Lesejahr B: 2023/2024

2. Lesung (Eph 4,30 - 5,2)

30Betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, den ihr als Siegel empfangen habt für den Tag der Erlösung!

31Jede Art von Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung mit allem Bösen verbannt aus eurer Mitte!

32Seid gütig zueinander, seid barmherzig,
vergebt einander, wie auch Gott euch in Christus vergeben hat.

51Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder
2und führt euer Leben in Liebe,
wie auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat als Gabe und Opfer, das Gott gefällt!

Überblick

Gerade in dieser kurzen Passage des Epheserbriefs wird der Verfasser besonders konkret, welche Haltungen und Verhaltensweisen mit christlicher Existenzweise unvereinbar sind und welche prägend sein sollten. Die Begründung, die er nennt, begegnet hier innerhalb des Briefes zum ersten Mal.

 

Einordnung in den Kontext

Die Lesung am vorigen Sonntag endete mit dem Vers "Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit!" (Epheser 4,24).

Diese Aufforderung oder auch Ermutigung, die Taufe als radikalen Existenzwechsel ("neuer Mensch") zu verstehen und sich im Alltagsleben der eigenen Gottebenbildlichkeit anzunähern, die in jeder und jedem grundgelegt ist, wird in Eph 4,25 - 5,2 konkretisiert. Aus dem anempfohlenen "Maßnahmenkatalog" beschränkt sich die Lesungsauswahl ("Perikope") auf die letzten vier Verse. Übersprungen werden damit die Beispiele, auf Diebstahl zu verzichten, stattdessen dem Notleidenden zu geben und nur Worte zu sprechen, die auferbauen.

 

Vers 30: "Betrübt nicht den Heiligen Geist"

Der Eröffnungsvers der Lesung kann als Überschrift für den Rest verstanden werden. Einmal mehr thematisiert der Epheserbrief hier den Heiligen Geist, und zwar unter Anspielung auf eine theologische "These", die er schon im einleitenden Gotteslob des Briefes als Gebet "verkleidet" formuliert hat. Die letzten beiden Verse dieser sog. Eulogie ("Gotteslob") lauten nämich: 

"13 In ihm habt auch ihr das Wort der Wahrheit gehört, das Evangelium von eurer Rettung; in ihm habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr zum Glauben kamt. 14 Der Geist ist der erste Anteil unseres Erbes, hin zur Erlösung, durch die ihr Gottes Eigentum werdet, zum Lob seiner Herrlichkeit" (Epheser 1,13-14, Zweite Lesung vom 15. Sonntag im Jahreskreis).

Damit benennt der Briefautor ein neues Motiv, seinen Mahnungen als Apostel Folge zu leisten: Nach dem Hinweis auf den mit der Taufe ergangenen "Ruf" Gottes, dessen es würdig zu werden gilt (Epheser 4,1, Zweite Lesung vom vorletzten  Sonntag), wird jetzt die seinsverändernde Taufgabe des Heiligen Geistes benannt, die es zu bewahren und nicht zu beschädigen gilt. Es handelt sich um eine göttliche Gabe, die zum Gott entsprechenden Handeln befähigt. Sie ist ein Potenzial, das es in die richtige Richtung hin zu aktivieren gilt. Zugleich ist der Geist aber auch so etwas wie ein dem Täufling aufgeprägtes Versprechen Gottes, ihn zu bewahren - über den Tod hinaus. Etwas Anderes als diese Zusage hat der Mensch in seinen irdischen Tagen nicht. Dies sollte ihn aber zu Taten der Hoffnung motivieren.

 

Vers 31: Fünf Unterlassungen

Aus dieser Perspektive stellen die in Vers 31 aufgelisteten Verhaltensweisen das Gegenteil des Ausdrucks von Hoffnung dar: Alles Genannte zeugt vom ängstlichen Kleben an den eigenen Möglichkeiten, des Verzweifelns an den eigenen Grenzen, das Gott nichts zutraut, und des Setzens auf auch auf die unerlaubten ("bösen") Mittel, weil dieses irdische Leben als die einzige und mit dem Tod endende letzte Chance angesehen wird. Die ganze Fünferliste hält zusammen, dass sich die angesprochenen Gefühle und "Taten" im Bereich des Wortes äußern, von dem einmal die Dichterin Hilde Domin sagt: "Schlimmer als ein Messer - das Wort." Dieses trifft nämlich immer - mitten ins Herz!

 

Verse 4,32 - 5,2: Nachahmung Gottes

Die letzten drei Verse setzen der Negativliste aus Vers 31 eine Positivliste gegenüber. Das Besondere der Dreierliste Vers 32: Die hier genannten drei Grundeigenschaften werden alttestamentlich vor allem mit Gott verbunden. Am nächsten kommt dem Epheserbrief Nehemia 9,17: "Doch du bist ein Gott, der verzeiht, du bist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Huld" [dasselbe hebräische Wort chaesaed  übersetzen Andere mit "Güte"]. Dem Briefautor aber geht es darum, dass die Menschen, nämlich die Getauften, diese göttlichen Verhaltensweisen für sich übernehmen. Eigentlich ist dies die logische Konsequenz aus der am vorigen Sonntag gelesenen Feststellung der Gottebenbildlichkeit des Menschen, die mit der Taufe "aktualisiert" wird (Epheser 4,24).

