Warum ist Mose nicht der Stammvater des Gottesvolkes? Weil er Gott an die Verheißungen erinnert und so seinen Zorn besänftigt.
1. Verortung im Buch
Während das Volk Israel sich am Berg Sinai von Gott abwendet und das goldene Kalb erschafft (siehe Exodus 32,1-6), ist Mose bei Gott und wartet darauf das von Gott geschrieben Wort, das an die Stelle eines Kultbildes treten soll, zu empfangen. Ohne menschlichen Anführer verrennt sich Israel so in den Symbolen des von Gott verurteilten Götzendienstes.
In Exodus 24,12 wird Mose von Gott aufgefordert zu ihm auf den Berg Sinai hinaufzusteigen: „Der HERR sprach zu Mose: Komm herauf zu mir auf den Berg und bleib hier! Ich will dir die Steintafeln übergeben, die Weisung und das Gebot, die ich darauf geschrieben habe, um sie zu unterweisen.“. Dort verweilt er 40 Tage bei Gott (siehe Exodus 24,18) und kurz bevor Israel beginnt das goldene Kalb herzustellen, heißt es dann: „Nachdem der HERR aufgehört hatte, zu Mose auf dem Berg Sinai zu sprechen, übergab er ihm die zwei Tafeln des Bundeszeugnisses, steinerne Tafeln, beschrieben vom Finger Gottes.“ (Exodus 31,18). Gott verfasst sein dauerhaftes Wort an sein Volk und anstatt darauf zu warten, erschafft sich das Volk ein Götterbild. In dieser Situation entbrennt Gottes Zorn und an Moses Handeln entscheidet sich nun, ob das Volk eine Zukunft hat. Mose muss Gott besänftigen, damit Israel doch noch das Wort Gottes auf den Tafeln, die Gott als Bundeszeugnisse für sein Volk selbst niedergeschrieben hatte, erhält: „Mose kehrte um und stieg den Berg hinab, die zwei Tafeln des Bundeszeugnisses in der Hand, die Tafeln, die auf beiden Seiten beschrieben waren. Auf der einen wie auf der andern Seite waren sie beschrieben. Die Tafeln hatte Gott selbst gemacht und die Schrift, die auf den Tafeln eingegraben war, war Gottes Schrift.“ (Verse 15-16) – doch Mose wird dann vor Zorn im Angesicht der Sünde Israels diese Bundesstafeln zerschmettern.
2. Aufbau
Dem Zorn Gottes in den Versen 7-9 stehen die Argumente Moses in den Versen 11-13 gegenüber. In dem Gespräch zwischen Gott und Mose ist die entscheidende Frage: Wessen Volk ist Israel? Ist Israel das hartnäckige Volk Moses, das Gott vernichten wird (Vers 7-9)? Oder sind die Israeliten Gottes auserwähltes Volk, dem die Verheißungen an die Erzväter gelten (Verse 10-13)?
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 7: Seit dem Anfang des Buches Exodus bezeichnet Gott Israel leidenschaftlich als „mein Volk“ (erstmals in Exodus 3,7). Nun aber ist es in seinen Worten nur noch das Volk Moses, „dein Volk“, das eben nicht er selbst aus Ägypten befreit hat, sondern das von Mose aus dem Sklavenhaus herausgeführt wurde. Mit seinen Worten spiegelt Gott die Worte, die das Volk kurz zuvor selbst gesprochen hatte, wider: „dieser Mose, der Mann, der uns aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat“ (Vers 1).
Vers 8: Auch in diesem Vers nimmt Gott eine zuvor vom Volk gemachte Aussage auf. In Vers 4 sagen sie, nachdem das gegossene Kalb, dieses Gottesbild, hergestellt ist: „Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben.“ In der Beschreibung des Verhalten Israels gegenüber diesem gegossenen Kalb, das als Kultobjekt fungiert, verdeutlicht Gott, dass das Volk es anstatt ihm als Gott verehrt.
Verse 9-10: Gott kommt zu dem Urteil, dass Israel – wörtlich – „ein Volk mit einem steifen Nacken“ ist. Der Gott, der am Anfang des Buches die Not seines Volkes sieht (Exodus 3,7), sieht nun dessen störrische Widerspenstigkeit. Und er will das Volk deshalb umbringen. Seine Absicht leitet er wörtlich ein mit: „Gib mir Ruhe!“ Bevor Mose noch irgendein Gegenwort sagen kann, sagt Gott bereits, Mose solle ihn in Ruhe lassen. Diese Aufforderung Gottes ist das Einfallstor für die Reaktion Moses und es deutet schon an, dass Gott offen für eine Fürbitte Moses ist. Im Endeffekt steht Mose vor einer Entscheidung: Soll er seinem Amt gerecht werden und als Fürsprecher Israels vor Gott auftreten – oder soll er sich auf das folgende Angebot Gottes einlassen: Wie am Anfang des Weges mit Abraham, sagt Gott nun zu Moses, dass er ihn zu einem großen Volk machen will (vgl. Genesis 12,2: „Ich [Gott] werde dich [Mose] zu einem großen Volk machen“).
Vers 11: Mose entscheidet sich dazu, als argumentativer Fürbitter aufzutreten und nicht einen eigenen Nutzen aus der Situation zu ziehen. Das erste Argument, das er hierzu anführt, packt Gott bei seiner Ehre. Die Herausführung aus Ägypten war ein Machtbeweis Gottes, den er selbst nun zunichtemachen würde. Entscheidend ist hier die Begründung in Vers 12, die im vorherigen Vers mit der Frage „Wozu?“ (also zu welchem Ziel und Zweck?) eingeleitet wird. Gemäß Exodus 7,5 (siehe auch Exodus 9,16) sollte gerade die Befreiung Israels zur Gotterkenntnis Ägyptens führen. Die ganze Befreiungsgeschichte würde am Ende nur dazu dienen, dass in den Augen der Völker die Bosheit Gottes offenbart würde.
Verse 13-14: Es geht nicht nur um den Ruf Gottes bei den Völkern, sondern es geht um die Glaubwürdigkeit Gottes. Mose ruft ihm die gegenüber den Erzvätern gegebenen Verheißungen ins Gedächtnis. Nicht nur hat er ihnen und seinen Nachfahren die Volkswerdung und den Landbesitz in Kanaan verheißen, sondern er hat dies auch bei sich selbst geschworen; vgl. Genesis 22,16-17 und 26,3-4. Natürlich ist auch Mose ein Nachfahre der Erzeltern, und ein Neuanfang durch seine Linie stände den Verheißungen nicht entgegen, aber in den Worten Mose geht es um die Bedeutung des gesamten Exodus. Denn, dass Gott seines Bundes mit den Erzeltern gedacht hatte, war der Grund für das Befreiungshandeln (siehe Exodus 2,24). Die Enge Verbindung des Volkes mit seinen Erzeltern unterstreicht Mose mit einem wichtigen Detail. Er spricht nicht, wie es sonst üblich ist von „Abraham, Isaak und Jakob“, sondern nennt Jakob mit dem ihm vom Gott verliehenen Namen „Israel“, den auch das Gottesvolk trägt.