Gerade in dieser kurzen Passage des Epheserbriefs wird der Verfasser besonders konkret, welche Haltungen und Verhaltensweisen mit christlicher Existenzweise unvereinbar sind und welche prägend sein sollten. Die Begründung, die er nennt, begegnet hier innerhalb des Briefes zum ersten Mal.
Einordnung in den Kontext
Die Lesung am vorigen Sonntag endete mit dem Vers "Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit!" (Epheser 4,24).
Diese Aufforderung oder auch Ermutigung, die Taufe als radikalen Existenzwechsel ("neuer Mensch") zu verstehen und sich im Alltagsleben der eigenen Gottebenbildlichkeit anzunähern, die in jeder und jedem grundgelegt ist, wird in Eph 4,25 - 5,2 konkretisiert. Aus dem anempfohlenen "Maßnahmenkatalog" beschränkt sich die Lesungsauswahl ("Perikope") auf die letzten vier Verse. Übersprungen werden damit die Beispiele, auf Diebstahl zu verzichten, stattdessen dem Notleidenden zu geben und nur Worte zu sprechen, die auferbauen.
Vers 30: "Betrübt nicht den Heiligen Geist"
Der Eröffnungsvers der Lesung kann als Überschrift für den Rest verstanden werden. Einmal mehr thematisiert der Epheserbrief hier den Heiligen Geist, und zwar unter Anspielung auf eine theologische "These", die er schon im einleitenden Gotteslob des Briefes als Gebet "verkleidet" formuliert hat. Die letzten beiden Verse dieser sog. Eulogie ("Gotteslob") lauten nämich:
"13 In ihm habt auch ihr das Wort der Wahrheit gehört, das Evangelium von eurer Rettung; in ihm habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr zum Glauben kamt. 14 Der Geist ist der erste Anteil unseres Erbes, hin zur Erlösung, durch die ihr Gottes Eigentum werdet, zum Lob seiner Herrlichkeit" (Epheser 1,13-14, Zweite Lesung vom 15. Sonntag im Jahreskreis).
Damit benennt der Briefautor ein neues Motiv, seinen Mahnungen als Apostel Folge zu leisten: Nach dem Hinweis auf den mit der Taufe ergangenen "Ruf" Gottes, dessen es würdig zu werden gilt (Epheser 4,1, Zweite Lesung vom vorletzten Sonntag), wird jetzt die seinsverändernde Taufgabe des Heiligen Geistes benannt, die es zu bewahren und nicht zu beschädigen gilt. Es handelt sich um eine göttliche Gabe, die zum Gott entsprechenden Handeln befähigt. Sie ist ein Potenzial, das es in die richtige Richtung hin zu aktivieren gilt. Zugleich ist der Geist aber auch so etwas wie ein dem Täufling aufgeprägtes Versprechen Gottes, ihn zu bewahren - über den Tod hinaus. Etwas Anderes als diese Zusage hat der Mensch in seinen irdischen Tagen nicht. Dies sollte ihn aber zu Taten der Hoffnung motivieren.
Vers 31: Fünf Unterlassungen
Aus dieser Perspektive stellen die in Vers 31 aufgelisteten Verhaltensweisen das Gegenteil des Ausdrucks von Hoffnung dar: Alles Genannte zeugt vom ängstlichen Kleben an den eigenen Möglichkeiten, des Verzweifelns an den eigenen Grenzen, das Gott nichts zutraut, und des Setzens auf auch auf die unerlaubten ("bösen") Mittel, weil dieses irdische Leben als die einzige und mit dem Tod endende letzte Chance angesehen wird. Die ganze Fünferliste hält zusammen, dass sich die angesprochenen Gefühle und "Taten" im Bereich des Wortes äußern, von dem einmal die Dichterin Hilde Domin sagt: "Schlimmer als ein Messer - das Wort." Dieses trifft nämlich immer - mitten ins Herz!
Verse 4,32 - 5,2: Nachahmung Gottes
Die letzten drei Verse setzen der Negativliste aus Vers 31 eine Positivliste gegenüber. Das Besondere der Dreierliste Vers 32: Die hier genannten drei Grundeigenschaften werden alttestamentlich vor allem mit Gott verbunden. Am nächsten kommt dem Epheserbrief Nehemia 9,17: "Doch du bist ein Gott, der verzeiht, du bist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Huld" [dasselbe hebräische Wort chaesaed übersetzen Andere mit "Güte"]. Dem Briefautor aber geht es darum, dass die Menschen, nämlich die Getauften, diese göttlichen Verhaltensweisen für sich übernehmen. Eigentlich ist dies die logische Konsequenz aus der am vorigen Sonntag gelesenen Feststellung der Gottebenbildlichkeit des Menschen, die mit der Taufe "aktualisiert" wird (Epheser 4,24).
Dieses Motiv der "imitatio Dei" (Nachahmung Gottes) wiederholt sich in den letzten beiden Versen. An die Stelle der "Tugenden" Güte, Barmherzigkeit und Vergebungsbereitschaft tritt jetzt die "Liebe", die Paulus einmal den "alles überragenden Weg" nennt (1 Korinther 12,31). Und wiederum wird die Gottesnachahmung mit dem Hinweis auf das Christushandeln konkretisiert. Betont Vers 32 die vergebende Kraft des Kreuzestodes Jesu, so betont Epheser 5,2 die Selbsthingabe Jesu, die - wegen des o. g. kultischen Hintergrundes der Sündenvergebung - als Selbst-Opfer gedeutet wird, zugleich aber, und darauf liegt hier der Schwerpunkt, als Liebestat. Das entspricht besonders der johanneischen Deutung des Todes Jesu:
"Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt" (Johannes 15,13).