Gott wartet auf die Umkehr der Menschen, doch wenn sie nicht geschieht ist sein Zorn nicht mehr aufzuhalten – doch auch er mündet in Hoffnung und Heil.
1. Verortung im Buch
Das Ende des davidischen Königtums, die Zerstörung des Tempels, das Exil – und auch eine Hoffnungsperspektive – stehen am Ende der Bücher der Chronik. Das Ende der Königebücher und somit das Ende der israelitischen Eigenstaatlichkeit erzählt (siehe 2 Könige 23,31-25,30) wird vom Chronisten nochmals neu erzählt. Vieles aus dieser Erzählung übernimmt er, fügt aber in den Versen 12b-21 deutlich seine eigene theologische Sicht ein und setzt ans Ende (Verse 22-32) den Text, mit dem das Buch Esra beginnt. So ist das Ende der Chronikbücher zugleich ein Übergang in die Geschichte Israels nach dem babylonischen Exil.
2. Aufbau
In schneller Abfolge werden in 2 Chronik 36 das Schicksal der vier letzten Könige Judas – Joahas, Jojakim, Jojachin und Zidkija – abgehandelt, das in die Zerstörung Jerusalems samt Tempel (Verse 11-21) und dem Ausblick in die Zeit nach dem Exil mündet (Verse 22-23).
3. Erklärung einzelner Verse
V. 14: Im hebräischen, sogenannten masoretischen Text stehen am Anfang nicht die „führenden Männer Judas und die Priester“, sondern die „Fürsten der Priester“. Die revidierte Einheitsübersetzung folgt hier der antiken, griechischen Übersetzung (genannte Septuaginta), sowie mehreren mittelalterlichen, hebräischen Manuskripten und folgt der oft vertretenen textkritischen Annahme, dass im masoretischen Text beim Abschreiben ein Fehler gemacht worden war. Gemäß der Leseweise der Septuaginta und somit der revidierten Einheitsübersetzung sind die politischen Eliten, die Priester und das gesamte Volk am Götzendienst schuld. Der Vorwurf der Untreue gegen Gott rahmt in den Büchern der Chronik die gesamte Darstellung der Königszeit – bereits über Saul heißt es: „So starb Saul wegen der Treulosigkeit, die er gegen den HERRN begangen hatte. Er hatte das Wort des HERRN nicht befolgt und den Totengeist befragt, um Auskunft zu suchen; 14 an den HERRN aber hatte er sich nicht gewandt.“ (1 Chronik 10.13). Besonders hart ist der Vorwurf, dass das gesamte Volk, den Tempel entweiht hat. Über die Regierunszeit des Königs Hiskija wird zuvor noch berichtet, dass er den Tempel von fremden Kulten gereinigt hatte: „Die Priester betraten das Innere des Hauses des HERRN, um es zu reinigen. Sie schafften alles Unreine, das sie im Tempel des HERRN fanden, in den Hof des Hauses des HERRN. Dort übernahmen es die Leviten und trugen es in das Kidrontal hinaus.“ (2 Chronik 29,16). Der nun erklingende Vorwurf der erneuten Entweihung des Tempels führt im Folgenden zu dessen Zerstörung. Der Chronist betont jedoch sehr deutlich, dass es in Gottes folgender Verurteilung nicht nur um kultische Vergehen geht – dies wird deutlich in den vorherigen Versen 12-13, in denen ausführlich das Urteil über den letzten israelitischen König Zidkija ausgesprochen wird: er „tat, was böse war in den Augen des HERRN; er beugte sich nicht vor dem Propheten Jeremia, der im Auftrag des HERRN zu ihm sprach. Auch fiel er vom König Nebukadnezzar ab, der ihn bei Gott einen Eid hatte schwören lassen. Er versteifte seinen Nacken, verhärtete sein Herz und kehrte nicht um zum HERRN, dem Gott Israels.“ Ihm wird eine bewusste Auflehnung gegen Gottes Willen und die Weigerung zur Umkehr vorgeworfen. Letzteres wiegt besonders schwer, denn es gilt aus der Sicht des Chronisten, bzw. er lässt Gott sagen: wenn „mein Volk, über das mein Name ausgerufen ist, sich demütigt und betet, mich sucht und von seinen schlechten Wegen umkehrt, dann höre ich es im Himmel. Ich verzeihe seine Sünde und bringe seinem Land Heilung.“ (2 Chronik 7,14). Indirekt wird der fehlende Wille zur Umkehr nicht nur dem König, sondern auch den politischen Eliten, den Priestern und dem gesamten Volk vorgeworfen.
