Lesejahr B: 2023/2024

1. Lesung (Offb 7,2-4.9-14)

2Dann sah ich vom Aufgang der Sonne her einen anderen Engel emporsteigen; er hatte das Siegel des lebendigen Gottes und rief den vier Engeln, denen die Macht gegeben war, dem Land und dem Meer Schaden zuzufügen, mit lauter Stimme zu

3und sprach: Fügt dem Land, dem Meer und den Bäumen keinen Schaden zu, bis wir den Knechten unseres Gottes das Siegel auf die Stirn gedrückt haben!

4Und ich erfuhr die Zahl derer, die mit dem Siegel gekennzeichnet waren. Es waren hundertvierundvierzigtausend aus allen Stämmen der Söhne Israels, die das Siegel trugen:


9Danach sah ich und siehe, eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen. Sie standen vor dem Thron und vor dem Lamm, gekleidet in weiße Gewänder, und trugen Palmzweige in den Händen.

10Sie riefen mit lauter Stimme und sprachen: Die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und von dem Lamm.

11Und alle Engel standen rings um den Thron, um die Ältesten und die vier Lebewesen. Sie warfen sich vor dem Thron auf ihr Angesicht nieder, beteten Gott an

12und sprachen:

Amen, Lob und Herrlichkeit, Weisheit und Dank, Ehre und Macht und Stärke unserem Gott in alle Ewigkeit. Amen

13Da nahm einer der Ältesten das Wort und sagte zu mir: Wer sind diese, die weiße Gewänder tragen, und woher sind sie gekommen?

14Ich erwiderte ihm: Mein Herr, du weißt das. Und er sagte zu mir: Dies sind jene, die aus der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht.

Überblick

Für das Allerheiligenfest hat die Liturgie eine besondere Lesung aus der Offenbarung des Johannes vorgesehen: Weder die katastrophalen Gerichtsbilder stehen im Mittelpunkt, noch der heilvolle Retter, das siegreiche Lamm, das noch die Wunde seiner Schlachtung trägt. Das Zentrum der Vision bildet die unzählbare Schar der Geretteten. (Zur Einführung in das ganze Buch s. Zweiter Sonntag der Osterzeit, Zweite Lesung, Lesejahr A, Überblick: "Apocalypse now").


 

Einordnung in den Kontext

Das der Lesung vorangehende Kapitel 6 der Offenbarung endet mit der Öffnung des sechsten der insgesamt mit sieben Siegeln verschlossenen Buchrolle, die in Kapitel 5 dem "Lamm" (Christus) vom "Thronenden" (Gott Vater) übergeben worden war. Mit dem sechsten Siegel ist das Sichtbarwerden des "großen Tages des Zorns" des Thronenden wie des Lammes erreicht (vgl. Offenbarung 6,16-17). Dies ist nichts anderes als der schon von den Propheten Israels erwartete "Tag JHWHs" (Einheitsübersetzung 2016: "Tag des HERRN").

Dieser "Tag des Zorns" wird in das Bild einer kosmischen Katastrophe gekleidet, die sich bei der Öffnung des sechsten Siegels zusammenbraut. Doch ehe diese Katastrophe losbricht, erscheinen vier Engel, deren Zahl auf die vier Himmelsrichtungen verweist. Mit ihnen wird die Fähigkeit verbunden, die verheerenden Stürme in ihren Kammern - so stellte man sich damals die Herkunft des Nord-, Ost-, Süd und Westwindes vor - zurückzuhalten (so der ausgelassene Vers Offenbarung 7,1).

Ein entsprechender Befehl geht von einem weiteren, den Vieren übergeordneten Engel aus. 

 

Verse 2 - 4: "Einhundertvierundvierzigtausend"

Genau mit der Herabkunft dieses Engels setzt die Lesung - für die Hörenden im Gottesdienst etwas unvermittelt - ein. Entscheidend ist die Begründung des von ihm verordneten Aufschubs, wobei innerhalb der Offenbarung klar ist, dass er nicht aus eigenem Antrieb, sondern allein als Werkzeug des "Thronenden" (also Gott Vaters) und des "Lammes" (also des Gottessohnes Jesus Christus) handelt:

Es soll eine Zeit gewährt werden, um zunächst einmal 144.000 Menschen aus den 12 Stämmen Israels zu besiegeln, also mit einer Art Brandzeichen auf der Stirn zu kennzeichnen. Aus jedem der 12 Stämme Israels sollen 12.000 "Knechte unseres Gottes" mit einem Überlebenszeichen markiert und so für die Rettung in der bevorstehenden Gerichtskatastrophe vorgesehen werden.

