Lesejahr C: 2021/2022

2. Lesung (Hebr 1,1-6)

11Vielfältig und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten;

2am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben von allem eingesetzt, durch den er auch die Welt erschaffen hat;

3er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens; er trägt das All durch sein machtvolles Wort, hat die Reinigung von den Sünden bewirkt und sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt;

4er ist umso viel erhabener geworden als die Engel, wie der Name, den er geerbt hat, ihren Namen überragt.

5Denn zu welchem Engel hat er jemals gesagt: Mein Sohn bist du, / ich habe dich heute gezeugt, und weiter: Ich will für ihn Vater sein / und er wird für mich Sohn sein?

6Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in die Welt einführt, sagt er: Alle Engel Gottes sollen sich vor ihm niederwerfen.

Überblick

Am Anfang dieser Lesung steht ein eindeutiges Bekenntnis: Der Gott des Alten Testaments ist ein und derselbe, der in Jesus Christus Mensch geworden ist. Wenn Jesus spricht, hören wir durch ihn denselben Gott, den ein Abraham vernommen und der sich in den Propheten mutige Sprecher und damit eine Stimme verschafft hat.

 

Einordnung

Mit den Worten der Lesung vom Ersten Weihnachtstag beginnt der Brief an die Hebräer. Kein Gruß, kein Wunsch, keine freundliche Anrede. Stattdessen setzt der Abschnitt mit höchst verdichteter Theologie ein: In wenigen Worten wird Gottes Wirken in der gesamten Geschichte bis zu der Nahtstelle zusammengefasst, die das Christentum mit der Geburt Jesu sowie seiner Kreuzigung und Auferweckung verbindet. Danach geht es nur noch um Jesus Christus, sein göttliches Wesen und das, was er bewirkt. Mit ihm ist für den Hebräerbrief eine neue Zeit angebrochen. "Endzeit" nennt er sie: "Am Ende dieser Tage". Mehr und Anderes als das, was sich in Jesus Christus ereignet hat, ist von Gott her in dieser zu Ende gehenden Zeit nicht zu erwarten. Der nächste Schritt wird bedeuten, dass von "diesen Tagen" (Vers 2) der wirklich letzte kommt und damit die Zeit an sich aufhört. Dies verbindet die Heilige Schrift mit der Wiederkunft Christi, mit dem endgültigen Kommen des "Reiches Gottes", mit Vollendung u. ä.

Damit ist der Brief, der sich eher als eine groß angelegte Predigt entpuppt, die nur ganz am Ende mit Bitten und Gruß etwas künstlich an einen tatsächlichen Brief erinnert (Hebr 13,18-25), beim eigentlichen Thema angelangt. Es geht um einen Hymnus auf Christus, den der unbekannte Verfasser seiner heidenchristlichen Gemeinde in seiner ganzen Bedeutung vor Augen stellen will. Diese Gemeinde (oder Gruppierung innherhalb einer aus Juden- und Heidenchristen sich zusammensetzenden Gemeinde) muss man sich als Gläubige vorstellen, die sich durch Lesen die Welt des (ins Griechische übersetzten) Alten Testaments als der einzigen bis dahin existenten schriftlichen Ur-Kunde des Glaubens angeeignet haben. So steht der Autor vor der Aufgabe, an aus dem Judentum bekannte alttestamentliche Vorstellungen anknüpfen zu wollen und zugleich das Besondere an Jesus herauszustellen. Dazu wählt er ab Vers 4 die besonders seit dem 2. Jahrhundert vor Christus sich sehr verbreitende Vorstellung von den Engeln als himmlischen Wesen, die in der Welt Gottes leben, ihm am nächsten, aber keine Götter, sondern Geschöpfe sind. Noch höhere Wesen konnte man also gar nicht denken. Genau darauf aber zielt die Lesung: Jesus ist größer und mehr als irgendein Engel. Dies wird durch nichts deutlicher als durch die Rede vom "Sohn Gottes" - eine einzigartige Aussage - sowie dadurch, dass die Engel sich vor diesem Sohn Gottes niederwerfen (Vers 6) und ihn damit in seiner Göttlichkeit anerkennen.

Insgesamt ist Hebräer 1,1-6 ein extrem verdichteter Text. Wie eine Ouvertüre spielt er schon auf zahlreiche Themen an, die erst später im Brief entfaltet werden.

