Lesejahr B: 2023/2024

2. Lesung (Eph 1,3-6.15-18)

3Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus. / Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.

4Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Grundlegung der Welt, / damit wir heilig und untadelig leben vor ihm.

5Er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, / seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und zu ihm zu gelangen nach seinem gnädigen Willen,

6zum Lob seiner herrlichen Gnade. / Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn.


15-16Darum höre ich nicht auf, für euch zu danken, wenn ich in meinen Gebeten an euch denke; denn ich habe von eurem Glauben an Jesus, den Herrn, und von eurer Liebe zu allen Heiligen gehört.

17Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch den Geist der Weisheit und Offenbarung, damit ihr ihn erkennt.

18Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt

Überblick

"Herrliche Aussichten" - das ist es, was der Epheserbrief gleich zu Beginn seinen Leserinnen und Lesern bzw. Hörerinnen und Hörern vor Augen stellen möchte. Begründet sind sie in Gott selbst, der "immer schon" - von allem Anfang an - das Heil des Menschen im Blick hat.

 

Einordnung der Lesung in den größeren Zusammenhang und Gliederung

Ein Brief bei Paulus fängt in der Regel anders an: mit Dank, Lob oder dem Aufbau guter Stimmung. Der unbekannte Verfasser des Epheserbriefs hingegen setzt ein mit einem gewaltigen Lobpreis Gottes -  eine Art liturgischer Gesang (Eph 1,1-14). Dieser Einstieg ist kein Zufall. Ihm entsprechen verschiedene weitere Gebete innerhalb des Briefes. Bereits die Fortsetzung 1,15-23, aus der der zweite Teil der Lesung genommen ist, ist ein solches. Und ebenso ist Epheser 3,14-21 ein Gebet. Den Grund für diesen Schwerpunkt nennt der Schreiber in Eph 1,12: Das "Lob der Herrlichkeit Gottes" ist die Grundbestimmung des Menschen von Anfang an. Das ist offensichtlich für den Autor nicht nur Theorie, sondern bestimmt auch seine Schreibpraxis.

Aus dem liturgischen Gesang erklingt in der Lesung allerdings nur die erste Strophe (Verse 3-6), die im Griechischen ein einziger Satz ist. 

Aus dem Lob Gottes dafür, dass er von allem Anfang an bereits das Wohl des Menschen in seinem Blick hat, springt die Lesung in den Dank des Briefschreibers an die Gemeinde (Verse 15-16), von deren Glauben er gehört habe. Das passt insofern nicht ganz, als das Stichwort "Glaube" ("denn ich habe von eurem Glauben gehört") direkt an die in der Lesung ausgelassene letzte Strophe des insgesamt vierstrophigen Lobpreises anknüpft: "in ihm [d. h. in Christus] habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr zum Glauben kamt" (Vers 13).

Da aber Glaube nie abgeschlossen ist, sondern auf lebenslanges Wachstum angelegt ist, folgt noch in Vers 17-18 ein Gebetswunsch um tiefere Gotteserkenntnis und ein tieferes Verständnis dafür, was dieser Gott zu geben vermag.

 

Vers 3: Ein Gottes-Lied


Der Einstieg gibt als gewähltes Gebetsformular den "Lobpreis", die sog. "Eulogie" zu erkennen (Näheres zum Wort s. unter Auslegung). Sie bezieht sich auf Gott Vater im Gegensatz zu den großen Christus-Hymnen des Neuen Testaments (wie z. B. Kolosser 1,15-20). Diese Gott-Vater-Ausrichtung ist typisch für den gesamten Epheserbrief. ER ist es, der in Christus handelt (vgl. Vers 6: "in seinem geliebten Sohn"). Dies verhindert eine von der Theo-logie (Gottes-Rede) losgelöste Christo-logie (Christus-Rede). Beide sind wiederum verbunden durch die Rede vom "Heiligen Geist" (im ausgelassenen Vers 13), sodass sich der Epheserbrief - anders als die Paulusbriefe - als eine der am stärksten trinitarisch (auf die Dreifaltigkeit) ausgerichteten Schriften des Neuen Testaments zu erkennen gibt.

