Wenn Gott Dir den Feind in Deine Hände auslieferst, ergreifst Du die Chance? Darf ein Verworfener, aber von Gott Gesalbter, umgebracht werden?
1. Verortung im Buch
Der erste König Israels, Saul, wird von Gott verworfen und David heimlich zum kommenden König gesalbt (1 Samuel 16,1-13). In der Folge diente er dem verworfenen König als erfolgreicher Krieger, doch die Missgunst und der Hass Sauls führten zum offenen Konflikt zwischen ihnen (1 Samuel 22,29-30). Obwohl Saul nach Davids Leben trachtet, töte ihn David nicht, als er die Möglichkeit dazu hat (1 Sam 24). Saul hatte ihm selbst das Königtum zugestanden: „Jetzt weiß ich, dass du König werden wirst und dass das Königtum in deiner Hand Bestand haben wird.“ (1 Samuel 24,21). Aber er verfolgte David weiterhin und trachtete ihm nach dem Leben.
2. Aufbau
Aus einer Erzählung (Verse 1-12) wird ein ausführlicher Dialog zwischen Saul und David (Verse 13-25) – das letzte Gespräch zwischen den beiden zum Königtum Gesalbten. Obwohl am Anfang der Geschichte die Initiative bei Saul liegt: Er verfolgt David. Wird bereits in Vers 3 deutlich, dass nun David den weiteren Verlauf bestimmen wird. David beobachtet ihn (Verse 3-5), er dringt in Sauls Lager ein (Verse 6-12) und stellt ihn aus sicherer Entfernung bloß (Verse 13-25), bevor sich ihre Wege für immer trennen.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 1-5: Wie schon zuvor, verraten die Sifiter Davids Versteck (2 Samuel 23,19). Wo die „Anhöhe von Hachila“ zu verorten ist, kann heute nicht mehr gesagt werden. Sicherlich spielt das Geschehen in der Nähe von Sif, südlich von Hebron. Saul jagt ihm mit 3000 Soldaten hinter her – David hatte um sich nur 600 Mann gescharrt (1 Samuel 25,13). Gut informiert, versteckte sich David jedoch vor ihm und spähte ihn aus. Bei ihm liegt die eigentliche Initiative: Vers 2 erzählt, dass Saul sich aufmachte, um David zu jagen – nun macht sich David in Vers 5 auf, um zu Saul zu gehen. In der Nacht lagerten die Soldaten in mehreren Ringen um Saul herum, um ihn zu schützen, wie das verwendete hebräische Wort (בַּמַּעְגָּ֔ל, gesprochen: ba-ma‘gal; wörtlich: „kreisförmig“) anzeigt. Bei Saul ist Abner, sein Cousin und Truppenführer.
Verse 7-12: Allein ins Lager Sauls gehen zu wollen, klingt wie ein Selbstmordkommando. Der in den folgenden Erzählungen noch häufiger als wagemutiger Krieger dargestellte Abischai meldet sich freiwillig, um David zu begleiten. Für alttestamentliche Erzählungen ungewöhnlich wird er nicht durch die Nennung seines Vaters, sondern seiner Mutter identifiziert. Zeruja war gemäß 1 Chr 2,16 eine Schwester Davids.
Der metallene Spieß (Vers 7) ist das Herrschaftssymbol Sauls. Gestützt auf ihn hält er Hof (1 Samuel 22,6). Zugleich symbolisiert er Sauls Gefährlichkeit. Mitten im Lager diskutieren nun Abischai und David darüber, ob Saul umgebracht werden soll. David verbietet Abischai – wörtlich – Saul zu vernichten (אַל־תַּשְׁחִיתֵ֑הוּ, gesprochen: al-taschchitehu). Zwar hat es Gott ermöglicht, dass Sauls Leben in ihrer Hand liegt, aber David anerkennt, dass Saul trotz der Verwerfung weiterhin ein Gesalbter Gottes ist und Gott für seinen Tod sorgen wird (siehe Auslegung). Gott hatte das gesamte Lager in einen tiefen Schlaf fallen lassen, wie er ihn über den ersten Menschen kommen ließ, bevor er ihm die Rippe entnahm, um daraus die Frau zu erschaffen (Genesis 2,11). David nimmt nun nicht nur den Speer, sondern auch Sauls Wasserkrug mit: Die Feldflasche ist in der Wüste eine Notwendigkeit – David nimmt Saul das für die Lebenserhaltung notwendige Wasser weg.
Verse 13-25: David klagt nicht Saul an, sondern dessen Truppenführer. Er ist seiner Pflicht, den Gesalbten zu beschützen, nicht nachgekommen und Saul lebt nur aufgrund Davids Entscheidung. Er unterstellt sogar fremden Einfluss auf Saul, der ihn dazu geführt haben könnte, David nach dem Leben zu trachten. Am Ende erklingt jedoch ein direkter Vorwurf: „Der König von Israel ist ausgezogen, um einen einzigen Floh zu suchen, wie man in den Bergen ein Rebhuhn jagt“ (Vers 20). David bezeichnet sich selbst als Floh, um die Unverhältnismäßigkeit des Handelns Sauls zu benennen. Er jagt mit 3000 Soldaten einer Person nach, die nicht nach seinem Leben trachtet. Ein Rebhuhn jagt man, indem man es aufscheucht, sodass es vor Schreck nicht davonfliegt, sondern panisch auf dem Boden herumläuft, bis es erschöpft ist und einfach mit einem Stock erschlagen werden kann. Saul gesteht daraufhin seine Schuld ein, er habe „töricht gehandelt“ und sich „verfehlt“. Sein Schuldgeständnis gleicht der Beschuldigung Samuels, mit der er Saul die Königswürde entzogen hatte (1 Sam 13,13). Aber ist Sauls jetziges Angebot, Frieden mit David zu schließen ehrlich gemeint oder eine Hinterlist? Die Antwort überlässt der Text dem Leser. David geht nicht darauf ein.