Verse 15-16: Der Weg von der Sünde führt nicht direkt zur Strafe. Gottes Erbarmen ist erfahrbar durch seine Aussendung von „Boten“, bzw. Propheten. Eine vergleichbare Anklage, findet sich auch beim Propheten Jeremia: „Von dem Tag an, als eure Väter aus dem Land Ägypten auszogen, bis auf den heutigen Tag sandte ich zu euch alle meine Knechte, die Propheten, mit Eifer habe ich sie immer wieder gesandt. Aber sie hörten nicht auf mich und neigten nicht das Ohr und sie verhärteten ihren Nacken, trieben es schlimmer als ihre Väter.“ (Jeremia 7,25-26). Der Chronist konkretisiert dies, wenn er anklagt, dass das Volk sich weigerte auf die Propheten zu hören und sich an diesen durch Spott sogar verging. Ohne Umkehr des Volkes war der Zorn Gottes nicht mehr in Erbarmen wandelbar (siehe auch Jeremia 14,19).
Vers 19: Die Schilderung der Strafe in den Versen 17-21 unterscheidet nicht mehr zwischen den in den Versen 12-14 genannten Gruppen – alle werden zur Verantwortung gezogen. Während im 2. Buch der Könige ausführlich die dreijährige Militäraktion gegen das Königreich Juda und dessen Hauptstadt geschildert wird (siehe 2 Könige 25), konzentriert sich hier die Darstellung nur auf Jerusalem. Ein weiterer bedeutender Unterschied liegt darin, dass gemäß 2 Könige 25,1 der babylonische König von selbst anrückte und die Stadt belagerte – in der Perspektive des Chronisten ist er jedoch ein Werkzeug Gottes: „Der HERR ließ nun den König der Chaldäer gegen sie heranziehen. Dieser tötete ihre jungen Krieger in ihrem Heiligtum mit dem Schwert und verschonte keinen jungen Mann und keine junge Frau, keinen Greis und Betagten; alle gab Gott in seine Hand. Nebukadnezzar ließ die großen und kleinen Geräte des Hauses Gottes, die Tempelschätze und die Schätze des Königs und seiner hohen Beamten insgesamt nach Babel bringen.“ (Verse 17-18).
Vers 20: Bereits anfangen in Vers 19 wird durch das vierfach verwendete Wort „alle“ verdeutlicht, dass eine allumfassende Strafhandlung vollzogen wird, durch die das Volk ins Exil nach Babylon geführt wird. Zugleich erklingt am Ende von Vers 20 schon eine neue Perspektive durch die Nennung des Perserreichs, durch das ein Wandel geschehen wird.
Vers 21: Dass das Exil nicht das letzte Wort der Geschichte Israels bleiben wird, verkündet auch der Prophet Jeremia, auf den der Chronist hier Bezug nimmt: „Dieses ganze Land wird zum Trümmerfeld und zu einem Bild des Entsetzens und diese Völker werden dem König von Babel siebzig Jahre lang dienen. Sind aber die siebzig Jahre vorüber, dann suche ich den König von Babel und jenes Volk heim für ihre Schuld - Spruch des HERRN - und auch das Land der Chaldäer, indem ich es für immer zur schaurigen Wüste mache.“ (Jeremia 25,11-12). Zu dieser Prophetie zieht der Chronist noch eine Aussage auf dem Buch Levitikus hinzu: „Euch aber zerstreue ich unter die Völker und zücke hinter euch das Schwert. Euer Land wird zur Wüste und eure Städte werden zu Ruinen. 34 Dann erhält das Land seine Sabbate ersetzt, in der ganzen Zeit der Verwüstung, während ihr im Land eurer Feinde seid. Dann hat das Land Ruhe und erhält Ersatz für seine Sabbate.“ (Levitikus 26,33-34). Die Warnung, die im Buch Levitikus ausgesprochen wird, bezieht sich auf das für alle sieben Jahre geforderte Brachjahr. Indem der Chronist beide Bibelstellen zusammenzieht, deutet er an, dass das Volk siebzig von Gott geforderte Brachjahre nicht eingehalten hat und somit seit 490 Jahren nicht nach Gottes Willen gehandelt hat – dies ist die Zeitspanne der gesamten israelitischen Königszeit.
Verse 22-23: Nachdem die Zerstörung durch einen ausländischen Herrscher als Werkzeug Gottes geschah, bringt Gott nun durch einen anderen ausländischen Herrscher Heil. Und so wie der Prophet Jeremia das Exil angekündigt hatte, findet sich bei ihm auch diese Heilsperspektive: „Ja, so spricht der HERR: Wenn siebzig Jahre für Babel vorüber sind, dann werde ich euch heimsuchen, mein Heilswort an euch erfüllen, um euch an diesen Ort zurückzuführen.“ (Jeremia 29,10). Konkret wird auch in Buch des Propheten Jesaja der persischen Könige Kyrus als Heilsgestalt gemäß Gottes Willen dargestellt (siehe Jesaja 44,28-45,1). Vielleicht ist die Feststellung, dass nun ein ausländischer Herrscher Gottes Tempel baut auch ein Hinweis darauf, dass das davidische Königtum machtpolitisch endgültig an sein Ende gekommen ist.