Lesejahr B: 2023/2024

Evangelium (Joh 18,33b-37)

33Pilatus fragte ihn: Bist du der König der Juden?

34Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus oder haben es dir andere über mich gesagt?

35Pilatus entgegnete: Bin ich denn ein Jude? Dein Volk und die Hohepriester haben dich an mich ausgeliefert. Was hast du getan?

36Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier.

37Da sagte Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.

Überblick

Kein Märchenkönig. Und doch ist das Königreich Jesu nicht von dieser Welt.

1. Verortung im Evangelium
Der Evangelist Johannes eröffnet sein Evangelium, seine frohe Kunde vom Leben und Wirken Jesu anders als die anderen Evangelisten (Matthäus, Markus, Lukas). Das Johannesevangelium (Joh) beginnt mit einem philosophisch anmuteten Hymnus (Joh 1,1-18). In ihm spricht der Evangelist über Jesus als das Wort vor aller Zeit, aus dem alles entstanden ist und das in die Welt kam; das Wort, das Gott selbst ist.Im zweiten Hauptteil des Johannesevangeliums (Joh), der mit dem 13. Kapitel und der Fußwaschung beginnt, steht die Rückkehr Jesu zum Vater und seine Verherrlichung im Mittelpunkt. Zugleich konzentriert sich das Handeln und Verkünden Jesu auf den Kreis seiner Jünger. Seinen engsten Vertrauten hat er die Füße gewaschen und in den folgenden Abschiedsreden eine Deutung seines Leidens anvertraut. In der Passion Jesu im Johannesevangelium tauchen diese beiden Fäden wieder auf: Verherrlichung und Beziehung zu den Seinen.

Innerhalb der Passionserzählungen steht die Szene zwischen Jesus und Pilatus an dritter Stelle. Zuvor war Jesus verhaftet worden (Joh 18,1-11) und vor den Hohepriester Hannas geführt worden (Joh 18,12-27). Von dort gelangt er zu Pilatus, den römischen Statthalter (Joh 18,28-19,16a und 19,19-22). Die Begegnung lässt sich in insgesamt sieben Szenen unterteilen, ist ein Höhepunkt in der Erzählung der johanneischen Leidensgeschichte und geprägt vom Ortswechsel des Pilatus, der zwischen Jesus im Inneren des Prätoriums und den Juden vor dem Gebäude hin und her läuft.

 

2. Erklärung einzelner Verse

Verse 33-35: Das Zentrum der Szene ist die Frage des Pilatus: „Bist du der König der Juden?“. An ihm hängt ein Dialog, der innerhalb der vier Evangelien einzigartig ist. Bei den Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas antwortet Jesus sonst nur knapp auf die Frage „Bist du der König der Juden“ und hüllt sich dann in Schweigen. Hier kommt es zu einem ausführlichen Gespräch zwischen Jesus und Pilatus um das Königtum Jesu. Im ersten Dialogteil bleibt die Frage jedoch zunächst unbeantwortet. Stattdessen fragt Jesus zurück, woher Pilatus dieses vermeintliche Wissen hat. Er will wissen, ob Pilatus von sich aus fragt und handelt oder durch andere zum Handeln bewegt worden ist. Denn die Anklage, mit der die Juden Jesus an Pilatus übergaben, war mehr als „dünn“. Auf die Frage nach dem Vorwurf, den die Juden gegen Jesus erheben (Joh 18,29), antworteten diese ausweichend: „Wenn er kein Übeltäter wäre, hätten wir ihn dir nicht ausgeliefert“ (Joh 18,30).
Pilatus möchte also offenbar selbst erfragen, warum Jesus vor ihn geführt wird. Gleichzeitig lässt er sich durch das Handeln der Juden und deren Hinweis, dass Jesus hingerichtet werden soll (Joh 18,31) aktivieren. Die Frage Jesu trifft also den Kern des Problems des Statthalters: Bildet er sich selbst eine Meinung oder ist er „Spielball“ in der Intrige der Juden?
Die Antwort des Pilatus ist doppeldeutig. Spricht er von Jesus als König der Juden, weil er als Römer nur zu gut weiß, dass die Juden keinen rechtmäßigen und politisch wirksamen König haben können oder hat er verstanden, dass die Juden Jesus mit dieser Zuschreibung zu einem Aufrührer machen wollen? Die Feststellung, dass Jesus von „seinem eigenen Volk“ und den religiösen Führern ausgeliefert wurde, ist rein beschreibend.

