Eine "verschlüsselte" Botschaft (Vers 1)
Der griechische Text des ersten Lesungsverses enthält ein Wortspiel, das im Deutschen nicht zu erkennen ist. Leider hat sich in unserer Sprache nämlich eine Übersetzungstradition durchgesetzt, die weder Maß am Hebräischen noch am Griechischen - den Sprachen der Bibel - noch gar am Lateinischen nimmt. In allen drei genannten Sprachen nämlich wird für "preisen" und "segnen" ein und dasselbe Wort verwendet (hebräisch: bērēk, griechisch: eulogeín, lateinisch: benedicere). Dementsprechend müsste Vers 1 eigentlich übersetzt werden:
"Gesegnet (eulogētós) sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns mit allem geistgewirkten Segen (eulogía pneumatikē) gesegnet hat (eulogēsas) durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel."
Hier geht es nicht um Wortklauberei, sondern um den tiefen Entsprechungszusammenhang zwischen Gottes Handeln und der Antwort des Menschen. Die eine positive Zuwendung (ausgedrückt im Segen Gottes) findet ihre Entsprechung in der anderen positiven Zuwendung (ausgedrückt im Segen/Lobpreis des Menschen). Auch wenn das Tun des Menschen immer hinter dem vorangehenden Handeln Gottes zurückbleibt, baut die Heilige Schrift hier gerade keine konkurrierende oder den Menschen klein machende Unterscheidung auf. Beide Seiten tun, was sie können - und meinen es dabei mit dem jeweiligen Gegenüber gut. "Eulogeín" heißt wörtlich: "gut [vom anderen] sprechen".
Und wie lebt man als Erbe? (Verse 11-12)
Das Markenzeichen derer, die auf diesen dreifaltigen Gott setzen, ist das Gebet. Davon ist sowohl in Vers 6 als auch in Vers 12 die Rede. Dabei betont der Lesungsabschnitt besonders das Gotteslob ("Lob der Herrlichkeit"). Doch der Brief im Ganzen nennt ebenso den Dank (Epheser 1,15-16) wie auch die Bitte (Kapitel 3) als vertrauensvolle und berechtigte Formen des Betens. Der Austausch mit dem dreifaltigen Gott kennt keine wirklichen Grenzen. Wer es aber dabei belassen wollte, hätte den Epheserbrief gründlich missverstanden. Denn das Gebet bedarf der Ratifizierung durch das Leben, wie umgekehrt das Leben der beständigen Rückbindung an den bedarf, der die Ursache von allem und das engültige Ziel einer bzw. eines jeden ist: Gott selbst. Die Maßgabe für die Lebensgestaltung benennt Vers 4: "... damit wir heilig und untadelig leben vor ihm". Was hier eher fromm und abstrakt, vielleicht gar ein wenig "abgehoben" klingt, meint der Epheserbrief-Autor sehr konkret und wird es in den Kapiteln 4 - 6 entsprechend ausführen. Eine kleine Vorschau mag dies bereits heute veranschaulichen:
"25 Legt deshalb die Lüge ab und redet die Wahrheit, jeder mit seinem Nächsten; denn wir sind als Glieder miteinander verbunden. 26 Wenn ihr zürnt, sündigt nicht! Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen. 27 Gebt dem Teufel keinen Raum! 28 Der Dieb soll nicht mehr stehlen, vielmehr soll er sich abmühen und mit seinen Händen etwas verdienen, damit er den Notleidenden davon geben kann. 29 Über eure Lippen komme kein böses Wort, sondern nur ein gutes, das den, der es braucht, auferbaut und denen, die es hören, Nutzen bringt! 30 Betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, den ihr als Siegel empfangen habt für den Tag der Erlösung! 31 Jede Art von Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung mit allem Bösen verbannt aus eurer Mitte! 32 Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, wie auch Gott euch in Christus vergeben hat." (Epheser 4,25-32).