Lesejahr C: 2021/2022

Evangelium (Lk 2,22-40)

22Dann kam für sie der Tag der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung. Sie brachten das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn zu weihen,

23gemäß dem Gesetz des Herrn, in dem es heißt: Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht sein.

24Auch wollten sie ihr Opfer darbringen, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.

25In Jerusalem lebte damals ein Mann namens Simeon. Er war gerecht und fromm und wartete auf die Rettung Israels und der Heilige Geist ruhte auf ihm.

26Vom Heiligen Geist war ihm offenbart worden, er werde den Tod nicht schauen, ehe er den Messias des Herrn gesehen habe.

27Jetzt wurde er vom Geist in den Tempel geführt; und als die Eltern Jesus hereinbrachten, um zu erfüllen, was nach dem Gesetz üblich war,

28nahm Simeon das Kind in seine Arme und pries Gott mit den Worten:

29Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, /

wie du gesagt hast, in Frieden scheiden.

wie dein Wort es verheißen hat. 30: Denn meine Augen haben das Heil geschaut, 31: das du geschaffen hast, damit alle Völker es sehen: 32: ein Licht, das die Heiden erleuchtet, /

und eine Verherrlichung deines Volkes Israel.

30Denn meine Augen haben das Heil gesehen, /

31das du vor allen Völkern bereitet hast,

32ein Licht, das die Heiden erleuchtet, /

und Herrlichkeit für dein Volk Israel.

33Sein Vater und seine Mutter staunten über die Worte, die über Jesus gesagt wurden.

34Und Simeon segnete sie und sagte zu Maria, der Mutter Jesu: Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.

35Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden. Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen.

36Damals lebte auch eine Prophetin namens Hanna, eine Tochter Penuëls, aus dem Stamm Ascher. Sie war schon hochbetagt. Als junges Mädchen hatte sie geheiratet und sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt;

37nun war sie eine Witwe von vierundachtzig Jahren. Sie hielt sich ständig im Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten.

38In diesem Augenblick nun trat sie hinzu, pries Gott und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.

39Als seine Eltern alles getan hatten, was das Gesetz des Herrn vorschreibt, kehrten sie nach Galiläa in ihre Stadt Nazaret zurück.

40Das Kind wuchs heran und wurde kräftig; Gott erfüllte es mit Weisheit und seine Gnade ruhte auf ihm.

Überblick

Simeon und Hanna zeigen uns: Warten heißt, auf die Treue Gottes vertrauen.

1. Verortung im Evangelium
Die Szene im Tempel schließt unmittelbar an die Erzählungen der Geburt Jesu in Bethlehem an. Von dort aus gehen die Eltern mit dem Kind direkt nach Jerusalem und kehren erst danach in ihre Wohnstadt Nazareth zurück. Von dort wird jedoch zunächst nichts berichtet, vielmehr ist die Rückkehr nach Nazareth nur eine Notiz, die die vorliegende Episode von der nachfolgenden, die ebenfalls in Jerusalem spielt, abhebt.

 

2. Aufbau
Die Verse 22-24 dienen der Einleitung in die Gesamtszene und ordnen das Tun der Eltern Jesu ein in die jüdischen Zeitabläufe und Rituale. In den Versen 25-35 ist Simeon mit seiner Weissagung über das Kind im Mittelpunkt, bevor in den Versen 36-38 die Prophetin Hanna in den Fokus rückt. Die Verse 39-40 schließen die Erzählung ab und verschränken sie mit der nachfolgenden Episode vom elfjährigen Knaben Jesus in Jerusalem.

