Lesejahr B: 2023/2024

2. Lesung (Phil 2,6-11)

6Er war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein,

7sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen;

8er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz.

9Darum hat ihn Gott über alle erhöht / und ihm den Namen verliehen, / der größer ist als alle Namen,

10damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen / vor dem Namen Jesu

11und jeder Mund bekennt: / Jesus Christus ist der Herr / zur Ehre Gottes, des Vaters.

Überblick

Ein Gott, der nicht am Gottsein festhält, sondern aus freien Stücken Mensch wird. Davon kündet das kraftvolle Loblied auf Christus im Philipperbrief.

1. Verortung im Brief
Der Apostel Paulus schreibt der Gemeinde von Philippi, der ersten Gemeinde in Europa, während er in Ephesus im Gefängnis sitzt. Paulus hat zu der Gemeinde eine besonders intensive Beziehung, nur von ihr lässt er sich auch finanziell unterstützen. In der Korrespondenz zwischen Gemeinde und Apostel geht es sowohl um persönliche Anliegen und Vorhaben des Apostels als auch um die konkrete Situation der Gemeinde.

Der Christushymnus (oder auch Christuslied) bildet das inhaltliche Zentrum des Hauptteils des Briefes. Wie ein Netz spannen sich von ihm aus inhaltliche Fäden durch das gesamte Schreiben. Verankert ist das Lied zwischen Mahnungen für das gemeindliche Miteinander (Phil 2,1-4) und Sorgen des Apostels um die Gemeinde (Phil 2,12-18).

 

2. Aufbau
Der Hymnus lässt sich in zwei Strophen unterteilen. Die Verse 6 bis 8 nehmen das Geschehen der Menschwerdung in den Fokus, die Verse 9 bis 11 die Erhöhung und Verherrlichung Jesu Christi.

 

3. Erklärung einzelner Verse
Verse 6-8: Die erste Strophe des Liedes formuliert eine Herabsteigende Bewegung des Gottessohnes, die mit dem Wort der Selbsterniedrigung umschrieben ist:

„Gott gleich“: Eigentlich steht im griechischen Text „in der Gestalt Gottes“, allerdings führt diese Formulierung schnell zu dem Irrtum, Christus würde nur die Gestalt Gottes, also die äußere Erscheinungsform Gottes haben, denn Gestalt erinnert an etwas Äußeres. Gemeint ist jedoch, Christus ist ganz und gar Gott, er ist vor allem im Inneren, in seinem Wesen ganz von Gott und seiner Wirklichkeit geprägt. Die Suche nach einem geeigneten Begriff das Dasein Christi vor aller Zeit zu beschreiben steckt hier noch ganz in seinen Anfängen, es geht weniger um eine theologisch genaue Beschreibung als um die Charakterisierung eines Daseins, das ganz von Gott geprägt ist. 
Das „Gott gleich“-Sein wird mit anderen Worten noch einmal aufgenommen im zweiten Teil des Verses. Hier geht es nicht mehr zuerst um die Wesensbestimmung als um die Stellung. Vielmehr geht es darum, dass Christus das „Gott gleich“-Sein nicht fest hält im Sinne einer Stellung oder eines Status, den er innehat.

 

„er entäußerte sich“: Die Feststellung, dass Christus nicht krampfhaft festhält an seiner göttlichen Gestalt und dem Status, wird weiter ausgebaut. Im Gedanken der Entäußerung (Kenosis), dem aus sich Herausgehen, wird die Freiheit Jesu Christi in den Blick genommen. Er verlässt nicht gezwungenermaßen die himmlische Wirklichkeit, sondern nimmt aus freiem Willen die „Gestalt eines Sklaven“ an und wird „den Menschen gleich“. Wenn der Gestalt Gottes die Gestalt eines Sklaven gegenübergestellt wird, geht es nicht hier nicht an erster Linie schon um den Gehorsam oder die Unfreiheit des Sklavendaseins. Im Fokus steht der Schritt von der Wirklichkeit des Himmels zur Wirklichkeit der Erde, er überwindet die Trennung von der Welt Gottes zur Welt des Menschen und wird in Freiheit vollzogen.

