Lesejahr A: 2022/2023

2. Lesung (Röm 4,18-25)

18Gegen alle Hoffnung hat er [Abraham] voll Hoffnung geglaubt, dass er der Vater vieler Völker werde, nach dem Wort: So zahlreich werden deine Nachkommen sein.

19Ohne im Glauben schwach zu werden, bedachte er, der fast Hundertjährige, dass sein Leib und auch Saras Mutterschoß schon erstorben waren.

20Er zweifelte aber nicht im Unglauben an der Verheißung Gottes, sondern wurde stark im Glauben, indem er Gott die Ehre erwies,

21fest davon überzeugt, dass Gott die Macht besitzt, auch zu tun, was er verheißen hat.

22Darum wurde es ihm auch als Gerechtigkeit angerechnet.

23Doch nicht allein um seinetwillen steht geschrieben: Es wurde ihm angerechnet,

24sondern auch um unseretwillen, denen es angerechnet werden soll, uns, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat.

25Wegen unserer Verfehlungen wurde er hingegeben, / wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt.

Überblick

Die heutige Lesung gehört zu den „Mutmachtexten“ des Paulus. Er ist zutiefst von der Wirkmacht Gottes überzeugt, die auch dort noch Verwandlung ins Leben schaffen kann, wo alles nach Tod aussieht und jegliche Hoffnung zu ersterben droht. Diesen Glauben erkennt er schon in der alttestamentlichen Gestalt des Abraham, der „nur“ das Wort Gottes, d. h. seine Verheißung hatte. Wieviel mehr haben Christen Anlass zu glauben, die auf die Auferweckung Jesu aus dem Tode aufgrund des Wirkens desselben Gottes blicken dürfen.

 

Einordnung in den Kontext

Die erste Lesung aus dem am heutigen Sonntag beginnenden Römerbrief-Lesezyklus macht es den Hörenden im Gottesdienst schwer, denn ihnen fehlt jeglicher Zusammenhang. Die Auswahl des Lesungsabschnitts beginnt im Grunde zu spät.

Vorausgesetzt ist nämlich die im dritten Kapitel niedergeschriebene These des Paulus:

21 Jetzt aber ist unabhängig vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbart worden, bezeugt vom Gesetz und von den Propheten: 22 die Gerechtigkeit Gottes durch Glauben an Jesus Christus, offenbart für alle, die glauben“ (Röm 3,21-22).

Wer so steil formuliert, muss Gründe liefern. Und genau das tut Paulus durch den Verweis auf die Abraham-Geschichte, die innerhalb der Tora („Gesetz“/“Weisung“), also der fünf Bücher Mose erzählt wird, näherhin im Buch Genesis/1. Buch Mose. Mit anderen Worten: In der heutigen Lesung löst Paulus die Behauptung ein, dass von der Gerechtigkeit Gottes bereits „vom Gesetz“ (Röm 3,21) Zeugnis gegeben wird.

Des Weiteren fallen im Lesungsabschnitt die Worte „Glauben“ (Verse 19.20.24), „erstorben“ (Vers 19) und „auferweckt“ (Verse 24.25) auf. Sie weisen darauf hin, dass Paulus seine Ausführungen ab Vers 18 als Auslegung des für die Lesung weggelassenen Bekenntnissatzes versteht, der sich in Röm 4,16-17 verbirgt:

 „16 … Er [Abraham] ist unser aller Vater, 17 wie geschrieben steht: Ich habe dich zum Vater vieler Völker bestimmt - im Angesicht des Gottes, dem er geglaubt hat, des Gottes, der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft.

Offensichtlich solle eine Brücke hergestellt werden:

  • zwischen dem Glauben Abrahams, dessen reale Erfahrungswelt vom Tod bestimmt war („erstorbener“ Mutterschoß der Ehefrau Sara) und der dennoch an die Verheißung eines Sohnes glaubte („zu tun, was er verheißen hat“) und damit darauf vertraute, dass Gott das, „was nicht ist, ins Dasein rufen“ kann
  • und dem christlichen Glauben, dass derselbe Gott aus dem wirklichen Tod erretten und „auferwecken“ kann und dass er genauso den bildlich gesprochenen „Tod“, nämlich die vom lebensmächtigen Gott trennenden „Verfehlungen“ in ihrer trennenden und damit „tödlichen“ Wirkung beseitigen kann und beseitigt hat. Das nennt Paulus „Gerechtmachung“.

