Lesejahr C: 2021/2022

Evangelium (Joh 13,31-33a.34-35)

Die Überleitung zu den Abschiedsreden: 13,31–38

31Als Judas hinausgegangen war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht und Gott ist in ihm verherrlicht.

32Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen und er wird ihn bald verherrlichen.

33aMeine Kinder, ich bin nur noch kurze Zeit bei euch. ...

34Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.

35Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.

Überblick

Erkennungszeichen: Liebe.
Ein sichtbares Zeichen für die Herrlichkeit Gottes zu sein – dazu ruft Jesus seine Jünger im heutigen Evangelium auf.

 

1. Verortung im Evangelium
Mit dem 13. Kapitel beginnt der zweite Hauptteil des Johannesevangeliums (Joh). Im ersten Hauptteil (Kapitel 1-12) stand die Sendung Jesu vom himmlischen Vater zu den Menschen und sein Wirken mitten unter ihnen im Fokus. Mit dem Evangelium von der Fußwaschung (Joh 13,1-15) beginnt der Rückzug Jesu aus dem öffentlichen Wirken und zugleich die Rückkehr zum Vater, die mit Tod und Verherrlichung am Kreuz endet. Die Kapitel 13-20 (zweiter Hauptteil) verbringt Jesus vor allem mit seinem Jüngerkreis. Ihnen erklärt er nach der Fußwaschung in den sogenannten Abschiedsreden, die Bedeutung dessen, was ihn dann im Leiden und Auferstehen widerfährt.
Der vorliegende Abschnitt aus dem Evangelium entstammt der Überleitung von der Fußwaschung hin zu den deutenden Abschiedsreden.

 

 

2. Aufbau
Inhaltlich lassen sich zwei Schwerpunkte in dem Abschnitt ausmachen: Die Verse 31-33 haben die Verherrlichung Jesu zum Thema. In den Verse 34-35 geht es um das neue Gebot Jesu, das er ihnen als Erkennungszeichen der Jüngerschaft mit auf den Weg gibt.

 

3. Erklärung einzelner Verse

Verse 31-33a: Nachdem Weggang des Judas ist Jesus allein „mit den Seinen, die er liebt“ (Joh 13,1). Und auch das „Jetzt“ zu Beginn der Worte Jesu knüpft an den Beginn des 13. Kapitels und die Szene der Fußwaschung an. Dort war davon die Rede, dass „Jesu Stunde“ gekommen war, „um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen“ (Joh 13,1). „Jetzt“ und die Stunde des Hinübergehens zum Vater beschreiben einen identischen Zeitpunkt: Von nun an läuft alles auf den Moment hinaus, an dem Jesus seine Sendung vollendet. Den Moment, in dem er im Tod am Kreuz zum Vater zurückkehrt. Der Evangelist Johannes beschreibt dies hier mit dem Begriff der Verherrlichung.

Der „Menschensohn-Titel“ wird im Johannesevangelium immer dann für Jesus verwendet, wenn es um seine Sendung vom und zum Vater geht. Der „Menschensohn“ ist ein Bild aus der spät-alttestamentlichen Zeit und sehr vielschichtig. Knapp zusammengefasst steht der Menschensohn als Bild für einen Menschen oder das Volk Israel, das am Ende der Zeit in Erscheinung tritt und an der Durchsetzung der göttlichen Herrschaft, des Reiches Gottes in unterschiedlicher Form beteiligt ist. Diese Hoffnung auf ein Näherkommen des Gottesreiches ist dem Evangelisten Johannes wichtig, wenn er von Jesus als dem Menschensohn spricht oder ihm die Worte in den Mund legt. Jesus ist der vom Himmel her kommende und von Gott ausgesendete Menschensohn, der die Wirklichkeit Gottes, sein Reich auf die Erde bringt.

Zur Verherrlichung Jesu gehört nicht nur die Sendung durch Gott, sondern auch die Rückkehr zu ihm. Daher kündigt Jesus den Seinen hier an, er werde nur noch kurze Zeit bei ihnen sein.

 

Vers 34-35: Angesichts des kommenden Abschieds Jesu erhalten die Worte Jesu den Charakter eines Vermächtnisses – so wie zuvor die Fußwaschung. Auch inhaltlich gibt es eine enge Verknüpfung: Die Fußwaschung ist eine Zeichenhandlung zur Verdeutlichung des gegenseitigen Dienens und soll den Jüngern Vorbild sein. Jesus sagt am Ende dazu: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“ (Joh 13,15). Ein ebensolches Beispiel soll die Liebe Jesu sein, die ihren tiefsten Ausdruck im Tod am Kreuz findet. Diese Liebe, die bedingungslos bis ans Äußerste geht, sie soll auch von den Jüngern gelebt und sichtbar gemacht werden.

