Lesejahr C: 2021/2022

Evangelium (Lk 3,1-6)

31Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und der Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene;

2Hohepriester waren Hannas und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias.

3Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündete dort überall die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden,

4wie im Buch der Reden des Propheten Jesaja geschrieben steht:

Stimme eines Rufers in der Wüste: / Bereitet den Weg des Herrn! / Macht gerade seine Straßen!

5Jede Schlucht soll aufgefüllt / und jeder Berg und Hügel abgetragen werden.

Was krumm ist, soll gerade, / was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.

6Und alle Menschen werden das Heil Gottes schauen.

Überblick

Die Geschichte Gottes mit dem Menschen spielt sich nicht fern ab jeder geschichtlichen Welt in einem Paralleluniversum ab, sondern unter real existierenden politischen und gesellschaftlichen Bedingungen. Darauf legt der Evangelist Lukas in der heutigen Erzählung großen Wert, wenn er Johannes den Täufer als Rufer in der Wüste, als mutigen Verkündiger vorstellt.

1. Verortung im Evangelium
In den ersten beiden Kapiteln des Lukasevangeliums wechselt der Fokus der Erzählung zwischen Johannes dem Täufer und Jesus  hin und her. Geburtsankündigung, Geburt und eine knappe Notiz über das Heranwachsen werden über beide Kinder berichtet. Nun überspringt die Geschichte einige Jahre und setzt in Kapitel 3 dort wieder ein, wo der Täufer mit seiner Verkündigung in die Öffentlichkeit tritt. Das Wirken des Johannes wird dann überleiten zur Taufe Jesu, mit deren Erzählung die Geschichten der beiden Personen miteinander verwoben wird.

 

2. Aufbau
Die Verse 1-2a stellen eine geschichtliche Einordnung der folgenden Ereignisse dar. Darauf folgt die Notiz über die prophetische Sendung des Johannes (Vers 2b) und die kurze Beschreibung seines Verkündigens und Tuns (Vers 3). In den Versen 4-6 zitiert der Evangelist den Propheten Jesaja und deutet damit das Auftreten des Johannes.

 

3. Erklärung einzelner Verse
Verse 1-2: Dem Evangelist Lukas ist es wichtig, die nun folgenden Ereignisse historisch für den Leser klar einzuordnen, daher rekapituliert er zu Beginn des Abschnitts den Stand der politischen und religiösen Machtverhältnisse politische Situation in Israel. Eine derartig konkrete Datierung entlang greifbarer historischer Fakten findet sich im Neuen Testament sonst an keiner Stelle. Doch so präzise wie man meint ist auch diese Datierung nicht, weil man nicht eindeutig sagen kann, ab wann Lukas die Regierungsjahre des Tiberius zählt. Tiberius, Stiefsohn Augustus' herrschte von 14-37 n.Chr. über das römische Reich. In der Provinz Juda vertrat ihn in den Jahren 26-36 n. Chr. Pontius Pilatus als Statthalter. Die Provinz Juda war aus einem Teil des Reichs Herodes' des Großen entstanden, das nach dessen Tod 4 v.Chr. unter seinen Söhnen aufgeteilt wurde. Die Söhne Herodes (Antipas) und Philippus und der genannte Lysanias regierten jeweils in Teilregionen, waren jedoch von Rom abhängig. In der Provinz Juda wurden rechtliche und verwaltungstechnische Fragen durch den von Rom eingesetzten Statthalter geregelt. In Fragen der Religionsausübung und auch in religiösen Streitigkeiten war dem Hohepriester Vollmacht gegeben. Wenn Lukas also auch Hannas und dessen Schwiegersohn Kajaphas als religiöse Autoritäten der Zeit benennt, hat er das gesamte historische Panorama benannt, in dem Johannes und Jesus ihr Wirken beginnen werden.

