Lesejahr A: 2022/2023

2. Lesung (Röm 5,6-11)

6[Denn] Christus ist, als wir noch schwach waren, für die zu dieser Zeit noch Gottlosen gestorben.

7Dabei wird nur schwerlich jemand für einen Gerechten sterben; vielleicht wird er jedoch für einen guten Menschen sein Leben wagen.

8Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.

9Nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht gemacht sind, werden wir durch ihn erst recht vor dem Zorn gerettet werden.

10Da wir mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Gottes Feinde waren, werden wir erst recht, nachdem wir versöhnt sind, gerettet werden durch sein Leben.

11Mehr noch, ebenso rühmen wir uns Gottes durch Jesus Christus, unseren Herrn, durch den wir jetzt schon die Versöhnung empfangen haben.

Überblick

"Liebe ist nicht nur ein Wort" -  auch so könnte man zusammenfassen, wie Paulus Gottes Handeln in Jesus Christus  versteht und es den mit ihm Glaubenden in Rom nahebringen will.

 

Einordnung der Lesung in den Kontext

Römer 5,6-11 schließt einen Gedankengang des Paulus ab, den er in 5,1 begonnen hatte. Dort ging es ihm um einen inneren Zusammenhang zwischen dem Glauben an Jesus Christus als den Gekreuzigten und Auferweckten einerseits und einer tiefen Hoffnung, aus der heraus der Mensch auch schlimmste Bedrängnisse bestehen kann, andererseits. Dabei hat Paulus die Hingabe des Gottessohnes Jesu am Kreuz als Liebestat Gottes bezeichnet. Von ihr heißt es im letzten Vers, der der Lesung vorangeht:

"Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist" (Röm 5,5b).

 

Nicht, weil ihr immer schon besonders toll wart ... (Vers 6)

... hat Gott sich bis zum Letzten verausgabt: Sein Sohn starb am Kreuz.  So könnte man die Botschaft des Paulus in eine zumindest etwas modernere Sprache kleiden. Nein, für die total "Uncoolen" ist Gott in den Tod gegangen. Und diese sind nicht eine Gruppe von besonders schlechten Menschen, sondern Paulus meint damit den Menschen an und für sich, wie er auf der ganzen Welt vorkommt. Er meint den im Wesentlichen um sich selbst kreisenden Menschen, der gerade durch ein kleines Virus in seiner ganzen Selbstsicherheit erschüttert worden ist.  Gemeint sind die, die in ihrer Lebenspraxis am liebsten sich selbst huldigen und die Verehrung des ganz Anderen und Unverfügbaren, d. h. die Einbeziehung Gottes in ihre Überlegungen, völlig ausblenden. "Gottlose" heißen sie in der Lesung, vom Griechischen her: die "Verehrungslosen" (asebéis).

Näherhin liegt der Ton von Vers 6 auf den "zu dieser Zeit noch Gottlosen". Er, der Sohn Gottes, nimmt den Tod für die sich von Gott Entfernenden auf sich. Wenn diese Haltung fehlender Zuwendung zu Gott als "Schwäche" bezeichnet wird ("als wir noch schwach waren"), ist das bei Paulus weniger entschuldigend gemeint als vielmehr eine grundsätzliche Orientierung am "Fleisch" , das sich durch "Schwäche" auszeichnet (Römer 6,19 spricht ausdrücklich vom "schwachen Fleisch"), anstatt am "Geist", den Paulus mit Stärke verbindet, die sich z. B. in Freiheit äußert (vgl. z. B.Röm 8,2). Dieser Geist wird mit der Taufe verliehen. Das bedeutet: Gottes Handeln in Jesus von Nazaret ist nicht an Bedingungen geknüpft und gilt nicht einem Sonderkreis von besonders Guten, sondern es ist die Voraussetzung dafür, dass der schwache Mensch entdecken kann, zu welcher Stärke und Freiheit er - immer schon - berufen ist.

