Lesejahr A: 2022/2023

1. Lesung (2 Kön 4,8-11.14-16a)

8Eines Tages ging Elischa nach Schunem. Dort lebte eine vornehme Frau, die ihn dringend bat, bei ihr zu essen. Seither kehrte er zum Essen bei ihr ein, sooft er vorbeikam. 9Sie aber sagte zu ihrem Mann:

Ich weiß, dass dieser Mann, der ständig bei uns vorbeikommt, ein heiliger Gottesmann ist. 10Wir wollen ein kleines, gemauertes Obergemach herrichten und dort ein Bett, einen Tisch, einen Stuhl und einen Leuchter für ihn bereitstellen. Wenn er dann zu uns kommt, kann er sich dorthin zurückziehen.

11Als Elischa eines Tages wieder hinkam, ging er in das Obergemach, um dort zu schlafen.

[...]

14Und als er weiter fragte, was man für sie tun könne, sagte Gehasi:

Nun, sie hat keinen Sohn und ihr Mann ist alt.

15Da befahl er:

Ruf sie herein!

Er rief sie und sie blieb in der Tür stehen. 16Darauf versicherte ihr Elischa:

Im nächsten Jahr um diese Zeit wirst du einen Sohn liebkosen. [...]

Überblick

Für eine Frau aus Shunem wird Gastfreundschaft zu einer Verheißung.

 

1. Verortung im Buch

„Elija - er wurde vom Wirbelsturm verhüllt und Elischa wurde mit seinem Geist erfüllt; zu seiner Zeit wurde er von keinem Herrscher ins Wanken gebracht und niemand hatte Macht über ihn“, mit diesen Worten beginnt der biblische Weisheitslehrer Jesus Sirach sein Lob über den Propheten Elischa (Namensbedeutung: „Gott hilft“), dessen Geschichte in den Königebüchern erzählt wird. Er war der Schüler und Nachfolger des Propheten Elija und wirkte wie dieser im Nordreich Israel. In der Erzählung über ihn fällt vor allem auf, dass er stets unterwegs war und an vielen Orten wirkte; er trat im Namen Gottes nicht nur den Königen und Mächtigen entgegen, sondern sein Wirken ist auch eng bezogen auf das Leben einzelner Menschen. Er versorgt sie mit Nahrung, ermöglicht eine Schwangerschaft, heilt und lässt auferstehen (2 Könige 4). Diese Geschichten aus dem Alltag zeichnen ihn mit denselben Attributen wie der kanaanäische Fruchtbarkeitsgott Baal, dem das Königshaus Omri des Nordreiches Israel diente.

 

2. Aufbau

In 2 Könige 4 reihen sich insgesamt vier Wundergeschichten aneinander. Keine von ihnen ist zeitlich verortet; die Hauptpersonen, abgesehen von Elischa und seinem Diener Gehasi bleiben namenlos – gemeinsam ist allen nur, dass sie keine Machtpositionen innehaben. Die Geschichte der namenlosen und kinderlosen Frau aus Schunem spielt auch in der weiteren Erzählung eine Rolle (siehe 2 Könige 8,1-6) – Elischa schenkt ihr ein zweifaches Wunder. In 2 Könige 4,8-11 wird ihr wohlwollendes Handeln an Elischa beschrieben. Und dann wird ihr, die sie für ihre Gastfreundschaft keine Gegenleistung erwartet, die Geburt eines Sohnes verheißen (Verse 12-17). Den Höhepunkt erreicht die Geschichte, als einige Jahre später dieser Sohn stirbt, aber durch den Propheten wieder ins Leben zurückgeholt wird (Verse 18-37). Entscheidend für das Verständnis ihrer Geschichte sind Teile der Erzählung, die in der Lesung nicht vorkommen.

Sie wird gefragt, wie der Prophet das ihm Gute denn vergelten könne – und er verweist explizit darauf, dass er durch seine Verbindungen zum Königshof Gutes tun kann (siehe dann auch 2 Könige 8,1-6). Doch sie winkt ab: „Du hast dir so viel Mühe um uns gemacht. Was können wir für dich tun? Sollen wir beim König oder beim Obersten des Heeres ein Wort für dich einlegen? Doch sie entgegnete: Ich wohne inmitten meiner Verwandten.“ (Verse 12-13) Sie ist gut versorgt und genügsam. Sie verweist auch nicht auf ihre Kinderlosigkeit; darauf mach Gesahi seinen Herren Elischa aufmerksam. Und selbst als dieser ihr nun die Geburt eines Sohnes prophezeit erwidert sie: „Ach nein, Herr, Mann Gottes, täusche doch deiner Magd nichts vor!“ (Vers 16b). Sie hat sich mit ihrem Leben abgefunden und will keine falsche Hoffnung – doch sie wird tatsächlich einen Sohn zur Welt bringen (Vers 17). 

 

3. Erklärung einzelner Verse

Verse 8-11: Schunem liegt südlich von Nazareth und lag in biblischer Zeit strategisch wichtig an den Handelsrouten durch die Jesreelebene. Die Bezeichnung Elischas als „heiliger Gottesmann“ statt dem einfachen Titel „Prophet“, drückt die enge Beziehung aus, die die Frau aus Schunem zwischen Gott und Elischa wahrgenommen hatte. Das erklärt auch, dass sie ihre Gastfreundschaft als Werk für Gott versteht. 

Verse 14-16a: Die an die namenlose Frau ergehende Verheißung ist ein Echo der Nachkommenverheißung an die Erzmutter Sarah: „In einem Jahr komme ich wieder zu dir. Siehe, dann wird deine Frau Sara einen Sohn haben.“ (Genesis 18,10).

Auslegung

Die namenlose Frau handelt zum Wohl des Propheten. Sie handelt nicht zu ihrem eigenen Vorteil, sondern verweist explizit darauf, dass es ihr an nichts mangelt – selbst die Gunst des Königs bedarf sie nicht (Verse 12-13). Und doch hilft ihr Elischa, dessen Name „Gott hilft“ bedeutet. Für die wohlhabende, jedoch genügsame, kinderlose Frau ist selbst die Verheißung eines Sohnes eher die Gefahr einer falschen Hoffnung, denn ein Wunsch. Doch Gott handelt durch Elischa für sie. Der Sohn ist geschenkte Gnade Gottes für die Frau – er dient keinem Zweck, sondern seine Geburt ist Ausdruck der im Handeln Elischas sich zeigenden Macht Gottes für selbst namenlose Menschen. 

Kunst etc.

Ohne den Wunsch auszusprechen, wurde er erfüllt. Die kinderlose Frau aus Schunem bringt einen Sohn zu Welt. Doch hier geht es nicht, wie zum Beispiel bei der Geschichte der Erzmutter Sarah, um die für die Heilsgeschichte wichtige Fortsetzung der Familiengeschichte. Sondern aus der Verheißung wird im Fortgang der Erzählung eine Verantwortung Elischas, bzw. Gottes gegenüber der Frau und für das Leben des Sohnes. Verheißungen verpflichten – die Frau hält mit dem Kind auch die Verantwortung für sein Leben in den Händen – auch wenn es nicht um die Geschichte des Volkes, sondern 'nur' um die persönliche Lebensgeschichte geht.

Illustration aus dem Buch „Bible primer, Old Testament, for use in the primary department of Sunday schools
Illustration aus dem Buch „Bible primer, Old Testament, for use in the primary department of Sunday schools" (1919), Seite 95 – Lizenz: gemeinfrei.