Eine Gebotsübertretung führt zu dem menschlichen Leben außerhalb des Paradieses. Im Garten Eden versuchen die Menschen die Verantwortung für ihre Taten von sich auf andere abzuwälzen – doch Schuld tragen alle Beteiligten.
1. Verortung im Buch
„Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe es war sehr gut“, so urteilt der Erzähler im ersten Schöpfungsbericht am sechsten Tag, nachdem Gott abschließend den Menschen als Mann und Frau erschaffen hatte (Genesis 1,31). Der darauffolgende zweite Schöpfungsbericht wirft eine andere Perspektive auf den Anfang der Welt und der Menschheit. Nochmals wird die Schöpfung der Welt erzählt, aber diesmal endet sie in der Vertreibung aus dem Paradies (Genesis 3,23-24). Auch der Ausgangspunkt dieser Erzählung ist ein anderer. Der Mensch wird nicht als Ebenbild Gottes erschaffen (Genesis 1,26), sondern der Mensch wurde erschaffen, um den Erdboden zu bearbeiten (Genesis 2,5). Während der erste Schöpfungsbericht das Ideal beschreibt, erklärt der zweite Schöpfungsbericht, warum die Welt so ist, wie sie ist. Die Harmonie wird gestört, weil die Menschen, die Frucht von dem Baum der Erkenntnis von Gute und Böse essen, obwohl Gott ihnen dies verboten hat (Genesis 2.17). Dadurch wandelt sich die Existenz des Menschen. Vorher waren sie nackt und schämten sich nicht (Genesis 2,25), nach der Gebotsübertretung fürchten sie sich, weil sie nackt sind (Genesis 3,10). Der Mensch kann nun zwischen gut und böse unterscheiden, doch direkt entscheidet sich ein Mensch zum Brudermord (Genesis 4,7-8). Und Gott kommt zu der Erkenntnis, das der Mensch nach dem Schlechten und Bösen trachtet, anstatt nach dem Guten: „Der HERR sah, dass auf der Erde die Bosheit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war.“ (Genesis 6,5).
Zu Beginn des zweiten Schöpfungsberichtes (Genesis 2,4-3,24) steht die Schöpfung des Menschen und seine Versorgung im Mittelpunkt. Der Mensch wird erschaffen (Genesis 2,7) und in dem für ihn angelegten Garten wird die Frau hervorgebracht (Verse 21-22), wodurch der Mensch erst „komplett“, die Menschenschöpfung abgeschlossen ist (vgl. Vers 18). Mit dem unvermittelten Auftritt der Schlange in Genesis 3,1 beginnt der zweite Teil. In dessen Zentrum stehen weder der zuerst geschaffene Mensch noch Gott, sondern die Schlange und die Frau – und ihr Dialog über die Erkenntnis, an dessen Ende, der sogenannten Sündenfall steht, der zur Verfluchung des Ackerbodens um des Menschen willen führt. Am Ende erfolgt die harte Erkenntnis der Realität: der Mensch wird ein hartes Leben führen, um sich vom Ackerboden ernähren zu können – und dann selbst zu Staub und Erde zu zerfallen (Genesis 3,19 und 23).
Eine Gesamtauslegung des zweiten Schöpfungsberichtes, bzw. der Sündenfallgeschichte bieten Werner Kleine und Till Magnus Steiner in ihrem Video: Gott sei Dank! Ein Sündenfall! Am ersten Sonntag der österlichen Bußzeit wird Genesis 2,7-9; 3,1-7 verkündet – die Kommentierung dieser Verse finden Sie hier.
2. Aufbau
Der zweite Schöpfungsbericht erzählt, wie es zur Menschheit kam, und warum sie so lebt, wie sie lebt. Nach der Gebotsübertretung wandelt sich der Lob des Mannes über seine Frau (Genesis 2,23) zum Vorwurf an Gott: „Die Frau, die du mir beigestellt hast, sie hat mir vom Baum gegeben.“ (Genesis 3,12). Doch am Ende kehrt der Mann wieder zum Lob seiner Frau zurück: „Der Mensch gab seiner Frau den Namen Eva, Leben, denn sie wurde die Mutter aller Lebendingen.“ (Genesis 3,20).
