Lesejahr B: 2023/2024

Evangelium (Mk 1,14-20)

14Nachdem Johannes ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes

15und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!

16Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, die auf dem See ihre Netze auswarfen; sie waren nämlich Fischer.

17Da sagte er zu ihnen: Kommt her, mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen.

18Und sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach.

19Als er ein Stück weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes; sie waren im Boot und richteten ihre Netze her.

20Sogleich rief er sie und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern im Boot zurück und folgten Jesus nach.

Überblick

Mitten im Umbruch. Jesus beginnt sein Wirken und fordert den Aufbruch

1. Verortung im Evangelium
Der Evangelist Markus unternimmt es als erster eine Jesuserzählung zu schreiben und die zuvor meist mündliche Überlieferung zu einer fortlaufenden Geschichte zusammenzustellen. Das Markusevangelium (Mk) entsteht kurz nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70 n.Chr.) im Jüdischen Krieg. Der Verfasser ist unbekannt, auch wenn es innerhalb der kirchlichen Tradition eine Verbindung zu Markus einem Judenchristen hellenistischer Herkunft gibt. Dieser ist einerseits Paulusbegleiter (Apostelgeschichte 12,12) und andererseits Vertrauter des Petrus (1. Petrusbrief 5,13).
Das Markusevangelium beginnt in der Wüste (Mk 1,1-13) mit dem Auftreten des Täufers und der Taufe Jesu. Dann schildert es den Beginn der Verkündigung Jesu in Galiläa (Mk 1,14-8,26) und den Weg nach Jerusalem (Mk 8,27-10,52) und endet mit den Ereignissen in Jerusalem (Mk 11,1-16,20). Das ursprüngliche Ende des Evangeliums war die Begegnung der Frauen mit dem Engel am leeren Grab (Mk 16,8). Die Erweiterung um die Erscheinungserzählungen sind später hinzugefügt worden (Mk 16,9-20).

Die Perikope (liturgischer Leseabschnitt) des Sonntags verbindet zwei Erzählungen vom Beginn des Wirkens Jesu in Galiläa: Die erste Verkündigung des Evangeliums und die Berufung der ersten Jünger.

 

2. Aufbau
Der erste Sinnabschnitt nimmt den Beginn allen Wirkens Jesu in den Blick: Das Evangelium wird ausgerufen (Mk 1,14-15). Im zweiten Abschnitt wird beispielhaft eines der Ziele des Wirkens in den Blick genommen: Menschen werden in die Nachfolge gerufen (Mk 1,16-20).

 

3. Erklärung einzelner Verse

Verse 14-15: Johannes der Täufer hatte von sich selbst gesagt: „Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich“ (Mk 1,7). Mit diesem Satz lässt der Evangelist Johannes klar die Rolle des Vorläufers zukommen, der mit seiner Taufe als Zeichen der Umkehr den Boden für die nachfolgende Verkündigung Jesu bereitet. Mit der Auslieferung des Johannes beginnt die Zeit des Wirkens Jesu. Der Begriff „ausliefern“ (paradidomi, griechisch: παραδίδωμι) zeigt dabei noch einmal die enge Verbindung zwischen Johannes und Jesus an. Denn „ausliefern“ ist die christlich geprägte Umschreibung der Hingabe Jesu, seines Wegs zum Kreuz. Entsprechend wird der Begriff in den Leidensankündigungen und der Passionsgeschichte verwendet (z.B. Mk 9,31; Mk 14,41-42). Auch die Jünger Jesu werden später aufgefordert, diesem Weg hin zum Kreuz und damit zu den eigenen Situationen der „Auslieferung“ zu folgen (Mk 8,34-35). Johannes, der dem Weg Jesu voran geht, zeigt dieses Kriterium einer wirklichen Nachfolge also bereits: Er verkündigt das Wort Gottes, auch wenn er dafür persönlich „ausgeliefert“, d.h. festgenommen und getötet wird.

