Nachdem Paulus in Kapitel 1 - 4 seinen galatischen Gemeinden seine Art der Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus vor Augen geführt und gerechtfertigt hat (s. hierzu und zur Einführung in den Galaterbrief den Überblick zur Zweiten Lesung am 12. Sonntag im Jahreskreis), geht es ab Kapitel 5 um die daraus erwachsende Praxis. Hat er zuvor dargelegt, dass der Glaube an Jesus Christus das Entscheidende ist und dass dieser nicht voraussetzt, sich zuerst beschneiden zu lassen und das jüdische Gesetz mit Reinheits- und Kalendervorschriften zu übernehmen, fordert Paulus nun auf, aus dieser Freiheit heraus gestalterisch tätig zu werden.
Einordnung des Lesungsabschnitts in den Galaterbrief
Konkret hatte Paulus in einem komplizierten Gedankengang die Christen geistig zu Nachfahren Isaaks, des Sohnes Abrahams und seiner Frau Sara (vgl. Galater 4,21-30) erklärt. Denn Isaak verdankt sich dem Zusammenhang von Verheißung Gottes und Abrhams Glauben, nicht dem Gesetz. Davon setzt der Apostel den älteren Sohn Abrahams ab, nämlich Ismael, dessen Mutter Abrahams Nebenfrau und Sklavin Hagar ist (zur entsprechenden alttestamentlichen Erzählung vgl. Genesis 16,1-16). Ismael verdankt sich insoweit dem Gesetz, als die Regelung, bei Kinderlosigkeit mit der eigenen Ehefrau eine Nebenfrau nehmen zu dürfen, eine gesetzliche ist.
An dem Gegensatz der beiden Mütter über die Stichworte "eine Freie" (das ist Sara) und "eine Sklavin" (das ist Hagar) knüpft nun der erste Satz von Kapitel 5 an: "Zur Freiheit hat uns Christus befreit. " Mit ihm setzt die Lesung ein. Ehe Paulus ihn ab Vers 13 - der Fortsetzung der heutigen Lesung - positiv entfaltet, verstärkt er in Gal 5,2-12 noch einmal die Absage an die Beschneidung als Unterordnung unter die jüdische Tora (das jüdische Gesetz), für die konservative judenchristliche Missionare, denen das Missionswerk des Paulus nicht gefällt, massiv in den galatischen Gemeinden werben.
Erst nach diesem zum Teil sehr polemischen Abschnitt greift Paulus auf den ersten Satz des Kapitels zurück und entfaltet dessen positive Botschaft.
Vers 1: Fest stehen in der Freiheit
Wenn die Christen sich als "Kinder der Freien" verstehen (Galater 4,31) und dies mit ihrer Taufe auf Jesus Christus erklärt haben (er schenkt Sündenvergebung, er eröffnet das Tor zum ewigen Leben, an seiner "Gottessohnschaft" haben die Getauften, Frauen wie Männer, Anteil), dann sollen sie bitteschön die von Christus errungene "Freiheit" auch bewahren bzw. von ihr Gebrauch machen. Das meint "fest stehen" in dieser Freiheit. Sie steht im Gegensatz zu "ein Joch der Knechtschaft".
Damit ist - vielleicht eher überraschend - nicht nur das "Joch" des jüdischen Gesetzes gemeint, d. h. die Unterwerfung unter Vorschriften, die so tut, als müsse eine jeder seine Freiheit erst noch selbst erringen, obwohl dies durch den Kreuzestod schon längst geschenen ist Das ist das Thema der für die Lesung ausgelassenen Verse 2-12.
Vers 13: Freiheit zur Liebe
Vers 13 macht deutlich, dass es aber noch eine ganz andere Möglichkeit der Knechtung gibt. Es ist die Unterwerfung unter all das, was den Menschen davon abhält, sich seinem Nächsten gegenüber liebevoll zu verhalten. Es ist das, was den Menschen nach Gründen Ausreden suchen lässt, warum er das, was eigentlich gut zu tun wäre, nicht tut.
