Die Taufe verbindet nach Paulus den Menschen mit dem Sterben und der Auferweckung Jesu Christi aus dem Tode. Zugleich unterstellt sie ihn auch einem neuen Lebensprinzip: Nicht das, was nur einem selbst nutzt und dem Anderen schadet, (das meint "Sünde") ist bestimmend, sondern die Liebe, die Jesus vorgelebt hat und sogar in den Tod hat gehen lassen. Damit übernimmt in der Taufe fortan Christus selbst das Sagen.
Vorab-Bemerkung
Wem die heutige Lesung bekannt vorkommt, vertut sich nicht. Der Lesungsabschnitt ist die etwas gekürzte Wiedergabe derselben Perikope, die bereits in der Osternacht als neutestamentliche Lesung (Epistel) vorgetragen wurde. Da zurzeit - nach den Lesungen aus dem Ersten Petrusbrief an den Sonntagen der Osterzeit - die Zweiten Lesungen aus dem Römerbrief genommen sind und die fortlaufende Lektüre des Römerbriefs soeben bei Kapitel 6 angekommen ist, konnte dieser zentrale Abschnitt nicht weggelassen werden. Die Auslegung ist gegenüber der Osternacht nur bezüglich der Auslassungen leicht verändert.
Einordnung der Lesung in den Zusammenhang
Im Römerbrief, in dem Paulus sich der christlichen Gemeinde von Rom vorstellt, die er nicht gegründet hat, demnächst aber besuchen will, widmet er sich in den ersten Kapiteln unter verschiedenen Blickwinkeln dem Phänomen der Sünde. Das klingt wenig einladend und ansprechend, hat aber seinen tiefen Grund. Sünde ist für Paulus ein Menschheitsphänomen. Da gibt es keinen Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden. Diese werden biblisch immer "Heiden" genannt, was aber keine sehr glückliche Bezeichnung ist. Paulus geht es einfach um die Gegenüberstellung der jüdischen Glaubensgemeinschaft, aus der er selbst stammt und die sich auf die Offenbarung der Weisungen Gottes am Berg Sinai stützt (das sog. "Gesetz", oder hebräisch: Torah), und allen anderen Menschen dieser Welt, die die dieses göttliche Gesetz nicht haben bzw. nicht kennen. Die Juden sind "Sünder", weil kein Mensch das göttliche Gesetz aufgrund seiner menschlichen Schwachheit vollkommen einhalten kann. Die "Heiden" haben zumindest aus ihrem Gewissen heraus ein Gespür für Gut und Böse, sind aber genau so zu schwach, immer nur das Gute zu tun.
Dieser - je nach Sichtweise - realistischen oder pessimistischen Sicht vom Menschen stellt Paulus eine These entgegen: Auch wenn gilt: "Es gibt keinen, der gerecht ist, auch nicht einen" (Röm 3,10) - d. h.: es gibt faktisch keinen, der nicht sündigt -, gilt auch: "Umsonst werden sie [das sind: alle, die glauben] gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus" (Röm 3,24) - also: Vor Gott besteht jeder trotz seiner Sünde, wenn er glaubt. Ohne die dahinter stehenden Gedanken hier darlegen zu können, könnte aus dieser Wendung ins Positive ein Missverständnis entstehen, das in der Gemeinde von Rom entweder tatsächlich vorkam oder von Paulus nur vermutet wird. Paulus kleidet es in eine Frage: "Sollen wir an der Sünde festhalten, damit die Gnade umso mächtiger werde?" (Röm 6,1). Genau auf diese Frage und die damit angefragte Position: "Wenn Gott uns in Jesu Tod und Auferweckung eh vergeben hat, können wir auch fleißig weiter sündigen." antwortet Paulus mit dem Abschnitt der Lesung.
Verse 3-4: Mitsterben und Mitleben I
Sein Argument ist dabei die Taufe. Sehr überraschend deutet Paulus sie nicht einfach als Aufnahme in die Gemeinschaft der Christen, auch nicht als Reinigung (z. B. von Sünden) - was der Gebrauch des Wassers nahelegen könnte. Vielmehr ist sie ein Hineinnehmen (nicht Nachspielen) des Täuflings in das Heilsgeschehen von Tod und Auferweckung Jesu. Das Eintauchen in das Wasser - im Ursprung ein wirkliches vollständiges Tauchbad in einem Bodenbecken (s. Kunst etc.) - symbolisiert Tod und Begräbnis. Das Wiederauftauchen symbolisiert die Neugeburt des "Toten", seine Auferweckung als neuer Mensch.
