nicht. Das Alte Testament kennt zwar durchaus die Vergebung Gottes, schreibt aber der Einhaltung des von Mose überlieferten Gesetzes eine sehr viel größere Bedeutung zu, um vor Gott "gerecht dazustehen". Diese Tradition, mit der Paulus als gebürtiger Jude selbst groß geworden ist, hat für Paulus zwei Schwächen: Eine "Rechtfertigung" über das Gesetz kann nicht gelingen, weil kein Mensch das Gesetz vollkommen einhalten kann. Die Schwäche des Fleisches hindert ihn daran. Zum anderen ist der Gesetzesweg nur der Pfad einer begrenzten Gruppe, nämlich des Judentums. Gottes Heilsweg meint aber alle Menschen. Deshalb hat er in Jesus einen Weg eröffnet, der allen "allein durch Glauben" möglich ist, ohne vollkommene Gesetzeserfüllung als Voraussetzung.

Mit dieser Sicht grenzt sich Paulus deutlich vom traditionellen Judentum ab, will sie aber dennoch aus der jüdischen, d. h. alttestamentlichen Tradiiton begründen. Denn der Gott, der ihm "seinen Sohn geoffenbart hat" (Gal 1,16), ist kein anderer als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. 

 

"Glaubensgerechtgikeit" (V 13)

Genau in diesen Zusammenhang gehört die Zweite Lesung am Fest des heiligen Josef. Gleich der erste Vers (Vers 13) formuliert die entscheidende These: Abraham erhielt seine Sohnesverheißung nicht aufgrund des Gesetzes, sondern aufgrund seiner "Glaubensgerechtigkeit". Dahinter steht eine Auslegung der Abrahams-Erzählung, die Paulus als Kenner der rabbinischen Auslegung erweist. Die Verheißung eines Kindes an das alt gewordene, bislang kinderlose Ehepaar Sara und Abraham ergeht in Genesis 12,1-3. Das liegt erzählerisch deutlich vor der Zeit, als Abraham im Sinne des Gesetzes Jude wird, nämlich durch die Beschneidung, von der erst in Genesis 17 berichtet wird. Wenn Abraham also - so die Argumentation des Paulus - in Genesis 12 der Zusage Gottes traut und aus seiner Heimat wegzieht, wenn er nach einigen Zweifeln in Genesis 15,6 erneut der im vorangehenden Vers ausgesprochenen Zusage Gottes glaubt und ihm Gott das "als Gerechtigkeit anrechnet" (ebenfalls Genesis 15,6), dann hat das noch nichts mit dem jüdischen Gesetz zu tun. Dieses beginnt für Paulus erst mit der Beschneidung, von der eben erst Genesis 17 spricht.

 

Gut kombiniert (Verse 16-18)

Damit kann Paulus ab Vers 16 einen Schritt weiter gehen und sagen: Wenn bei Abraham alles am Glauben hängt, dann gilt auch für alle Zukunft, dass das Entscheidende nicht das Gesetz, sondern der Glaube ist. Er ist das "Tor", durch das die nicht-jüdischen Heidenchristen "einziehen" können. Glaube erweist sich damit als der großzügigere, mehr Menschen eine Chance eröffnende Weg zu Gott ist als das alleinige Setzen auf Gesetzeserfüllung, die immer wieder scheitert und damit eher den "Zorn" Gottes provoziert. Von ihm ist in den ausgelassenen Versen 14 - 15 die Rede, und ihm stellt Paulus zu Beginn von Vers 16 markant das theologische Wort für Großzügigkeit, nämlich "Gnade", entgegen.  In diesem Zusammenhang kann er auf einen anderen Vers aus der Abraham-Tradition zurückgreifen, nämlich die Verheißung, dass  Abraham zum "Vater vieler Völker" werde (vgl. Genesis 17,5). .Es geht bei der Veheißung an Abraham nicht nur um Isaak, sondern um alle, die sich in die Spur seines Gottesglaubens stellen. Sie alle dürfen sich als Empfänger der "Gnade" wissen, die Abraham konkret in der nur seinen Glauben, aber keine Gesetzeswerke fordernden Erfüllung der großzügigen Sohnesverheißung erfahren durfte. 

Diesen Gottesglauben definiert Pauls inhaltlich wiederum mit einer "Kurzformel" (vgl. dazu die Auslegung zum Röm 10,8-13 am Ersten Fastensonntag und das unter "Auslegung" zu Vers 17 Gesagte). Es geht um den Gott, der das, was nicht ist, ins Dasein ruft, also den Schöpfergott, und denjenigen, der Tote lebendig macht. So bringt Paulus den Schöpfungs- und den Osterglauben in einem einzigen Bekenntnissatz zusammen und schreibt dieses Doppelbekenntnis "großzügig" auch schon Abraham zu. Entscheidend ist dabei: Seine, des Paulus Verkündigung, widerspricht nicht den Texten des Alten Testaments, sondern ist mit ihnen vereinbar. Immer geht es um ein und denselben Gott und den Glauben an ihn.

 

Noch einmal: Glaubensgerechtigkeit (Vers 22)

Paulus schließt mit dem ausdrücklichen Zitat aus Genesis 15,6, das Glauben - nicht Gesetz - und Gerechtgkeit bei Abraham , zusammenbringt und auf das er versteckt schon im ersten Lesungsvers (Röm 4,13) mit dem Begriff "Glaubensgerechtigkeit" angespielt hatte (s. ausführlicher unter: Kontexte).