 

Zwei Zeiten (Verse 1-2a)

Die ersten beiden Verse stellen zwei Zeiten gegenüber. Für die erste Zeit stehen die Stichworte "Väter" und "Propheten", für die  Jetzt-Zeit ("diese Tage") stehen "wir" ("am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen") und der "Sohn". Verbunden sind beide Zeiten durch das "Sprechen" ein und desselben Gottes ("hat Gott .... gesprochen" ; "hat er zu uns gesprochen").

Dabei meinen "Väter" nicht etwa nur Abraham, Isaak und Jakob, die sogenannten Patriarchen, sondern alle Glaubensvorfahren derjenigen, an die sich der Herbäerbrief wendet, letztlich also auch unsere Glaubensvorfahren. Das elfte Kapitel des Hebräerbriefs verdeutlicht dies in einer langen Auflistung. Die Propheten sind auch nicht nur unbedingt die großen Verkündigungsgestalten wie z. B. Jesaja, Jeremia oder Hosea, mit denen eigene Bücher des Alten Testaments verbunden sind. Bedenkt man, dass z. B. innerhalb des ersten Kapitels des Hebräerbriefes die meisten Zitate aus den Psalmen und dem Buch Deuteronomuim stammen, wird deutlich: "Propheten" meint die gesamte Heilige Schrift Israels, also das Alte Testament. Denn in jüdischer Sicht gelten auch David, indem er als Verfasser der Psalmen angesehen wird, und Mose, von dem u. a. das Buch Deuteronomium spricht,  als Prophet.

Auch "sprechen" meint mehr und anderes, als man vermuten würde. Im Hebräischen hat der Begriff für "Wort" (dabar) zugleich die Bedeutung "Ereignis". Es geht um das Wirken Gott durch die Zeit hindurch. Dementsprechend ist auch beim "Sprechen durch den Sohn"  in Vers 2 nicht der am See Genesaret predigende Jesus gemeint. Vielmehr geht es darum, was dadurch geschehen ist, dass Gott seinen Sohn in die Welt gesandt hat und ihn nicht im Tod belassen, sondern machtvoll zu sich genommen und "zum Erben von allem" eingesetzt hat.

 

Die Rede vom Sohn (Verse 2b-3)

Drei Aussagen verbindet der Christushymnus des Hebräerbriefes miteinander:

1. Der Sohn, Jesus Christus, war immer schon bei Gott. Er war schon als Gottes "Wort" (griechisch: logos) bei der Schöpfung zugegen. "Durch ihn ist alles erschaffen" heißt es daher in Kolosser 1,16 und im Glaubensbekenntnis der Kirche. Die Schöpfung wird aber biblisch nicht nur als ein "Moment" gedacht, sondern Gott bewahrt auch diese Schöpfung (" er trägt das All durch sein machtvolles Wort").

2. Der Kreuzestod Jesu hat die "Reinigung von den Sünden" bewirkt, also all das einmal und für immer beseitigt, was trennend zwischen Gott und Mensch steht. Was der Hebräerbrief hier nur kurz andeutet, wird besonders in Hebr 9,1-28 ausgeführt.

3. Der Gekreuzigte ist von Gott "erhöht", also in das göttliche Leben gerufen worden. Damit ist er zum "Erben" der endgültigen und nie endenden Gemeinschaft mit Gott und zum endgültigen Sachwalter des Lebens eingesetzt worden. Die eigentümliche Rede vom "Erben" erklärt sich daraus, dass der Hebräerbrief tröstend und aufrichtend seine Gemeinde ebenfalls als "Erben" sieht (vgl. Hebr 1,14). Tod, Auferweckung und Erhöhung Jesu bewirken eine in Aussicht gestellte Teilhabe an der ewigen Gemeinschaft mit Gott für alle, die an diesen Jesus glauben können. Dieses in Aussicht gestellte Erbe soll schon jetzt von "der Furcht vor dem Tod" befreien (Hebr 2,15).

