Gott hilft! Von einem überraschten „Vater“ und Gottes Plan, der ohne den Josef vielleicht anders verlaufen wäre.
1. Verortung im Evangelium
Der Evangelist Matthäus beginnt sein Evangelium mit dem „Stammbaum Jesu“ (Matthäusevangelium (Mt) 1,1-17). In diesen Stammbaum hat er mit Vers 16 ein Spannungsmoment eingefügt, das er mit dem zweiten Abschnitt seiner Jesuserzählung (Mt 1,18-25) auflöst. In Vers 16 berichtet der Evangelist: „Jakob zeugte den Josef, den Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren, der der Christus genannt wurde“. Die umständliche Formulierung zur „Elternschaft“ Maria und Josefs fällt sofort auf, wird Josef doch nicht als Vater Jesu, sondern als Mann der Maria in den Stammbaum eingeflochten.
Erst in den Versen 18-24 werden die weiteren Umstände der Geburt Jesu nun erläutert, bevor die eigentliche Geburt in Vers 25 äußerst knapp berichtet wird.
2. Aufbau
Der Abschnitt beginnt mit einer Einleitung (Verse 18-19), die relativ nüchtern die aktuelle Situation zweier Personen in den Blick nimmt: Maria, die vom Heiligen Geist ein Kind erwartet und Josef, dessen Verlobte schwanger ist – aber nicht von ihm. Die Verse 20-21 stellen Josef ins Zentrum und lassen ihm im Traum einen Engel begegnen, der einen Auftrag erteilt. Die Verse 22-23 bilden einen Kommentar des Erzählers, das Geschehene deuten hilft, bevor in Vers 24 noch einmal das Handeln des Josef in den Blickpunkt gerückt wird.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 18-19: Sehr direkt und ohne die beim Evangelisten Lukas überlieferte Verkündigungsszene schildert Matthäus die herausfordernden Umstände der Geburt Jesu: Maria, die mit Josef verlobt ist, erwartet ein Kind, das sie durch den Heiligen Geist empfangen hat. Matthäus verbleibt nun aber nicht bei der Frage, wie denn diese Empfängnis genau zustande kam und wie sich die Leser eine Schwangerschaft durch den Heiligen Geist oder die Übermittlung der Nachricht an Maria vorstellen sollen. Ebenfalls offen bleibt, wie Josef von der Schwangerschaft Marias Kunde bekam. Das Ziel des Evangelisten ist es vielmehr, die Herkunft des Kindes zu pointieren und danach den Fokus ganz auf Josef zu verlagern.
Die Verlobung zwischen Josef und Maria hatte gemäß den jüdischen Gesetzen einen rechtlich verbindlichen Charakter. Obwohl die Frau bis zur Hochzeit im Haus der Eltern verblieb, war sie schon mit dem Zukünftigen so verbunden, dass nur durch einen Scheidebrief eine Trennung der Verlobten möglich gewesen wäre. Wenn nun die Verlobte des Josef ein Kind erwartet, ist er in einer schwierigen Situation. Denn die Schwangerschaft legt – unter normalen Umständen – einen Ehebruch nahe, der wiederum nach den Gesetzen notwendig zu einer Scheidung führt. Wenn der Evangelist Matthäus nun bewusst erzählt, wie Josef diesen öffentlichen Akt vermeiden möchte, indem er eine stille Trennung überlegt, hebt er ein wichtiges Charaktermerkmal heraus. Josef ist „gerecht“. Dieses Motiv wird von nun an das gesamte Evangelium prägen. Dabei zeichnet sich die Gerechtigkeit Gottes als zentrales Thema im Matthäusevangelium dadurch aus, dass sie sich von der Gerechtigkeit der Menschen unterscheidet (vgl. das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, Mt 20,1-16). Wenn Josef nun nicht menschliche Maßstäbe anlegt, und nicht zu seinem eigenen Wohl handelt, sondern seine Verlobte schützen will, handelt er genau im Sinne der göttlichen Gerechtigkeit.
Verse 20-21: Das Vorhaben einer stillen Trennung wird durch das Eingreifen Gottes vereitelt. Indem der Engel Josef als Sohn Davids bezeichnet, wird Jesus nach Vers 18 sanft in eine „zweite“ Abstammungslinie hineingestellt, die für das Verständnis Jesu als des Christus wichtig ist. Durch den Hinweis auf die Herkunft des Josef aus dem Hause David, wird neben der Gottessohnschaft (Vers 18.20) auch die Nachkommenschaft aus dem Hause Davids eingeführt. Wenngleich diese Verbindungslinie nicht den „herkömmlichen“ Abstammungskriterien entspricht. Vers 21 führt diese beiden Herkunftslinien auf interessante Weise zusammen: Zur Ankündigung, dass Maria einen Sohn gebären wird, der vom Heiligen Geist stammt (Vers 20), wird Josef aufgefordert, dem Kind den Namen Jesus zu geben. Jesus heißt übersetzt „Gott ist Hilfe“ und diese Bedeutung des Namens wird im weiteren Halbsatz von Vers 21 erläutert: „denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen“ (vgl. Psalm 130,8). Die Vergebung der Sünden wird im weiteren Verlauf des Evangeliums ein wichtiges Moment der Sendung Jesu, das der Evangelist hier bewusst einführt. Der Akt der Namensgebung, mit dem Josef betraut wird, steht für eine Annahme des Kindes als Sohn.
Verse 22-23: Die Rede des Engels ist abgeschlossen, nun kommentiert der Erzähler das Geschehene. Der Evangelist setzt hier das erste seiner zahlreichen „Erfüllungszitate“, d.h. eines alttestamentlichen Zitats, das das erzählte Geschehen kommentiert und zu deuten hilft und mit einer Einleitungsformel „dies geschieht“ (o.ä.) beginnt. Mithilfe eines Zitates aus dem Buch Jesaja (Jesaja 7,14) werden zwei Akzente des bisherigen Geschehens betont: Zum einen die besonderen Umstände der Geburt (von einer Jungfrau), zum anderen die Bedeutung Jesu durch den Namensnennung Immanuel. Beide Akzente werden bewusst von Matthäus gesetzt. Dies zeigt sich in den leichten Sinnverschiebungen, die er am Jesaja-Textes durch seine Einbettung vornimmt. Zum einen ist im Buch Jesaja nicht an eine geistgewirkte Empfängnis gedacht, sondern lediglich von einer Jungfrau die Rede, die ein Kind empfängt. Zum anderen heißt es im ursprünglichen Text, dass die Frau dem Kind dem Namen Immanuel geben wird. Dies kann Matthäus so nicht übernehmen, ist doch durch den Engel bereits ein anderer Name vorgesehen. Indem er in der Aufnahme des Zitats in die 3. Person wechselt „sie werden ihm den Namen Immanuel geben“, wird der Name Immanuel zu einer Bezeichnung, die dem Kind von anderen zugesprochen wird, aber nicht durch die Eltern vorgesehen ist.
Die inhaltliche Zusage, die mit dem Namen Immanuel verbunden ist: „Gott ist/bleibt bei den Menschen“ stellt eine Klammer zum Ende des Evangeliums dar. Dort wird Jesus selbst seinen Jüngern verheißen, alle Tage mit ihnen zu sein (Mt 28,20).
Vers 24: Der letzte Vers unterstreicht noch einmal die Darstellung des Josef als Gerechten. Er handelt nach dem Willen Gottes und lässt sich von Gott lenken.