Auslegung

Zweierlei Gerechtigkeit (Verse 16 und 22 sowie Matthäus 1,19)

Die Lesung ist erkennbar ausgesucht im Blick auf den Heiligen des Tages. Josef gilt nach Matthäus 1,19 als "gerecht". Um Gerechtigkeit geht es auch in der Lesung aus dem Römerbrief. Der Begriff steht an ihrem Anfang und Ende. Allerdings ist festzuhalten, dass Matthäus und Paulus mit demselben Wort Unterschiedliches meinen. Auch wenn die Fachleute darüber diskutieren, was genau mit der Rede vom gerechten Josef  gesagt werden soll, bewegt sich Matthäus doch ziemlich sicher im Gesetzeszusammenhang. In seinem Gesetzesgehorsam gibt es für Josef angesichts einer schwangeren Verlobten nur die Möglichkeit, sie dem Prozess wegen einer sexuellen Beziehung außerhalb ihrer rechtlich bindenden Verlobung zu überlassen und damit möglicher Todesstrafe zu überantworten oder sich "still" per Scheidebrief zurückzuziehen. Der zweite Weg war unter Gesetzesgesichtspunkt - es geht hier nicht um heutige Bewertungen - der humanere. Die Verbindung von Gesetzesgehorsam und Humanität also lässt Josef gerecht erscheinen - wie im AltenTestament schon Noah, der ebenfalls als gerecht im Gegensatz zu der gewalttätigen übrigen Menschheit bezeichnet wird (Genesis 6,9).

Bei Paulus hingegen hat "Gerechtigkeit" nichts mit Gesetzesgehorsam zu tun, sondern sie ist die Frucht des Glaubens an die Heilswirksamkeit von Kreuz und Auferweckung Jesu. Gerechtigkeit kann bei Paulus nicht getan, sondern nur empfangen werden - durch Glauben. In gewisser Weise könnte man sagen: Josef, der ursprünglich gerecht im Sinne des  Matthäus war, wird gerecht im Sinne des Paulus in dem Augenblick, da es heißt: "Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich." Es geht zwar bei seinem Glauben an die Botschaft des Engels noch nicht um Tod und Auferstehung Jesu, aber um dessen Empfängnis.

 

Schöpfung und Auferstehung (Vers 17)

Unabhängig vom Josefstag fällt in der Lesung eine Kurzformel des Glaubens auf. Paulus spricht von dem Gott,  "der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft". In vielleicht gewagter, aber um so kraftvoller sprechender Weise verbindet Paulus zwei Glaubenssätze, die im Credo der christlichen Kirche weit auseinander liegen: "Ich glaube an den einen Gott ... den Schöpfer des Himmels und der Erde" und "... und an Jesus Christus... auferstanden von den Toten ...". Für Paulus ist es dieselbe Kraft und Macht Gottes, die die nicht vorhandene Schöpfung ins Werk gesetzt und den grausam am Kreuz gestorbenen Christus aus dem Tod in das Leben geführt hat. "Lebendig machend" ist das Wesensmerkmal, das dasselbe Credo ausdrücklich dem Heiligen Geist zuordnet. Es ist aber zugleich das Wesensmerkmal des dreifaltigen Gottes schlechthin. Für Paulus wird dies sichtbar, wenn der Täufling beim Untertauchen - der ursprünglichen Taufform - mit Christus begraben und beim Aufstieg mit Christus auferweckt wird - zu einem "neuen Menschen/Leben" (vgl. Römer 6,4) bzw. zu einer "neuen Schöpfung" (Galater 6,15). So verweist die Zweite Lesung am Josefstag bereits voraus auf die Osternacht, die als der vornehmste Tauftermin der Kirche gilt.

 

 

Kunst etc.

 Lichtkunstwerk von Doris und Florian Conrads an der Marburger Universitätskirche: Sterntaler-​Illustration von Otto Ubbelohde, kombiniert mit einer Weltraum-​Fotografie, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International
Lichtkunstwerk von Doris und Florian Conrads an der Marburger Universitätskirche: Sterntaler-​Illustration von Otto Ubbelohde, kombiniert mit einer Weltraum-​Fotografie, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Was hat das Sterntalermärchen, das hier an der Marburger Universitätskirche ins Bild gebracht wurde, mit der Paulus-Lesung zu tun?

Es verweist auf die "Gerechtigkeit" als Gabe, die nicht Folge von Gebotserfüllung ist, sondern von Glaube. Das Sterntalermädchen traut des "Himmels reichem Segen". Dabei passt das Sternenmotiv zur Anspielung von Römer 4 auf Genesis 15 (s. Auslegung). Hier wird Abraham das göttliche Versprechen (Verheißung) der Nachkommenschaft anhand des Sternenhimmels veranschaulicht. Dass die Künstler der Lichtinstallation in Marburg, Doris und Florian Conrads,  ein Kreuz am Sternenhimmel aufscheinen lassen, passt zu Paulus, der das Versprechen Gottes, den Menschen gerecht vor sich dastehen zu lassen, aus dem Kreuzestod Jesu und seiner Auferweckung ableitet.

Der entscheidende Unterschied zwischen den Brüdern Grimm, die uns die Sterntaler-Erzählung überliefert haben, und dem Römerbrief: Paulus erzählt kein Märchen, keine unwirkliche Fantasiegeschichte mit frommem Wunschdenken, sondern er verkündet einen Glauben, dem eine Wirklichkeit entspricht, aus der sich tatsächlich leben lässt. Paulus ist selbst mit überzeugendem und leuchtendem Beispiel vorangegangen.