In den ausgelassenen Versen 5-8 werden die aus dem Alten Testament bekannten Stämme, die auf die Söhne von Abrahams Enkel Jakob zurückgeführt werden, alle namentlich angeführt. Dabei wird der negativ beleumundete Stamm Dan durch Manasse, einen Enkel Jakobs, ersetzt. Rechnerisch ergibt sich so die Zahl 144.000 Gerettete. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine irgendwie nachzuzählende Größe, sondern um  eine Zahl, die unendliche Fülle und Heiligkeit (im Sinne von Gottzugehörigkeit)  in einem symbolisiert.

Besonders erwähnenswert ist der schnell zu überlesende Ehrentitel, der diesen Geretteten zuteil wird: Ein solcher ist nämlich die Bezeichnung als "Knecht(e) Gottes", die alttestamentlich nur wenigen vorbehalten ist: Abraham, Jakob, Mose und David werden so tituliert, weil sie trotz aller nicht verschwiegenen Schwächen im Letzten nicht von Gott gelassen haben und sich so als treu erwiesen haben. Schließlich sprechen noch vier "Lieder" im Buch Jesaja vom "Gottesknecht", einer Martyrergestalt (Jes 42,1-4; Jes 49,1-6; Jes 50,4-9;Jes 52,13-53,12) . Er erleidet schließlich den Tod, den eigentlich andere verdient hätten. Während diese Heilsgestalt alttestamentlich anonym bleibt, wird sie neutestamentlich auf Jesus und sein Sterben am Kreuz bezogen. In dieser Mischung von Gottestreue und Anteil am Heilstod Jesu ist wohl die Rede von den "Knechten unseres Gottes" in Offenbarung 7,3 zu verstehen.

 

Vers 9:  Mehr als "einhundertvierundvierzigtausend"

In Vers 9 wird diese Zahl der also nur scheinbar zählbaren Einhundertvierundvierzigtausend  nun noch einmal aufgestockt. Die Rede von den "Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen"  macht deutlich, dass die Offenbarung in den Kategorien eines "neuen Gottesvolkes" denkt, das nicht mehr nur das jüdische Volk Israel meint, sondern die sich aus Juden wie  - besonders seit den Missionserfolgen des Paulus - aus Nichtjuden zusammensetzende christliche Kirche. Die von Jesus befohlene Verbreitung des Evangeliums "bis an die Grenzen der Erde" (Apostelgeschichte 1,8) wird in der Vision des Sehers Johannes schon als in Erfüllung gegangen vorweggenommen. 

Dass alle in weiße Kleider gehüllt sind, zeigt den "Fortschritt" in der Vision des Johannes. Denn beim Öffnen des fünften Siegels heißt es bereits: 

"9 Als das Lamm das fünfte Siegel öffnete, sah ich unter dem Altar die Seelen aller, die hingeschlachtet worden waren wegen des Wortes Gottes und wegen des Zeugnisses, das sie abgelegt hatten. 10 Sie riefen mit lauter Stimme und sagten: Wie lange zögerst du noch, Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, Gericht zu halten und unser Blut an den Bewohnern der Erde zu rächen? 11 Da wurde jedem von ihnen ein weißes Gewand gegeben; und ihnen wurde gesagt, sie sollten noch kurze Zeit ruhen, bis die volle Zahl erreicht sei durch den Tod ihrer Mitknechte und Brüder, die noch getötet werden müssten wie sie" (Offenbarung 6,9-11).

"Weiß" ist in der Offenbarung die Farbe des Sieges, wie die Deutung des weißen Pferdes in der Vision des vorangehenden Kapitels (Offenbarung 6,2) eindeutig sagt. Auch die Palmzweige sind ein Siegeszeichen, mit dem nicht zufällig der in Jerusalem Einzug haltende "König" Jesus begrüßt wird (vgl. Johannes 12,13; aber auch 1 Makkabäer 13,37).

 

Die  Verse 10-14a ...

... legen der unzählbaren Schar der Geretteten und  Martyrer denselben Lobpreis Gottes und des Lammes in den Mund, der schon in Kapitel 5 von den Ältesten und den vier Wesen angestimmt wurde (s. die Zweite Lesung vom Dritten Sonntag in der Osterzeit Lesejahr A, die Hinweise zu Offb 5,12 im Überblick). Einer der Ältesten tritt überraschend mit Johannes in ein Gespräch ein und fragt ihn nach den Einhundertvierundvierzigtausend: "Wer sind diese?" Johannes gibt die Antwort an den Ältesten zurück:  "Mein Herr, du weißt das."  

