Lesejahr A: 2022/2023

1. Lesung (Ex 12,1-8.11-14)

1 Der HERR sprach zu Mose und Aaron im Land Ägypten:

2 Dieser Monat soll die Reihe eurer Monate eröffnen, er soll euch als der Erste unter den Monaten des Jahres gelten.

3 Sagt der ganzen Gemeinde Israel:

Am Zehnten dieses Monats soll jeder ein Lamm für seine Familie holen, ein Lamm für jedes Haus. 4 Ist die Hausgemeinschaft für ein Lamm zu klein, so nehme er es zusammen mit dem Nachbarn, der seinem Haus am nächsten wohnt, nach der Anzahl der Personen. Bei der Aufteilung des Lammes müsst ihr berücksichtigen, wie viel der Einzelne essen kann. 5 Nur ein fehlerfreies, männliches, einjähriges Lamm darf es sein, das Junge eines Schafes oder einer Ziege müsst ihr nehmen. 6 Ihr sollt es bis zum vierzehnten Tag dieses Monats aufbewahren. In der Abenddämmerung soll die ganze versammelte Gemeinde Israel es schlachten. 7 Man nehme etwas von dem Blut und bestreiche damit die beiden Türpfosten und den Türsturz an den Häusern, in denen man es essen will.

8 Noch in der gleichen Nacht soll man das Fleisch essen. Über dem Feuer gebraten und zusammen mit ungesäuertem Brot und Bitterkräutern soll man es essen. [...] 11 So aber sollt ihr es essen: eure Hüften gegürtet, Schuhe an euren Füßen und euren Stab in eurer Hand. Esst es hastig! Es ist ein Pessach für den HERRN.

12 In dieser Nacht gehe ich durch das Land Ägypten und erschlage im Land Ägypten jede Erstgeburt bei Mensch und Vieh. Über alle Götter Ägyptens halte ich Gericht, ich, der HERR. 13 Das Blut an den Häusern, in denen ihr wohnt, soll für euch ein Zeichen sein. Wenn ich das Blut sehe, werde ich an euch vorübergehen und das vernichtende Unheil wird euch nicht treffen, wenn ich das Land Ägypten schlage.

14 Diesen Tag sollt ihr als Gedenktag begehen. Feiert ihn als Fest für den HERRN! Für eure kommenden Generationen wird es eine ewige Satzung sein, das Fest zu feiern!

Überblick

In einer Nacht in Ägypten beginnt eine neue Zeitrechnung. Dieser eine Tag wird Israel für immer prägen.


1. Verortung im Buch

Es ist der Höhepunkt der Plagenerzählung erreicht. Mose und Aaron stehen im Namen Gottes dem Pharao gegenüber, der selbst nach neun Plagen das Volk Israels nicht aus der Sklaverei ziehen lassen will: „...der HERR verhärtete das Herz des Pharao, sodass er die Israeliten nicht aus seinem Land fortziehen ließ“ (Exodus 11,10). Mitten in dieser Spannung wird nicht direkt die Tötung aller Erstgeburten Ägyptens durch Gott erzählt, die zur Erlaubnis des Auszugs aus Ägypten führen wird, sondern in der Erzählung wird eine Kultanweisung gegeben, die die feierliche Erinnerung der bevorstehenden Befreiung für die kommenden Generation vorschreibt. Vor der Rettung wird Israel als Kultgemeinde Gottes konstituiert. So ist der Höhepunkt der Plagenerzählung zugleich ein Innehalten im Angesicht Gottes.

 

2. Aufbau

In der Rede Gottes zu Mose und Aaron gibt es zwei Sprechrichtungen. In Vers 2 sind nur sie angesprochen und eine Kalenderreform findet statt. Der Monat des Auszugs aus Ägypten soll der Anfangsmonat des Jahres sein. Erst nach dieser Festlegung sagt Gott die Worte, die Mose und Aaron an das Volk richten sollen. In den Versen 3-14 wird das gesamte Ritual beschrieben, dass die Israeliten vollziehen sollen und dies gilt zugleich für die kommenden Generationen als „ewige Satzung“.

