Lesejahr C: 2021/2022

1. Lesung (Mi 5,1-4a)

51Aber du, Betlehem-Efrata, bist zwar klein unter den Sippen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Seine Ursprünge liegen in ferner Vorzeit,in längst vergangenen Tagen.

2Darum gibt er sie preis, bis zu der Zeit, da die Gebärende geboren hat. Dann wird der Rest seiner Brüder zurückkehren zu den Söhnen Israels.

3Er wird auftreten und ihr Hirt sein in der Kraft des HERRN, in der Hoheit des Namens des HERRN, seines Gottes. Sie werden in Sicherheit wohnen; denn nun wird er groß sein, bis an die Grenzen der Erde.4Und er wird der Friede sein.

Überblick

Der Prophet Micha sucht und findet in der Vergangenheit Hoffnung für die Zukunft. Gegen die Großmächte die Israel bedrohen verheißt Gott einen König wie David.

 

1. Verortung im Buch

In Micha 4-5 geht es um das Verhältnis Israels zu den Völkern. Aus der Not des Gottesvolk heraus wird seine Rettung erfolgen: die sich gegen Jerusalem versammelten Völker, sollen zermalmt werden (Micha 4,11-13). Zwar folgt erst die Vertreibung (Micha 4,9-10), aber dann wird Israel wieder sicher in Jerusalem wohnen können, wenn die Herrschaft der Dynastie König Davids in der Stadt wieder errichtet sein wird (Micha 4,8).

 

2. Aufbau

Der Lesungstext gehört zu dem Abschnitt Micha 4,14-5,5, der von der bedrohten Stadt Jerusalem voranschreitet zum Sieg gegen die Angreifer. Ein neuer König wie David wird dem Volk verheißen (Verse 1 und 3), aber im Zentrum dieser tröstenden Worte steht die Gewissheit, dass Gott sein Volk erst preisgibt, damit er es retten kann (Vers 2).

 

3. Erklärung einzelner Verse

Vers 1: Betlehem steht hier im Kontrast zu der im vorherigen Vers genannten Stadt Jerusalem, die dort als „Tochter der Trauer“ bezeichnet wird. Der belagerten Stadt wird Betlehem als Ort des Neuanfangs gegenübergestellt. König David gehörte zur Sippe der Efratiter und wurde in Betlehem geboren (siehe 1 Samuel 17,12). Die Erinnerung an ihn dient als Blaupause für den im Folgenden angekündigten neuen Herrscher. Aber bevor dieser genannt wird, hebt der Text hervor, dass er im Auftrag Gottes kommen und eng mit ihm verbunden sein wird. Der Retter ist Gott, nicht der neue König.

Vers 2: Zuvor muss Israel jedoch im Exil leiden. Die Zerstörung die Jerusalem erlitten hat, wird in Micha 4,9-10 mit den Schmerzen einer Gebärenden verglichen. Nun verheißt das Bild der Geburt neue Hoffnung: Das Volk wird aus dem Exil in die Stadt zurückkehren. „Seine Brüder“ bezeichnet hier nicht die königliche Familie, sondern setzt den König und sein Volk wie in Deuteronomium 17,14-20 in eine geschwisterliche Beziehung.

Vers 3: Wenn Gott die Not seines Volkes wendet, wird der neue König kommen, um es wie David zu weiden (siehe 2 Samuel 5,2), sodass es gemäß Gottes Dynastieverheißung in Ruhe und Sicherheit wohnen werden kann: "Ich werde meinem Volk Israel einen Platz zuweisen und es einpflanzen, damit es an seinem Ort wohnen kann und sich nicht mehr ängstigen muss und schlechte Menschen es nicht mehr unterdrücken wie früher und auch von dem Tag an, an dem ich Richter in meinem Volk Israel eingesetzt habe. Ich verschaffe dir Ruhe vor allen deinen Feinden. Nun verkündet dir der HERR, dass der HERR dir ein Haus bauen wird." (2 Samuel 7,10-11)

Vers 4: Der Versbeginn kann auf zwei verschieden Arten übersetzt werden: „Und er wird der des Friedens sein…“ oder „Es wird dies Frieden sein…“. Der Friede wird gemäß beiden Übersetzungsmöglichkeiten grundgelegt durch eine kriegerische Handlung gegen Assur. Das assyrische Großreich steht hier als Sinnbild für alle Großmächte, die das Gottesvolk bedrohen.

Auslegung

Der Prophet tritt in bewusste Opposition zu den herrschenden Königen aus der Linie Davids: Ihr unrechtes Tun und ihre Bestechlichkeit werden als Gründe angeben, warum Jerusalem zu einem „Trümmerhaufen“ werden wird (Micha 3,10). Aber dies bedeutet keine allgemeine Verurteilung der Dynastie Davids. Die herrschenden Davididen werden untergehen, aber der Prophet setzt seine Hoffnung doch auf das in der Person David in der Vergangenheit angelegten Heil. An diese „Ursprünge .. in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen“ knüpft die Prophetie Michas an. Wie David wird aus Betlehem ein neuer König aus dessen Familie hervorgehen, der in Jerusalem herrschen wird. Die gewählte Ausdrucksweise „hervorgehen“ zeigt an, dass damit aber nicht unbedingt ein direkter Nachfahre des letzten davidischen Königs gemeint ist. Generell ist die Verheißung sehr unbestimmt formuliert, und lässt offen, wann dieser unbekannte Nachfahre Davids von Gott berufen wird. Diese Hoffnung auf einen Retter Israels zielt auf eine offene Infragestellung der Großmächte unter deren Herrschaft Israel nach dem Untergang des davidischen Königtums stand.

Kunst etc.

Abgewandt von der Hauptstadt sucht der Prophet Micha einen Neuanfang im 9km südwestlich gelegenen Betlehems. Dort, wo nach biblischer Überlieferung einst ein Hirtenjunge zum König gesalbt wurde, soll nun ein neuer König David auftreten. Im Hintergrund steht eine Romantisierung der Herrschaft König Davids als idealer Anfang, der der erfahrenen Gegenwart entgegengesetzt wird. Das hier zum Ausdruck kommende Ideal zeigt sich in der Darstellung des Hirtenjungen David des schottischen Malers William Dyce (1806-1864).

William Dyce, David in the Wilderness, ca. 1860, Scottish National Gallery - Lizenz: gemeinfrei.
William Dyce, David in the Wilderness, ca. 1860, Scottish National Gallery - Lizenz: gemeinfrei.