Das Muster dieses Gesprächs stammt aus Ezechiel 37,3: "Er [der HERR] fragte mich: Menschensohn, können diese Gebeine wieder lebendig werden? Ich antwortete: GOTT und Herr, du weißt es."  Auch hier handelt es sich um eine Vision.

Der kleine Dialog in beiden Büchern macht deutlich, dass der jeweilige Visionär sich nicht als einer versteht, dessen Verstandeskräfte während seiner Gotteserfahrung komplett ausgeschaltet wurden. Er ist "bei Sinnen" und sieht doch mehr, als er fassen kann und weiß.

 

Vers 14b: "Im Blut weiß waschen"?

Ab diesem Teil der Lesung befinden wir uns  in einer "Aufklärungsrede" des Ältesten an den Seher Johannes, die eigentlich bis Vers 17 reicht. In dem für dei Lesung ausgewählten Vers 14b erhält die weiße Farbe über den Sieg hinaus eine überraschende weitere Deutung: Das Blut des Lammes hat die Gewänder der Martyrer weiß gemacht. Etwas klarer wird der nicht einfach zu verstehende Zusammenhang durch einen Blick auf den in die gleiche Richtung weisenden Text Hebräer 10,22-23:

"19 So haben wir die Zuversicht, Brüder und Schwestern, durch das Blut Jesu in das Heiligtum einzutreten. 20 Er hat uns den neuen und lebendigen Weg erschlossen durch den Vorhang hindurch, das heißt durch sein Fleisch. 21 Und da wir einen Hohepriester haben, der über das Haus Gottes gestellt ist, 22 lasst uns mit aufrichtigem Herzen und in voller Gewissheit des Glaubens hinzutreten, die Herzen durch Besprengung gereinigt vom schlechten Gewissen und den Leib gewaschen mit reinem Wasser! 23 Lasst uns an dem unwandelbaren Bekenntnis der Hoffnung festhalten, denn er, der die Verheißung gegeben hat, ist treu!"

Hier wird deutlich: Dem Blut Jesu, also seiner Selbsthingabe am Kreuz, wird sündenvergebende Kraft zugesprochen, die einen ewigen Zugang zu Gott eröffnet. In diesen Heilszusammenhang lässt sich hineinziehen, wer sich taufen lässt ("waschen mit reinem Wasser"). Der Glaube an diesen Heilszusammenhang, auf den man sich mit der Taufe einlässt (neutestamentlich ist immer an die entschiedene Taufe von Erwachsenen gedacht, noch nicht an die Kindertaufe), will aber auch gelebt werden. Dies erweist sich im unbeirrten Festhalten am "unwandelbaren Bekenntnis der Hoffnung". Genau das aber haben die Martyrer in Offenbarung 7 gelebt. Sie erleben nun die Erfüllung ihrer Hoffnung, ganz aus der sündenvergebenden Liebe Jesu Christi zu leben, die sich in seinem blutigen Kreuzestod erwiesen hat. Dass dabei rot zu weiß wird, könnte auf ein Wort des Propheten Jesaja zurückgehen:

"Kommt doch, wir wollen miteinander rechten, spricht der HERR. Sind eure Sünden wie Scharlach, weiß wie Schnee werden sie. Sind sie rot wie Purpur, wie Wolle werden sie" (Jes 1,18).

Auslegung

"... die mit dem Siegel gekennzeichnet waren" (Vers 4)

Die Vorgeschichte dessen, was hier gemeint ist, beginnt tatsächlich einmal - fast! - bei Adam und Eva, näherhin bei ihren beiden Söhnen Kain und Abel (vgl. zur berühmten Erzählung vom Brudermord Genesis 4). Diese Erzählung zeigt nicht nur den dramatischen Verlauf des Rivalisierens zweier Brüder um die Anerkennung Gottes, das im Mord endet. Mindestens ebenso wichtig ist der weitere Verlauf der Erzählung, der vom Verhalten Gottes spricht, der den Mord keineswegs gutheißt, aber den Mörder nicht einer weiteren Rache- und Gewaltspirale ausliefert. Um dies zu vermeiden, erhält Kain ein Schutzzeichen (Genesis/1. Buch Mose 4,15b: "Darauf machte der HERR dem Kain ein Zeichen, damit ihn keiner erschlage, der ihn finde.").

