Einordnung des 8. Kapitels in den Römerbrief
Das 8. Kapitel des Römerbriefs schließt die Ausführungen des Apostels Paulus in Römer 5 - 8 zu einer These ab, die er in Römer 5,1 formuliert hat:
"Gerecht gemacht also aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn."
Nachdem Kapitel 5 in sehr komplexer Gedankenstruktur entwickelt hat, inwiefern unser "Friede" (als eine Beschreibung unserer Gottesbeziehung, also nicht der weltlich-politischen Verhältnisse) "durch Christus Jesus" bewirkt ist, folgt in Kapitel 6 eine Belehrung über die Taufe als dem Geschehen, in dem Christus Jesus und Mensch zusammenkommen. Die Taufe ist einerseits die innere Annahme des in 5,1 formulierten Bekenntisses durch den Täufling und andererseits ein Wirksamwerden des gerecht machenden Handelns Gottes durch Christus Jesus, auf den hin ja die Taufe erfolgt. Besonders im Blick auf die aus dem Judentum stammenden Christen der römischen Gemeinde geht Paulus im 7. Kapitel der Frage nach der Rolle des Gesetzes nach. Vereinfacht gefragt: Ist die Weisung Gottes, die durch Mose zum Volk Israel gekommen und im Pentateuch (5 Bücher Mose/Tora) Schrift geworden ist, überflüssig oder gar schlecht? Ohne hier auf die Antwort des Paulus eingehen zu können und zu müssen, ist nicht erwartbar, dass der Jude Paulus das Gesetz derart verwirft. Als Wort Gottes spricht er ihm vielmehr "Geist" zu:
"Wir wissen nämlich, dass das Gesetz selbst vom Geist bestimmt ist" (Röm 7,14).
Damit ist ein neues Leitwort eingeführt, das für das Kapitel 8 und damit auch für die Lesung des heutigen Sonntags bestimmend ist: "Geist".
In rhetorischer Meisterleistung schlägt Paulus die Brücke zwischen dem Thema "Gesetz" und dem neuen Thema "Leben aus dem Geist" in Römer 8,2:
"Denn das Gesetz des Geistes und des Lebens in Christus Jesus hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes."
An dieser Formulierung fällt auf, dass Paulus nach einer langen Ich-Rede im zweiten Teil von Kapitel 7 zur Anrede "du" übergeht, mit der er jede und jeden Einzelnen seiner Adressat/innen anspricht. Diese Perspektive ändert sich noch einmal mit Beginn der heutigen Lesung. Denn ab Vers 9 lautet die Anrede "ihr". Es geht nicht um individuelle Aspekte der Gottes- und Christusbeziehung, sondern um das Leben der Gemeinschaft der "im Frieden mit Gott" Stehenden, die sich "aus Glauben" verstehen.
Ein erster Gang durch die Lesung (Römer 8,9.11-13)
In Parallele zum oben zitierten Vers 7,14 ("Wir wissen nämlich, dass das Gesetz selbst vom Geist bestimmt ist") heißt es in Vers 9:
"Ihr aber seid nicht vom Fleisch, sondern vom Geist bestimmt, ...".
Angespielt wird damit auf die Lebenszäsur der Taufe, die für Paulus einen Sphärenwechsel bedeutet: Aus der Sphäre des Unheils = "Fleisch" (im Sinne von Selbstversklavung an Irdisch-Vergängliches/Unfreiheit, bösen Taten und Tod als perspektivloses Ende) wechselt der Täufling mit seiner Unterstellung unter Gott und Christus in die Sphäre des Heils, für die der Geist steht. Dieser Geist steht wiederum für Leben schaffen (Schöpfergott), sich selbst bis in die Ohnmacht hinein entäußernde Liebe (Kreuzestod Jesu) und ewiges Leben (Auferweckung Jesu).
Festzuhalten ist: Paulus formuliert weder eine Forderung noch eine Mahnung, sondern spricht den Vollzug dieses Wechsels "aus Glauben" (s. o. Römer 5,1) den römischen Christen anerkennend und ermutigend zu.
Der ausgelassene Vers 10 weitet den Gedanken auf die Sündenthematik hin aus. Sie spielt in den für die Lesung ausgewählten Versen keine ausdrückliche Rolle und wurde wohl deshalb übersprungen.
Vers 11 nennt die Konsequenz der Geisterfülltheit - wobei es um den Geist Gottes und den Geist Jesu Christi als ein und denselben Geist geht, nicht hingegen um den menschlichen Geist im Sinne seiner Vernunft o. ä. - im Blick auf das Leben nach dem Tode: Der Geist, also die Schöpferkraft Gottes, die den am Kreuz Getöteten zu neuem Leben erweckt hat, wirkt auch in denen, die sich zu diesem Gott bekennen. Sie wirkt jetzt und wird auch sie einst zum ewigen Leben erwecken. Für die Christinnen und Christen ist dabei die entscheidende Vermittlungsgestalt zwischen Gott und ihnen Jesus Christus, in dem Gott sich nach christlichem Glauben gezeigt hat und auf dessen Tod und Auferstehung hin die Taufe erfolgt (vgl. Römer 6,3-4: "3 Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? 4 Wir wurden ja mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit auch wir, so wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, in der Wirklichkeit des neuen Lebens wandeln.").
Die Verse 12-13 wechseln vom "ihr" zum "wir" (Paulus belehrt also nicht nur, sondern bezieht sich selbst mit ein) und lenkt nun den Blick vom Jenseits (ewiges Leben nach unserem biologischen Tod: Vers 11) auf das Diesseits: Das Vertrauen auf den Geist bedeutet zugleich eine Kappung aller Fleischgebundenheit (s. o. zu Vers 9 das Stichwort "Selbstversklavung").
Damit ist ein Doppelpunkt gesetzt. Denn Paulus wird erst in den Versen 14-39 entfalten, was das konkret für die irdische Existenz des Menschen bedeutet: ein Leben in unerschütterlicher Hoffnung, im Bewusstsein unzerstörbaren Angenommenseins durch Gott und in absoluter Angstlosigkeit.