"Liebe ist nicht nur ein Wort" - so könnte man zusammenfassen, wie Paulus Gottes Handeln in Jesus Christus versteht und es den mit ihm Glaubenden in Rom nahebringen will.
Einordnung der Lesung in den Römerbrief
Der Römerbrief bereitet den Antrittsbesuch des Paulus in der Christengemeinde von Rom vor, die er nicht selbst gegründet hat und aus der er nur einzelne Personen von früher her kennt. Aus diesem Anlass stellt er seine gesamte Theologie den römischen Christinnen und Christen dar. Er möchte sich mit ihnen über den gemeinsamen Glauben austauschen (vgl. Römer 1,12).
Von diesem Glauben hat er in Kapitel 4, das dem heutigen Lesungsabschnitt direkt vorangeht, am Beispiel Abrahams gesprochen, der als Greis und Ehemann einer ebenso alten Frau gegen alle Hoffnung gehofft und gelaubt hat, dass Gott zu seinem Versprechen steht, den beiden einen Nachkommen zu schenken (vgl. besonders Genesis/1. Buch Mose 15,1-6).
Daran anknüpfend formuliert Paulus im ersten Vers des fünften Kapitels, mit dem auch die Lesung beginnt:
"Gerecht gemacht also aus Glauben ..." (Römer 5,1).
Mit diesem steilen Einstieg gibt Paulus zugleich zu erkennen, dass er in diesem 5. Kapitel (wie später noch im 8. Kapitel) eine "These" ausführen will, die er ganz zu Beginn des Briefes mehr oder weniger unkommentiert in den Raum gestellt hat. Beide Sätze sind durch denselben Wortgebrauch miteinander verbunden:
"Der aus Glauben Gerechte wird leben" (Römer 1,17b).
Aufbau der Lesung
Damit ausgehend von der Vergangenheit (die "Gerechtmachung" erfolgte im bereits vergangenen Kreuzestod Jesu und seiner Auferweckung, aber auch im glaubenden Ja zu dieser Gerechtmachung in der bereits erfolgten Taufe der Angesprochenen)), kommt Paulus über die Gegenwart ("... haben wir Frieden mit Gott", wir stehen "in seiner Gnade": Verse 1b.2) auf die Zukunft zu sprechen. Das zugehörige Stichwort lautet "Hoffnung". Dieses wird in Vers 2 eingeführt.
Sie wird im Folgenden in zwei Anläufen entfaltet. In den für die konkrete Lesung ausgelassenen Versen 3-4 wird auf der Erfahrungsebene argumentiert: Diese Hoffnung hat sich bereits im Bestehen von erfahrener Bedrängnis bewährt.
Vers 5 setzt erneut mit Stichwort "Hoffnung" ein, um sie nun im wörtlichen Sinne "theo-logisch" (also "von Gott sprechend") zu begründen. Der Kern der Aussage lautet: Der Grund für die Hoffnung liegt nicht in menschlicher Stärke, sondern darin, dass sie auf einer alles übersteigenden Liebestat Gottes für die Menschen beruht. Das Wissen um dieses Handeln Gottes stärkt für die Gegenwart und gibt ihr zugleich in tiefer Glaubensgewissheit eine Zukunft, die auch mit dem Tod nicht endet, sondern alles irdisch Erwartbare übersteigt.
Vers 1a "Gerecht gemacht aus Glauben"
Wie oben bereits gesagt wurde, schließt die Eingangsformulierung der Lesung an das vierte Kapitel an. Dort hat Paulus von dem hoffenden Glauben des Abraham gesprochen. Die konkrete Rede des Paulus vom Glauben "gegen Hoffnung in Hoffnung" (Römer 4,18) nennt der Neutestamentler Michael Theobald einmal "eine seiner glücklichsten Wortschöpfungen" (M. Theobald, Römerbrief Kapitel 1 - 11 [Stuttgarter Kleiner Kommentar Neues Testament 6/1] Stuttgart, 21998, S.132). Ja, es war alles andere als wahrscheinlich und damit zu hoffen, im hohen Alter noch ein Kind zu bekommen. Und doch hat Abraham Gott geglaubt.
In diesem hoffenden Glauben ist Abraham durch Gott selbst bestätigt worden: Gott rechnete diesen Glauben Abraham als "Gerechtigkeit" an. So heißt es bereits in Genesis 15,6 und Paulus zitiert diesen Vers in Römer 4,3: "Denn was sagt die Schrift? Abraham glaubte Gott und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet." Alles, was in Kapitel 4 - also dem vorangehenden Text zur heutigen Lesung - folgt, legt immer wieder nur diesen einen Satz aus. Ja, Gott hat seine Verheißung, dem Erzelternpaar Abraham und Sara einen Sohn zu schenken, in Isaak wirklich wahr gemacht. Diese Zuwendung Gottes zu Abraham, der zwischendurch auch viele Zweifel kannte und Gott sein Versprechen nicht geglaubt hat, setzt Paulus in Verbindung zum Glauben der Christen an den Tod und die Auferweckung Jesu:
23 Doch nicht allein um seinetwillen[gemeint ist Abraham] steht geschrieben: Es [d. h. sein Glaube] wurde ihm [als Gerechtigkeit] angerechnet, 24 sondern auch um unseretwillen, denen es angerechnet werden soll, uns, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat. 25 Wegen unserer Verfehlungen wurde er hingegeben, wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt. (Römer 4,23-25)
Paulus sieht also die Christen in der Spur des Abraham, wobei an die Stelle der Gabe des leiblichen Sohnes Isaak die Gabe des Gottessohnes Jesus tritt. Und an die Stelle der Not langjähriger Kinderlosigkeit bei Abraham und Sara tritt die Not des Menschen, vor Gott immer auch ein Scheiternder zu sein, den Gott jederzeit von sich weisen könnte. Gott tut es aber nicht, sondern sagt zum Menschen trotz allem, was nicht gelingt, sein Ja. Gott hält treu am Menschen fest, den er als Geschöpf ins Leben gesetzt hat.Das nennt Paulus "gerecht machen". "Gerecht" heißt also bei Paulus im Blick auf Gott: treu; im Blick auf den Menschen heißt "gerecht": Er ist von Gott vorbehaltlos angenommen. Das ist für Paulus die große Hoffnungsbotschaft für die, die an diesen den Menschen nie fallen lassenden Gott glauben können.
