Lesejahr B: 2023/2024

1. Lesung (1 Sam 3,3b-10.19)

3b Samuel schlief im Tempel des HERRN, wo die Lade Gottes stand. 4 Da rief der HERR den Samuel und Samuel antwortete:

Hier bin ich.

5 Dann lief er zu Eli und sagte:

Hier bin ich, du hast mich gerufen.

Eli erwiderte:

Ich habe dich nicht gerufen. Geh wieder schlafen!

Da ging er und legte sich wieder schlafen. 6 Der HERR rief noch einmal:

Samuel!

Samuel stand auf und ging zu Eli und sagte:

Hier bin ich, du hast mich gerufen.

Eli erwiderte:

Ich habe dich nicht gerufen, mein Sohn. Geh wieder schlafen!

7 Samuel kannte den HERRN noch nicht und das Wort des HERRN war ihm noch nicht offenbart worden. 8 Da rief der HERR den Samuel wieder, zum dritten Mal. Er stand auf und ging zu Eli und sagte:

Hier bin ich, du hast mich gerufen.

Da merkte Eli, dass der HERR den Knaben gerufen hatte. 9 Eli sagte zu Samuel:

Geh, leg dich schlafen! Wenn er dich ruft, dann antworte:

Rede, HERR; denn dein Diener hört.

Samuel ging und legte sich an seinem Platz nieder. 10 Da kam der HERR, trat heran und rief wie die vorigen Male:

Samuel, Samuel!

Und Samuel antwortete:

Rede, denn dein Diener hört.

[…]

19 Samuel wuchs heran und der HERR war mit ihm und ließ keines von all seinen Worten zu Boden fallen.

Überblick

Um eine Berufung zu hören, muss man manchmal erst zwischen der menschlichen und der göttlichen Stimme unterscheiden lernen. Eli ermöglicht Samuel, Gott zu hören.

 

1. Verortung im Buch

Im ersten Buch Samuel wird der Wandel Israels von einem Stämmebund zu einem Staat erzählt. Doch steht nicht die Erwählung eines Königs, sondern die Verwerfung eines Priestergeschlechts und die Erwählung eines Propheten am Anfang. Des Einen Abstieg ist nach Gottes Willen des Anderen Aufstieg. Samuel, dessen wundersame Geburt zu Beginn erzählt wird, wird von seinen Eltern zum Dienst am Tempel in Schilo, wo sich die Bundeslade befindet, übergeben (1 Samuel 1). Die dort dienende Priesterschaft war von Gott abgefallen – verurteilend stellt der Erzähler fest: „Die Söhne Elis waren nichtsnutzige Menschen. Sie kannten weder den HERRN noch das Recht der Priester gegenüber dem Volk … “ (1 Samuel 2,12-13). Zwar rügt Eli seine Söhne, aber er kann das göttliche Urteil, das ein Gottesmann über ihn und sein Haus verkündet, nicht mehr abwenden: „Darum - Spruch des HERRN, des Gottes Israels: Ich hatte fest zugesagt: Dein Haus und das Haus deines Vaters sollen für ewig vor meinem Angesicht ein- und ausgehen. Nun aber - Spruch des HERRN: Das sei fern von mir; denn nur die, die mich ehren, werde ich ehren, die aber, die mich verachten, geraten in Schande.“ (1 Samuel 2,30). In 1 Samuel 4 wird dann nicht nur der gewaltsame Tod der Söhne Elis erzählt, sondern Israel verliert in einem Krieg mit den Philistern die Bundeslade. Vor diesem Unheil wird durch die Berufung Samuels in 1 Samuel 3 jedoch bereits der Anfang einer neuen Heilserzählung gesetzt. Samuel wird nicht ein neues Priestergeschlecht gründen – das von Gott in 1 Samuel 2,35 verkündete neue Priestergeschlecht sind die Zadokiden, die ihren Dienst in der Zeit Davids antreten werden (2 Samuel 8,17). Samuel ist ein von Gott berufener Prophet, der zuerst auf Gottes Geheiß Saul zum König salben wird, diesen dann aufgrund seines Verhaltens verwerfen wird, um dann David zum neuen König zu salben wird. Samuel setzt somit im Auftrag Gottes das Königtum in Israel ein.

