Lesejahr C: 2021/2022

1. Lesung (Ex 3,1-8a.13-15)

1 Mose weidete die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Eines Tages trieb er das Vieh über die Steppe hinaus und kam zum Gottesberg Horeb. 2 Dort erschien ihm der Engel des HERRN in einer Feuerflamme mitten aus dem Dornbusch. Er schaute hin: Der Dornbusch brannte im Feuer, aber der Dornbusch wurde nicht verzehrt.

3 Mose sagte:

Ich will dorthin gehen und mir die außergewöhnliche Erscheinung ansehen. Warum verbrennt denn der Dornbusch nicht?

4 Als der HERR sah, dass Mose näher kam, um sich das anzusehen, rief Gott ihm mitten aus dem Dornbusch zu:

Mose, Mose!

Er antwortete:

Hier bin ich.

6 Er sagte:

Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.

6 Dann fuhr er fort:

Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.

Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.

7 Der HERR sprach:

Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne sein Leid. 8 Ich bin herabgestiegen, um es der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen, [...]

13 Da sagte Mose zu Gott:

Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen sagen?

14 Da antwortete Gott dem Mose:

Ich bin, der ich bin.

Und er fuhr fort:

So sollst du zu den Israeliten sagen: Der Ich-bin hat mich zu euch gesandt.

15 Weiter sprach Gott zu Mose:

So sag zu den Israeliten: Der HERR, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer und so wird man mich anrufen von Geschlecht zu Geschlecht.

Überblick

Wer ist Gott? Der „Ich-bin“. So nennt sich Gott im brennenden Dornbusch, bevor er sein Volk aus der Sklaverei befreit. In der Berufung Moses offenbart Gott sein eigenes Wesen und vereint in sich Vergangenheit und Zukunft.

 

  1. Verortung im Buch

Die Verheißung an Abraham hat sich erfüllt und wird sich im weiteren Verlauf der Erzählung erfüllen (siehe Genesis 15). Nachdem seine Nachfahren in Ägypten zu einem Volk geworden sind, wie der Anfang des Buches Exodus erzählt, beginnt mit der Berufung Moses der Weg ins Verheißene Land. Am brennenden Dornbusch beginnt die Geschichte Israels: die göttliche Befreiung der Unterdrückten – nicht Mose steht im Zentrum der Geschichte, sondern die Beziehung Gottes zu seinem Volk, wie die vorhergehenden Verse verdeutlichen: „Die Israeliten stöhnten noch unter der Sklavenarbeit; sie klagten und ihr Hilferuf stieg aus ihrem Sklavendasein zu Gott empor. Gott hörte ihr Stöhnen und Gott gedachte seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob. Gott blickte auf die Israeliten. Gott hatte es wahrgenommen.“ (Exodus 2,23-25). In der Berufung Moses wendet sich Gott seinem Volk zu und verkündet, dass er es aus Ägypten zum Gottesberg, und nach der Übergabe des Gesetzes, ins Land, in dem Milch und Honig fließen, führen wird. Die Begegnung Mose mit Gott im brennenden Dornbusch, am unbekannten Gottesberg, ist ein Vorausbild für die Begegnung des Volkes Israel mit seinem Gott am Berg Sinai:  „Ich [Gott] bin mit dir [Mose]; ich habe dich gesandt und als Zeichen dafür soll dir dienen: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr Gott an diesem Berg dienen.“ (Exodus 3,12). Dort an diesem Berg wird Gott mit seinem Volk seinen Bund schließen (siehe Exodus 19). Die Erzählung über Mose am Dornbusch in Exodus 3 ist der grundlegende Brückenpfeiler zwischen den Verheißungen an die Erzeltern und der folgenden Erzählung bis zum Tod Moses am Ende des Buches Deuteronomium und hinein in das verheißene Land – und hier verdeutlicht sich im Namen Gottes, das treue und zugleich unverfügbare Wesen Gottes, das die Grundlage für den Glauben Israels bildet.  

 

  1. Aufbau

Kein Mensch im Alten Testament führt ein längeres, zusammenhängendes Gespräch mit Gott als Mose (Exodus 3,1-4,12). In Exodus 3 wird seine Berufung und Sendung erzählt. Beides ist eng miteinander verbunden, und zugleich durch zwei Leitworte aufgeteilt. In den Versen 1-9 steht das Sehen, sowohl Moses als auch Gottes im Vordergrund:  Mose sieht den brennenden Dornbusch, und will das Gesehene näher ansehen (Verse 1-3). Gott sieht Mose und spricht ihn an (Verse 4-5), worauf Mose seinen Blick in Ehrfurcht senkt, um Gott nicht direkt anzusehen (Vers 6) – dieses gegenseitige Sehen ist von Gott gewollt, da er das Elend seines Volkes gesehen hat (Verse 7-10). Aus dem Sehen Gottes wird für Mose seine Sendung, die in den Versen 10-22 anahnd von zwei Fragen entfaltet wird: „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte?“ (Vers 11) … „ Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen sagen?“ (Vers 13).