Vers 1b-2: "Wir leben in Frieden mit Gott"
Die von Gott selbst hergestellte Situation, dass der Mensch angesichts Gottes weder aufgrund seiner Nöte und Sehnsüchte (vgl. Abraham und die Not der Kinderlosigkeit) noch angesichts eines Trümmerhaufens, der sich im Leben unter Umständen ergeben hat, verzweifeln muss, sondern auf Gottes Nähe hoffen darf, nennt Paulus "in Frieden mit Gott leben". "Frieden" ist eine große, alttestamentlich geprägte Vokabel. Das hebräische Wort "schalom" meint keineswegs nur politischen Frieden, sondern Wohlergehen in allen Bereichen. Sich mit jemanden absolut versöhnt zu wissen; also vertrauen zu dürfen, dass der andere nichts gegen mich hat, ist auch eine Dimension des Wohlergehens und damit Friedens, auf die Paulus hier anspielt.
Wenn er in der Fortsetzung vom "Zugang zur Gnade" spricht, so ist dies eine Umschreibung desselben Sachverhalts, nur mit der Bildwelt des Königtums. Wer Zugang zum Thron und damit zum König hatte, hatte dessen Gnade gefunden und durfte auf Hilfe hoffen. Paulus versteht "Gnade" wie einen Ort, an den man sich begeben kann. Und dieses Bild passt, weil "Gnade" für Paulus letztlich Gott selbst ist, insofern er sich gibt. Und dieses "Sich Geben" ist letztlich Gottes Ja zum Menschen ohne Vorbedingung, das er in Tod und Auferweckung Jesu ausgesprochen hat. Das Wort Jesu "Ich bin die Tür" (Johannes 10,7.9) und das Wort des Paulus "Wir haben Zugang zu Gottes Gnade" entsprechen einander.
Vers 5: Die Ausgangsthese
Während die erste Häfte von Vers 5 ("Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen") an die ausgelassenen Verse 3-4 und ihr Thema "Bewährung der hoffnung in Bedrängnis" anknüpft, führt Vers 5b einen neuen Gedanken ein. Er kann als Abschluss der Gedankenführung der Verse 2-3 gelesen werden, funktioniert aber in der Zusammenstellung der Lesung eher wie eine These, die im Folgenden etnfaltet wird:
"Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist" (Röm 5,5b).
Sprachlich leigt hier eine Eigenleistung des Paulus vor. Vom Alten Testament her ist das Bild des "Ausgießens" mit dem Gesit Gottes verbunden (vgl. besonders Joel 3,1-2). Paulus überträgt es auf die Liebe Gottes, während der Geist, der in der Taufe geschenkt wird, die Kraft sit, die diese Liebe Gottes zur inneren Gewissheit werden lässt.
Vers 6: Begründung I
Der Ton von Vers 6 liegt auf den "zu dieser Zeit noch Gottlosen". Er, der Sohn Gottes, nimmt den Tod für die sich von Gott Entfernenden auf sich. Wenn diese Haltung fehlender Zuwendung zu Gott als "Schwäche" bezeichnet wird ("als wir noch schwach waren"), ist das bei Paulus weniger entschuldigend gemeint als vielmehr eine grundsätzliche Orientierung am "Fleisch" , das sich durch Schwäche auszeichnet (Römer 6,19 spricht ausdrücklich vom "schwachen Fleisch"), anstatt am Geist, den Paulus mit Stärke verbindet, die sich z. B. in Freiheit äußert (vgl. z. B. Röm 8,2).
Diesen Einsatz Gottes für die sich von ihm Entfernenden, dieses Ringen Gottes, das den Tod des Sohnes als "Preis" einsetzt, ist für Paulus Liebe.
Verse 7-8: Begründung II
Als Vergleichsfolie schwebt Paulus das römische Freundschaftsideal vor: Dieses mag bereits hohe Einsätze kennen. Aber mehr als die Todesbereitschaft für einen "Gerechten" - ein schillernder Begriff, der alttestamentlich-jüdisch eine nicht steigerbare Aussage der Gottesnähe ist, im Blick auf Rom aber zumindest den meint, der sich nichts hat zu Schulden kommen lassen - wird unter Römern nicht zu finden sein. In Jesus aber nimmt Gott den Tod für die "Ungerechten" auf sich., also für die zuvor "gottlos" genannten Sünder. Das ist nicht nur Freundschaft, sondern Liebe.