War Jesus zuvor noch in der Wüste (Mk 1,12-13), ist er nun in Galiläa, um von dort aus seine Botschaft zu verbreiten. Vers 15a ist dabei eine Kurzformel oder Zusammenfassung des „Evangelium Gottes“ aus Vers 14, das im Wesentlichen aus zwei Punkten besteht: Es geht zum einen um die „erfüllte Zeit“, also die Zeit, die Gott als Zeit seiner Nähe und Gegenwart ausersehen hat. Sie beginnt mit dem Auftreten seines Sohnes. Zum anderen geht es um das Reich Gottes. Um ein Leben ganz nach dem Willen und im Willen Gottes. Es geht um die „Übernahme“ der Herrschaft durch Gott selbst. Mit dem Weg, den Jesus gehen wird (Zuwendung zu den Kranken, Wiederfinden des Verlorenen, Verkündigung der Botschaft Gottes), rückt das Reich Gottes, seine Wirklichkeit immer näher.
Vers 15b formuliert eine Hilfestellung, um diesem „Evangelium Gottes“ gut zu begegnen: Es braucht die Bereitschaft, radikal umzudenken („kehrt um“) und den Mut, dem Evangelium zu glauben. „Dem Evangelium glauben“ ist nicht nur geprägtes Wort der christlichen Missionssprache, sondern meint hier die Gesamtheit der Botschaft von der Nähe Gottes, wie sie in Jesus erlebbar wird. In seinen ersten Worten ruft Jesus also auf, ganz neu zu denken und dabei in die Zusage Gottes zu vertrauen – das sind die Hilfestellungen, um seine weiteren Worte und Taten im richtigen Licht zu sehen.

 

Verse 16-18: Die ersten Taten, die es zu betrachten gilt, ist die Berufung der beiden Brüderpaare. Die erste Szene am See Gennesaret ist dabei ausführlicher gestaltet als die zweite (Verse 19-20). Beide aber sind ganz auf Jesus fokussiert, der die Nähe Gottes in seiner Anwesenheit zeigt.
Jesus sieht, am See entlanggehend, die Brüder Simon und Andreas bei ihrer alltäglichen Arbeit: Sie werfen als Fischer die Netze aus. Sie werden direkt und ohne Umschweife aufgefordert, mitzukommen und ihm nachzufolgen. Damit ist ein zentrales Motiv des Evangeliums in Gang gesetzt: Nachfolge. Jesus verkündet das Reich Gottes, weil er Menschen dafür begeistern möchte, sich auf die Zusage Gottes einzulassen. Begeisterung aber meint, sich mitreißen zu lassen und sich selbst in den Dienst der Botschaft zu stellen. So klar diese Idee der Gemeinde (aus eigener Erfahrung?) gewesen sein muss, so direkt wird sie mit der Berufungsszene ins Bild gesetzt. Es geht hier nicht um einen Ruf in den Dienst Gottes, der innerlich erfolgt (Vision oder Audition). Vielmehr kommt der Ruf direkt, klar und von außen: Ein Mensch weckt die Begeisterung eines anderen bzw. hier: Jesus spricht die Brüder an und fordert sie auf, mitzukommen. Der Begriff „nachfolgen“ ist dabei am jüdischen Verhältnis von Lehrer und Schüler orientiert, wo der Schüler mit seinem Lehrer mitgeht und durch Beobachtung dessen Verhaltensweisen etwas lernt (vgl. das Evangelium vom 2. Sonntag im Jahreskreis).  In dieses Sehen und Lernen ruft Jesus Simon und Andreas hinein mit der Zusage: „Ich werde euch zu Menschenfischern machen“. Er zeigt ihnen damit ihre neue Tätigkeit (Menschen begeistern) im Bild ihrer bisherigen Aufgabe (Fischen) auf. Mit „sogleich“ wird dabei deutlich gemacht, dass die Brüder die Dringlichkeit des Auftrags erkennen.

 

Verse 19-20: Die zweite Berufung wird in noch knapperer Form als die erste dargestellt. Hier heißt es nur noch „er rief sie“, eine direkte Ansprache in wörtlicher Rede wie in Vers 17 fehlt. Die Berufung der Zebedäussöhne, die schon bei ihrer Vorstellung über den Vater charakterisiert werden, beinhaltet gegenüber der ersten Szene jedoch noch eine Zuspitzung des Nachfolgegedankens: Sie lassen nicht nur ihren Beruf, sondern auch den Vater und damit die Familie zurück, um sich Jesus anzuschließen. Der Evangelist Markus hat in den Versen 16-18 wie 19-20 sicher die Berufung des Elischa aus dem 1. Buch der Könige im Hinterkopf (1. Buch der Könige 19,19-21).