 

3. Erklärung einzelner Verse
Vers 22-24: Mit den einleitenden Versen beschreibt Lukas die Familie Jesu als fromme Juden. Sie halten sich an die vorgeschriebenen kultischen Reinheitsgebote der Tora, wie sie im Buch Levitikus festgehalten sind (hier Levitikus (Lev) 12). Dazu gehört das Abwarten der Zeitspanne von 40 Tagen nach der Geburt eines Sohnes, bevor die Mutter wieder für rein erklärt wird und zum Tempel hinzutreten darf (Lev 12,2-4). Ebenso gehört dazu das Darbringen eines Opfer. Lukas schildert, dass die Eltern Jesu zwei Tauben und nicht das eigentlich übliche einjährige Schaf, damit machen sie von der Möglichkeit Gebrauch bei geringen finanziellen Mitteln auch ein kleineres Opfer vorzunehmen (Lev 12,8). Auch das Hinbringen des Kindes zum Tempel, um es Gott zu weihen, entspricht den Weisungen Gottes, so wie sie Mose beim Auszug aus Ägypten dem Volk weitergibt (Exodus 13,2).

 

Verse 25-26 und 36-37: Die beiden Hauptpersonen des Abschnitts werden von Lukas ausführlich vorgestellt. Er folgt dabei dem Erzählstil der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta. Seine Leser dürften mit diesem Stil vertraut gewesen sein und sofort erkannt haben, dass der Evangelist mit Simeon und Hanna zwei für die Handlung des Abschnitts wichtige Personen einführt. Zur Vorstellung der Personen gehört die Angabe des Geschlechts, des Wohnorts oder der Herkunft, der Name und wichtige Charakterzüge. Vor allem auf die Ausgestaltung der Eigenschaften von Hanna und Simeon legt Lukas großen Wert. Auch bei ihnen betont er ihren Glauben, der sich in der Erwartung des Messias, aber auch im Gebet, Fasten und der im Tempel verbrachten Zeit wiederspiegelt. Diese lebendige Beziehung zu Gott wird auch deutlich durch ihre Begabung mit dem Heiligen Geist ausgedrückt. Bei Simeon wird explizit gesagt, dass der Geist auf ihm ruht (Vers 25), bei Hanna ist das in der Beschreibung als Prophetin implizit mitzudenken (Vers 36).

 

Vers 27: Das Zusammentreffen der Eltern Jesu mit Simeon geschieht nicht zufällig. Lukas erwähnt wie unter anderem auch in Lk 4,1 und 4,14 den Heiligen Geist als treibende Kraft. Er führt Menschen zusammen, lenkt ihre Wege und weist die Richtung. Hier bewirkt er, dass Simeon der auf den Messias wartet, zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, um diesem Messias zu begegnen und festzustellen, dass seine Hoffnungen richtig waren.

Verse 29-32: Das Loblied des Simeon, das auch „nunc dimittis“ genannt wird, bildet den Mittelpunkt der Erzählung. Simeon spricht aus der Perspektive dessen, der soeben gesehen hat, dass Gottes Zusagen wahr werden und sein Vertrauen in Gott berechtigt ist. Deshalb kann er am Ende seines Lebens in Frieden sterben. Er hat mit eigenen Augen im Kind gesehen, dass Gottes Zusage für alle Menschen gilt. Lukas nimmt in den Worten des Simeon dabei Bezug vor allem auf das Buch Jesaja, in dem sowohl vom Trost für Israel gesprochen wird (Jesaja 40,1, vgl. Lk 2,25) als auch von Gottes Heil, das er Israel vor den Augen aller Völker schenkt und das sich von Israel aus auf alle Menschen ausweitet (Jes 39,1-13). In Jesus erkennt Simeon, dass Gottes Heil für Israel und alle Völker nahe ist.

 

Vers 33: Wenn Lukas das Staunen der Eltern erwähnt, betont er damit die Worte des Simeon. Auch Maria und Josef sind überrascht über die universale Heilsbedeutung, die Simeon dem Kind zuspricht.

 