Vers 14: Wie schon die Heilige Schrift sagt ...
Damit ist Paulus bei einem seiner Lieblingsworte gelandet: "Liebe" (griechisch: agápè). Doch anders als im berühmten Hohelied der Liebe in 1 Korinther 13 wird sie diesmal nicht wie eine griechische Tugend vor Augen geführt - ohne Hinweis uaf das Vorbild Jesu und ohne Bezug zur Heiligen Schrift -, sondern mit einem Beweis aus der Heiligen Schrift. Denn die Forderung, den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist ein Zitat aus Levitikus (3. Buch Mose) 19,18. Die Charakterisierung dieses einen Verses als Kern der gesamten Tora des Mose ist auch in der jüdischen Tradition überliefert (Rabbi Hillel, Rabbi Aqiba), wenn dort wohl auch mit innerjüdischer Beschränkung gemeint, während Paulus es universal auf jeden Nächsten - Jude wie Nichtjude, Christ wie Nichtchrist - bezieht. Wie wichtig auch Jesus dieses Gebot war, wird in Lk 10, 25-37 deutlich, wenn er ihm das sehr ausführliche Gleichnis vom barmherzigen Samariter widmet (mehr zum Liebesgebot unter der Rubrik "Kontext")..
Vers 15 Die Sache mit der Grube
Dieser Vers verbirgt in seiner sehr polemischen Sprache den konkreten Sachverhalt, gegen den Paulus seine Stimme erhebt. Erkennbar aber sind "beißen" und "fressen" Gegenbegriffe zur "Nächstenliebe". Dabei scheint Paulus außerdem den weisheitlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang im Hinterkopf zu haben: "Wer (anderen) eine Grube gräbt, fällt (selbst) hinein" (vgl. Sprichwörter 26,27; 28,10). Mit anderen Worten: Wer seinen Nächsten nicht liebt, sondern ihn lieber "beißt", muss sich nicht wundern, wenn auch er selbst nicht geliebt und am Ende "aufgefressen" wird.
Vers 16-17: Zwei Welten - Fleisch nund Geist
Vers 16 ordnet das, was Paulus meint, in seine Sicht vom Menschen (Anthropologie) ein. All das, was den Menschen von der Liebe abhält, ordnet Paulus der Welt des Fleisches zu, das in sich die Tendenz zur Sünde hat und schwach ist. Davon setzt er die Welt des Geistes ab, die nicht nur den Verstand meint, sondern letztlich die von Gott bestimmte Denk-, Gefühls- uind Handlungswelt des Menschen, die sich dem Geist Gottes als eigentlichem Motor öffnet.
Wenn der große österreichische Psychologe und Philosoph Viktor Frankl (1905 - 1997) in einem ihm zugewiesenen Zitat den entscheidenden Handlungsspielraum des Menschen im Zwischenraum zwischen Reiz und Reaktion sieht, dann ist dies eine ziemlich gute Veranschaulichung dessen, was als Wirkfeld des Geistes und die Ermöglichung von Freiheit bei Paulus verstanden werden kann.
Dass es hier um nichts Selbstverständliches geht, stellt Paulus fest, wenn er an anderer Stelle schreibt:
"Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das vollbringe ich" (Römer 7,19).
Vers 18: Fazit
Vers 18 zieht das Fazit: Wenn das Fleisch dem Hang zum Bösen wie einem fremden Gesetz folgt, dann kann die Entscheidung nur lauten, dem Geist, also dem in der Taufe von Gott geschenkten Geist Gottes zu folgen und sich so die Freiheit zu sichern.
Dass die bisherigen Ausführungen alle noch relativ abstrakt bleiben, liegt daran, dass die Konkretionen, die Paulus durchaus im Blick hat und auch anführt, erst in den nächsten Versen folgen, die aber leider vom Lesungsabschnitt ausgelassen werden. Diese ausgelassene Passage wird deshalb unter der Rubrik "Auslegung" "nachgereicht".