In der heutigen Lesung erinnert der Epheserbrief seine Hörer- und Leserschaft an ihren Taufunterricht und an das Christusbild, das ihnen dabei vermittelt wurde. Der Impuls, über das eigene Christusbild nachzudenken, macht auch heute noch Sinn.
Einordnung der Lesung in die Zeit
Der Lsungsabschnitt, der zu den Ermahnungskapiteln 4 - 6 des Epheserbriefs gehört, greift zu einer Verkündigungsstrategie, die zumindest aus moderner Sicht eher zwiespältig ist, sich aber zunächst einmal aus den tatsächlichen Gegebenheiten der damaligen Zeit erklärt. Das Christentum ist inmitten der griechisch-römischen Welt, die von römischem Kaiserkult, Verehrung römischer bzw. griechischer Göttinnen und Götter und auch philosophischer Skepsis gegenüber religiösen Welten geprägt ist, eine absolute Minderheit. Es geht also letztlich um die Identitätsfindung einer Außenseitergruppe, die insgesamt gesehen allerdings, was die geographische Verbreitung betrifft, schon sehr stark angewachsen ist. Zumindest unter diesem Gesichtspunkt ist es nachvollziehbar, dass der Verfasser des Epheserbriefs das Leben der Christinnen und Christen von Ephesus und eventuell weiterer Gemeinden der Provinz Asia abgrenzt vom Leben der Mehrheit der Bewohner*innen, die sich nicht zum Christentum bekehrt haben. Das Mittel der Schwarzweißmalerei in der Abgrenzung zwischen der "guten" jungen christlichen Kirche und den "bösen" Heiden liegt einfach zu nahe, um es sich entgehen zu lassen - auch wenn es der Wirklichkeit wahrscheinlich nicht so ganz gerecht wird, denn so klar geschieden sind die Grenzen zwischen "gut" und "böse" nie - wie heutzutage der Blick auf den Missbrauchsskandal zeigt.
Die Zwiespältigkeit des rhetorischen Mittels wird in der Lesungsauswahl dadurch abgemildert, dass man die "Schimpfverse" auf die "Heiden in ihrem nichtigen Denken", nämlich die Verse 18-19, ausgelassen hat.
Vers 17: "nicht wie die Heiden"
Nachdem der Epheserbrief seinen mahnenden Teil mit einer positiven Aufforderung begonnen hatte, nämlich "ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging" (Epheser 4,1, Lesung des vorigen Sonntags), wird dieselbe Forderung nun negativ abgegrenzt: Gemäß dem "Ruf Gottes" oder dem "Ruf Christi, des Herrn" zu leben, bedeutet gleichzeitig: auf keinen Fall so zu leben wie die Heiden. Genauer formuliert der griechische Text: "nicht mehr so zu wandeln (griechisch: peripateín), wie die Heiden in der Nichtgkeit ihres Denkens wandeln". Die Wortwahl ist mehr als geschickt gewählt. Sie hat ihre Entsprechung einerseits im hebräischen hithallēk "wandeln, sich ergehen", das die Ausgestaltung des eigenen Lebensweges meint. So gibt Gott Abraham mit auf den Weg: "Wandle vor mir und sei ganz" (Genesis/1. Buch Mose 17,1, wörtlich). Abraham soll also nicht als ein Gespaltener unterwegs sein, der nur Teilbereiche seines Lebens mit Gott geht, ihn aber aus anderen ausschließt.
Neben diesem "Lebenswandel" spielt das griechische Wort peripateín aber auch auf die Wandelhallen an, in denen Philosophen und deren Schüler sich gesprächsweise ergingen (sog. Peripatetiker). Diese Situation scheint besonders im Blick zu sein, wenn der Epheserbrief von der "Nichtigkeit des Denkens" spricht: Das Philosophieren der "Heiden", das nicht den einen Gott in den Blick nimmt, ist "leer", "nichtig", "eitel" - alles Übersetzungsmöglichketien desselben Wortes. Dazu stehen für den Epheserbrief die Christen im Gegensatz, die mit "aller Weisheit und Einsicht" "reich beschenkt" sind (Epheser 1,8).
Die ausgelassenen Verse 18-19 sollen erweisen, dass das "nichtige Denken" auch zu "nichtigen Taten" führt. Vorgeworfen wird den Heiden "Verhärtung ihres Herzens", "Haltlosigkeit", "Ausschweifung", "jede Art von Unreinheit" und "Habgier".