 

  1. Erklärung einzelner Verse

Vers 1: Fernab von Ägypten und seinem Volk arbeitet Mose als Viehhirte seines Schwiegervaters. Während Israel versklavt ist, geht Mose in Freiheit wieder der Tätigkeit seiner Vorfahren nach (Genesis 46,34), wie auch später König David vor seiner Berufung ein Hirte war (1 Samuel 16,11). Seine große Geschichte beginnt mit einer Grenzüberschreitung: Er verlässt seine neue Heimat Midian, die bekannten Weideflächen und gelangt, zu dem Gottesberg, an den er das Volk hinführen wird. Im Buch Exodus heißt dieser Berg später „Sinai“, hier aber steht der im Buch Deuteronomium für ihr verwendete Name „Horeb“, was passend zum brennenden Dornbusch mit „Trockenheit“ oder „Hitze“ übersetzt werden kann.  

Vers 2-3: Der brennende und nicht verbrennende Dornbusch ist das Zeichen, mit dem Gott Mose zu sich ruft. In der weiteren Erzählung spielt er keine Rolle. Aber er ist ein Vorverweis auf die Geschehnisse am Berg Sinai: Hier ist es noch ein Bote Gottes, der im Feuer Moses Aufmerksamkeit erregt und dann Gott aus dem Feuer spricht; in Exodus 19,18 wird Gott selbst im Feuer auf den Berg Sinai hinabsteigen. Zugleich kann das nicht verbrennende Feuer vielleicht ein Symbol für das Wesen Gottes sein, dass in Vers 14 von Gott mit den Worten „Ich werde sein, der ich werde sein“ beschrieben wird. Gott ist wie eine aus sich heraus brennende Flamme, die nicht vergeht.

Vers 4-5: Als Gott Mose anspricht - mit dem doppelten Rufs seines Namens -, antwortet Mose mit dem hebräischen Wort  הִנֵּֽנִי (gesprochen: hinneni). Dieses Wort sagt nicht nur aus, dass Mose dort ist, wo er ist. Das zu sagen, wäre überflüssig. Sondern wörtlich könnte man übersetzen: „Siehe mich!“, in dem Sinne von „Hier hast Du mich, ich stehe Dir zu Diensten!“ Mose ist bereit für das Gotteswort. Die antike, griechische Übersetzung dieses Wortes in der Septuaginta ist gar: „Was ist?“ Mose ist bereit Gott zu dienen. Dass es genau darum geht, verdeutlicht vielleicht auch die Aufforderung Gottes an Mose, er solle seine Schuhe ausziehen. Dies ist nicht nur eine kultische Forderung, weil der Ort durch die Präsenz Gottes heilig ist (siehe Exodus 30,19-21), sondern barfuß zu sein, deutete auch einen niedrigen, unfreien Status an (siehe Jesaja 20,2-3).

Vers 6: Gott stellt sich Mose als erstes nicht nur einfach vor - als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs -, sondern er verbindet, den von der Tochter des Pharaos großgezogenen Mose, wieder direkt mit seinem Volk. Der Gott im Dornenbusch, der zu Mose spricht, ist der Gott seines Vaters Amram. Mose wird als Teil des Volkes Israel angesprochen und durch die Nennung der Namen der Erzeltern wird die Landverheißung in Erinnerung gerufen. Dass Mose in diesem Moment wegschaut, erklärt sich nicht nur aus Ehrfurcht, sondern auch aus Todesangst: Das Angesicht Gottes zu sehen, bedeutete in der Welt des Alten Testaments den sicheren Tod.

Verse 7-8a(-12): Erstmals in der Bibel nennt Gott hier Israel sein Volk. Und die Berufung Mose ist bereits der Anfang seines Rettungshandelns. Aufgrund des Leidens und Klagens Israel ist Gott hinabgestiegen, aktiv geworden und wird nun seine Landverheißung verwirklichen. Die Verheißung wird sogar nochmals gesteigert, indem das Land hier erstmals als „ein Land, in dem Milch und Honig fließen“ beschrieben wird. Gott hatte Mose dazu berufen, sein Volk aus Ägypten herauszuführen. Aber Mose weist diese Sendung in den Versen 11-12 zurück. Er ist nicht fähig dazu. Den Grund dafür erfährt der Leser an diesem Ort nicht, erst in Exodus 4,10 erklärt sich Mose: „Aber bitte, Herr, ich bin keiner, der gut reden kann, weder gestern noch vorgestern, noch seitdem du mit deinem Knecht sprichst. Mein Mund und meine Zunge sind nämlich schwerfällig.“ Deshalb wird Gott dem Mose seinen Bruder Aaron, den späteren Hohepriester, an die Seite stellen. Gott nimmt die Bedenken Mose ernst. Aber dem Ungenügen Mose tritt Gott mit einer Zusage entgegen: „Er wird Mose beistehen“. Kurioserweise wird als ein Zeichen hierfür eine zukünftige Handlung, am Ende der Befreiungsgeschichte verheißen: Mose wird mit dem Volk zum Gottesberg zurückehren und Gott dort dienen, anstatt als Sklaven dem Pharao zu dienen.

