Lesejahr B: 2023/2024

Evangelium (Mk 13,24-32)

24Aber in jenen Tagen, nach jener Drangsal, wird die Sonne verfinstert werden und der Mond wird nicht mehr scheinen;

25die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.

26Dann wird man den Menschensohn in Wolken kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit.

27Und er wird die Engel aussenden und die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels.

28Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, erkennt ihr, dass der Sommer nahe ist.

29So erkennt auch ihr, wenn ihr das geschehen seht, dass er nahe vor der Tür ist.

30Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles geschieht.

31Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.

32Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater.

Überblick

Eine neues Koordinatensystem. Wenn alles andere vergeht, bleibt nur das lebensspendende Wort Jesu.

1. Verortung im Evangelium
Der Evangelist Markus unternimmt es als erster eine Jesuserzählung zu schreiben und die zuvor meist mündliche Überlieferung zu einer fortlaufenden Geschichte zusammenzustellen. Das Markusevangelium (Mk) entsteht kurz nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70 n.Chr.) im Jüdischen Krieg. Der Verfasser ist unbekannt, auch wenn es innerhalb der kirchlichen Tradition eine Verbindung zu Markus einem Judenchristen hellenistischer Herkunft gibt. Dieser ist einerseits Paulusbegleiter (Apostelgeschichte 12,12) und andererseits Vertrauter des Petrus (1. Petrusbrief 5,13).
Das Markusevangelium beginnt in der Wüste (Mk 1,1-13) mit dem Auftreten des Täufers und der Taufe Jesu. Dann schildert es den Beginn der Verkündigung Jesu in Galiläa (Mk 1,14-8,26) und den Weg nach Jerusalem (Mk 8,27-10,52) und endet mit den Ereignissen in Jerusalem (Mk 11,1-16,20). Das ursprüngliche Ende des Evangeliums war die Begegnung der Frauen mit dem Engel am leeren Grab (Mk 16,8). Die Erweiterung um die Erscheinungserzählungen sind später hinzugefügt worden (Mk 16,9-20).
Seit Mk 11,1 befindet sich Jesus in Jerusalem. Nach seinem feierlichen Einzug (Mk 11,1-11) ist er mal explizit im Kreis der Jünger unterwegs (Wort über den Feigenbaum Mk 11,12-14 und 20-26) und dann wieder öffentlich tätig (z.B. Reinigung des Tempels Mk 11,15-19). Von Mk 11,27-12,34 an hatte Jesus mit den religiösen Anführern seiner Zeit Diskussionen und theologischen Auseinandersetzungen geführt. Diese mündet in eine Belehrung über die Schriftgelehrten und deren Haltung (Mk 12,38-44). Mit Mk 13,1 beginnt ein größerer Abschnitt, der angesichts des Tempels dessen Untergang und die Endzeit thematisiert. Jesus befindet sich dabei dem Tempel gegenüber auf dem Ölberg im Kreis seiner Jünger.

 

2. Aufbau
Mit Mk 13,24-32 befinden wir uns im zweiten Gedankengang der Rede Jesu auf dem Ölberg. Anders als in Mk 13,5-23 werden hier erkennbare Zeichen für das Ende genannt. Dabei sind die Zeichen des Endes (Verse 24-27) zu unterscheiden vom Zeitpunkt des Endes (Verse 28-32).

 

3. Erklärung einzelner Verse

Verse 24-25: Ausgangspunkt für den gesamten Abschnitt ist die Frage der vier Jünger (Petrus, Andreas, Jakobus, Johannes) in Mk 13,4 nach dem Zeitpunkt für das „Ende der Zeit“ und dem Erscheinen des Menschensohnes zum Endgericht (Mk 8,38). In den Versen24-27 formuliert Jesus den Jüngern gegenüber nun die Anzeichen der Endzeit aus. Es sind kosmische Erschütterungen, wie sie in jüdisch-apokalyptischen Texten verwendet werden und auch im Alten Testament beschrieben werden (Jesaja 13,10; Joel 2,10; Haggai 2,6). Die geschilderten Anzeichen, wie das Verfinstern von Sonne und Mond und das Herabfallen der Sterne machen Gottes eigene Handlungen des 4. Schöpfungstages rückgängig (Genesis 1,14-19). Die Erschütterung der himmlischen Kräfte ist zugleich eine Erschütterung der göttlichen Ordnung, die in der Schöpfung grundgelegt ist und für die Menschen den Rahmen ihres Lebens ausmacht. So verbinden sich die sichtbaren Phänomene mit einer existentiellen Erfahrung.