Zugleich ist die Erzählung über Samuels Berufung auch ein Verstehensschlüssel für die Erzählung über die ersten beiden Könige Israels. Die beiden Verworfenen, Eli und Saul, stehen als Kontrastfiguren einander gegenüber: Während Eli Samuel den Weg bereitet, kämpft Saul bitterlich gegen David.

 

2. Aufbau

In 1 Samuel 3 wird der Weg von einem heillosen zu einem heilvollen Zustand beschrieben. Um diese Bewegung nachvollziehen zu können, ist jedoch der erste Vers dieses Kapitels grundlegend, der nicht Teil der Lesung ist: „Der junge Samuel versah den Dienst des HERRN unter der Aufsicht Elis. In jenen Tagen waren Worte des HERRN selten; Visionen waren nicht häufig.“ (Vers 1). Vor diesem Hintergrund erscheint das viermalige Rufen Gottes nach Samuel umso bedeutender, das Dank Elis für Samuel zu einem Lernprozess wird, um die Stimme des menschlichen Herren von der Stimme Gottes zu unterscheiden. 

Dreimal ruft Gott und dreimal geht Samuel daraufhin zu Eli, denkend, dass dieser gerufen hat. Beim ersten Mal „eilt“ er zu ihm. Bei zweiten und dritten Mal „geht“ er nur langsam - und es wird erzählt, dass Samuel aufsteht – wodurch angedeutet wird, dass er sich aus dem Schlaf überwinden muss. Erst durch Eli versteht er, dass Gottes es ist, der ihn ruft. Zuerst weit Eli ihn schroff ab. Dies wiederholt er beim zweiten Mal, aber fügt seinen Worten ein gütiges „mein Sohn“ bei. Beim dritten Mal dann erkennt Eli, was passiert und ermöglicht auch Samuel diese Erkenntnis.

Eli ermöglicht es seinem Schüler Samuel, auf den sich nicht aufdrängenden Gott zu hören. Zu dieser Erzählung gehört aber auch hinzu, dass Samuels Berufung die Verwerfung Elis und seines Hauses bedeutet, die der Priester als gottgewollt annimmt: 

Der HERR sagte zu Samuel: Fürwahr, ich werde in Israel etwas tun, sodass jedem, der davon hört, beide Ohren gellen. An jenem Tag werde ich an Eli vom Anfang bis zum Ende alles verwirklichen, was ich seinem Haus angedroht habe. Ich habe ihm angekündigt, dass ich über sein Haus für immer das Urteil gesprochen habe wegen seiner Schuld; denn er wusste, wie seine Söhne Gott lästern, und gebot ihnen nicht Einhalt. Darum habe ich dem Haus Eli geschworen: Für die Schuld des Hauses Eli kann durch Opfer und durch Gaben in Ewigkeit keine Sühne erwirkt werden. Samuel blieb bis zum Morgen liegen, dann öffnete er die Türen zum Haus des HERRN. Er fürchtete sich aber, Eli von der Vision zu berichten. Da rief Eli Samuel und sagte: Samuel, mein Sohn! Er antwortete: Hier bin ich. Eli fragte: Was war es, das er zu dir gesagt hat? Verheimliche mir nichts! Gott möge dir dies und das antun, wenn du mir auch nur eines von all den Worten verheimlichst, die er zu dir gesprochen hat. Da teilte ihm Samuel alle Worte mit und verheimlichte ihm nichts. Darauf sagte Eli: Es ist der HERR. Er tue, was ihm gefällt.“ (Verse 11-18).

 

3. Erklärung einzelner Verse

Vers 3: Dass Samuel im Tempel bei der Lade schlief, ist keine Nebensächlichkeit – je nachdem, wie aus welcher Perspektive man diese Aussage liest. Im ersten Tempel stand die Bundeslade im Allerheiligsten, dass gemäß dem Buch Levitikus nur einmal im Jahr und nur vom Hohenpriester betreten werden durfte. Die Bundeslade zeigt die Präsenz Gottes an und somit wird in jedem Fall szenisch die Gottferne und Gottnähe der beiden Protagonisten bereits räumlich dargestellt.

Verse 4-8: Dreimal ruft Gott nach Samuel und dreimal eilt oder geht er stattdessen zu Eli. Dieser Umstand wird vom Erzähler durch einen merksamen Satz erklärt: „Samuel kannte den HERRN noch nicht und das Wort des HERRN war ihm noch nicht offenbart worden.“ Obwohl Samuel am Heiligtum Gottes diente, kennt er Gott nicht – da Gott sich an diesem Ort während der Zeit Samuels eben noch nicht offenbart hatte. Gott hatte sich noch nicht erkennen lassen.