Dieses Motiv findet innerbiblisch seine nächste Anwendung im Buch Ezechiel. In Kapitel 9 schaut der Prophet im Geiste (Vision) ein Strafgericht für bestimmte Gräueltaten in Jerusalem. Es wird aber unterschieden zwischen den unrettbar verlorenen Übeltätern und denjenigen, die bei den besagten Gräueln nicht mitgewirkt haben bzw. sogar deren Opfer wurden. Sie sollen verschont bleiben. Dazu erhalten sie "ein Taw auf die Stirn" (Ezechiel 9,4.6). Taw ist der letzte Buchstabe des hebräischen Alphabets, der in heutiger Schreibweise eher an eine Tür erinnert, während er in der althebräischen Schrift eher an ein x bzw. an ein schräg liegendes Kreuz erinnert. Wiederum geht es also um ein Schutzzeichen, das vor dem Tod bewahren soll, wobei diesmal ausdrücklich die "Stirn" als Ort des Zeichens benannt wird.

Gerade auf dem Hintergrund von Ezechiel überrascht es nicht, dass man im Christentum das "Taw" durch das griechische "Chi" ersetzte. Es schreibt sich wie ein großes X, wird als ch wie in ich gesprochen und ist der Anfangsbuchstabe des Wortes "Christus". Wenn bei der Taufe dem Neugetauften ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet wurde, war dies das Zugehörigkeitszeichen zu Christus, das natürlich zugleich an dessen Kreuz als Symbol der Erlösung und Todüberwindung erinnern soll. Wer zu Christus gehört, trägt - wenn auch unsichtbar - ein Brandzeichen der Zugehörigkeit zu Christus auf seiner Stirn und darf damit zugleich seines Schutzes gewiss sein.

Dies führt schließlich dazu, dass die Taufe kurz und knapp in dem Begriff "Besiegelung" zusammengefasst werden kann. So heißt es in 2 Korinther 1,22: "Er [Gott] hat uns auch sein Siegel aufgedrückt ..." ( vgl. Epheser 1,13; 4,30). Allerdings erhält hier das "Siegel" eine im wörtlichen Sinne vergeistigte Bedeutung: Es ist nämlich die Gabe des Heiligen Geistes, den Christus als der Auferstandene den Seinen zugesprochen hat (vgl. Johannes 20, 22: "Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!").

Dieser komplexe Tiefengrund aus uraltem Schutzzeichen, Kreuzzeichen, Taufe und Geistesgabe schwingt mit, wenn die Offenbarung von "Besiegelten" spricht.

Die drei fett markierten Texte finden sich in ihrem größeren Zusammenhang unter der Rubrik "Kontext".

 

"... die aus der großen Bedrängns kommen" (Vers 14)

Der  Lesungsabschnitt aus der Offenbarung stellt die unzählbare Zahl der Martyrer, "die aus der großen Bedrängnis kommen", in den Mittelpunkt. Ihre Bedeutsamkeit erklärt sich aus der Situation der kleinasiatischen christlichen Gemeinden, für die Johannes als prophetische Autorität galt. Die Offenbarung nennt zwar konkret nur einen einzigen um des Glaubens willen getöteten Mitbruder. So heißt es im Brief an die Gemeinde von Pergamon:

"Ich weiß, wo du wohnst: dort, wo der Thron des Satans steht. Und doch hältst du an meinem Namen fest und hast den Glauben an mich nicht verleugnet, auch nicht in den Tagen, als Antipas, mein treuer Zeuge, bei euch getötet wurde, dort, wo der Satan wohnt" (Offenbarung 2,13).

Aber im eigenen Empfinden begann das "Martyrium" wohl eben nicht erst mit dem Sterben, sondern setzte viel früher ein. Für Johannes und  die Gemeindeglieder besteht es wohl vor allem in der enormen Druckkulisse, die von Rom aus, aber auch von den Städten selbst her aufgebaut wurde (Offenbarung 2 und 3 nennt Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodikia). Sie waren Zentren des Kaiserkultes wie auch ortseigener Kulte wie z. B. des Artemis-Kultes in Ephesus. Mit anderen Worten: Hier wurde verlangt, den jeweils regierenden Kaiser als Gott oder eben z. B. Artemis als Fruchtbarkeitsgöttin anzuerkennen, ihnen zu opfern und an Opfermahlzeiten teilzunehmen. Die Anerkennung anderer Götter aber widersprach dem eigenen Glauben an den einen Gott; die Reserve gegenüber Mahlzeiten der Anderen erklärt sich eher aus der jüdischen Herkunft der Christen, die sich zumindest teilweise auch weiterhin streng an die Reinheitsvorschriften hinsichtlich der Speisen ("koscheres" Essen) hielten.