 

Der Vergleich mit den Engeln (Verse 4-6)

Zur Veranschaulichung der Besonderheit Jesu greift der Hebräerbrief zum Vergleich mit den Engeln. Hier verwendet der uns unbekannte Autor ein Verfahren, das er zu lieben scheint: Er weist auf eine alttestamentliche Größe hin, die er bei seiner Leserschaft als bekannt voraussetzen kann, und zeigt auf, inwieweit Jesus bzw. Gottes Handeln in Jesus diese alttestamentliche "Vorlage" überbietet. Dies zeigt er z. B. an der Gestalt des Hohepriesters oder am Zelt der Begegnung beim Durchzug durch die Wüste auf. Im Lesungstext von Weihnachten sind es nun die Engel. Obwohl von ihnen sogar gelegentlich als "Söhne Gottes" gesprochen wird (so z. B. in der griechischen Fassung von Deuteronomium 32,43, wo es heißt: "und alle Söhne Gottes sollen sich vor ihm niederwefen"), sind sie nicht zu vergleichen mit "dem Sohn" schlechthin, der ganz und gar Gott wesensgleich ist. Vers 5 zitiert übrigens mit Ps 2,7 und und 2 Sam 7,14 zwei Stellen, die schon in der jüdischen Tradition als Hinweise auf den von Gott eingesetzten kommenden Messias gedeutet wurden. Die Erwartung dieses Messias sieht der Hebräerbrief in Jesus Christus erfüllt - wenn auch auf eine völlig unerwartete Weise. Denn Menschwerdung, Kreuzigung und Auferweckung gehörten nicht in den messianischen Erwartungshorizont jüdischer Vorstellung. Gerade aber so passt die Hebräerbrieflesung in die Liturgie des Hochfestes der Geburt des Herrn.

 

 

Auslegung

"Vielfältig und auf vielerlei Weise ..." (Vers 1)

Im griechischen Text  fallen die ersten Worte wie Hammerschläge: "Vielfältig und vielgestaltig einst ..." (griechisch: polymerõs kaì polytrópōs pálai). Allein schon die Doppelung des Ausdrucks ("vielfältig und vielgestaltig") gibt diesem Einstieg Gewicht. Man kann bereits nach diesen drei Worten ahnen, dass der "Vielfalt" die "Einmaligkeit" gegenübergestellt werden soll, wie dem "einst" logischerweise am besten ein "jetzt" als Gegenwort entsprechen würde. Genau so ist der Briefeingang auch zu verstehen, auch wenn die konkrete Wortwahl eine andere ist. dem "vielfältigen" Sprechen Gottes "durch die Propheten" wird das Sprechen Gottes "durch den Sohn" gegenübergestellt, im Bild augedrückt: den vielen "Sprachrohren" Gottes (= "Propheten") steht das eine "Sprachrohr" Gottes, Jesus ("der Sohn") gegenüber. Das "einst" ist die Zeit bis zu Jesu Kommen in die Welt. Das "Jetzt" umschreibt der Hebräerbrief mit dem Begriff" am Ende dieser Tage". Dabei geht es ihm um die besondere Qualität der Gegenwart, die sie durch das Kommen Jesu in die Welt und sein Wirken (Leiden, Tod, Auferweckung und Himmelfahrt) erhalten hat. Das "Ende dieser Tage", das also die Zeit von Jesus bis zu seiner Wiederkunft und d h. bis zum Ende der Geschichte meint, unterscheidet sich von der vorangehenden Epoche des "einst" durch das einleitende, ein- und letztmalige Sprechen Gottes. Dazu hat er "den Sohn" gesandt.

Die gar nicht so leicht zu beantwortende Frage hinter Allem lautet: Worauf will der Briefschreiber mit dieser Gegenüberstellung eigentlich hinaus? Will er die frühere Zeit abwerten gegenüber der Zeit Jesu, weil "Einmaligkeit" wertvoller oder "besser" ist als Vielfalt? Oder geht es um die Gegenüberstellung von "Vorläufigkeit" (Propheten) und "Endgültigkeit" (Jesus)? Die entsprechende Begriffe aber fallen nicht.