Verse 9-10: Eli erkennt und erklärt Samuel nun, dass nicht er es ist, der ihn ruft, sondern Gott. Er weist ihn auch direkt an, wie er sich zu verhalten hat. Doch Samuel weicht davon ab. Eli sagt ihm, er sollte antworten: „Rede, HERR; denn dein Diener hört.“ Doch der beim Namen Gerufene, spricht nicht den Gottesnamen aus – vielleicht zeugt dies von seiner besonderen Ehrfurcht. Nun beim vierten Mal ruft Gott: „Samuel, Samuel!“, und so ruft er ihn vergleichbar, wie er sich Abraham und Jakob offenbart hat (siehe Genesis 22,21; 46,2). Und nun ruft er nicht mehr nur, sondern er „kommt herein“ und lässt sich von Samuel sehen.

Vers 19: Samuel Bedeutung besteht in der engen Gottesbeziehung, die er hatte: „JHWH war mit ihm!“.

Auslegung

Die Treue Gottes ist nicht selbstverständlich. Eli und seiner Nachkommenschaft hatte Gott zugesichert, dass sie ihm ewiglich als Priester dienen dürfen. Aber aufgrund der Vergehen von Elis Söhnen gegen Gott und gegen Israel verwirft er seine vorherige Zusage mit den Worten: „denn nur die, die mich ehren, werde ich ehren, die aber, die mich verachten, geraten in Schande“ (1 Sam 2,30). Aus Gottes Verheißung wird Gottes Fluch, vom Günstling Gottes wird Eli zum Fehler der Vergangenheit. Anstelle des Priesters Eli beruft Gott den Propheten Samuel.

Aufgrund der menschlichen Verfehlungen bedarf es eines Neuanfangs, dem sich der greise Eli nicht entgegenstellt. Der nichts ahnende Knabe Samuel wird von seinem neuen Herrn berufen, doch in seiner Loyalität als Tempeldiener Elis hört er in seiner Berufung zuerst nur die Stimme seines alten Herrn. Gott ruft ihn beim Namen, doch Samuel hört darin nur die Stimme Elis. Erst der von Gott Verworfene ermöglicht ihm die Gottesoffenbarung. „Eli sagte zu Samuel: „Geh und leg dich hin. Es soll geschehen, wenn er dich ruft, dass du sagst: „Rede JHWH, denn dein Knecht ist hörend“ (1 Samuel 3,9).

Eli klagt nicht, er fleht Gott nicht an. Er nimmt Gottes Wort an. Samuel wird an seiner Statt berufen und das ist aus seiner Sicht gut, weil es Gottes Wille ist. Kein Aufbäumen, kein Verhandeln – sondern treues Annehmen seines Schicksals: „Er ist JHWH. Das Gute in seinen Augen soll er tun“ (1 Samuel 3,18). Eli anerkennt seine Schuld und trägt die Konsequenzen in Treue zu Gott und seinem Willen. Nach der Verwerfung seines Hauses war Gott verstummt. Die Berufung Samuels ist der Neuanfang, dem Eli nicht im Weg stehen will. Er ist mit erhobenem Kopf gescheitert. Mit den Worten Ijobs gesprochen, von dem man das Klagen lernen kann: „Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?“ (Ijob 2,10).

Was würde ich tun, wenn jemand oder gar Gott in mir keine Möglichkeit für einen Neuanfang mehr sehen würde? Ich würde klagen: Warum? Wozu? Ich würde meine Fehler suchen und um eine Zukunft bitten. Barmherzigkeit und Erbarmen würde ich erbitten. Aber würde ich mich dem Neuanfang in den Weg stellen oder würde ich den Neuanfang ohne mich am Ende ermöglichen?

Kunst etc.

Ein Glasfenster, das jetzt im St. Mungo Museum of Religious Life and Art in Glasgow ausgestellt ist, zeigt den jungen Samuel, wie er die Stimme hört.

“The Prophet Samuel as a Young Man”, fotografiert von dun_deagh, St. Mungo Museum of Religious Life and Art in Glasgow.
“The Prophet Samuel as a Young Man”, fotografiert von dun_deagh, St. Mungo Museum of Religious Life and Art in Glasgow.