Lesejahr C: 2021/2022

Evangelium (Joh 10,27-30)

27Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie und sie folgen mir.

28Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen.

29Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen.

30Ich und der Vater sind eins.

Überblick

1+1=1 - Ein Evangelium gegen die mathematische Logik

1. Verortung im Evangelium
Die wenigen Verse vom guten Hirten aus dem heutigen Evangelium stehen im Kontext eines größeren Abschnitts über Jesus als den Hirten der Herde in Johannesevangelium (Joh) 10,1-21. Das gesamte Umfeld der Verse ist geprägt von einer zunehmend gereizten Stimmung der Juden gegenüber Jesus einerseits und Zeichenhandlungen Jesu andererseits. So hatte er in Joh 9,1-41 einen Blinden geheilt und wird in Joh 11,1-46 den verstorbenen Lazarus auferwecken. In dieses wirkmächtige Handeln Jesu hinein agieren die Gegner Jesu. Die Pharisäer stoßen den geheilten Blinden aus der Synagoge aus, weil er sich zu Christus bekennt (Joh 9,22 und 34). In Jerusalem selbst, direkt nach den Versen des heutigen Evangeliums, will man Jesus steinigen (Joh 10,31-33), weil sie Jesu Rede über die Einheit mit dem Vater nicht ertragen und als Gotteslästerung empfinden („du machst dich selbst zu Gott“, Joh 10,33).

 

 

2. Erklärung einzelner Verse


Einführung in die Verse:
Der Text beginnt unvermittelt in einer Rede Jesu. Er ist in Jerusalem in der Halle Salomos im Jerusalemer Tempel rund um das Lichterfest (Chanuka) in der zweiten Dezemberhälfte. Dort trifft er auf Juden, die ihn kritisch herausfordern: „Wie lange hältst du uns noch hin? Wenn du der Christus bist, sag es uns offen!“ (Joh 10,24). Jesus verweist sie auf seine Werke (z.B. die Heilung des Blinden) und seine Worte, die auf ihre je eigene Weise Auskunft über ihn als Sohn des himmlischen Vaters geben. Jesus hält ihnen vor, dass sie diesen Zeugnissen nicht glauben, weil sie nicht zu seinen „Schafen“ gehören (Joh 10,26)

 

Vers 27-28: Jesus bleibt im Bild von den Schafen und dem Hirten und nimmt so Bezug auf seine ausführlicheren Worte über sein Dasein für die Schafe in Joh 10,11-18. Hier unterscheidet er nun zwischen den Schafen: Die einen hören auf seine Stimme, d.h. sie glauben an ihn als den Sohn des himmlischen Vaters. Die anderen glauben nicht an ihn und seine Werke (Joh 10,26).
Die Beziehung zwischen dem Hirten und seinen Schafen erläutert Jesus in zwei Schritten: Erstens gibt es eine Beziehung, die auf Erkennen und Folgen basiert. Der Hirt kennt seine Schafe, er weiß, was für das einzelne gut ist und sie vertrauen, seiner Führung. Zweitens schenkt Jesus seinen Schafen etwas, was ein „normaler“ Hirte nicht geben kann: Seine Schafe, also die, die auf ihn hören, werden nicht von ihm getrennt, auch nicht durch den Tod.

Ist die erste Aussage noch eine auf der Bildebene, also über das normale Verhältnis von Schaf und Hirte, so überschreitet die zweite Aussage das Bild hinein in die spirituelle Ebene der Fürsorge Gottes für den Menschen.

 

Vers 29-30: Jesus erweitert die Perspektive vom Hirten und seinen Schafen. Er ist der Hirt, weil sein Vater ihm die Schafe anvertraut hat. Weil die Macht des Vaters unüberbietbar ist, wird niemand die Schafe, die unter Jesu Schutz stehen, von ihm fortreißen. Dies gilt auch für Jesus selbst, denn er und der Vater sind untrennbar.

 

Auslegung

„Ich und der Vater sind eins“, so spricht Jesus am Ende des Evangelienabschnitts. Was wie der Widerspruch gegen alle Logik klingt, die wir Menschen begreifen, ist die himmlische und mit einfachem Nachdenken nicht zu begreifende Wirklichkeit Gottes. Gott ist in sich Gemeinschaft, also immer ein Gott, der über sich hinaus weist. Dies wird für uns „sichtbar“ in der Begegnung mit ihm in drei Personen (Vater, Sohn und Heiliger Geist), die ohne einander nicht zu denken sind. Genau dieses untrennbare Miteinander bringt Jesus in der Kurzformel zum Ausdruck. Er und der Vater sind eins. Jesus Christus ist der Sohn des himmlischen Vaters, er macht auf Erden Gottes Wirklichkeit sichtbar, indem er von ihm erzählt und kraftvolle Zeichen vollbringt. Der Vater selbst ist unsichtbar gegenwärtig, doch durch Jesus wird er sichtbar gegenwärtig. In Joh 14,7 sagt Jesus zu seinen Jüngern über den Vater: „Schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen“ und spricht dabei über seine Gegenwart mitten unter ihnen. Der Vater sendet den Sohn hinein in die Welt, um Gott den Menschen sichtbar und erfahrbar zu machen. So ist Gott nicht mehr nur ein „höheres Wesen“ oder eine „unberechenbare Macht“, sondern ein Gott, der Mensch wird und sich den Menschen ganz menschlich im Sohn nähert. Und der Sohn lebt als Mensch und bleibt doch Gott. Dies zeigt sich in der Weise, wie er Menschen heilt, ihnen Vergebung schenkt, später sogar Tote zum Leben erweckt (Lazarus, Joh 11).
Vater und Sohn sind unterscheidbare Personen, weil der eine Mensch wird und der andere unsichtbar bleibt. Und dennoch sind sie eins, d.h. untrennbar. Denn der Sohn tut nichts, was nicht auch der Vater will oder tun würde. Wenn Jesus den Menschen auf Augenhöhe begegnet, ihre Nöte und Sorgen und auch ihr Scheitern ernst nimmt, dann tut er darin nichts anderes als das, was sein Vater im Himmel sagen oder wirken würde. „Ich und der Vater sind eins“ ist damit keine mathematsche Formel, sondern eine Umschreibung für das Geschenk Gottes. Er nähert sich uns, ist im Sohn mitten unter uns und lädt uns ein, ihm, der sonst unsichtbar und unbegreifbar wäre, zu begegnen.
Wenn Jesus als Sohn des himmlischen Vaters dann von sich als Hirten spricht, der uns kennt und dem wir als Schafe folgen dürfen. Dann ist dies nichts anderes als die Einladung, sich ganz auf die Nähe Gottes einzulassen, der sich um uns sorgt und uns seine Führung anbietet. Ihm zu folgen, meint nicht ein stumpfes Nachlaufen mit treuem Blick, sondern meint, an ihn zu glauben, auf ihn zu vertrauen und ihm in Denken und Handeln nachzufolgen.

Kunst etc.

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Jesus als der gute Hirte - ein beliebtes Motiv christlicher Kunst.