Verse 34-35: Simeon spricht ausdrücklich die Mutter Jesu an. Das Wort vom Schwert, das durch die Seele dringt, erinnert an den Beginn des Magnifikats, des Lobgesangs der Maria (Lk 1,46-55). Ist dort die Seele Marias voll Freude über das machtvolle Handeln Gottes an ihr und seinem Volk, wird hier deutlich, dass dieses Handeln für sie (und das Volk) auch schmerzhaft sein wird. Maria selbst wird mit ansehen müssen, wie ihr Sohn leidet und stirbt. Das Volk Israel wird erfahren müssen, dass mit dem Auftreten Jesu das Gewohnte durcheinandergebracht wird. Wie Maria im Magnifikat besingt, werden Machtverhältnisse umgekehrt und die Bedrängten erfahren die Barmherzigkeit Gottes (Lk 1,52-53). Das „Fallen und Aufstehen“ ist das Bild für die Umkehrung des Gewohnten. Und es bringt ins Wort, dass sich von nun an an der Annahme Jesu entscheidet, wer zu Gott gehört und wer nicht. Er wird das Kriterium für Heil und Unheil, denn die einen erkennen ihn ihm den Messias, die anderen lehnen ihn ab.

 

Verse 39-40: Mit Vers 39 endet nicht nur die Szene im Jerusalemer Tempel, zugleich endet auch die Folge von Episoden, in denen Maria und Josef fern ihres Wohnortes Nazareth sind. Vom Lk 2,4 an waren sie unterwegs und kehren erst nun zurück. Die Notiz über das Heranwachsen Jesu korrespondiert einer ähnlichen Notiz über Johannes den Täufer in Lk 1,80 und wird in Lk 2,52 noch einmal wiederholt.

Auslegung

Die Begegnung zwischen der Familie Jesu und den beiden frommen Juden im Tempel in Jerusalem hat zwei Kernaussagen: Zum einen geht es um die Bedeutung Jesu, zum anderen um die Haltung des Gottvertrauens.

Vers 32 ist die theologische Spitze des gesamten Textes. Was Jesus hier zugesprochen wird, führt alle bisher gemachten pointiert Aussagen zusammen. Jesus ist als „Sohn Gottes“ (Lukasevangelium (Lk) 1,36) der „Retter“, er ist der „Messias“ (Lk 2,11) und als solcher eröffnet er allen Menschen das Heil. Wer in ihm Gott erkennt und an ihn glaubt, der tritt ein die Gemeinschaft mit Gott, die Heil bedeutet. Für die Heiden ist diese Gemeinschaft ein Schritt vom Dunklen ins Helle, für das Volk Israel das Eintreten der gegebenen Verheißung. Der Evangelist Lukas legt Simeon damit Worte in den Mund, die für das gesamte Evangelium und auch die Apostelgeschichte prägend sein werden. Es geht um das Erkennen und Bekennen der Heilszusage Gottes, die er uns in der Gegenwart seines Sohnes schenkt.

Die beiden Figuren Simeon und Hanna werden jeweils in ihrer Frömmigkeit hervorgehoben: Sie hoffen auf Gott und sie verleihen dieser Hoffnung in ihrem Tun Ausdruck (Gebet, Zeit im Tempel). Und sie vertrauen auf Gottes Verheißung wie sie z.B. durch die Propheten verkündet wurde und geben das Vertrauen auch dann nicht auf, wenn es lange dauert, ehe das Verheißene eintritt. Hanna und Simeon werden als Menschen dargestellt, die in lebendiger Beziehung zu Gott leben: Auf Simeon ruht der Heilige Geist (Vers 25) und Hanna wird nicht nur als Prophetin benannt (Vers 36), sondern sie wird auch über ihr Gebet und ihren Dienst beschrieben. Diese lebendige Beziehung zu Gott scheint der Schlüssel zu sein, um Gottes Wirken, um das Eintreffen der Verheißung zu erkennen. „Warten, erwarten“ ist der Schlüsselbegriff, der die Szenen um Simeon und Hanna verbindet. Sie, wie viele andere, warten auf den Messias, den Gesalbten, den Christus. Sie warten auf denjenigen, der Israel und den Völkern das Heil bringt. Ihr Warten ist Vertrauen auf Gott und seine Worte und es wird am Ende belohnt. Sie sehen und erkennen in dem Kind Gottes Gegenwart und damit die Aussicht auf Heil, die sie so lange ersehnt haben.

Kunst etc.

Hans Holbein der Ältere, Darstellung Jesu im Tempel (1500-1501), gemeinfrei über wikicommons.
Hans Holbein der Ältere, Darstellung Jesu im Tempel (1500-1501), gemeinfrei über wikicommons.