Wenn Johannes nun der Gemeinde von Laodikia ihren Reichtum und Wohlstand vorwirft, so erklärt sich das am einfachsten dadurch, dass die Christen dieser Stadt sich auf Kompromisse mit Rom einließen und nur deshalb erfolgreich am Geschäftsleben teilnehmen konnten. Sie haben die Eindeutigkeit ihres Glaubens preisgegeben. Im Umkehrschluss bedeutet das: Die Christen, die an ihrem Glaubenszeugnis festhielten und keine Kompromisse mit Rom machten (also z. B. die Teilnahme am Kaiserkult verweigerten), wurden aus dem Geschäftsleben ausgeschlossen.

Sozial kaltstellen und Mobbing - so könnte man zumindest einige der Maßnahmen zusammenfassen, die Johannes mit der "Bedrängnis" meint.

Dass die Vision in gewisser Weise übertreibend von Getöteten spricht, hat mit der Sprache der Apokalyptk zu tun. Offensichtlich verstehen sich die bedrängten Christen auf der Folie der im 2. Jh. v. Chr. tatsächlich um ihres Glaubens willen Getöteten, von denen Dan 2,13 spricht und deren Martyrium grausam-anschaulich in  2 Makkabäer 7 geschildert wird.

Während die Heilsvision des Johannes, die den treu an ihrem Glauben Festahltenden ihren Lohn im Himmel vor Augen stellt, diese zur Treue ermutigen soll, hat dieselbe Vision aber auch eine Kehrseite.

Denn Johannes schaut mit dem Ende der Zeiten gewaltsame Tötungen bis zum Schluss. So heißt es im Vorausverweis auf die heutige Lesung in Offenbarung 6,11: "Da wurde jedem von ihnen ein weißes Gewand gegeben; und ihnen wurde gesagt, sie sollten noch kurze Zeit ruhen, bis die volle Zahl erreicht sei durch den Tod ihrer Mitknechte und Brüder, die noch getötet werden müssten wie sie". Die Offenbarung vertröstet also nicht auf bessere Zeiten, sondern erwartet den grundsätzlichen Wandel von Gewalt zu wirklicher Gewaltlosigkeit erst jenseits aller menschlichen und politischen Möglichkeiten, die dem Menschen gegeben sind: dann, wenn "Gottes Reich gekommen ist" (vgl. die Bitte des Vaterunser); wenn allein Gott am Werke ist. Ein Blick in die Welt bestätigt die Offenbarung ca. zweitausend Jahre später - leider - immer noch.

Kunst etc.

Gerhard Fugel, Offenbarung 7,9: Große Schar (1933), gemeinfrei Commons Wikimedia
Gerhard Fugel, Offenbarung 7,9: Große Schar (1933), gemeinfrei Commons Wikimedia

Gebhard Fugel (1863-1939) gründete 1890 die "Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst" und galt seit seinem Gemälde "Christus heilt Kranke" (1884/85) als bedeutender Maler christlicher Motive. Beeinflusst von der Historienmalerei und dem Nazarenerstil wurden großflächige biblische Gemälde, besonders für Kirchen, seine Spezialiät. Zu ihnen gehören auch die 25 Fresken-Entwürfe zur Apokalypse aus dem Jahr 1933 (aufbewahrt in der Klosterkirche von Scheyern), denen das ausgewählte Beispiel entstammt.

Das Gemälde erinnert mit seiner Vignette, in die der Thronende und das Lamm eingezeichnet sind, an das Heilig-Geist-Fenster im Peters-Dom von Rom. Um diese leuchtende Mitte herum sind kunstvoll wie in von innen nach außen wachsenden Kreisen die verschiedenen himmlischen Gruppen arrangiert: von den vier Wesen (in rot) und den Ältesten (in gebeugter Haltung vor dem Thron) über die Unzähligen in weißen Gewändern (in Prozession seitlich schreitend) bis zu den Hundertvierundvierzigtausend (in farbigen Gewändern mit zum Lobpreis erhobenen Armen). 

Dass die weiß Gekleideten "aus der großen Bedrängnis kommen" (Vers 14), lässt die Ästhetik des Bildes völlig vergessen. Um so wichtiger ist es, den biblischen Text selbst nachzulesen, der die Gegenwart und ihre Gewalttätigkeit nicht verdrängt - auch wenn er vom Himmel spricht.