Eine Berufung ist keine freiwillige Wahl. Der Prophet Jeremia ist bereits vor seinem Leben vorherbestimmt, Zerstörung über sein eigenes Volk zu bringen.
1. Verortung im Buch
Am Anfang des Buches Jeremia steht die Berufung des Propheten (Jeremia 1,4-19) – und in ihr verdeutlicht sich schon das Besondere an diesem Buch: Im Gericht ist die Gnade Gottes am Werk, die sowohl „aufbaut“ als auch „zerstört“ (Vers 10). Am Ende des Buches wird Jerusalem erobert, die Mauern abgebrochen und die Säulen des Tempels zerstört (Jeremia 52,1-30). Jedoch wird bereits in der Berufung deutlich, das im Propheten, beziehungsweise in seiner Verkündigung sozusagen ein Ersatz bereits gegeben ist, der in einem ersten Schritt gegen das Volk Gottes wirkt, um es aber zum Heil zu führen. Gott spricht zu Jeremia: „Siehe, ich selbst mache dich heute zur befestigten Stadt, zur eisernen Säule und zur bronzenen Mauer gegen das ganze Land, gegen die Könige, Beamten und Priester von Juda und gegen die Bürger des Landes.“ (Jeremia 1,18).
2. Aufbau
Der Berufung Jeremias samt dem Auftrag an ihm (Vers 5) folgt des Propheten Einwand, er sei nicht geeignet (Vers 6). Gott widerspricht ihm und versichert ihm seinen Beistand (Verse 7-8). Zur Vergewisserung gibt er ihm ein Zeichen, das seinen Auftrag verdeutlicht (Verse 9-10). Nach zwei Visionsberichten (Verse 11-16) folgt dann die Aufforderung Gottes an den Propheten die Ausführung seines Auftrags zu beginnen (Verse 17-19).
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 4-5: Sogar noch vor der Empfängnis Jeremias ungenannter Mutter hat Gott ihn bereits zum Propheten auserwählt. Das erste Verb, dass diese Auserwählung ausdrückt („erkennen“, Hebräisch: יָדַע, gesprochen: ja‘da) zeigt die innige Nähe Gottes an. Das zweite Verb („heiligen“, Hebräisch: הִקְדִּישׁ, gesprochen: hiqdisch) verdeutlicht, dass Jeremia ausgesondert wurde, um zu Gottes Eigentum zu werden. Nicht nur der Zeitpunkt seiner Auserwählung ist im Alten Testament einmalig, sondern auch der explizit internationale Auftrag: Nur er wird zum „Propheten für die Nationen“ bestimmt.
Verse 17-19: Der Prophet soll sich bereit machen, seine Aufgabe anzugehen. Diese Aufforderung hat einen drohenden Charakter: Er darf sich nicht vor den Menschen fürchten, sonst wird Gott ihn bestrafen. Der Prophet soll zu einem Bollwerk gegen das Gottesvolk werden. Die Heilserwartungen, die mit der Gottesstadt Jerusalem und deren Tempel verbunden sind, werden auf den Propheten übertragen. Sein Auftrag ist nun nicht der Dienst am Volk, sondern die Konfrontation mit ihm. Der Prophet zieht mit Gott an seiner Seite in den Kampf gegen das eigene Volk – und er kann siegesgewiss sein.