 

Verse 36-37: Jesus beantwortet die Ausgangsfrage des Pilatus, wenn zunächst auch nur auf indirekte Weise. Er bejaht nicht seine Königswürde, sondern spricht stattdessen von seinem Königtum. Indem er es außerhalb der Welt und damit in einem anderen Machtbereich verortet, grenzt er sein Verständnis vom Königtum von dem des Statthalters ab. Denn Pilatus‘ Vorstellung von Herrschaft und Macht ist sicher begrenzt auf die Zusammenhänge, die er als Staatsdiener einer Besatzungsmacht kennt. Mit dem Hinweis auf „sein“ Königtum verbindet Jesus den Hinweis darauf, dass er dort über Personal („meine Leute“) verfügt. In diesem Punkt ähnelt sein Herrschaftsbereich den irdischen Konventionen, denn es gibt offenbar Anhänger des Königs und seiner Macht.
Pilatus schlussfolgert: Jesus muss also wirklich ein König sein. Erst jetzt bestätigt Jesus die Eingangsfrage und definiert zugleich den Zusammenhang seines Königtums. Anders als man es vermuten könnte, ist der Sinn seiner Macht keine klassische Herrschaftsausübung, sondern das Eintreten für die Wahrheit. Mit „jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ definiert Jesus abschließend „seine Leute“. Es sind solche, die auf ihn hören und sich damit zur Wahrheit bekennen.

An den letzten Satz Jesu schließt sich die berühmte Frage des Pilatus („Was ist Wahrheit?“) an, die für den Abschnitt des Sonntags ausgelassen wurde.