Gegen solche Wertungen spricht, dass der eigentliche Sprecher immer derselbe bleibt: Gott selbst. In ihm selbst kann es keinen Unterschied zwischen "besser" und "schlechter", zwischen "vorläufig" und "endgültig" geben. Was wäre das für ein Gott? Des weiteren haben diese Gegenüberstellungen nichts mit der Situation des Briefes zu tun: Der Schreiber will eine sich aufgrund von Bedrängnis langsam auflösende und eventuell den Glauben drangebende Gemeinde ermutigen bzw. ermahnen, an ihrem Glauben festzuhalten und daraus eine Hoffnung zu schöpfen, die auch in der Krise trägt. 

Auf diesem Hintergrund meint die Gegenüberstellung von vielfältigem und einmaligem Reden Gottes: Die Wiederholungen waren notwendig, weil es bei den "Vätern" (= Glaubensvorfahren) immer wieder auch das Davonlaufen aus dem Glauben gab. Aber Gott hat es immer weider neu versucht und neue Sprecher geschickt. Durchaus mit Erfolg, wie der Hebräerbrief im 12. Kapitel ausführen wird, wenn er eine Riesenliste von alttestamentlichen Glaubenzeugen benennen wird. Dann aber sollte doch die Gemeinde, die aus Kennern des Alten Testaments besteht ("Hebräer"), doch wohl erst recht reagieren, wenn sie auf das Sprechen Gottes "durch den Sohn" zurückblicken darf und weiß, dass in ihm das "letzte" Sprechen Gottes erfolgt ist. 

Dafür spricht die ganz folgende Umschreibung dieses "Sohnes". Was für ihn gilt, lässt scih von keinem Anderen sagen und eine Steigerung ist nicht denkbar. Dabei lassen die zahlreichen Umschreibungen erkennen, dass es beim "Sohn" nicht um ein "Sprechen" im Sinne der "Propheten" geht, deren Werkzeug die Stimme war. Das "Sprachwerkzeug" Jesu ist sein Leben, das er eingesetzt hat zur "Reinigung von den Sünden" (Vers 3). Vor diesem Hintergrund ist bei den Worten "Vielfältig und auf vielerlei Weise ..." eine Gegenformulierung mitzuhören, deren ausdrückliche Nennung der Hebräerbrief bis Kapitel 10 hinauszögert: "Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Hingabe des Leibes Jesu Christi geheiligt - ein für alle Mal." Die Sendung des Sohnes und seine Lebenshingabe wie Auferweckung sind unwiederholbar - anders als Worte, die man gar nicht oft genug wiederholen kann, was Gott zu tun nicht müde wird. Das Unwiederholbare bedarf aber auch keiner Wiederholung, weil es "ein für alle Mal" geschehen ist.

So können Weihnachten wie auch Karfreitag und Ostern nichts wiederholen, sondern nur feiernd gegenwärtigsetzen, was zum Heil der Menschen von Gott her geschehen ist.

Und für die "Hebräer", an die der Brief gegangen ist, gilt: Auf beides, auf den in Worten beständig hinter den Seinen herrufenden Gott und auf den "ein für alle Mal" in einer unvergleichlichen Lebenstat "sprechenden" Gott dürfen sie vertrauen und brauchen sich in ihrem Glauben und ihrer Hoffnung durch keinen Römer und keine Krise erschüttern zu lassen. Die Botschaft bleibt gültig - bis in die Gegenwart. 

Kunst etc.

Von keinem einzigen Brief des Neuen Testaments haben wir das Original. Aber die abgebildeten Fragmente zeigen immerhin die Überreste einer Handschrift des Hebräerbriefs aus dem 4. Jahrhundert. Das hohe Alter spricht für die Verlässlichkeit der Tradition. Das Festhalten an ihr zeigt aber auch, dass die Kirche mit aller Kraft daran gearbeitet hat, dass kein Wort der Heiligen Schrift verloren geht, auch nicht des Hebräerbriefs.

Doch nicht nur um die Konservierung der Worte geht es, sondern vor allem darum, sie immer wieder hörbar zu machen bzw. zu hören und dann vor allem: aus ihnen Leben zu gestalten.  Denn das mit Jesus begonnene "Ende dieser Tage" (Vers 2) ist noch lange nicht zu Ende. 

File: Papyrus 89 - Laurentian Library, PLaur.142 - Hebrews 6,7–9.15–17 - recto.jpg. Gemeinfrei
File: Papyrus 89 - Laurentian Library, PLaur.142 - Hebrews 6,7–9.15–17 - recto.jpg. Gemeinfrei
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