 

Vers 2: Dem ersten Wirken des Täufers geht das Wort Gottes an ihn und damit die Einsetzung als Prophet voraus. Angekündigt hatte sich diese Bestimmung bereits in Andeutungen in der Verkündigung seiner Geburt (Lukasevangelium 1,14-17) und im Lobgesang des Zacharias in Lk 1,76 wurde explizit gesagt: "Du wirst Prophet des Höchsten heißen." Die Formulierung "das Wort erging über" will dies besonders verdeutlichen.

 

Vers 3 bietet eine Zusammenfassung dessen, was Johannes der Täufer verkündigt und wirkt. Entlang des Jordanflusses rüttelt er die Menschen mit seiner Predigt auf und lädt ein zur Taufe als einmaliges Zeichen der grundsätzlichen Lebensumkehr. Wie genau eine solche Wende des eigenen Lebens aussehen kann, das bleibt für den Leser an dieser Stelle allerdings noch vage und wird erst später konkretisiert.

 

Verse 4-6: Das Zitat aus dem Buch Jesaja (Jes 40,3-5) überträgt die Hoffnung des Volkes Israel im babylonischen Exil auf einen rettenden und tröstenden Gott auf die Zeit des Johannes. Er ist für den Evangelisten der Rufer, der in der Wüste verkündet, dass der Weg bereitet wird und alle Menschen Gottes Heil schauen werden. Die Aufgabe des Johannes ist die des Wegbereiters und Hinweisgebers, auf Jesus selbst, in dem Gottes Rettung und Trost sichtbar werden.

Auslegung

Mitten in der historischen Wirklichkeit ereignet sich Gottes Geschichte mit dem Menschen, ruft er Menschen in seinen Dienst und wird er selbst greifbar. Das ist die Botschaft des Evangelisten Lukas, wenn er vor dem Auftreten Johannes' des Täufers und der folgenden Taufgeschichte Jesu eine ausführliche historische Einordnung vornimmt. Wirkten die Erzählungen von den Verkündigungen der Geburt und mancher Umstand daran vielleicht dem weltlichen Geschehen etwas entrückt, nun gewinnt die Geschichte wieder an Bodenhaftung und greifbarer Realität.
Die ausführliche Vorstellung der Figur des Johannes verdeutlicht seine Bedeutung. Er ist derjenige, der mit seiner Predigt und der ausgerufenen Taufe die Menschen für eine Veränderung der Perspektive auf das eigene Leben sensibilisiert. Wenn später Jesus über das Reich Gottes und die Feindesliebe und ein neues Verständnis von Gerechtigkeit spricht, dann hören die Menschen dies vor dem Hintergrund dessen, was Johannes bereits ins Wort brachte. Die Worte des Propheten bringen dies ins Bild: Johannes ruft zur Umkehr, wie der Rufer, der von der Begradigung der krummen Wege spricht. Die Ankündigung, dass alle Menschen das Heil Gottes sehen, wird in der kurz danach folgenden Erzählung von der Taufe bereits teilweise realisiert, wenn die Stimme aus dem Himmel über Jesus ausruft "Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden." (Lk 3,22)

Kunst etc.

Michelangelo Merisi da Caravaggio [Public domain]
Michelangelo Merisi da Caravaggio [Public domain]

Das Gemälde von Caravaggio (1571-1610) zeigt uns einen anderen Johannes als wir ihn in den biblischen Texten entdecken. In sich gekehrt, nachdenklich und fast ein wenig schüchtern hat er kaum etwas gemeinsam mit dem wortgewaltigen Rufer in der Wüste, von dem wir gelesen haben. Das Schaf ist das traditionelle Attribut des Johannes, der im Johannesevangelium zitiert wird mit "Seht, das Lamm Gottes" (Joh 1,36) als er Jesus erblickt.

Santa Maria sopra Minerva, Rom Statue Johannes des Täufers, Peter1936F, via Wikimedia Commons
Santa Maria sopra Minerva, Rom Statue Johannes des Täufers, Peter1936F, via Wikimedia Commons

Kraftvoll, selbstbewusst und in der einfachen Kleidung (Kamelhaarmantel und Ledergürtel), die der Evangelist Markus beschreibt (Mk 1,6), so steht Johannes der Täufer in der römischen Kirche Santa Maria sopra Minerva.