 

Vers 4:  "... schon immer"


Hinter allen Formulierungen der ersten Strophe des Lobpreises muss man sich wie als "Hintergrundstrahlung" die Worte "i m m e r  s c h o n"  vorstellen. Es gibt keine vorstellbare Zeit in Gott - auch wenn für Gott jeder Zeitbegriff versagt -, in der nicht "schon immer" Jesus zugegen war. Seine Existenz hängt nicht an der irdischen Existenz. Und insofern der Sohn "immer schon" ("vor der Grundlegung der Welt") als der ganz auf seine Menschwerdung und seine Todesüberwindung (Auferweckung) hin "gedachte" beim Vater war, war das ewige Heil eines jeden menschlichen Lebens bei Gott "schon immer" beschlossene Sache. Auf diesem Hintergrund hat die Schlussformulierung "damit wir heilig und untadelig leben vor ihm" eine doppelte Bedeutung: Sie beschreibt die Folge des in Jesus Christus beschlossenen Heils für die Menschen als Zusage (in Jesus hat uns Gott in einen Zustand des heiligen und untadeligen Lebens versetzt) wie auch als moralische Aufforderung, diesem Zustand tatsächlich im Handeln zu entsprechen ("Nun lebt auch heilig und untadelig!").  Genau diese beiden Teile - Zusage und Mahnung - prägen den Aufbau des ganzen Epheserbriefs: Kapitel 1-3 belehren über das, was gilt, Kapitel 4-6 mahnen zu einem entsprechenden ethischen Handeln.

Gerade die aktuelle Gegenwart stellt den Glauben an das "immer schon" des Heilswillens Gottes auf eine harte Probe. Aber die Heilige Schrift, die selbst über Jahrhunderte gewachsen ist, mahnt auch immer, die Dinge nicht nur aus dem unter Umständen furchtbaren "Augenblick" heraus (der sich auch zu Jahrzehnten dehnen kann, wie biblisch das ca. 40jährige Exil nach Babylon oder in neuerer Zeit ein Dreißigjähriger Krieg zeigen)  zu betrachten, sondern in den Erfahrungsräumen von zig Generationen zu denken oder auch die eigenen Jahre in den Blick zu nehmen, in denen es anders war.

 

Vers 5: "Sohn" - oder: Beziehung ist alles

Die "Erwählung in Christus" (Vers 4) wird verstärkt durch die Formulierung: "seine Söhne zu werden durch Jesus Christus". Hier wird deutlich: Am Anfang steht nicht die Moral, sondern der tiefe Wunsch nach Beziehung. Die Beziehung Vater - Sohn ist keine exklusive, sondern zielt darauf, alle Menschen in diese Beziehung mit hineinzunehmen. "Sohn" bezieht sich nicht auf das Geschlecht, sondern auf den Stand: geliebt und mit allen Rechten ausgestattet. Da Töchter in damaliger Zeit weniger galten, werden zum Ausdruck der Gleich- und Hochrangigkeit Aller auch die Frauen "Sohn" genannt.

 

Vers 6: "Herrlich"!

"Herrliche Gnade" nennt ein Stichwort, das am Ende wiederkehren wird: "Herrlichkeit". Dieses Wort hat es vom Hebräischen her und dann auch im Griechischen mit "Strahlglanz" und "Bedeutsamkeit" zu tun, mit dem "Respekt, dessen jemand würdig ist". All dies verleiht Gott dem Menschen, in dem er in Christus immer schon das Menschsein in seinem Heilsplan "vorausgedacht" hat - um es mit menschlicher Bildsprache auszudrücken.

 

Verse 15-16: Mehr als "nette Worte"

Der Dank des Verfassers angesichts des guten Rufs der Gemeinde ist einerseits sicher auch "fishing for compliments", wie es beim Briefschreiben damals üblich war. Bevor man mit mit dem eigentlichen Anliegen herausrückt, versucht man erst einmal, den Briefempfänger für sich einzunehmen und wohl zu stimmen ("captatio benevolentiae" nennt das der Lateiner).