Verse 13-15: Der zweite Einwand Moses nimmt das Volk in den Fokus: Warum sollten sie ihm glauben? Hier spricht Mose bereits im Namen des Volkes und fragt nicht, wie es in der revidierten Einheitsübersetzung heißt: „Wie heißt er [dieser Gott, der dich sendet]?“, sondern „Was ist sein Name?“. Im Zentrum der Frage steht nicht der Name allein, sondern seine Bedeutung: Wofür steht er? Gott antwortet nicht mit seinem Namen auf die Frage, sondern mit dem scheinbar nichts sagenden Satz: „Ich bin, der ich bin.“ Kein Satz des Alten Testament führte zu mehr philosophischen und theologischen Denken über das Wesen Gottes, als diese Aussage. Bereits die antike, griechische Übersetzung - die Septuaginta - begann die philosophische Interpretation: „Ich bin der Seiende.“ Grammatikalisch ist es im Hebräischen eine Zukunftsaussage, die verdeutlicht, dass Gott für den Menschen unverfügbar ist. Um sie besser zu verstehen sind zwei Aspekte wichtig: (1.) Diese Antwort richtet sich nicht an das Volk, sondern an Mose. Das, was Mose dem Volk ausrichten soll, ist der ebenso schwierig zu verstehende Satz: „Der Ich-bin hat mich zu euch gesandt.“ (2.) Die Aussage Gottes „Ich bin, der ich bin“ verweist im Kontext direkt auf zwei Aussagen. Kurzzuvor sichert Gott in Vers 12 mit demselben Wort Mose seinen Beistand zu: „Ich bin mir Dir.“ Und kurzdarauf, in Exodus 4,12, konkretisiert Gott diese Zusage nochmals: „Ich bin mit deinem Mund und weise dich an, was du reden sollst.“ „Ich bin“ ist kein Gottesname, sondern eine Zusage. Aus ihr wird deutlich, dass Gott unverfügbar ist: Er wird sein, wer er sein wird. Aber in seinen Verheißungen und Zusagen definiert er sich selbst: Der „Ich bin“ ist der Gott, der Mose beistehen wird und die Verheißungen an die Erzeltern verwirklichen wird. Diese Deutung bestätigt sich in Vers 15: Gott definiert sich anhand seiner Beziehung zu den Erzeltern und wird sich in Zukunft daran messen lassen.

 

Auslegung

Das Gottesbild der Erzählung vom brennenden Dornbusch verbindet die Vergangenheit mit der Zukunft. Scheinbar durch Zufall gelangt Mose zum Gottesberg und wird so doch zum Teil der israelischen Geschichte, die mit Abraham beginnt und ins verheißene Land führt. Ein Gott ohne festen Kultort an einem fremden Berg ergreift Partei für ein Volk, dass unter Fremdherrschaft leidet, um es in die Wüste zu führen. In dieser Wüste erfährt Mose die Nähe Gottes, der seine Zweifel ernstnimmt und ihm seinen Beistand zusichert. Dieser Beistand Gottes, der Ausdruck seiner Treue ist, beschreibt das Wesen Gottes: Er ist der, der er sein wird. Zwar ist er unverfügbar und nicht vom Menschen festlegbar, aber er bindet sich selbst in seinen Verheißungen an die Erzeltern und an seinen Zusagen an Mose vollständig mit seinem Wesen an sein Volk.

Mose wird am Dornbusch zum Anführer Israels und führt das Volk so selbst zu der direkten Gottesbegegnung am Berg Sinai (Exodus 19). Aber weder Mose noch der Ort sind wichtig. Später werden die Israeliten nicht zum Berg Sinai pilgern und Mose wird das Hineingehen in das verheißene Land verweigert werden. Im Zentrum steht das Volk, das hier erstmals von Gott als „mein Volk“ bezeichnet wird und mit dem Gott an eben diesem Berg einen Bund schließen wird. Der „Ich-bin“ ist und wird der Gott Israels sein, der das Leid seines Volkes erhört und es rettet.

Kunst etc.

Auf einem Mosaik in der Kirche San Vitale in Ravenna wird der brennende Dornbusch in der Erzählung völlig ausgeblendet. Da er nur der Ausgangspunkt für das Gespräch zwischen Mose und Gott ist, spielt er hier wahrscheinlich keine Rolle, sondern der Künstler hat sich entschieden, den Berg selbst in Flammen stehen zu lassen und damit auf Exodus 19,18 zu verweisen, wo Gott sich seinem Volk offenbart: „Der ganze Sinai war in Rauch gehüllt, denn der HERR war im Feuer auf ihn herabgestiegen.“

“Moses and the Burning Bush in Basilica di San Vitale, Ravenna”, fotografiert von Marieke Kuijjer – Lizenz: CC BY-SA 2.0.
“Moses and the Burning Bush in Basilica di San Vitale, Ravenna”, fotografiert von Marieke Kuijjer – Lizenz: CC BY-SA 2.0.