Der ausgebrannte Prophet bedarf der Ruhe - in ihr begegnet Gott ihm.
1. Verortung im Buch
Depression ist keine Krankheit der Moderne – früher nannte man sie auch die „Elija-Müdigkeit“. Elija war gemäß der Darstellung in den Königebüchern ein mächtiger Prophet. Von Gott beauftragt zeigt er die Machtlosigkeit der Propheten des Baal und der Propheten der Aschera auf. Er besiegt sie und beweist König Ahab und dem Volk Israel, dass alleine JHWH ein mächtiger Gott ist. Doch auf den Höhepunkt des Erfolgs erfolgt Elijas persönlicher Tiefpunkt. Er ist in seiner Person zutiefst mit seinem Auftrag verbunden: Er ist der Prophet Gottes. Aber seine Macht ist durch Königin Isebel, die phönizische Ehefrau Ahabs begrenzt; sie lässt sich von seinen Wundertaten nicht bekehren. Ihre Reaktion führt zum persönlichen Misserfolg Elijas. Als sie von seinen Taten hört, lässt sie ihm ausrichten: „Die Götter sollen mir dies und das antun, wenn ich morgen um diese Zeit dein Leben nicht dem Leben eines jeden von ihnen [gemeint sind die getöteten Propheten des Baal und der Aschera] gleichmache“ (1 Könige 19,2). Elijas Triumph endet in einem Todesurteil gegen ihn. Elija hatte für und mit Gott übermenschliches vollbracht, aber es genügte nicht die Königin zur Umkehr zu bewegen. Der Weg vom Himmelhoch-Jauchzend führt in die persönliche Isolation des Zum-Tode-Betrübt.
Elija stellt sich nicht der Königin entgegen, er vertraut nicht auf Gottes Beistand, sondern er ergreift die Flucht. Er flieht aus dem Machtbereich Isebels in die Wüste, die gemäß dem Weltbild des Alten Testaments dem Totenreich vergleichbar ist. Sie ist eine gegenmenschliche Welt. Elija wählt den selbstbestimmten Tod in der Wüste: „Dort setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er sagte: Nun ist es genug, HERR. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter.“ (1 Könige 19,4). Kein Mensch im Alten Testament setzt so deutlich wie Elija einen Endpunkt: Er gibt sich auf und schleudert Gott seinen Todeswunsch als Imperativ entgegen. Besonders vielsagend ist die Begründung: Er vergleicht sich mit seinen Vorfahren und zeigt damit, dass er seinem hohen Anspruch an sich selbst nicht genügt. Der Anspruch, das leisten zu können, was keiner zuvor geleistet hat, endet in der Selbstaufgabe. Elija ist erschöpft und ausgebrannt: „Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein.“ (1 Könige 19,5a).
Gott verurteilt Elija weder für seine Flucht noch für seinen Todeswunsch – er erhört aber auch nicht seine Bitte. Kurz nachdem Elija eingeschlafen ist, wird er aus seiner Ruhe aufgeweckt. Es erfolgt keine Maßregelung, sondern ein positiver und fürsorgender Befehl: „Doch ein Engel rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss!“ (1 Könige 19,5b). Der Engel stärkt Elija mit Brot und Wasser, damit er nach den Geschehnissen wieder zu Kräften kommt – und dann, wenn Elija wieder ruhen will, erscheint der Engel erneut: „Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich.“ (1 Könige 19,7b). In den Worten des Engels wird der von Elija zuvor mit dem Todeswunsch definierte Endpunkt zu einer Wegmarke umgedeutet. Im Hebräischen Text zeigt sich dies sehr deutlich in einer Wortaufnahme. Das finale „Genug!“ ist im Hebräischen das selbe Wort, das in den Worten des Engels die große Distanz des vor Elija liegenden Weges bezeichnet (רב, gesprochen rav). Elijas Tiefpunkt ist also kein Endpunkt. Die Fürsorge des Engels zeigt einen Weg auf. Dabei handelt es sich nicht um einen neuen Arbeitsauftrag, sondern der Engel schickt Elija noch weiter in die Wüste, hin zum Gottesberg Horeb. Am Gottesberg angekommen steht der gescheiterte Arbeitnehmer vor seinem Arbeitgeber. Der Einzelkämpfer Elija steht vor dem Grund seines Eifers.
2. Aufbau
In der Erzählung von Elija am Berg Horeb stellt Gott dem Propheten zweimal ein und dieselbe Frage – einmal kurz nach seiner Ankunft und einmal nach der Theophanie: „Was willst du hier, Elija?“ (Verse 9 und 14). Sie umrahmen das Vorüberziehen Gottes an Elija, dass Gottes Reaktion auf Elijas Antwort ist: „Er sagte: Mit leidenschaftlichem Eifer bin ich für den HERRN, den Gott der Heerscharen, eingetreten, weil die Israeliten deinen Bund verlassen, deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet haben. Ich allein bin übrig geblieben und nun trachten sie auch mir nach dem Leben.“ (Vers 10). Gottes antwortendes Handeln hat ein dreistufiges Prelude. Die Naturereignisse, die mit einer Theophanie einhergehen, geschehen: Sturm, Erdbeben und Feuer. Doch sie werden durch die dreifache Feststellung des Erzählers begleitet, dass sich darin Gott nicht zeigt. Entscheidend sind nicht die Naturgewalten, sondern ein „sanftes, leises Säuseln“.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 9: Elija ging nicht nur in „eine Höhle“, wie es in der revidierten Einheitsübersetzung steht, sondern gemäß dem hebräischen Text in „die Höhle“. Der Text setzt voraus, dass der Leser den Ort bereits kennt. Vermutlich wird so direkt auf Mose verwiesen, dem sich Gott ebenso am Gottesberg auf vergleichbare Weise offenbarte und der in einem Felsspalt Zuflucht fand (siehe Exodus 33,22 – siehe auch die Rubrik „Kontext“).
Verse 11-12: Mit dem Verweis, dass Gott sich nicht in den Naturerscheinungen zeigt, wird eine klare Abgrenzung zur altorientalischen Götterwelt vorgenommen. Gott offenbart sich seinem Propheten mit „einer Stimme“. Wörtlich heißt es hier: „und nach dem Feuer (kam) eine Stimme eines leisen Windsäuseln.“ Das hebräische Wort, das aus dem Alten Testament im Deutschen mit „Säuseln“ übersetzt wird, ist דממה (gesprochen: d’mama). Gott selbst ist nicht dieses kaum vernehmbare Geräusch, sondern er schafft diese Ruhe nach dem Sturm (siehe דממה in Psalm 107,29).
Vers 13: Die Stimme, bzw. ihr Ton ist das Signal für Elija aus der Höhle hinauszukommen. Wie Mose im Buch Exodus und Mohammed im Koran verhüllt er nun, wo er Gott gegenüberstehen wird, sein Gesicht und die Stimme spricht zu ihm (siehe Vers 14). In biblischer Tradition stirbt, wer Gott sieht, daher verhüllt man das eigene Angesicht in der Präsenz Gottes (siehe Genesis 32,31).