Andererseits darf man auch sicher sein, dass es dem Briefschreiber - wie auch früher einem Paulus - natürlich gut getan hat, vom Glauben Anderer zu hören. Das Wissen um die erfolgreiche eigene Missionsarbeit und um das Wachstum der Kirche stärkt das eigene Selbstbewusstsein und macht einen auch selbst im Glauben sicherer.

 

Verse 17-18: Herrliche Aussichten

Zu den abschließenden Lesungsversen (eigentlich hätte mindestens Vers 19 noch hinzugenommen werden müssen) ist oben schon das Wichtigste gesagt. Mit dem "Erbe" wird auf die Auferstehungshoffnung angespielt. Es ist das ewige Leben und die Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott, die "im Himmel" (Vers 3) bereit liegen. Das Wissen um dieses "Erbe" aber prägt schon die Gegenwart. So sollte es jedenfalls sein. Der Epheserbrief ermutigt zu einem Glauben mit "herrlichen Aussichten", die gerade dann  sich als tragfähig und motivierend erweisen sollen, wenn der Alltag mit seinen so ganz anderen Erfahrungen - zzt. verdichten sie sich im "Wort des Jahres"  Corona-Pandemie - eher lähmen, deprimieren oder bis zum Nichts-mehr-Einfallen einfach die Kräfte rauben. Motiviert werden soll zu Taten, die jetzt mehr denn je dem Gegenüber und ganz besonders den Kranken, Sterbenden und ihrer aller Helfer/innen den "Strahlglanz", die "Bedeutsamkeit" und den "Respekt, dessen jemand würdig ist" zusprechen. Quelle dieses Zuspruchs ist die "Herrlichkeit Gottes".

Auslegung

Eine "verschlüsselte" Botschaft (Vers 1)

Der griechische Text des ersten Lesungsverses enthält ein Wortspiel, das im Deutschen nicht zu erkennen ist. Leider hat sich in unserer Sprache nämlich eine Übersetzungstradition durchgesetzt, die weder Maß am Hebräischen noch am Griechischen - den Sprachen der Bibel - noch gar am Lateinischen nimmt. In allen drei genannten Sprachen nämlich wird für "preisen" und "segnen" ein und dasselbe Wort verwendet (hebräisch: bērēk, griechisch: eulogeín, lateinisch: benedicere). Dementsprechend müsste Vers 1 eigentlich übersetzt werden:

"Gesegnet (eulogētós) sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns mit allem geistgewirkten Segen (eulogía pneumatikē) gesegnet hat (eulogēsas) durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel."

Hier geht es nicht um Wortklauberei, sondern um den tiefen Entsprechungszusammenhang zwischen Gottes Handeln und der Antwort des Menschen. Die eine positive Zuwendung (ausgedrückt im Segen Gottes) findet ihre Entsprechung in der anderen positiven Zuwendung (ausgedrückt im Lobpreis des Menschen). Auch wenn das Tun des Menschen immer hinter dem vorangehenden Handeln Gottes zurückbleibt, baut die Heilige Schrift hier gerade keine konkurrierende oder den Menschen klein machende Unterscheidung auf. Beide Seiten tun, was sie können - und meinen es dabei mit dem jeweiligen Gegenüber gut. "Eulogeín" heißt wörtlich: "gut [vom anderen] sprechen".

 

"Er erleuchte die Augen eures Herzens" (Vers 18)

Mittlerweile kennen die meisten das wohl berühmteste Zitat aus Antoine de Saint-Exupérys "Der Kleine Prinz": "Man sieht nur mit dem Herzen gut."