Nachdem sich Paulus im gesamten Kapitel 4 mit Abraham befasst hat, wird er sich in Kapitel 5 seinen Adressaten zuwenden und das von Abraham Gesagte auf sich und die angeschriebene Gemeinde und damit letztlich auf alle Glaubenden beziehen: „Gerecht gemacht also aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn“ (Römer 5,1)

 

Die einzelnen Verse der Lesung

Vers 18

Dies ist der Ernstfall des Glaubens: Die Wirklichkeit bietet – wie beim alten Abraham und seiner biologisch jenseits aller Schwangerschaftsträume lebenden Frau – keinen Anlass, dem vernommenen Gotteswort zu vertrauen oder gar zu folgen und sein Leben darauf zu setzen. Und doch erweist die Hoffnung größere Wirkkraft als aller vernünftiger Zweifel, nicht weil die Wirklichkeit verdrängt wird und man sich etwas vormacht, sondern aus dem tiefen Vertrauen, dass es Größeres, Stärkeres, menschlicher Machbarkeit Entzogenes und doch Mögliches gibt. Indem Paulus die Geschichte Abrahams und Saras vorstellt, zeigt er, dass solcher Glaube möglich ist. Er sieht ihn aber nicht als Einzelfall, sondern als den Beginn einer Kette von unzählbaren Menschen, die diesen Glauben geteilt und gelebt haben. Von solchem Glauben sollen sich auch die Christinnen und Christen anstecken lassen, auch wenn es zur Zeit der Briefabfassung in Rom kaum Anlass zu großen Hoffnungen gab. Aber auch hier gilt: „voll Hoffnung gegen alle Hoffnung“. Diese Zumutung des Glaubens ist eine bleibende.

Verse 19-21

Die beiden Verse leben vom Gegensatz „schwach im Glauben – stark im Glauben“. „Schwäche“ meint dabei, sich von den Realitäten menschlicher bzw. irdischer Begrenztheit  bestimmen zu lassen und Fatalismus, Depression, Aggression gegen sich selbst oder andere, Flucht in künstliche Welten o. Ä. aus Ausweg zu wählen. Bei Abraham war es übrigens die Flucht in die fatalistische Vererbung seines Besitzes an seinen Hausknecht, da er mit einem Sohn nicht mehr rechnete (Genesis 15,1-2; s. Kontexte). „Stärke“ besteht für Paulus darin, die Wirklichkeit wahrzunehmen, wie sie ist, anzunehmen und dennoch nach den Spuren des Lebens Ausschau zu halten und die Hoffnung  nicht aufzugeben, dass Änderung möglich ist: durch einen selbst, durch andere, letztlich von dem her, ohne den nichts ist (vgl. Joh 1,3: „Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist.“ bzw. Römer 4,17: der „das, was nicht ist, ins Dasein ruft“).

In Vers 20 wird der Glaube zunächst mit der „Verehrung“ Gottes gleichgesetzt. Zwei Dinge irritieren daran: Zum einen spricht die Bezugserzählung in Genesis 15 nicht von einer „Verehrung“ Gottes durch Abraham, sondern eben nur von seinem „Glauben“. Zum anderen  bedeutet der mit „verehren“ übersetzte Ausdruck bei wörtlicher Übersetzung des Griechischen „Herrlichkeit geben“. Natürlich ist damit das das gemeint, was wir unter „die Ehre erweisen“ verstehen, aber der Begriff „Herrlichkeit“ verweist ausdrücklich zurück auf Römer 1,23, wo von der Vertauschung der „Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit Bildern, die einen vergänglichen Menschen und fliegende, vierfüßige und kriechende Tiere darstellen“ die Rede ist. Die „Verehrung“ setzt also die tiefe und sich durch nichts täuschen lassende Erkenntnis voraus, wer Gott wirklich ist: der unvergängliche und „herrliche“, der allein auch Unvergänglichkeit, also Leben über den Tod hinaus schaffen und damit „verherrlichen“ kann.