Dieses Motiv der "imitatio Dei" (Nachahmung Gottes) wiederholt sich in den letzten beiden Versen. An die Stelle der "Tugenden" Güte, Barmherzigkeit und Vergebungsbereitschaft tritt jetzt die "Liebe", die Paulus einmal den "alles überragenden Weg" nennt (1 Korinther 12,31). Und wiederum wird die Gottesnachahmung mit dem Hinweis auf das Christushandeln konkretisiert. Betont Vers 32 die vergebende Kraft des Kreuzestodes Jesu, so betont Epheser 5,2 die Selbsthingabe Jesu, die - wegen des o. g. kultischen Hintergrundes der Sündenvergebung - als Selbst-Opfer gedeutet wird, zugleich aber, und darauf liegt hier der Schwerpunkt, als Liebestat. Das entspricht besonders der johanneischen Deutung des Todes Jesu: 

"Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt" (Johannes 15,13).

 

Auslegung

"... wie auch Gott euch in Christus vergeben hat" (Vers 32)

Wenn die "Gottebenbildlichkeit" ein alttestamentlicher Gedanke ist, wundert es auch nicht, das die Forderung zur Nachahmung Gottes auch bereits hier zu finden ist. Als Grundsatz hält sie vor allem Levitikus/3. Buch Mose 19,2 fest: "Seid heilig, denn ich, der HERR, euer Gott, bin heilig." Dabei hatte Israel die "Güte" und "Barmherzigkeit" Gottes in seiner Geschichte seit der Errettung aus dem "Sklavenhaus Ägypten" immer weider am eigenen Leib erfahren: Es lebte unverdientermaßen in einem eigenen Land, konnte von seinen Erträgen leben, war bei allen Verlusten nie ganz untergegangen. Kranke wurden gesund und aussichtlose Lagen wandelten sich in Heil. Das Volks sah sich als ein "armes Volk" an, dem Gott sich immer wieder gütig und barmherzig zuwandte. Deshalb musste "heiligsein entsprechend der Heiligketi Gottes" auch bedeuten, selbst gütig und barmherzig zu den Armen zu sein.

Diese "imitatio Dei" (Nachahmung Gottes) kommt allerdings - rein alttestamentlich gedacht - bei der Vergebung an ihre Grenzen. Denn diese war für die Menschen nur vermittelt durch den Kult erfahrbar, durch Opfer und Blutbesprengungsriten. Genau an die Stelle dieser Opfer tritt das Sterben Jesu am Kreuz: die Übernahme des Urteils für die schlimmsten Verbrechen, ohne selbst ein Verbrechen ("Sünde") begangen zu haben. Indem Gott diesen "Sündentod" in Leben umwandelt, den zu Unrecht Getöteten aus dem Tode erweckt, zeigt er der Welt ein für allemal: "Ich - Gott - habe vergeben." Es bedarf keiner weiteren Opfer. Wenn aber der Mensch ganz aus dieser sichtbar gewordenen Vergebung Gottes leben darf, ist er, sofern er zu diesem Gott gehören möchte, auch in "Sachen Vergebung" zur Nachahmung Gottes aufgefordert. Genau dieser Zusammenhang erklärt, warum die Vergebungsaufforderung gegenüber den beiden anderen "Tugenden" einer besonderen Begründung bedarf: "... vergebt einander, wie auch Gott euch in Christus vergeben hat."

Kunst etc.

CC A-S 3.0, Griech. Siegelring (Photo Hermann Junghans, 6.9.2013)
CC A-S 3.0, Griech. Siegelring (Photo Hermann Junghans, 6.9.2013)

Ein Siegel - der mit Hilfe eines Siegelrings oder eines Stempels eingeprägte Abdruck am Ende eines Dokuments oder auf dessen Verschluss (Schlusskante einer Dokumentenrolle bzw. Verschlussstelle des Umschlags) hat verschiedene Funmktionen: Es weist die Identität des Absenders bzw. des schreibenden Ich nach, es sichert die Unversehrtheit des versiegelten Dokuments oder Gegenstands und es drückt Macht aus.

All das darf man auch mithören, wenn der Epheserbrief vom "Siegel des Heiligen Geistes" spricht. Der in der Taufe wirksam ist, ist wirklich Gott selbst. Es ist sein Geist, den der Täufling empfängt und der ihn in eine eigentständige Gottesbeziehung versetzt. Dieser Heilige Geist soll den Menschen unversehrt bewahren. Dies schließt weder Krankheit noch Leiden nochTod aus, sondern meint eine Unzerstörbarkeit und Unwiderruflichkeit des Ja Gottes zum Menschen trotz und in seiner ganzen Brüchigkeit und Verletzlichkeit. Er ist auch Ausdruck der Macht Gottes, für die der Tod des Menschen nicht das Ende der Möglichkeiten bedeutet. Die Urerfahrung der Jüngerinnen und Jünger Jesu mit dem Auferweckten wollen genau dieswe Macht Gottes bezeugen, die sich nicht auf Jesus beschränkt, sondern allen gilt, die sich auf diesen Gott und seinen Heiligen Gesit einlassen.