Die Frau und der Mensch haben das einzig geltende Gebot im Paradies nicht beachtet. In Genesis 2,16-17 gebot Gott dem Menschen: „Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn am Tag, da du davon isst, wirst du sterben.“ Nachdem Gespräch mit der Schlange (Genesis 3,1-5), übertritt die Frau und mit ihr der Mensch dieses Gebot: „Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und begehrenswert war, um klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß.“ (Vers 6). In den Versen 8-24 wird ausführlich die Ahndung erzählt. Die Entdeckung der Tat durch Gott und das folgende Verhör, bzw. Befragung samt der Verteidigung des Menschenpaares wird in den Versen 8-13 erzählt. Das Urteil über die Schlange, die Frau und den Menschen wird in den Versen 14-19 in drei einzelnen Strafsprüchen verkündet und darauf folgt die Vertreibung aus dem Paradies (Verse 20-24).
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 9: In der Frage Gottes an den Menschen „Wo bist du?“ zeigt, sich dass er ein sich kümmernder Gott ist. Die Frage ist nötig geworden, wegen der sich nach dem sogenannten Sündenfall ergebenden Distanz zwischen Gott und dem Menschenpaar: „Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz. Als sie an den Schritten hörten, dass sich Gott, der HERR, beim Tagwind im Garten erging, versteckten sich der Mensch und seine Frau vor Gott, dem HERRN, inmitten der Bäume des Gartens.“ (Verse 7-8). Die Schlange hatte der Frau zuvor verheißen, dass das Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis zur Erlangung eines „Wissens wie Gott“ führen würde. Dass die Erkenntnis von Gut und Böse jedoch ein Lernprozess ist verdeutlicht sich im nächsten folgenden Gespräch zwischen Gott und dem Mann und dann der Frau. Im Alten Testament markiert diese Erkenntnis den Übergang aus der Kindheit in das Erwachsensein (siehe Deuteronomium 1,39). In einem ersten Schritt aus der Naivität legen somit der Mensch und die Frau ihre kindliche Schamlosigkeit ab und sie sehen sich selbst, wie sie sind: nackt. Dieses Schamgefühl können sie gegenüber Gott aber mit den Feigenblättern nicht einfach überdecken.
Der in der Übersetzung schwierige Umstand, dass man mit „der Mensch und seine Frau“ übersetzen muss, ist der Tatsache geschuldet, dass der hebräische Text hier den Begriff הָאָדָם (gesprochen: haAdam) samt Artikel benutzt, aus dem sich später der Name Adam für den ersten Mann der Weltgeschichte entwickelt.
Vers 10: Die Schutzbedürftigkeit vor Gott signalisiert die Vertrautheit mit Gut und Böse. Er erkennt, dass er vor Gott nicht bestehen kann. Der Mensch beantwortet nicht die Frage Gottes, sondern erklärt das Motiv, warum er sich versteckt. Vielleicht deutet sich dadurch bereits an, dass jeder Einzelne für seine Taten vor Gott verantwortlich ist. Seine Antwort beschreibt, dass etwas anders geworden ist in seinem Verhältnis zu Gott. Die Furcht tritt zwischen Gott und den Menschen. Das verwendete hebräische Verb אירא (gesprochen: ira) kann sowohl eine Angst als auch eine Ehrfurcht beschreiben. Aus der selben Wortwurzel wird der Begriff der Gottesfurcht (יראת אלהים, gesprochen: jirat Elohim) gebildet – und die Frucht JHWH ist bekanntlich der Anfang der Erkenntnis (Sprichwörter 1,7). Er fürchtet sich. Hier zeigt sich erstmals in der Geschichte das Motiv der Gottesfurcht.
Vers 11: Der Mensch ist sich seiner Schuld nicht bewusst, sondern erst die Frage Gottes legt die Verfehlung offen.
Vers 12: Der Mensch übernimmt keine Verantwortung für sein Handeln, auch wenn er zugibt, dass er das Gebot nicht eingehalten hat: „… ich habe gegessen.“ Gott gibt durch seine Fragen dem Menschen die Möglichkeit sich zu erklären, doch dieser nutzt dies nur um sich zu verteidigen, bzw. die Schuld abzuwälzen. Das, was der Mensch antwortet, entspricht der vorherigen Erzählung, aber er übernimmt für seine Tat keine Verantwortung. Er verweist nicht nur auf das Handeln der Frau, so wie es nachher der Weisheitslehrer Jesus Sirach mit einer frauenfeindlichen Aussage ebenso tut: „Von einer Frau kommt der Anfang der Sünde und durch sie sterben wir alle.“ (Sirach 25,24). Der Mensch geht noch einen Schritt weiter und klagt Gott selbst an. Er macht Gott indirekt verantwortlich für seine Tat, da er sie ihm „beigesellt hat“.
