Lesejahr A: 2022/2023

Evangelium (Lk 2,16-21)

16So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag.

17Als sie es sahen, erzählten sie von dem Wort, das ihnen über dieses Kind gesagt worden war.

18Und alle, die es hörten, staunten über das, was ihnen von den Hirten erzählt wurde.

19Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen.

20Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war.

21Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, bevor das Kind im Mutterleib empfangen war.

Überblick

Freudig weitererzählen oder sich bewusst erinnern? Die Begegnung mit Gott im neugeborenen Kind in Bethlehem und die Botschaft der Engel über die Bedeutung dieses Kindes fragen jeden nach seiner Weise, mit dem Erlebten umzugehen.

1. Verortung im Evangelium

Zwischen der Botschaft der Engel an die Hirten und der prophetischen Begegnung der Eltern Jesu mit Hanna und Simeon im Tempel von Jerusalem schildert der Evangelist Lukas den Besuch und die Reaktion der Hirten an der Krippe.

 

 

2. Aufbau

Vers 16 stellt die Verbindung zur Verkündigung der Engel an die Hirten und deren Besuch beim Neugeborenen her. Die Verse 17-20 widmen sich den unterschiedlichen Reaktionen auf das Geschehen an der Krippe, wobei Vers 20 zugleich die Episode mit den Hirten abrundet. Vers 21 fasst als abschließende Notiz den kurzen Zeitraum der ersten Woche im Leben Jesu zusammen und leitet über zur Darstellung im Tempel (Lukasevangelium (Lk) 2,22-40).

 

 

3. Erklärung einzelner Verse

Vers 16: Bisher wissen explizit nur Maria und die Hirten, was es mit der Geburt des Kindes auf sich hat. Beiden hat der Engel verkündet, welche Bedeutung das Kind in der Krippe hat: Sohn des Höchsten (Lk 1,32), Sohn Gottes (Lk 1,35), der Retter, Christus der Herr (Lk 2,11). Beiden war mit der Verkündigung der Geburt ein Zeichen anvertraut worden: Maria bekam die späte Schwangerschaft Elisabeths als Zeichen dafür, dass bei Gott nichts unmöglich ist (Lk 1,36). Die Hirten sollten das Kind an einem außergewöhnlichen Ort finden, um sicher zu sein, dass die Botschaft der Engel wahr ist (Lk 2,12).
Geschickt führt Lukas nun diese beiden Episoden und Wissenden zusammen. So wie Maria eilends aufgebrochen ist, um zu ihrer Verwandten Elisabeth zu kommen, so brechen auch die Hirten eilends auf, um nach Bethlehem zu gelangen. Die Neugier, das angekündigte Zeichen bestätigt zu finden, lässt sie eilen und macht einen Aufschub unmöglich. Der Evangelist Lukas nutzt das Wort „eilen“ häufiger, so auch in Lk 19,5 und 6, wenn es um Zachäus geht, der eilends vom Baum herabsteigen soll und es auch tut. Oder zur Charakterisierung des Auftrags des Apostels Paulus in Apostelgeschichte 20,16 und 22,18. Die Begegnung mit Gott, seinem Boten oder Jesus Christus und die Erfüllung eines göttlichen Auftrags dulden laut Lukas keinen Aufschub, man reagiert eilends auf sie.

 

Verse 17-18: Die Hirten sind im Lukasevangelium die ersten, die etwas von der Geburt Jesu und deren Bedeutung erzählen und überhaupt über ihre himmlischen Begegnungen sprechen. Maria und Zacharias hatten bei den Ankündigungen der Geburt Jesu und Johannes‘ des Täufers anschließend niemandem von der expliziten Botschaft des Engels weitererzählt. Die Hirten handeln anders, sie erzählen von dem, was über das Neugeborene gesagt worden ist. Durch die Formulierung „alle, die es hörten“ macht Lukas deutlich, dass viele Menschen, durch die Kunde der Hirten von der Geburt des Christus, des Retters in Bethlehem gehört haben müssen.

 

Vers 19: Offenbar ist es Lukas wichtig zu zeigen, dass Maria anders reagiert als vielleicht zu erwarten ist. Nachdem die Hirten über die Mitteilung des Engels an sie gesprochen haben, könnte auch Maria von den Worten Gabriels berichten. Sie handelt aber nicht so, sondern bewahrt vielmehr „alle diese Worte“ in ihrem Herzen. Damit ist die Botschaft der Engel an die Hirten genauso gemeint, wie die Botschaft des Engels Gabriel an sie.

 

Vers 20: Die Rückkehr der Hirten zu ihren Feldern rundet die Episode mit den Hirten ab. Der Lobpreis Gottes angesichts wundervoller Taten ist im Lukasevangelium eine typische Notiz am Ende von Heilungsgeschichten. So heißt es am Ende der Heilung des Gelähmten in Lk 5,25-26: „Und sogleich stand der Gelähmte vor ihren Augen auf, nahm das Bett, auf dem er gelegen hatte, und ging Gott preisend in sein Haus. Da gerieten alle außer sich; sie priesen Gott und sagten voller Furcht: Heute haben wir Unglaubliches gesehen.“
Der Evangelist Lukas ergänzt den Lobpreis um einen wichtigen Verweis: die Hirten berichten über das, was sie gehört und gesehen haben. Damit führt Lukas die beiden Teile der Hirtengeschichte zusammen: Erscheinung und Verkündigung durch die Engel und Auffinden des Kindes in der Krippe.