Auslegung

Wie man die Jünger Jesu erkennt und wie sie einander erkennen – dazu liefert das Evangelium dieses Sonntags einen Hinweis. An ihrem Umgang miteinander, an ihrer Liebe werden sie erkannt. Dabei schließt das Evangelium zunächst an den Schlussgedanken des Evangeliums vom letzten Sonntags an: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30).

Die Einheit von Vater und Sohn wird im heutigen Evangelium mit dem Begriff der „Verherrlichung“ umschrieben. Er steht für die Sendung Jesu, die sich zwischen Menschwerdung und Kreuzestod ereignet. Jesu Weg nahm seinen Anfang in Gott, der ihn in die Welt sandte, um dort die sonst unbegreifliche Herrlichkeit Gottes sichtbar zu machen (Joh 1,14). Im Kreuzestod findet der Weg sein Ende. Im Tod zeigt Jesus Gottes unwiderrufliche Liebe zum Menschen – auch sie ist Teil seiner Herrlichkeit. Mit dem Tod schließt Jesus seine Sendung zur Sichtbarmachung der Herrlichkeit ab. Er, der für die Herrlichkeit Gottes Zeugnis ablegt, kehrt zurück zum Vater und seiner Herrlichkeit. Oder wie Johannes es umschreibt: er wird verherrlicht.

Bevor seine Sendung abgeschlossen ist und die Verherrlichung eintritt, weil Jesus zum Vater heimkehrt, gibt er seinen Jüngern noch ein Gebot mit: „Liebt einander!“ Und er fügt noch hinzu: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ Dass die Aufforderung einander zu lieben, nicht leicht zu realisieren ist, weiß Jesus. Er kennt die Schwächen der Menschen und damit auch Neid, Missgunst, Wut, Hass und Unfriede, die sich im Herzen breitmachen können. Weil es nicht einfach ist, im anderen, der nervt, der feindlich, neidisch, besser, angesehener, erfolgreicher oder schlicht anders ist, einen zu liebenden Mitmenschen zu erkennen, folgt auf das Gebot aber auch eine Hilfestellung. „Wie ich euch geliebt habe“ drückt nicht nur ein Maß an Liebe aus, sondern eine Kraftquelle. Weil Jesus seine Jünger liebt, haben auch sie die Kraft, selbst zu lieben. Die Größe der Liebe Gottes, die sich im Kreuzestod ausdrückt, ist Ursprung einer gegenseitigen Liebe, die manchmal die eigenen Schwächen und Grenzen überschreitet.

Mit dem Tod schließt Jesus seine Sendung zur Sichtbarmachung der Herrlichkeit, der Liebe und Güte Gottes ab. Er kehrt heim zum Vater. Von nun an soll die Liebe Gottes auf andere Weise in dieser Welt sichtbar werden: Die Jünger Jesu, d.h. alle, die sich zu Christus bekennen und Christen nennen, sie sollen die Liebe Gottes nun in der Welt sichtbar werden lassen. Wirkliche Jüngerschaft wird da sichtbar, wo die Liebe sichtbar wird, so gibt es Jesus seinen Jüngern mit auf den Weg. Die Liebe ist das Erkennungszeichen und das Kriterium für christliches Leben. Und zwar nicht nur als eine „Friede, Freude, Eierkuchen, Wohlfühl-Liebe“, sondern als eine Liebe, die bis an die Grenzen des Vorstellbaren geht. Die Liebe ist jedoch auch nichts zur bloßen christlichen Selbstvergewisserung. Jesu Liebe, die am Kreuz sichtbar wurde, macht die Herrlichkeit Gottes sichtbar und dies soll auch die gelebte Liebe der Jünger Jesu leisten. Sie soll über sich hinausweisen und Menschen helfen, Gottes Gegenwart zu erfahren.

Ob das Erkennungszeichen „Liebe“ auch heute noch funktioniert? Fragen Sie doch mal Kollegen und Freunde, Menschen, die wenig mit Kirche zu tun haben, ob sie bei Christen –einzeln und in Gemeinschaft dieses Erkennungszeichen entdecken?

Kunst etc.

Frans Hals, Heiliger Evangelist Johannes (um 1625-1628), Frans Hals [Public domain] via wikicommons
Frans Hals, Heiliger Evangelist Johannes (um 1625-1628), Frans Hals [Public domain] via wikicommons

Dem Evangelisten Johannes nimmt man auf diesem Bild von Frans Hals ab, dass er seine Jesuserzählung in guter Abwägung seiner Erfahrungen und im Hören auf Gott niederschreibt. Zugleich scheint sich in seinem Gesicht aber auch ein Ringen um die richtigen Worte abzuzeichnen: Wie soll er über das Unsagbare und nahezu Unbegreifliche Geheimnis Gottes schreiben?!