Vers 13: Der Bezugspunkt der Frage Gottes ist offen. Bezieht sich „Was hast Du getan?“ nur das Geben der Frucht an den Mann oder auch darauf, dass sie selbst vom Baum gegessen hat. Auch die Frau bestreitet die Tat nicht. Doch auch sie versucht die Verantwortung von sich abzuwälzen. Die Aussage, dass die Schlange die Frau verführt hätte, ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Die Schlange sagt im Gespräch mit der Frau die Wahrheit und die Frau – paradoxerweise ohne die Fähigkeit zwischen gut und böse unterscheiden zu können – entscheidet sich dazu, von dem Baum zu essen: „Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der HERR, gemacht hatte. Sie sagte zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben. Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben.Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse. Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und begehrenswert war, um klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß.“ (Verse 1-6).
Vers 14: Die Schlange wird von Gott nicht befragt. So wird nicht erklärt, warum die Schlange so handelte, wie sie es tat. Und somit bleibt der Ursprung des Bösen, bzw. der Anstiftung zur Gebotsübertretung ungeklärt. Sie wird aber wie die Frau (Vers 16) und der Mensch (Verse 17-19) im Folgenden bestraft. Ihre Strafe fällt jedoch drastischer aus, da sie von Gott verflucht und somit von allen anderen Tieren abgesondert wird. Dass Gott selbst jemanden verflucht, wird nur hier und in Genesis 4,1 erzählt. Dass die Schlange „auf dem Bauch kriecht“ ist, eine naturkundliche Eigenart. Das Buch Levitikus kennt eine ganze Kategorie von Tieren, die auf dem Bauch kriechen (Levitikus 11,42). Die Strafe ist das Staub-Fressen. Das hebräische Wort עפר ( „Staub“, gesprochen: afar), verweist auf die Aussage in Genesis 2,7, dass der Mensch aus dem Staub auf dem Erdboden geformt wurde und gemäß Genesis 3,14 wieder zu Staub werden wird – und so wird eine direkte Verbindung zwischen der Schlange und dem Tod hergestellt. In assyrischen Texten findet sich die Verfluchung: „Staub mögen sie fressen!“ Die Schlange wird zum Todessymbol, die gemäß Jesaja 65,25 selbst in der Heilszeit noch Staub fressen werde.
Vers 15: Die zwischen der Schlange samt all ihrer Nachkommen und der Frau, samt ihrer Nachkommen (d.h. der Menscheit) gesetzt Feindschaft ist dauerhaft, todgefährlich und wechselseitig. Im Hebräischen liegt ein Wortspiel vor, dass diese beidseitig verdeutlicht; man könnte auch übersetzen: „Er attackiert dich am Kopf und du attackiert ihn an der Ferse.“ Während im ersten Teil des Verses die Schlange samt ihrer Nachkommenschaft sowie die Frau samt ihrer Nachkommenschaft genannt wird, wird im letzten Teil die Schlange im Singular direkt angesprochen und ins Verhältnis mit der Nachkommenschaft der Frau gesetzt: „Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse.“ Die Deutung der Schlange im Buch der Weisheit als Satan (siehe Weisheit 2,23-25; vgl. auch Römer 16,20) führte beim Kirchenvater Irenäus von Lyon († um 200) zur christologischen Deutung, dass Jesus als der verheißene Nachkomme den endzeitlichen Sieg über den Satan bringt (Adversus haereses III 23,7). Daher wird Gen 3,15 in der kirchlichen Tradition oft auch als Proto-Evangelium bezeichnet, wobei das Zertreten der Schlange, bzw. des Satans entweder Maria oder Jesus zugeschrieben wird.
Vers 20: Der Mann reagiert auf die benannten strafenden Folgen mit einem Lobspruch auf seine Frau und nimmt die neuen Gegebenheiten somit an.