 

3. Erklärung einzelner Verse

Vers 1: Der hier als Anfangsmonat des Jahres festgelegte Monat Aviv wird erst in Exodus 13,4 namentlich genannt. Wie zwei Stellen im Buch Exodus belegen, gab es auch die an der Ernte ausgerichtete Ordnung, dass das Jahr im Herbst endet. Der Monat Aviv hingegen liegt im Frühling. Vergleichbar mit der christlichen Zeitrechnung, die die Jahre nach der Geburt Christi zählt, wird somit hier der Jahresverlauf an dem für das Alte Testament entscheidenden Heilsereignis, der Befreiung Israels aus Ägypten, ausgerichtet.

Verse 2-7: Erstmals in der Bibel wird das Volk als „Gemeinde Israel“ bezeichnet und somit als Volks-, Rechts- und Kultgemeinde definiert. Diese Definition als Kollektiv wird nochmals unterstrichen in Vers 6 in der Bezeichnung als „versammelte Gemeinde Israels“. Diese Gemeinschaft ist aufgeteilt in – wörtlich – „Väterhäuser“, d.h. Familien. Als Familien soll Israel das im Folgenden beschriebene Ritual gemeinsam begehen und feiern. Eine soziale Ausgrenzung darf es in dem Fest nicht geben: Ärmere Familien sollen sich in Solidarität zusammenschließen und ebenso wie alle anderen vier Tage bevor es geschlachtet wird, ein Lamm oder ein Böcklein zum Schlachten holen. Warum vier Tage vorher? Das erklärt der Text nicht. Es wird nur festgelegt, wie das Tier zu sein hat: es muss den kultischen Kriterien für ein Opfer entsprechen – auch wenn es nicht geopfert wird, sondern in seiner Gänze verspeist werden wird. Nur das Blut dient nicht dem Mahl, sondern einer Symbolhandlung. Es soll an die Türpfosten gestrichen werden. Dies hat zwei Bedeutungen: Blut ist ein Symbol des Lebens und zugleich – wie Verse 12-13 verdeutlichen – ein schützendes Zeichen, das weiteres Blutvergießen verhindert.

Verse 8-11: In der Abenddämmerung, mit der im alttestamentlichen Verständnis der Tag beginnt, soll das Tier geschlachtet und noch in derselben Nacht vollständig aufgegessen werden. Die Verse schreiben genaustens vor, wie das Fleisch zuzubereiten und zu essen ist. Das Fleisch muss am Feuer gebraten, weder geschmort noch gekocht sein. Warum dies so zu tun ist, erklärt der Text nicht. Es könnte damit zusammenhängen, dass alles eilig innerhalb der Nacht geschehen muss. Die ungesäuerten Brote deuten auf eine schnelle Zubereitung hin sowie die abschließende Forderung: „Esst es hastig!“. Auch die Forderung, wie sich die Israeliten zum Essen zu kleiden haben, deutet auf ein Essen kurz vor den Aufbruch. Sich zu gürten, bedeutet sich für eine Wanderung bereit zu machen. Sandalen sind ein Symbol sowohl für eine freie, nicht-versklavte Person, wie auch für den langen bevorstehenden Weg. Und der Stab dient als Stütze und als Schutz auf eben diesem Weg. Das gemeinsame Essen stiftet Gemeinschaft und Solidarität für den bevorstehenden Weg, die in den kommenden Generationen ebenso durch dieses Mahl erinnert werden. Zugleich vergegenwärtigen aber die zu essenden Bitterkräuter auch das bittere Leben als Sklaven in Ägypten (siehe Exodus 1,14).