 

Verse 26-27: Zu den kosmischen Zeichen tritt ein weiteres: Der Menschensohn kommt. Der Titel des „Menschensohn“ ist durch die alttestamentliche Überlieferung geprägt und der Gemeinde bekannt. Der Begriff „Menschensohn“ meint zunächst einmal so viel wie Mensch oder Menschenkind. Im Buch Ezechiel wird der Prophet selbst immer wieder mit diesem Begriff angesprochen (vgl. Ezechiel 6,2). In der jüdisch-apokalyptischen Literatur, also den Schriften, die sich mit der Endzeit und ihren Ereignissen auseinandersetzen, verändert sich die Bedeutung. Nun ist mit dem Begriff „Menschensohn“ die Hoffnung auf eine menschenähnliche und von Gott herkommende Gestalt verbunden, die in den Ereignissen der Endzeit eine wichtige Funktion einnimmt (z.B. Daniel 7,13). Indem der Menschensohn auf Wolken kommt und mit „großer Kraft und Herrlichkeit“ wird er Figur aus der Nähe Gottes gekennzeichnet.
Verbunden mit dem Höhepunkt der endzeitlichen Ereignisse, dem Erscheinen des Menschensohnes, ist die Aussendung der Engel und das Zusammensammeln der Auserwählten. Auch hier greift der Evangelist Markus auf Vorstellungen des Alten Testaments zurück. Im Buch des Propheten Sacharja beispielsweise ist das Gottesvolk Israel in alle Himmelsrichtungen zerstreut und wird zum Ende der Zeit zusammengeführt (Sacharja 2,10).

 

Verse 28-29: Mit Vers 28 beginnt ein neuer Gedankengang, dies zeigt sich in der direkten Ansprache und Aufforderung an die Jünger („lernt“). Nun ist die Vegetation eines Feigenbaums der Vergleichspunkt, um die Zeichen der Endzeit einzuordnen. Das Herannahen des Sommers und damit der Erntezeit ist am Sprießen der Blätter und Zweige erkennbar. So können auch die Menschen aus der Beobachtung der Ereignisse um sich herum auf die nahe „Erntezeit“ beziehungsweise das Gericht schließen. „Wenn ihr das seht“ meint dabei eher die Vorboten der Endzeit wie Bedrängnisse (zum Beispiel „falsche Propheten“, Mk 13,22) als das einsetzende Ende (Verse 24-27) – dies ist aber nicht eindeutig zu trennen. Wichtig ist vor allem: Die Anzeichen für das Ende sind erkennbar.

 

Verse 30-32: Im Gegensatz dazu (Erkennbarkeit der Zeichen) ist der Zeitpunkt, an dem das Ende wirklich eintritt, nur Gott bekannt. Damit ist jede Frage nach dem „wann“ obsolet geworden (Mk 13,4). Ein Ausrechnen von Tag und Stunde ist nicht möglich, wohl aber ein Erkennen dieser Zeit. Der Evangelist Markus rechnet für sich und seine Gemeinde für ein Eintreten dieser Ereignisse noch innerhalb der eigenen Generation. Mit der feierlichen Einleitung „Amen, ich sage euch“ lässt er Jesus diese Naherwartung der christlichen Gemeinde ins Wort bringen. „Das alles“ umfasst die endzeitlichen Ereignisse und das Gericht, die Zeit, in der die gewohnte Ordnung auseinanderbricht („Himmel und Erde werden vergehen“). Dem Zusammenbruch des bekannten Kosmos stellt Jesus sein Wort als unvergänglich gegenüber. Hier ist nicht ein konkretes Wort gemeint, sondern die Verkündigung Jesu vom Gottesreich.
Dass auch der Sohn nicht den Zeitpunkt des Endes kennt, war für die Gemeinde des Markus und die frühen Christen offenbar kein Problem. Für sie war klar, dass nur Gott als Herr über Zeit und Raum den Termin des Endes kennt. Erst in späterer Zeit und christologischen Diskussionen ist die Unkenntnis des Sohnes problematisiert worden. Dem Evangelisten geht es jedoch nicht um eine Rangfolge der Wissenden, sondern um eine Zusicherung: Gott ist und bleibt der Verantwortliche für das Geschehen, er ist der Sicherheitsanker der Geschichte.