Auslegung

Was für eine – fast schon skurrile– Szene, die sich kurz vor dem Todesurteil Jesu abspielt. Pilatus der Vertreter der Weltmacht Rom in Judäa befragt einen Gefangenen nach dessen Königtum und muss nicht nur feststellen, dass er es tatsächlich mit einem König zu tun hat, sondern auch, dass er dessen Herrschaftsbereich nicht begreifen kann. 
Dem Evangelisten Johannes ist es offenbar ein großes Anliegen kurz vor dem Leiden Jesu dessen Schicksal zu kontrastieren mit der eigentlichen Frage, die hinter dem Leben, Leiden und Auferstehen Jesu steht. Das wesentlichste Indiz dafür ist der ausgestaltete Dialog um die Königswürde Jesu, der sich so in den anderen Evangelien nicht findet. Obwohl das Machtgefälle unter normalen Blickwinkeln nicht größer sein könnte zwischen Jesus und Pilatus in diesem Moment, findet ein Gespräch zwischen zwei Herrschenden statt – auch wenn Jesu Herrschaft so ganz anders ist als die des Pilatus. Jesus steht Pilatus als Gefangener gegenüber, Pilatus bemerkt zu Recht, dass das eigene Volk und die Hohepriester ihn ausgeliefert haben. Wieviel Hass, Angst und Sorge um den eigenen Einflussbereich muss die jüdischen Autoritäten bewogen haben, einen der Ihren den verhassten römischen Besatzern zu übergeben? Diese Frage wird sich vielleicht auch Pilatus gestellt haben, als er nachfragte, ob Jesus wirklich „der König der Juden“ sei. Doch obwohl Jesus im Gespräch mit dem römischen Statthalter von der Situation her eher in der Rolle des Verteidigers ist oder sich rechtfertigen müsste, ist er vielmehr ein Erklärender. Pilatus verdeutlicht er, dass Macht auch jenseits von irdischen Mechanismen existiert. Kennt jener die Durchsetzung von Regeln in einem besetzten Land mit allen Mitteln und das „top-down“ Prinzip eines hierarchisch organisierten Weltreiches, in dem Statthalter ein- und abgesetzt werden je nach ihren Leistungen und in dem weniger Wahrheit als Deutungshoheit gilt – so steht Jesus für eine ganz andere Konzeption von Herrschaft. Wenn Jesus davon spricht, dass sein Königtum „nicht von dieser Welt“ ist, verweist er damit nicht nur auf eine Herrschaftssphäre, die irdisch noch nicht richtig greifbar ist. Er deutet vor allem darauf hin, dass sein Königtum nicht den „üblichen Regeln“ der menschlichen Machthaber folgt. Was in seinem eigenen Prozess erkennbar wird: Machtspiele, Verlustängste, Stellvertreterkriege, Aufwiegelung, mangelndes Rechtsbewusstsein etc. – all das sind Begleiterscheinungen irdischer Reiche. „Nicht von dieser Welt“ zu sein, bedeutet für Jesus, dass das Reich, für das er steht, anderen Regeln folgt. Das für ihn wesentlichste und stellvertretend genannte Kriterium seines Königtums ist die Wahrheit. „Wahrheit“ als Grundsatz, als Leitfaden, als Ausgangspunkt des Königreiches Jesu verweist auf Gott. Der himmlische Vater, der ihn in die Welt gesandt hat, ist der Urheber aller Wahrheit. Jesus als der „einzige Sohn“ vom Vater „voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14) partizipiert an dieser Wahrheit. Er ist selbst Ausdruck der göttlichen Wahrheit („für die Wahrheit Zeugnis ablege“). Ein König, der sich der Wahrheit verpflichtet weiß, der mit der Sendung unterwegs ist, diese Wahrheit zu verbreiten, ein solcher König agiert nach anderen, göttlichen und eben nicht menschlichen Maßstäben. Dass Jesus damit aber kein fiktives Reich umschreibt, das nur in seinen Gedanken existiert, dies zeigt Jesus in seinem Handeln, in seinem Verkünden und nicht zuletzt in seinem Sterben. Den Hass nicht mit Hass zu beantworten, sondern mit Liebe wird wenige Stunden später in der Hingabe seines Lebens zum größten Zeichen der Wahrheit Gottes, für die Jesus einsteht. Und weil eben dieses Zeichen mitten in der Welt stattfindet, unter den real existierenden Bedingungen einer römischen Weltherrschaft und einer ränkeschmiedenden jüdischen Führerschaft, ist das von Jesus angekündigte Königtum zwar nicht „von dieser Welt“, aber doch „in der Welt“. Die Sendung des einzigen Sohnes „voll Gnade und Wahrheit“ lässt dieses ganz andere Königtum bereits sichtbar werden und es wächst mit jedem, der dem Ruf Jesu folgt (Vers 37).
Das Erstaunlichste an diesem „anderen Königtum“ ist vielleicht, dass es zwar mit Gott einen König gibt, dass dieser aber nicht ängstlich die andern kleinhält, sondern ihnen Würde und Anteil am Königreich zuspricht. In diesem Königreich wird jeder, der in es eintritt zu Priestern erhoben und aus den einzelnen eine Gemeinschaft geformt, wie es die Offenbarung des Johannes beschreibt: „der uns zu einem Königreich gemacht hat und zu Priestern vor Gott seinem Vater“ (Offenbarung des Johannes 1,6, vgl. auch 5,10)

Kunst etc.

Das Fürstenportal des Bamberger Doms mit dem jüngsten Gericht und dem Thronenden Christus.