 

Ein Vergleich kann helfen (Vers 7-8)

Als Vergleichsfolie schwebt Paulus das römische Freundschaftsideal vor: Dieses mag bereits hohe Einsätze kennen. Aber mehr als die Todesbereitschaft für einen "Gerechten" - ein schillernder Begriff, der alttestamentlich-jüdisch eine nicht steigerbare Aussage der Gottesnähe ausdrückt, im Blick auf Rom aber zumindest den meint, der sich nichts hat zu Schulden kommen lassen - wird unter Römern nicht zu finden sein. In Jesus aber nimmt Gott den Tod für die "Ungerechten" auf sich., also für die zuvor "gottlos" genannten Sünder. Das ist nicht nur Freundschaft, sondern "Liebe". Mit diesem Begriff greift Paulus ausdrücklich auf den oben zitierten Vers 5 zurück, wo zum ersten Mal von der "Liebe Gottes" in Kapitel 5 die Rede war.

 

Die Vergangenheit wirkt auch in der Zukunft (Vers 9-10)

Einmal bei einer mit dem Stilmittel der Steigerung arbeitenden Argumentation angekommen, bleibt Paulus in diesem Schema. Aus seiner Ausbildung als jüdischer theologischer Gelehrter (Rabbiner) kennt er den sogenannten "Schluss vom Leichten auf das Schwere", der zu einer klassischen jüdischen Auslegungsfigur der Heiligen Schrift gehört. Das Grundmuster lautet: "Da/Wenn schon .... dann erst recht ...".

Mit dieser Redefigur bringt Paulus eine Ausweitung der bisherigen Argumentation ein: Vom Blick auf die Vergangenheit - Gottes Liebe hat sich erwiesen im bereits vergangenen Kreuzestod seines Sohnes - geht es nun zum Blick auf die Zukunft: das Endgericht, das zum festen Bestandteil des christlichen Glaubens von Anfang an gehört. Wenn Gott schon zur Zeit der Sünde sich in seinem Sohn liebend den Menschen zugewandt hat, wird er dies erst recht am Jüngsten Tag tun. Sonst wäre der Kreuzestod Jesu im Grunde umsonst und zynisch: Er schaffte für eine Zwischenzeit Versöhnung mit Gott, damit dieser am Ende die Menschen doch  seinem Zorn anheimfallen ließen. Nein, dies genau ist nicht der Fall - so Paulus. Der Lebenseinsatz des Sohnes zur Zeit, als nach menschlichem Ermessen nichts  für einen solchen Einsatz sprach, wird sich genau so rettend auch am Ende eines jeden Lebens auswirken. Gott hat sozusagen "vorgesorgt" - zugunsten des Menschen - für alle Zukunft. Das ist Ausdruck seiner Liebe.

Vers 10 wiederholt denselben Gedanken mit anderen Worten. Der Unterschied: Nachdem Vers 9 mehr mit Blick auf den Menschen argumentiert hat, richtet Vers 10 den Blick stärker auf Christus. Bleibt Paulus in Vers 10 über das Stichwort "Blut" eher bei der Erlösungskraft des Kreuzestodes Jesu, benennt er in Vers 10 mit "Tod" und "Leben" Jesu beide unverzichtar zusammengehörenden Wirklichkeiten: Kreuz und Auferweckung.

 

Fazit: Die Liebe Gottes ist ruhmwürdig (Vers 11)

Der letzte Vers der Lesung ist im Deutschen Opfer einer schlechten Übersetzung. Denn das Wörtchen "ebenso" hat weder einen Anhalt am Griechischen, noch gibt es einen vorangehenden Gedanken, an den ein "ebenso" anknüpfen könnte. Tatsächlich besagt der griechische Text: "Doch nicht nur [sind wir im Leben Jesu Gerettete], sondern wir rühmen uns [sogar] in Gott durch/wegen Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung erlangt haben." Mit dem Stichwort "rühmen" greift Paulus auf Römer 5,2-3 zurück, wo er bereits davon sprach, dass die Christen sich der in Jesus Christus begründeten Hoffnung und der in dieser Hoffnung ausgehaltenen Bedrängnisse "rühmen". Dieser ganz von sich selbst absehende Ruhm steht für Paulus im Gegensatz zum so oft bei den Menschen anzutreffenden leeren Selbstruhm. Zu ihm schreibt er kurz und bündig in Römer 3,27: "Wo bleibt da noch das Rühmen? Es ist ausgeschlossen."

