Wenn einer zum Zeichen wird. Die Geburt Johannes des Täufers als Ereignis, das Kreise zieht.
1. Verortung im Evangelium
Das Lukasevangelium (Lk) setzt nach einem Vorwort des Evangelisten (Lk 1,1-4) ein mit den Erzählungen der von der Verkündigung zweier ungewöhnlicher Schwangerschaften. In Lk 1,5-25 wird dem schon hochbetagten Priester Zacharias angekündigt, dass seine Frau Elisabeth einen Sohn empfangen hat. In dem folgenden Abschnitt erscheint der Engel Gabriel, der auch Zacharias die frohe Kunde gebracht hatte, nun Maria einer jungen, unverheirateten Frau (Lk 1,26-38). Auch sie wird ein Kind empfangen. Was die beiden Geschichten verbindet, ist die Art und Weise, wie die Schwangerschaften zustande kommen: Beide Male hat Gott seine Finger im Spiel. Er macht Maria durch den Heiligen Geist zur Mutter seines Sohnes und schenkt der Elisabeth wider alle natürlichen Erwartungen ein Kind. Beiden Kindern wird Großes verheißen, sie haben einen festen Platz in der Geschichte Gottes mit dem Menschen. Johannes soll „groß sein vor dem Herrn“ (Lk 1,15), „viele Kinder Israels … zum Herrn, ihrem Gott, hinwenden“ (Lk 1,16) und „das Volk für den Herrn bereit machen“ (Lk 1,17). So wird Johannes zum Wegbereiter für Jesus, den Retter, den Christus, den Herrn (Lk 2,11).
Verbunden werden die Darstellungen der beiden Kinder und ihrer ungewöhnlichen Empfängnis und Aufgabe durch die Begegnung zwischen Elisabeth und ihrer Verwandten Maria (Lk 1,39-56). Auf diese Szene folgt die Erzählung von der Geburt des Johannes, aus der der vorliegende Evangeliumsabschnitt stammt.
2. Aufbau
Die Verse 57-58 berichten von der Geburt des Johannes, die Verse 59-66 spielen 8 Tage nach der Geburt und berichten von der Namensgebung und Aufhebung der Stummheit des Zacharias. Vers 80 rundet die gesamte Erzählung von der Ankündigung und Geburt des Johannes ab. Die verschiedenen Erzählfäden aus der Eingangserzählung (Lk 1,5-25) werden zu einem Abschluss gebracht und Johannes betritt erst wieder in Lk 3,1 als „Täufer“ die Szenerie.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 57-58: Die Geburt des Johannes durch Elisabeth wird nur knapp geschildert. Wichtiger ist die Notiz über die Anteilnahme der Verwandten. Sie schließt an Lk 1,13-14 an und erfüllt die Ankündigung Gabriels an Zacharias. Die Kinderlosigkeit, die in Lk 1,7 auf die Unfruchtbarkeit der Elisabeth zurückgeführt wurde, war für die beiden, die „gerecht vor Gott lebten“ (Lk 1,6) ein Makel. Zacharias hatte immer wieder zu Gott um ein Kind gebetet (Lk 1,13). Dieser Kinderwunsch des Paares war den Verwandten offenbar bewusst und die späte und unverhoffte Schwangerschaft und Geburt ist für sie ein Zeichen für das erbarmende Handeln Gottes. Ihre Freude gilt also sowohl den glücklichen Eltern als auch dem gütigen Wirken Gottes. Die Geburt des Johannes ist ein Ereignis, das über die Eltern hinaus, Menschen betrifft und für sie zeichenhaft ist.
Verse 59-66: Die Einleitung „und es geschah“ verleiht dem Folgenden eine größere Bedeutung und erinnert an den Stil der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments. Die Beschneidung des Kindes als Offenbarungsmoment ist eine weitere Parallele zwischen der Darstellung der beiden Kinder Johannes und Jesus (vgl. Lk 2,22-40). Der Evangelist Lukas hatte bei der Ankündigung der Geburt einen erzählerischen Spannungsbogen begonnen, den er nun vollendet: Die Verstummung des Zacharias wird aufgehoben und das Kind erhält den Namen, den Gott für ihn vorgesehen hat.
