Der ideale Herrscher strebt nicht nach Macht, sondern bittet um „ein hörendes Herz“, sodass er zwischen Gut und Böse unterscheiden kann.
1. Verortung im Buch
Salomo ist der Nachfolger König Davids auf dem Thron Israels. Die anfänglich umstrittene Thronfolge, samt Bruderzwist und blutiger Machtdurchsetzung, ist durchstanden (1 Könige 1-2). Nun stehen die Verheißung und Erfüllung seiner sagenumwobene Weisheit sowie sein unvergleichlicher Reichtum bis 1 Könige 5,14 im Mittelpunkt. Im Traum in Gibeon wird Salomo zu einem prophetischen Weisen, dessen Handeln von Gott inspiriert ist. Auf diesem Hintergrund ist seine in 1 Kön 11 erzählte Sünde ein radikaler Bruch mit seinem ihn umsorgenden Gott.
2. Aufbau
Es ist das erste erzählte, direkte Gotteswort an Salomo, und es ist nicht fordernd, sondern offen: „Bitte, was ich dir geben soll!“ (Vers 5). Salomo antwortet mit einer langen Rede und einer demütigen Bitte (Verse 6-9), die Gott nicht nur erfüllt (Verse 10-12), sondern übererfüllt und mit einer Warnung verbindet: „Aber auch das, was du nicht erbeten hast, will ich dir geben: Reichtum und Ehre, sodass zu deinen Lebzeiten keiner unter den Königen dir gleicht. Wenn du auf meinen Wegen gehst, meine Gesetze und Gebote bewahrst wie dein Vater David, dann schenke ich dir ein langes Leben.“ (Verse 13-14).
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 5: Nicht in Jerusalem, sondern in Gibeon erscheint Gott dem neuen König Salomo – das ist zweifach bemerkenswert: (1.) Gibeon, wahrscheinlich 9km nordwestlich von Jerusalem gelegen, war eine zeitlang vermutlich die Residenzstadt von König Saul, der von Gott verworfen worden warr und an dessen Stelle Salomos Vater, König David, eingesetzt wurde. (2.) In den Versen 2-3 entschuldigt der Erzähler ausdrücklich Salomo, der auf der Kulthöhe in Gibeon opferte und nicht in Jerusalem, wo die Bundeslade Gottes in jener Zeit stand. Nach der Traumoffenbarung ist es sodann der erste „weise“ Entschluss Salomos, dass er zurück nach Jerusalem eilt, um dort – am rechtmäßigen Ort – zu opfern (Vers 15). Somit deutet sich bereits hier eine Korrektur Salomos verhalten an. Das Lebenswerk Salomos, der Bau des Tempels in Jerusalem, beginnt sozusagen mit der Abkehr von den Kulthügeln. Dass Gott ihm nun in Gibeon in einem Traum erscheint, ist im Alten Testament und auch dessen Umfeld nichts besonderes, sondern eine übliche Kommunikationsform Gottes mit seinen Propheten und Königen (vgl. Numeri 12,6).
Vers 7: Salomo war, als er den Thron bestieg, kein Kind mehr. Sein Sohn Rehabeam, der ihm auf dem Thron nachfolgen sollte, war schon geboren (siehe 1 Könige 14,21 in Verbindung mit 1 Könige 11,42). Mit der Selbstbeschreibung als „jung“ verweist Salomo auf seine fehlende Erfahrung als König, die er explizit ausdrückt, wenn er sagt „ich weiß nicht aus noch ein“. Diese heute sprichwörtliche Formel meint hier, das Unwissen Salomos das Heer in den Krieg zu führen und siegreich wieder heimkehren zu lassen.
Vers 8: Salomo steht nicht „über“ dem Volk und benennt sich nicht als dessen Führer, sondern verortet sich „inmitten des Volkes“. Er stellt somit nicht seine Würdenposition in den Vordergrund, sondern seine Aufgabe, bzw. das Volk selbst. Seine Wortwahl verdeutlicht, dass sich in seiner Zeit die Verheißung an die Erzeltern erfüllt haben. Gott verhieß zum Beispiel Abraham in Genesis 22,16: „Ich will dir Segen schenken in Fülle und deine Nachkommen überaus zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und den Sand am Meeresstrand. Deine Nachkommen werden das Tor ihrer Feinde einnehmen.“
Vers 9: Das Herz ist im Alten Testament nicht der Ort der Emotionen, sondern des Verstands. Er bitte darum, dass seine Entscheidungen zwischen Gut und Böse vom Hören auf Gottes Willen gelenkt werden.
Vers 10: Die Demut, die Salomo in seinen Worten ausdrückt, findet Gnade in den Augen Gottes. Der Erzähler betont ausdrücklich, dass nicht nur der Inhalt der Bitte Gott wohlgefällt, sondern auch die Art und Weise wie Salomo sie formuliert hat.
Vers 11: Im weisheitlichen Denken des Alten Testaments sind Reichtum, Ansehen und ein langes Leben Gaben der Weisheit (siehe Sprichwörter 3,16) und der Anfang der Weisheit liegt in der Gottesfurcht (siehe Sprichwörter 1,17) – der Weg dahin ist eben ein „weises (!) und hörendes Herz“. Eine Wortwahl Gottes könnte man jedoch auch als Warnung lesen. Währen Salomo darum bitte, zwischen „Gut und Böse unterscheiden zu können“, sagt Gott „um auf das Recht zu hören“. Er verlangt von Salomo sich allein an dem Guten auszurichten und mahnt ich auch direkt im Folgenden: „Wenn du auf meinen Wegen gehst, meine Gesetze und Gebote bewahrst wie dein Vater David, dann schenke ich dir ein langes Leben.“ (Vers 14).