Auslegung

Es soll und darf kein Spekulieren über den Zeitpunkt des Endes geben, dies schärft Jesus seinen Jüngern und auch uns ein. Die Frage nach dem „Wann“ ist nicht angemessen. Nicht nur, weil nur Gott als Herr über Raum und Zeit diesen Moment kennt, sondern weil das Ausrechnen des Endes eine große Gefahr in sich birgt. Die Bekanntheit des Zeitpunkts macht diesen zur menschlichen Verfügungsmasse, indem wir meinen, ihn am Ende doch gestalten, verschieben, hinauszögern zu können. Zu groß ist die Versuchung, unsere Vorbereitungen darauf auf die letzte Minute hinauszuschieben. Doch so sehr wir Menschen den Eindruck haben, die Welt selbst lenken zu können, so sehr machen die Worte Jesu deutlich, dass wir mit diesem Denken einer Täuschung aufsitzen. Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, übergibt uns seine Schöpfung, um zu gestalten, um selbst kreativ zu sein, um unsere Zeit und Welt zu prägen – und bleibt doch selbst immer souverän über das, was er geschaffen hat. Die umfassende Wirkmacht Gottes zeigt sich darin, dass er das von ihm geschaffene Ordnungssystem, das selbst angelegte Gefüge von Land und Meer, Himmel und Erde, Nacht und Tag vergehen lässt.

So unklar der Zeitpunkt dieses Endes ist, so klar ist sein Herannahen erkennbar. Jesus gibt im Evangelium eindeutige Hinweise: es wird Krieg, Streit und Hungersnöte geben (Mk 13,7-8), falsche Heilsbringer tauchen auf (Mk 13,22) und die Christen selbst werden sich Bedrängnissen ausgesetzt sehen (Mk 13,9-13). Wenn diese Anzeichen wahrnehmbar werden, ist es wie mit einem Baum, der auf den Höhepunkt seines Vegetationszyklus zusteuert und alle Kraft in Blätter und Zweige sendet – es zeigt die nahe Zeit der Ernte an. Für die Jünger, die Gemeinde und die Menschen bedeutet dies nicht nur aus dem Beispiel des Feigenbaums zu lernen, sondern vor allem wachsam zu sein (Mk 13,33)! Es geht darum, die Zeichen der Zeit zu erkennen und darauf angemessen zu reagieren – wobei die unklare Zeitspanne zwischen Eintritt der Anzeichen und Beginn des Endes einen zweiten Appell in sich birgt: Bereitet euch JETZT vor, auch wenn ihr vielleicht noch keine Anzeichen seht. Weil niemand weiß, wie lange es dauert von den Bedrängnissen bis zum Zusammenbruch, ist der sicherste und sinnvollste Weg, dem kommenden Ende zu begegnen, sich JETZT und SOFORT so zu verhalten, als stünde das Ende unmittelbar bevor. Die endzeitliche Rede Jesu auf dem Ölberg ist eine Einladung an die Jünger zu Akteuren ihrer Zeit zu werden. Sie sollen nicht mehr nur reagieren auf das, was um sie herum geschieht. Sie sollen ihre Zeit so prägen, dass sie auf das Ende vorbereitet ist.

Wie das geschehen kann und welche Sicherheit es gibt, verbirgt sich in einem Nebensatz: „aber meine Worte werden nicht vergehen“. Wenn jede bisher bekannte Ordnung untergeht, wenn die ordnungsgebenden Instanzen von Sonne, Mond und Sternen die Zeit nicht mehr regeln, wenn alles zusammenbricht, dann ist da wieder das Wort – so wie am Anfang, vor aller Schöpfung und Zeit (Johannesevangelium 1,1). Das Wort ist Jesus selbst und die Botschaft, die er verkörpert. Seine Verkündigung in Wort und Tat gibt den Rahmen der Zeit nach dem Ende vor. Die Worte Jesu sind das neue und stabile Koordinatensystem des Gottesreichs. Es sind Worte der Heilung, des Lebens, der Liebe und des Erbarmens, Worte der Vergebung, des Vertrauens und der Gemeinschaft. Wer sie hört und lebendig werden lässt, muss sich um untergehende Ordnungen keine Sorgen machen.