Zumindest der dahinter stehende Gedanke ist keineswegs eine Erfindung des französischen Schriftstellers. Davon zeugt Vers 18 aus der heutigen Lesung. Biblisch ist das Herz das Organ der Wahrnehmung und der Aufmerksamkeit schlechthin. In der Regel wird es dabei nicht mit dem "Sehen", sondern mit dem "Hören" verbunden - weshalb König Salomo um ein "hörendes Herz" bittet, um sein Volk regieren und das Gute vom Bösen unterscheiden zu können (1 Könige 3,9). Aber der Gedanke bleibt derselbe. Da das Herz als "Ort" im Leib angesehen wird, an dem Wollen, Planen, Denken und Entschlusskraft sich bilden, kommt alles darauf an, dass das, was das Handeln beeinflussen soll, im Herzen ankommt. Was die "Mauer des Herzens" nicht durchbricht (öfters ist von "Herzensverhärtung" die Rede [z. B. Psalm 95,8]  oder gar vom "Herzen aus Stein" [Ezechiel 36,26]), bewirkt auch nichts. Das entsprechende Bildwort im Deutschen lautet: zum einen Ohr hineingehen und zum anderen Ohr hinausgehen.

Gerade diese letzte Redewendung macht deutlich, wie wichtig der Umweg des "Gehörten" über das Herz ist. Die "Anregung" des Herzens, überhaupt zu solcher Wahrnehmung fähig und sensibel zu sein, wird in der Lesung mit dem Wirken des Heiligen Geistes verbunden (vgl. Vers 17: "Geist der Weisheit und Offenbarung"; Vers 1: "geistgewirkter Segen": s. o.) . Er ist die Einsicht vermittelnde und in diesem Sinne "erleuchtende" Kraft Gottes.

Wer will, kann hinter der Formulierung "er erleuchte die Augen eures Herzens" sogar eine Anpielung auf die Taufe als Geschehen der Geistmitteilung sehen. Immerhin werden in Hebräer 10,32 die Getauften "Erleuchtete" genannt und bereits am Beginn des 2. Jh. n. Chr. wird der Kirchenvater Justin die Taufe als "Erleuchtung" bezeichnen.

Vorlage sowohl für den Epheserbrief als auch für Justin könnte Paulus in 2 Korinter 4,6 sein:

"Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit aufstrahlt die Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi."

Er beschreibt den mit der Taufe vollzogenen Vorgang der Umkehr als "Neuschöpfung". Wie Gott nach Genesis als Erstes aus der Finsternis Licht aufleuchten ließ, so bewirkt die Kraft der der Taufe vorangehenden Verkündigung des Evangeliums lichtvolle Erkenntnis nach der Zeit dunklen Unwissens. Diese Bildsprache ist geprägt vom eigenen biographischen Weg des Paulus zum Glauben an Jesus Christus.

Kunst etc.

"How to like Paul again" (Photo: B. Jordan), Pexels

"Wie man Paulus wieder lieben kann" - diese Frage, die Brett Jordan ins Bild gesetzt hat,  hat den Verfasser des Epheserbriefs bewegt. Denn ihm geht es in seinem Brief darum, die Autorität des Paulus stark zu machen in nachpaulinischer Zeit. Die christlichen Gemeinden haben sich vervielfältigt und vergrößert. Nun geht es darum, dafür Sorge zu trage, dass aus den Einzelkirchen, welche die Gemeinden usprünglich darstellten, die eine Kirche wird. Dazu schreibt er unter dem Namen des Paulus, greift seine Verkündigung auf und schreibt sie - zusätzlich unter Rückgriff auf den ebenfalls nicht von Paulus stammenden Kolosserbrief - fort. So sorgt er dafür, dass der kirchliche Entwurf eines christlichen Lebensstils zum bleibenden Vermächtnis des Apostels an die Kirche in der Zeit nach den Aposteln wird.

Wenn also der Verfasser des Epheserbriefs dem heutigen Lesungsabschnitt als Brieferöffnung voranstellt: "Paulus, Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes, an die Heiligen in Ephesus, die Gläubigen in Christus Jesus ..." (Vers 1), dann verzichtet er darauf, sich selbst in den Vordergrund zu stellen, und lässt - wenn auch durch seine Brille - Paulus zu Wort kommen. Für die Botschaft, die die Lesung dann bereit hält, kann man diesen Paulus wirklich lieben.