In Anlehnung an Pilatus könnte man fragen: "Was ist Gerechtigkeit?". Diese Frage passt zum Hochfest des heiligen Josef, dem das Neue Testament Gerechtigkeit nachsagt (s. Evangelium des Tages). Unabhängig von ihm beschäftigt sich Paulus im Römerbrief sehr ausführlich mit dem Begriff der Gerechtigkeit. Die Lesung bietet einen Auszug aus seinen Überlegungen, die bei aller Komplexität im Letzten ermutigen wollen, mit Gottvertrauen in diesen Tag und ins Leben zu gehen.
Die Lesung im Kontext des Römerbriefes
Der Römerbrief kann als eine Summe der Theologie des Paulus gelten, in der er unter anderem seine Rede von der "Rechtfertigung" entwickelt. Im Rahmen eines Dreiecks der Begriffe "Gerechtigkeit", "gerecht machen" und "Gesetz" kann man vereinfachend sagen:
Der "gerechte", nämlich treue, an seinem Ja zu Mensch und Schöpfung festhaltende Gott eröffnet den Menschen in Kreuzestod und Auferweckung des gerechten, d. h. schuldlosen Jesus einen Weg, an eigener Schuld nicht zu zerbrechen. Der Gott vertrauende Mensch darf glauben, von Gott her trotz allem Versagen nie aus dem Gottesverhältnis herauszufallen, auch und besonders im Tode nicht. Das Alte Testament kennt zwar durchaus die Vergebung Gottes, schreibt aber der Einhaltung des von Mose überlieferten Gesetzes eine sehr viel größere Bedeutung zu, um vor Gott "gerecht dazustehen". Diese Tradition, mit der Paulus als gebürtiger Jude selbst groß geworden ist, hat für Paulus zwei Schwächen: Eine "Rechtfertigung" über das Gesetz kann nicht gelingen, weil kein Mensch das Gesetz vollkommen einhalten kann. Die Schwäche des Fleisches hindert ihn daran. Zum anderen ist der Gesetzesweg nur der Pfad einer begrenzten Gruppe, nämlich des Judentums. Gottes Heilsweg meint aber alle Menschen. Deshalb hat er in Jesus einen Weg eröffnet, der allen "allein durch Glauben" möglich ist, ohne vollkommene Gesetzeserfüllung als Voraussetzung.
Mit dieser Sicht grenzt sich Paulus deutlich vom traditionellen Judentum ab, will sie aber dennoch aus der jüdischen, d. h. alttestamentlichen Tradiiton begründen. Denn der Gott, der ihm "seinen Sohn geoffenbart hat" (Gal 1,16), ist kein anderer als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.
"Glaubensgerechtgikeit" (V 13)
Genau in diesen Zusammenhang gehört die Zweite Lesung am Fest des heiligen Josef. Gleich der erste Vers (Vers 13) formuliert die entscheidende These: Abraham erhielt seine Sohnesverheißung nicht aufgrund des Gesetzes, sondern aufgrund seiner "Glaubensgerechtigkeit". Dahinter steht eine Interpretation der Abrahams-Erzählung, die Paulus als Kenner der rabbinischen Auslegung erweist. Die Verheißung eines Kindes an das alt gewordene, bislang kinderlose Ehepaar Sara und Abraham ergeht in Genesis(Erstes Buch Mose 12,1-3. Das liegt erzählerisch deutlich vor der Zeit, als Abraham im Sinne des Gesetzes Jude wird, nämlich durch die Beschneidung, von der erst in Genesis 17 berichtet wird. Wenn Abraham also - so die Argumentation des Paulus - in Genesis 12 der Zusage Gottes traut und aus seiner Heimat wegzieht, wenn er nach einigen Zweifeln in Genesis 15,6 erneut der im vorangehenden Vers ausgesprochenen Zusage Gottes glaubt und ihm Gott das "als Gerechtigkeit anrechnet" (ebenfalls Genesis 15,6), dann hat das noch nichts mit dem jüdischen Gesetz zu tun. Dieses beginnt für Paulus erst mit der Beschneidung, von der eben erst Genesis 17 spricht.
Gut kombiniert (Verse 16-18)
Damit kann Paulus ab Vers 16 einen Schritt weiter gehen und sagen: Wenn bei Abraham alles am Glauben hängt, dann gilt auch für alle Zukunft, dass das Entscheidende nicht das Gesetz ist, sondern der Glaube ist. Das ist das "Tor", durch das die nicht-jüdischen Heidenchristen "einziehen" können. Dabei kann er auf einen anderen Vers aus der Abraham-Tradition zurückgreifen, nämlich die Verheißung, dass Abraham zum "Vater vieler Völker" werde (vgl. Genesis 17,5). Es geht bei der Veheißung an Abraham nicht nur um Isaak, sondern um alle, die sich in die Spur seines Gottesglaubens stellen.
Diesen Gottesglauben definiert Pauls wiederum mit einer "Kurzformel" (vgl. dazu die Auslegung zu Röm 10,8-13 am Ersten Fastensonntag Lesejahr C). Es geht um den Gott, der das, was nicht ist, ins Dasein ruft, also den Schöpfergott, und denjenigen, der Tote lebendig macht. So bringt Paulus den Schöpfungs- und den Osterglauben in einem einzigen Bekenntnissatz zusammen und schreibt dieses Doppelbekenntnis "großzügig" auch schon Abraham zu. Entscheidend ist dabei: Seine, des Paulus Verkündigung, widerspricht nicht den Texten des Alten Testaments, sondern ist mit ihnen vereinbar. Immer geht es um ein und denselben Gott und den Glauben an ihn.
Noch einmal: Glaubensgerechtigkeit (Vers 22)
Paulus schließt mit dem ausdrücklichen Zitat aus Genesis 15,6, das Glauben - nicht Gesetz - und Gerechtgkeit bei Abraham , zusammenbringt und auf das er versteckt schon im ersten Lesungsvers (Röm 4,13) mit dem Begriff "Glaubensgerechtigkeit" angespielt hatte (s. ausführlicher unter: Kontexte).