 

Vers 21: Mit diesem Vers endet die Zeit in Bethlehem, er schließt an Vers 7 an und macht deutlich, dass alles was dazwischen geschah, sich innerhalb weniger Stunden oder eines Tages abspielte. Die folgenden Tage bis zum achten Tag nach der Geburt fasst Lukas zusammen. Wichtig ist nun noch einmal, dass entsprechend der Weisung des Engels in Lk 1,31 gehandelt wird. Am Tag der Beschneidung wird der Name des Kindes kundgetan, so wird es auch bei Johannes dem Täufer berichtet (vgl. Lk 1,59).

Auslegung

Der Evangelist Lukas führt die beiden Erzählstränge rund um die Geburt Jesu zusammen. Zunächst hatte er den Fokus ganz auf das Geschehen im Stall gelegt (Lk 2,1-7), dann waren die Hirten im Mittelpunkt der Erzählung (Lk 2,8-15). Nun also treffen beide Gruppen, die Heilige Familie und die Hirten, zusammen. In beiden Gruppen gibt es ein Wissen, um die Besonderheit der Situation, denn zweimal hat ein Engel die Bedeutung des Kindes angekündigt. Maria ist durch den Besuch des Engels Gabriel nicht nur informiert über die Aufgabe, die ihr Gott anvertraut, sondern weiß auch um die besondere Herkunft und den Auftrag des Kindes. Die Hirten haben gerade eben von den Engeln erfahren, wer dort in Bethlehem geboren worden ist.

Geprägt ist die Erzählung am Stall von Bethlehem von der Wahrnehmung des Ereignisses und der Reaktion darauf. So kombiniert Lukas „hören“, „sehen“, „weitersagen“ und „sich erinnern“ bewusst miteinander. Um Gottes Weisung an den Menschen zu verstehen, um Gottes Gegenwart in Jesus Christus zu begreifen, braucht es die verschiedenen Wahrnehmungsformen des Menschen. Wenn Lukas in den ersten Erzählungen seines Evangeliums hören und sehen, Weisung der Engel und sichtbares Zeichen immer wieder miteinander verbindet, legt er besonderen Wert darauf, diese unterschiedlichen Aufnahmeformen der Begegnung mit dem Göttlichen zu betonen. Er legt damit auch nahe, dass die menschliche Wahrnehmung in der Lage ist, Gott auf verschiedene Weise zu begegnen. Spannend ist, dass auch in einer der letzten Erzählungen des Evangeliums diese beiden Komponenten noch einmal sehr deutlich miteinander verknüpft werden. Die Augen der Emmausjünger „öffnen“ sich und sie erkennen den Auferstandenen, als sie sehen, wie er das Brot bricht. Und sie erinnern sich dann an das, was sie unterwegs mit ihm besprochen haben und was ihr Herz zum Brennen, zum Erkennen brachte (Lk 24,30-32). Auch als sie den anderen Jüngern von ihrer Begegnung Jesus Christus berichten, erzählen sie vom Geschehen auf dem Weg und dem Brechen des Brotes.

So wie Lukas die verschiedenen Wahrnehmungsformen benennt, so benennt er auch unterschiedliche Weisen, mit dem Erfahrenen umzugehen. Weitererzählen wie die Hirten (oder viele Geheilte im Evangelium) und im Herzen bewahren und sich erinnern schließen sich nicht aus, ja bedingen sich sogar. Nur das, woran ich mich erinnere, das kann ich weitererzählen. Und nur was ich weitererzähle, das bleibt lebendig und in Erinnerung. Die Betonung des Evangelisten, dass Maria die Worte (und damit wohl auch das Erlebte) in ihrem Herzen bewahrt, zeichnet sie als eine Person, die sich ganz bewusst Zeit nimmt, zu verstehen und den Sinn des Gehörten und Erlebten zu erfassen und womöglich auch die verschiedenen Eindrücke zusammenzufügen. Sie hat ja nicht nur die Worte der Hirten, sondern auch die des Engels an sie im Ohr und wird wenig später noch mit der Weissagung des Simeon konfrontiert. All das, gut miteinander zu verbinden und es zu begreifen, dafür nimmt sie sich die Zeit. Für die Hirten hingegen war die einmalige Botschaft der Engel mitten in der Nacht vollkommen unerwartet, sie laufen nach Bethlehem, finden das Kind und damit die Kunde bestätigt. Nun müssen sie von diesem völlig verblüffenden Ereignis berichten.

Kunst etc.

Im Gemälde von El Greco aus dem 17. Jahrhundert bringen die Engel über dem Stall ins Bild, was die Hirten weitergeben: Die Kunde vom geborenen Messias, der in Windeln in einer Krippe liegt. Das Schriftband in ihren Händen wiederholt den Lobpreis auf Gottes Größe.