 

Menschwerdung und Menschsein: Die Bewegung von der himmlischen zur irdischen Existenz wird in der Feststellung „sein Leben war das eines Menschen“ abgeschlossen. Die Dynamik von oben nach unten erreicht ihren Höhepunkt oder eigentlich Tiefpunkt im Ankommen in der menschlichen Wirklichkeit. Und diese Wirklichkeit ist gekennzeichnet als eine, die den Tod umfasst. Christus nimmt diese Wirklichkeit mit letzter Konsequenz an: Er erniedrigt sich und ist gehorsam, d.h. er ist demütig der Begrenztheit und Unvollkommenheit des menschlichen Daseins gegenüber und nimmt an, was an ihm geschieht. So ist der Tod am Kreuz das letzte Zeichen des freiheitlichen Aktes der Selbstentäußerung.

 

 

Verse 9-11: Die zweite Strophe beschreibt die Austeigende Bewegung der Erhöhung Christi, die in der Einsetzung als Herrscher mündet. Ist Gott in der ersten Strophe zwar der Ausgangspunkt der Bewegung, aber nicht der Handelnde – das ist Christus – so greift nun Gott handelnd ein:

„über alle erhöht“: Das Gott nun an Christus handelt, führt den Gedanken der Menschwerdung konsequent weiter. Nur Gott kann auf die Erniedrigung und den Gehorsam eine Antwort geben. Auf den Gehorsam und die Erniedrigung bis in den Tod folgt nun die Erhöhung (eigentlich wörtlich Übererhöhung). In der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta, wird diese Charakterisierung nur über Gott selbst ausgesagt. Christus, der sich in Freiheit in die Wirklichkeit des Menschen begab, wird jetzt eine Herrschaftsstellung übertragen, die alles andere überragt. Die Verleihung eines Namens, „der größer ist als alle Namen“ und die die Unterwerfung aller Mächte, „die ihr Knie beugen“ sind Bilder, die dem Einsetzungsrituals eines neuen Herrschers entsprechen. Die Huldigung der anderen Mächte, wie auch immer diese hier konkret zu denken sind, markiert den Herrschaftswechsel.
Der abschließende Lobpreis „zur Ehre Gottes, des Vaters“ verbindet die Einsetzung Jesu Christi als Herrscher über alles mit dem Lob Gottes, der diese Erhöhung vornimmt und in ihr selbst als Vater Christi und Vater aller Menschen erkennbar wird.

Auslegung

In zwei gegenläufigen Bewegungen beschreibt der kunstvoll gestaltete Hymnus die Bedeutung und das Außergewöhnliche des Lebens Jesu. Dabei ist Gott Ausgangs- und Endpunkt einer Bewegung, die vom Himmel zur Erde und wieder zurückführt. Auch wenn das Christusgeschehen als Hinabsteigen und Erhöhtwerden des Gottessohnes einzigartig ist und bleibt, so ist es doch die Grundlage allen christlichen Lebens und Miteinanders. Dabei geht es allerdings nicht um eine einfache Imitation des Lebens Jesu durch die Gemeinde. Das würde dem Geschehen seine Einzigartigkeit und Bedeutung entreißen. Vielmehr geht es für die Gemeinde darum, das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu zum Heil der Menschen als im wahrsten Sinne des Wortes Beweg-grund für das eigene Handeln zu begreifen.

Vers 8 liefert hierzu wichtige Aussagen, die sich nach vorne und hinten im Text des Briefes ausstrecken: "er erniedrigt sich" erinnert die Gemeinde an die Aufforderung zum Miteinander in Demut, wie Vers 3 formulierte. Die Idee des "Gehorsams" wird in Vers 12 fortgesetzt werden, wenn Paulus die Gemeinde an ihre Verbundenheit mit dem Apostel, aber auch ihre Treue zum Evangelium erinnert. Paulus leitet zum Christus Lied mit den Worten über: "Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht". Das Leben in Christus Jesus ist das Leben, in das die Gemeinde von Philippi durch ihr Gläubig- und Getauftwerden hineingenommen ist. Wer an Christus glaubt, der wird hineingenommen in sein Lebensgeheimnis, der wird hineingenommen in ein Leben, das aus Gott entspringt und in ihm Hoffnung auf Vollendung findet. Die Gemeinschaft der Christen in Philippi baut auf dieser Gemeinschaft in Jesus Christus auf. Und sie muss sich immer wieder aus dieser Gemeinschaft heraus verlebendigen lassen. Ein Leben "in Christus Jesus" wird sichtbar in der individuellen Hoffnung und Lebensgestaltung genauso wie im sozialen Miteinander.

Das großartige Loblied auf Jesus Christus, den Gottessohn, ist damit zugleich ein tiefes Glaubensbekenntnis und ein Gleichnis des gemeindlichen Lebens.

Kunst etc.

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