Vers 21 konkretisiert den „Glauben“ als „feste Überzeugung“ und greift als Gegenstand positiv auf, was Vers 19 negativ als Gegenstand des „Unglaubens“ formuliert hatte: „nicht im Unglauben an der Verheißung Gottes“ (Vers 19)fest davon überzeugt, dass Gott die Macht besitzt, auch zu tun, was er verheißen hat“ (Vers 21) bilden den entscheidenden Gegensatz.

 

Vers 22

An dieser Stelle wird ein neuer Begriff in die Argumentation eingeführt, und zwar mit Hilfe eines Zitats aus der Abrahamserzählung, auf die Paulus immer wieder anspielt. Wörtlich heißt es in Genesis 15,6: „Und er [Abraham] glaubte dem HERRN und das rechnete er [der HERR] ihm als Gerechtigkeit an.

Dieser Begriff „Gerechtigkeit“ umfasst im Hebräischen (zedaqā) die Bedeutungen „Gemeinschaftstreue“ (also Taten, deren Maß weder der eigene Vorteil noch einfach die Erfüllung eines Gesetzes, sondern das Wohl der Gesamtgemeinschaft ist, die sich wiederum als von Gott her existierend versteht) und „Heilstaten“. Die zweite Bedeutung spielt besonders dann eine Rolle, wenn von den „Gerechtigkeitserweisen“ (also „Gerechtigkeit“ im Plural) und Gott als Handelndem die Rede ist. Unter dieser Voraussetzung meint Genesis 15,6 zunächst einmal, dass sich Abraham in seinem Glauben als jemand erweist, der auch in der schwierigsten Situation (kein Nachwuchs in Sicht) an der Gemeinschaft mit Gott in Treue festhält.

In der paulinischen Argumentation verschieben sich die Akzente. Dem Völkerapostel ist wichtig, dass es allein der Glaube Abrahams ist, den Gott positiv als „gerecht“ anerkennt, und nicht eine Tat, die auch nur im Geringsten als die Erfüllung eines göttlichen Gesetzes verstanden werden könnte. Diesen Gedanken hat Paulus bereits in den der Lesung vorangehen Versen Röm 4,10-13 ausgeführt, wo er aufzeigt, dass die Feststellung von Abrahams „Gerechtigkeit“ in Genesis 15 zeitlich noch vor der Forderung der Beschneidung Abrahams als erstem Beispiel einer Gesetzeserfüllung in Genesis 17 erfolgt.

Wozu braucht Paulus nun das Teilzitat aus Genesis 15,6?

 

Verse 23-24

Weil es ihm letztlich nicht um Abraham geht, sondern um die an Jesus Christus Glaubenden – repräsentiert durch die in römischen Gemeinden sich zusammenfindenden  Adressat*innen seines Briefes. Was für den einen Glaubenden – Abraham – gilt, gilt für alle in seiner Spur Stehenden. Im Hintergrund steht also der Gedanke von Abraham als Vater aller Glaubenden, den Jesus in Matthäus 8,11 so formuliert: „Ich sage euch: Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen.

In dieser Gleichung ändert sich aber der Sinngehalt des Wortes „Gerechtigkeit“. Anders als das Hebräische verbindet Paulus in ihm die Vorstellung der „Treue“ (Gott steht treu zu seinem grundsätzlichen Ja zur Schöpfung und darin ganz besonders zum Menschen [um diesen Zusammenhang geht es in Römer 8]) mit der Vorstellung der „Unschuld“. Tatsächlich gibt es auch im Alten Testament Rechtstexte, in denen „gerecht“ im Sinne von „unschuldig“ zu verstehen ist. Für Paulus aber ist dieser Aspekt  der zentrale: Für ihn ist der Mensch durch seine Neigung zur „Sünde“ bestimmt, so dass Gott ihn eigentlich verurteilen und mit endgültiger Verstoßung bestrafen müsste. Was „endgültige Verstoßung“ bedeutet, wird im Kreuzestod Jesu anschaulich: Menschen verstoßen diesen Jesus aus der Lebensmitte und haben für ihn nur den Tod übrig. Gott aber, der um die Schuldlosigkeit dieses Jesus, seines eigenen Sohnes, weiß, setzt ihn ins Recht und demonstriert seine Schuldlosigkeit, indem er ihn aus dem Tode herausholt: das österliche Geheimnis der Auferweckung.