 

 

Auslegung

"Gott aber erweist seine Liebe zu uns ..." (Vers 8)

Eine Verständnishilfe für den nicht gerade einfachen Paulustext könnte der alttestamentliche Prophet Hosea sein. Er hält im Blick auf das Volk Israel Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr.  als tiefe Ursache für zahlreiche Missstände im Land (soziales Unrecht ebenso wie ein sinnentleerter Opferkult) fest: "Ihr habt Gott vergessen" (vgl. zu diesem wie in einem Refrain wiederholten, dreimal leicht variierten Vorwurf: Hosea 2,15; 4,6; 8,14). Damit ist vor allem gemeint: Israel hat das Bewusstsein dafür verloren, dass Gott sich in Liebe an dieses Volk gebunden hat. Alle Erfahrungen von der Herausführung aus Ägypten über die Inbesitznahme des Landes Kanaan bis zum gegenwärtigen Leben in diesem Land mit dem ständigen Versuch der Kontaktaufnahme mit seinem Volk mittels der Propheten - alle diese Erfahrungen sind Zeugnisse der Liebe Gottes zu den Seinen: "Mit menschlichen Fesseln zog ich sie, mit Banden der Liebe.", heißt es zusammenfassend in Hosea 11,4 (der Gesamtzusammenhang dieses Verses findet sich unter "Kontext"). Wenn man dies nicht erkennt, gibt es auch keinen Grund, selbst eine solche sich für Andere  verausgabende Liebe zu leben. Dementsprechend lautet die Anklage:

"Eure Liebe ist wie eine Wolke am Morgen und wie der Tau, der bald vergeht" (Hosea 6,4).

Dies gilt sowohl im Blick auf die Liebe zu Gott wie untereinander.

Fast in Fortsetzung zu dieser Argumentation versucht auch Paulus im Römerbrief der christlichen Gemeinde, die er näher kennenlernen möchte, vor Augen zu stellen: Der, auf den ihr euch seid eurer Taufe beruft, Jesus Christus, hat in seinem Leben, besonders aber in seinem Sterben und Auferstehen, Gottes Liebe zu euch gebracht.

Glaube ist also nicht ein Für-wahr-Halten von Sätzen, sondern das Sich-Einlassen auf eine Liebesbeziehung.

Aus dieser Liebesbeziehung dürfen die Gläubigen vertrauensvoll leben, sind aber zugleich herausgefordert, auch selbst Liebe einzubringen. Wo das Bemühen um diese Liebe gelebt wird, dürfen die Menschen darauf vertrauen, dass die Liebesgeschichte mit Gott auch ihr gutes Ende findet: als "unendliche Geschichte", die im Tod zwar Wandlung, aber eben keinen Abbruch erfahren wird.

Welch eine Liebe! Alles andere als eine "Wolke am Morgen".

 

 

 

 

Kunst etc.

Marcus Tullius Cicero: De amicitia (Handschrift, Anfang 15. Jh.; Photo: H.-P. Haack,  CC BY-SA 2.0
Marcus Tullius Cicero: De amicitia (Handschrift, Anfang 15. Jh.; Photo: H.-P. Haack, CC BY-SA 2.0

Der "Laelius über die Freundschaft" ist ein Werk des römischen Rechtsanwalts, Politikers, Schriftstellers und Philosophen M.Tullius Cicero (106 - 44 v. Chr.), das wahrscheinlich im Herbst 44 v. Chr. entstanden ist.

In ihm findet sich unter anderem als Äußerung eines des Sprechers des Werkes, das in Dialogform geschrieben ist, nämlich des Laelius:

"Fürs erste aber bin ich der Meinung, dass Freundschaft nur unter tugendhaften Menschen möglich ist" (II,18). 

Diese Sicht passt durchaus zur Feststellung des Paulus in Römer 5,7:

"Dabei wird nur schwerlich jemand für einen Gerechten sterben; vielleicht wird er jedoch für einen guten Menschen sein Leben wagen".