Verse 12-13: Während das Volk in Gemeinschaft beisammen ist und isst, wird es durch Gott gerettet. Das Heilshandeln Gottes ereignet sich parallel zum kultischen Geschehen. Die Macht des Gottes Israels zeigt sich daran, dass die Götter Ägyptens machtlos gegen ihn sind. Gott ist parteiisch und handelt zugunsten seines Volkes, das seine Weisung beachtet. In der Welt der Erzählung ist der Gott Israels noch einer unter vielen Götter – aber er ist mächtiger als die anderen.

Vers 14: Der Text beschreibt ein Einzelgeschehen, das Pessachfest in Ägypten, das in einer spezifischen Nacht stattfinden wird. Zugleich ist es „diese Nacht“, die jährlich wiederkehrt, indem Israel das Pessachfest feiert. So feiert Israel vor und nach seiner Befreiung aus Ägypten das Heilshandeln Gottes.

Auslegung

Im Zentrum der Vorschrift steht ein Ereignis in einer Nacht. In dieser Nacht sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereint. Ein Geschehen wird beschrieben, das nicht nur einmal in der Zeit stattfinden wird, sondern sich als Fest jährlich wiederholen wird. Die Bitterkräuter erinnern an das Leben als Sklaven in Ägypten. Das Umgürten, das Tragen von Sandalen und das Halten des Stabs verdeutlichen den Aufbruch in die Freiheit. Israel steht an diesem Tag an einem entscheidenden Moment seiner Geschichte mit dem Blick nach vorne und auch zurück gerichtet. Und dieser Moment wird als ein sich jährlich wiederholendes Fest in die Erinnerungskultur des Volkes eingeschrieben: Israel feiert, während Gott es befreit. Das Pessachfest ist die kultische Geburtsstunde des Gottesvolkes.

In Vers 11 wird das im Feuer gebratene Tier oder die gesamte Feier samt Blutritus als Pessach (‎פֶּסַח) bezeichnet. Die Bedeutung dieses Namens ist umstritten. Die zugrundeliegende Wortwurzel kann sowohl „hinken“ als auch „vorübergehen bzw. verschonen“ bedeuten. Eine mit dem Wort verwandtes Verb wird in Vers 13 verwendet: „Wenn ich das Blut sehe, werde ich an euch vorübergehen [‎וּפָסַחְתִּי, gesprochen: u-fasachti] und das vernichtende Unheil wird euch nicht treffen, wenn ich das Land Ägypten schlage.“ Der Blutritus lässt die Todesmacht Gottes sich von den Häusern der Israeliten abwenden bzw. wird von dem Blut an den Türrahmen abgestoßen, so dass sie verschont werden. Die antike, jüdische Übersetzung des Alten Testaments in Griechische, die sogenannte Septuaginta, hat daher das Verb mit „schützen“ übersetzt. Das Pessachfest feiert den Schutz, den Gott seinem Volk garantiert.

Kunst etc.

In künstlerischen Darstellungen wurde und wird die Tötung der Erstgeburt durch Gott in ihrer Härte oft dadurch abgeschwächt, dass nicht Gott selbst mordend durch Ägypten zieht, sondern ein Todesengel, wie in dieser Bibelillustration von Charles Foster aus dem Jahr 1897 zu sehen ist. In dieser Darstellung wird jedoch auch schön und dem Text entsprechend die räumliche Trennung dargestellt, die durch das Blut am Türrahmen gegeben ist. Im Haus feiert die Familie der Israeliten in Einheit und Sicherheit entsprechend der Weisung Gottes das Fest, während draußen Mord und Totschlag herrschen.

“The Angel of Death and the First Passover” aus dem Buch “Bible Pictures and What They Teach” von Charles Foster, 1897 – Lizenz: gemeinfrei.
“The Angel of Death and the First Passover” aus dem Buch “Bible Pictures and What They Teach” von Charles Foster, 1897 – Lizenz: gemeinfrei.