Jetzt also heißt „als Gerechtigkeit anrechnen“: Gott erklärt den sündigen Menschen für schuldlos, hält an ihm fest, hebt die „Todesstrafe“ auf und lässt ihn am Ende am selben Leben teilhaben, in dem Jesus Christus schon ist. Der Weg zu dieser Gerechtmachung besteht nicht in der Abarbeitung eines Pflichtenkatalogs („Gesetz“), sondern allein in einem Glauben, der eingangs als „voll Hoffnung gegen alle Hoffnung“ gekennzeichnet wurde.

 

Vers 25

So wie Vers 21 per Gegensatz auf Vers 19 zurückgreift und mit diesem eine Art Ringkomposition (Verse 19-21) schafft, so greift Vers 25 per Gegensatz auf Vers 23 zurück: „nicht allein um seinetwillen“ (Vers 23)wegen unserer Gerechtmachung“ (Vers 25). Zu beachten ist dabei allerdings der zusätzliche Unterschied, dass nach Paulus von dem einen (Abraham) „geschrieben“ steht, das andere hingegen (Auferweckung Jesu) lebendiger, in der Gegenwart aktiver Glaube ist. Ob Paulus das heute auch noch so schreiben würde oder könnte, bleibe dahingestellt.

 

Auslegung

sondern wurde stark im Glauben“ (V 20)

Was da wörtlich im Griechischen steht (enedynamṓthē tē pístei), müsste man eher wiedergeben mit „er wurde bestärkt im Glauben“, „er wurde dem Glauben hineindynamisiert“). So unbeholfen die zweite Übersetzung klingen mag, sie macht deutlich, dass bei Paulus Glauben nichts mit dem intellektuellen Fürwahrhalten vorgegebener Sätze zu tun hat. Erst recht geht es nicht um das Auswendiglernen  und Aufsagen von Formeln, die einem letztlich äußerlich bleiben. Auch nicht das Aufsagen des Richtigen gegenüber allen vermeintlich falschen Aussagen ist gemeint. Dabei sollen alle diese Aspekte nicht einfach beiseitegeschoben werden, denn auch Paulus formuliert Kurzformeln des Glaubens oder lehnt bestimmte inhaltliche Glaubensvorstellungen ab. Viel entscheidender aber ist, dass Glaube etwas mit Dynamik zu tun hat. Damit ist er eine Kraft, die von innen her erfüllt und in Bewegung setzt. Glaube ist ein Antriebsmotor, der allerdings noch einmal sowohl von Ideologie wie von Fanatismus zu unterscheiden ist. Ideologie setzt immer ein menschliches Maß als die letzte und allerhöchste Instanz, erlaubt deshalb am Ende auch keine Kritik und kennt erst recht keine Selbstkritik. Auch Glaube kann zur Ideologie mutieren, wenn kein Raum mehr ist für die Annahme, dass Gott der ganz Andere ist. Er wird eingefroren auf eine einzige Vorstellung, der sich alle wie Sklaven zu unterwerfen haben. Fanatismus hingegen macht blind für die Wirklichkeit wie sie ist. Dazu ist er geleitet von der Vorstellung, man selbst wüsste allein, wie Glaube geht, und ohne einen selbst ginge nichts. Mit anderen Worten: Am Ende steht das eigene Wirken über dem Wirken Gottes, dem man nicht so recht über den Weg traut.

Beide Fehlformen meint Paulus nicht. Er erkennt in der Botschaft vom gekreuzigten und auferweckten, letztlich also vom österlichen Jesus, der weder ohne Kreuzeswunden (Wirklichkeit) noch ohne Überwindung des Todes (Hoffnung auf die größeren Möglichkeiten Gottes) denkbar ist, eine Dynamik, die befähigt, Leben zu gestalten unter Wahrnehmung der Wunden, die es schlägt, und die Hoffnung nicht untergehen lässt, dass diese Wunden nicht das letzte Wort haben und niemals eine Rechtfertigung sind, selbst anderen Wunden zu schlagen.

Kunst etc.

Lasciate ogne speranza, voi ch'intrate, Photo: Alii Vella (2008), https://www.flickr.com/, CC BY-NC 2.0
Lasciate ogne speranza, voi ch'intrate, Photo: Alii Vella (2008), https://www.flickr.com/, CC BY-NC 2.0
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