Wie bereits Vers 58 zeigte, war die Geburt des Johannes ein Ereignis, an dem viele Anteil nahmen. So sind offenbar Verwandte (und Nachbarn) mit zur Beschneidung und Namensgebung gekommen. Eigentlich ist die Vergabe des Namens Sache der Eltern und selten wird das Kind nach dem Vater, sondern eher nach dem Großvater benannt. Indem der Evangelist Lukas hier jedoch den Namen des Vaters und weitere Beteiligte ins Geschehen involviert, wird die Spannung hin auf den Vater als den Kristallisationspunkt dieser Entscheidungen hingelenkt. Nun ist es an ihm der Verheißung des Gabriel gerecht zu werden. Da Zacharias verstummt ist, braucht es die Intervention der Elisabeth, damit die Namensgebung in der richtigen Weise vollzogen werden kann. Zacharias hatte seit Lk 1,23 in der Handlung keine Rolle mehr gespielt, nun bestätigt er den von Elisabeth bereits genannten Namen und versetzt so die beiwohnende Verwandtschaft in Staunen.
Die Formulierung „sein Name ist“ deutet an, dass Elisabeth und Johannes hier etwas umsetzen, was bereits im Voraus beschlossen wurde. Nun ist alles eingetreten, was der Engel Gabriel Zacharias verkündigt hatte. Entsprechend setzt auch als unmittelbare Folge die „Heilung“ des Zacharias von der Stummheit ein, die ihm in Folge seiner Skepsis auferlegt war. Der Lobpreis, der sich in Lk 1,67-79 im „Benediktus“, dem Gesang des Zacharias über das erbarmende Handeln Gottes, in ausführlicher Weise entlädt, wird hier bereits durch angedeutet.
Die Verse 65-66 lenken den Blick über das „familiäre Geschehen“ hinaus und berichten von der Reaktion der Nachbarn und „aller, die es hörten“. Geschickt zieht Lukas hier drei größer werdende Kreise um das eigentliche Ereignis herum: Johannes, mit dem Gott großes vorhat, wird geboren – seine Eltern erkennen darin die Zuwendung Gottes – die Nachbarn staunen und geraten in Furcht als Reaktion auf göttliches Handeln und erzählen weiter, was sie erlebt haben – alle, die von den Ereignissen hören, „nehmen es sich zu Herzen“ und sind wachsam, was aus dem Kind wird. Der Evangelist Lukas bezieht auf diese Weise nicht nur immer mehr Menschen in das Geschehen hinein, er zeigt auch die verschiedenen (positiven) Reaktionen auf das Handeln Gottes auf: Freude, Lobpreis, Furcht, Weitergabe des Erlebten, Verwunderung, Wachsamkeit.
Dass die „Ohrenzeugen“ der Ereignisse, sich diese „zu Herzen nehmen“ erinnert an Lk 2,19, wo Maria die Geschehnisse rund um die Geburt Jesu „in ihrem Herzen bewahrt“. Lukas konkretisiert diese innere Anteilnahme mit einer Frage nach der Zukunft des Kindes und der Feststellung, dass Gottes Kraft in diesem Kind zum Ausdruck kommt („Hand des Herrn war mit ihm“).
Vers 80: Lukas rundet die Darstellung von der Verkündigung und Geburt des Täufers mit einer Notiz über das Heranwachsen und Starkwerden ab. Er orientiert sich dabei an den Bemerkungen über das Aufwachsen des Simson und des Samuel im Alten Testament (Buch der Richter 13,24-25, 1. Buch Samuel 2,21.26). Der Hinweis auf einen Auftrag, der an Johannes ergeht und sich auf ganz Israel bezieht, war schon mehrfach angeklungen (Lk 1,16-17; Lk 1,76-79) und wird in Lk 3,1 eingelöst.