Scheinbar hat diese tiefe Deutung der Taufe noch nichts mit der Ausgangsfrage nach dem "Weitersündigen" zu tun. Es geht erst einmal um die Bedeutung der Auferweckung Jesu für eine/n jede/n Glaubende/n. Die Rettung Jesu aus dem Tode ist nicht etwas, was nur ihm galt, sondern in Jesus sagt Gott die Auferweckung zum ewigen Leben einem jeden zu, der an ihn und Jesus Christus glaubt. Der Mensch darf also in der Hoffnung auf sowie in der Vorfreude über seine unendliche Zukunft bei Gott leben - schon jetzt. Das sagt die Taufe ihm zu.
Verse 8-9: Mitsterben und Mitleben II
Im Grunde wiederholen die Verse 8-9 das in Vers 3-4 Gesagte, oder besser: Sie verstärken es. Dabei entsprechen sich die beiden Verspaare spiegelbildlich:
Das innere Entsprechungspaar bilden die Verse 4 und 8. Im Vordergrund steht das Thema Auferweckung und ewiges Leben als eigentliche Zielbestimmung sowohl Christi selbst als auch derer, die an ihn glauben.
Verse 4 und 8 betonen mehr den Tod, ohne den es keine Auferweckung geben kann. Auffallend ist in diesen beiden Versen die Rede vom "Wissen", das nicht naturwissenschaftliche Beweisbarkeit, sondern eine tiefe Glaubensgewissheit meint. Paulus trägt diesen zur "Wissens-Gewissheit" gewordenen Glauben mit sich aufgrund einer ihn offensichtlich innerlich erschütternden, persönlichen Christuserfahrung. Von dieser berichtet er selbst im Galaterbrief mit den nüchternen Worten, dass Gott "in ihm" (also im innersten des Paulus) seinen Sohn offenbart habe (Galater 1,15-16). Darüber hinaus hat er diesen Glauben in der Jerusalemer Urgemeinde durch die Weggefährten Jesu sowie in der christlichen Gemeinde von Antiochien durch die allerersten "Neubekehrten" kennengelernt. Und diesen zur "Wissengewissheit" gewordenen Glauben von der Heilsbedeutung von Tod und Auferweckung Jesu setzt er auch bei den römischen Christen voraus, auch wenn diese Gemeinde durch andere Missionare als ihn begründet worden ist.
Dass Paulus sich auf so kurzem Raum wiederholt, erklärt sich durch die für die Lesung fortgelassenen Verse 5-7. In ihnen hat er übergeleitet zum eigentlichen Hintergrundthema "Sünde" (s. o. unter "Einordnung der Lesung in den Zusammenhang). Um aber deutlich zu machen, dass beide Themenbereiche - Tod und Auferweckung einerseits und Sünde bzw. Befreiung von der Sünde andererseits - einen engen Zusammenhang bilden, wobei Tod und Auferweckung das eigentliche Fundament bedeuten, wird dieses noch einmal in Erinnerung gerufen.
Verse 10-11: Den falschen Wegen "absterben"
Die Verse 10-11 führen aus der eher "theoretischen" Betrachtung des Zusammenhangs von Sterben und Auferweckung, Sünde und Befreiung daraus, der der Taufe ihren eigentlichen Sinn gibt, auf die Ebene der Handlung: Die Taufe bewirkt und symbolisiert nicht nur einen Wechsel von der Endlichkeit ("Mit dem Tod ist alles aus") zur Ewigkeit ("Der Tod ist die Pforte zum ewigen Leben."), sondern auch einen Herrschaftswechsel: Nicht Willensschwäche und Sünde beherrschen den Menschen, sondern Christus und die Entschlossenheit, ihm im Handeln zu folgen. Darin liegt ein Auftrag, der sich von anderen Paulusworten her umschreiben kann: Wer den gekreuzigten und auferweckten Christus als Herrn anerkennt, wird im Handeln - wie Christus selbst - von sich selbst absehen zugunsten des Anderen. "Den anderen höher schätzen als sich selbst" nennt Paulus das in Philipper 2,3.
Diese zweite Wandlung des Menschen in der Taufe - der Herrschaftswechsel - schließt damit die Idee eines "fröhlichen Weitersündigens", also das "Sich selbst höher schätzen als den anderen" aus (vgl. dazu Römer 6,15: "Was heißt das nun? Sollen wir sündigen, weil wir nicht unter dem Gesetz stehen, sondern unter der Gnade? Keineswegs!"). Sie würde geradezu widerlegen, dass man zu Christus gehören will. Anders gesagt: Wer sündigt, kann sich nicht rechtfertigend auf das Ostergeheimnis berufen. Andererseits gilt: Genau wegen dieses Ostergeheimnisses von Tod und Auferweckung Jesu dürfen die Glaubenden hoffen, dennoch am Ende nicht von Gott verworfen zu werden.