Verse 20-21: "Ihr ... habt Christus ... kennengelernt"
Besonders im Blick auf diese angeblich für die Heiden typischen Laster ist das kleine Wörtchen "so" gemünzt: "Ihr aber habt Christus nicht so kennengelernt." Im Griechischen steht sogar: "Ihr aber habt Christus so nicht gelernt", was ungewöhnlich ist, denn im Griechischen wie im Deutschen verbindet sich mit "lernen" eigentlich nur ein Lerninhalt, nicht aber eine Person. Offensichtlich will der Epheserbrief genau dies betonen: Die Taufkatechese vermittelt nicht nur "Sachwissen" über Christus, sondern schafft ide Grundlage einer persönlichen Beziehung zu diesem Christus.
Dieser Ansatz setzt sich in Vers 21 fort, der wörtlich lautet: "Ihr habt doch ihn gehört ...". Katechese (auf sie zielt das Wort "unterrichten") soll also Christus so vermitteln, dass nicht nur etwas über ihn vernommen wird, sondern dass er selbst in Sinn und Herz der Menschen hinein zu sprechen vermag. Dabei steht "Christus" für das von Anfang an in Gott beschlossene Heil. Dieses ist unlösbar mit dem historischen Jesus verbunden. Diese Einheit von Gotteswelt (Christus) und Menschenwelt (Jesus) in der einen irdischen Gestalt Jesus von Nazareth nicht als "Wahrheit" annehmen zu können, führt für den Epheserbrief zurück zu heidnischen Verhaltensmustern.
Verse 22-23: "den alten Menschen ablegen"
Insofern die jetzigen Christen selbst einmal vor ihrer Bekehrung bzw. Taufe diesen Mustern gefolgt sind und offensichtlich immer noch den Reiz der alten Verhaltensweisen verspüren, mahnt der Epheserbrief zum wirklichen Ablegen dieses auf sich selbst fixierten und Gott außen vor lassenden Lebens. Im Hintergrund steht das Bild des Ablegens der Gewandung, das nackte Eintauchen ins Taufbad und das Heraussteigen zum Anziehen des neuen weißen Taufkleids zum Ausdruck für die Grundsatzentscheidung, Christus als Gewand anzuziehen.Wurde als Quelle des heidnischen Lebens in Vers 17 das "nichtige Denken" genannt, so ist es jetzt der "Trug". Das Stichwort "Begierde" fasst eher die in den Versen 18-19 aufgelisteten Verhaltensweisen zusammen, von denen Christen ablassen sollen.
Dieses Ablassen vom Verführerischen oder Altegewohnten ist nicht allein eine Frage des Wollens. Nicht zufällig verwendet die neutestamentliche Taufkatechese die Rede von einer "neuen Schöpfung", die niemand anders als Gott selbst durch seinen Geist bewirkt (vgl. 2 Korinther 5,17: "Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden."). Er ist es auch, der das Denken erneuert, das "nichtige Denken" ersetzt durch das "reiche Geschenk" von "Weisheit und Einsicht" (Epheser 1,8).
Vers 24: "den neuen Menschen anziehen"
Ganz in Entsprechung zu diesem Neuschöpfungs-Gedanken ruft Vers 24 die Schöpfungsgeschichte in Erinnerung. Taufe ist die Wiederannäherung des Menschen an sein schöpfungsgegebenes Bild-Gottes-Sein: "Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn" (Genesis/1. Buch Mose 1,27). Das ist zu verstehen auf dem Hintergrund der im Neuen Testament einzig vorkommenden Taufform, der Erwachsenentaufe. Nur sie lässt den Gedanken verstehen, dass ein Mensch sich im Laufe seines Lebens von seinem Bild-Gottes-Sein entfernt hat, solange er ohne diesen Gott unterwegs war.
Aus dem "Ablegen des alten Menschen" folgt schlüssig das "Anlegen des neuen Menschen". Der "Kleiderwechsel" ist aber nichts Äußerliches. Er betrifft das Denken (Vers 23) wie auch das Handeln. Dessen Erneuerung wird in dem ethischen Doppelbegriff "Gerechtigkeit und Heiligkeit" zusammengefasst. Das zweite Glied des Ausdrucks ruft das den Brief eröffnende Gotteslob mit seiner Forderung in Erinnerung, "damit wir heilig und untadelig leben vor ihm." (Epheser 1,4).
Die vielleicht eher knapp anmutenden Ausführungen der Verse 22-24 sind wohl eine Kurzfassung der Vorlage Kolosser 3,5-17. Da die dortige größere Ausführlichkeit mehr Anschaulichkeit bedeuten kann, wird dieser Text unter "Kontext" vorgestellt.