Auslegung

Der Beginn des Wirkens Jesu ist im Markusevangelium gekennzeichnet durch die knappe Zusammenfassung seiner Botschaft vom Evangelium Gottes und der Berufung der ersten Jünger. Markus macht damit zwei Dinge deutlich: 1. Die Botschaft Jesu ist kein Geheimwissen, vielmehr trägt Jesus laut und deutlich vor, wozu er angetreten ist. Und er gibt Hilfestellungen, wie man sich seiner Botschaft annähern kann und für sie wachsam wird. 2. Die Einladung zum Reich Gottes ist nichts für Individualisten. Das Reich Gottes ist offen für alle, die der Nähe Gottes trauen und sich von ihr begeistern lassen. Damit wird der einzelne Gerufene Teil einer Gemeinschaft, die er selbst ständig erweitern soll. Simon und Andreas bleiben nicht wochenlang alleine Jünger Jesu, sondern sie erfahren sich sofort in Beziehung mit anderen (Johannes und Jakobus). Und sie werden nicht motiviert, um Konsumenten der Worte zu sein, sondern um perspektivisch selbst aktiv zu werden, Menschenfischer zu sein.

Dies alles wird mit dem Hinweis versehen: Kehrt um! Denkt neu! Wie sehr diese Leitlinie das gesamte Evangelium prägt, wird bereits in den beiden ersten Abschnitten deutlich. Denn in den wenigen Versen ist bereits von drei Umbruchsszenarien die Rede. Zunächst wechselt der Protagonist der Erzählung. Stand von Mk 1,2-11 Johannes der Täufer im Zentrum des Evangeliums so wird seine Zeit mit seiner „Auslieferung“ abgelöst durch die Zeit Jesu, der nun im Fokus der weiteren Geschichte steht. Gerade im Markusevangelium, das keine Verkündigungs- oder Geburtsgeschichte kennt, ist Johannes als erste auftretende Person wichtig. Auch wenn er „nur“ der Vorläufer ist, so ist es doch seine Gestalt, die den Leser mit in die Erzählung hineinnimmt und neugierig macht. Mit Mk 1,14 aber erfolgt der Umbruch. Erst das Ende des Wirkens des einen, macht den Weg für die Verkündigung des anderen frei. Der zweite Umbruch betrifft das Leben der vier Jünger, die Jesus am See Gennesaret beruft. Wie die zweite Szene dort zeigt (Vers 20), lassen sie zurück, was ihnen vertraut und wichtig ist, Familie, Beruf, soziale Sicherheit etc. Sie beginnen neu. Sie lassen sich mitziehen auf einen unbekannten Weg mit einer noch unbekannten „Lehrergestalt“. Die Umbenennung vom Fischer zum Menschenfischer bringt diese Veränderung ins Wort. Zuletzt findet sich noch ein ganz entscheidender, aber nahezu verborgener Umbruch: Es ist ein Herrschaftswechsel, der mit dem Beginn des Evangeliums einläutet wird. Denn mit der Verkündigung des nahen Reich Gottes, das genau mit seiner Verbreitung beginnt, seine Wirkung zu entfalten, wird die Welt Stück für Stück verwandelt. Im Handeln Jesu, seiner Zuwendung zu den Kranken, Armen, Ausgegrenzten, seiner heilsamen Nähe und seiner Aufforderung umzudenken wird aus einer Welt, die geprägt ist von den menschlichen Zusammenhängen von Gewalt, Diskriminierung, Unterdrückung, Distanzierung und eingefahrenen Mustern, eine Welt, die durch Gottes Botschaft gekennzeichnet ist.
Der leiseste Umbruch ist der gravierendste. Der Wechsel von einer Herrschaft, in der sich der Mensch selbst zum Maßstab aller Dinge macht, hin zu einem Reich, in dem Gottes selbstlose Liebe im Zentrum steht, ist der Perspektivwechsel, der nur mit einer Umkehr, mit einem radikalen Neudenken zu fassen ist. Wer diesen Schritt nicht wagt, wer sich nicht darauf einlässt, mit dem Glauben an Jesus Christus den Blick auf die Welt und ihre Zusammenhänge neu zu wagen – der wird in der Erzählung des Evangeliums zu denen gehören, die kopfschüttelnd unter dem Kreuz stehen oder Jesus ausliefern.

Kunst etc.

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Die Zeichnung des italienischen Malers Giovanni Francesco Barbieri, genannt Il Guercino (1591-1666) „Der Heilige Markus schneidet seine Feder, um das Evangelium zu schreiben“ passt perfekt zum heutigen Evangelium. Sie erinnert daran, wie sorgsam der Evangelist, die Leser in seine Jesusgeschichte einsteigen lässt und wie sehr er ihnen dabei hilft, mit der richtigen Perspektive die Verkündigung und das Wirken Jesu wahrzunehmen: Als Zeichen der Nähe und Gegenwart Gottes.