Lesejahr B: 2023/2024

Evangelium (Mk 9,38-43.45.47-48)

38Da sagte Johannes zu ihm: Meister, wir haben gesehen, wie jemand in deinem Namen Dämonen austrieb; und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt.

39Jesus erwiderte: Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem Namen eine Machttat vollbringt, kann so leicht schlecht von mir reden.

40Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.

41Wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr zu Christus gehört - Amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen.

42Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde.

43Wenn dir deine Hand Ärgernis gibt, dann hau sie ab; es ist besser für dich, verstümmelt in das Leben zu gelangen, als mit zwei Händen in die Hölle zu kommen, in das nie erlöschende Feuer.

45Und wenn dir dein Fuß Ärgernis gibt, dann hau ihn ab; es ist besser für dich, lahm in das Leben zu gelangen, als mit zwei Füßen in die Hölle geworfen zu werden.

47Und wenn dir dein Auge Ärgernis gibt, dann reiß es aus; es ist besser für dich, einäugig in das Reich Gottes zu kommen, als mit zwei Augen in die Hölle geworfen zu werden,

48wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt.

Überblick

Wenn Klarheit zu Klärungsbedarf führt

1. Verortung im Evangelium
Der Evangelist Markus unternimmt es als erster eine Jesuserzählung zu schreiben und die zuvor meist mündliche Überlieferung zu einer fortlaufenden Geschichte zusammenzustellen. Das Markusevangelium (Mk) entsteht kurz nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70 n.Chr.) im Jüdischen Krieg. Der Verfasser ist unbekannt, auch wenn es innerhalb der kirchlichen Tradition eine Verbindung zu Markus einem Judenchristen hellenistischer Herkunft gibt. Dieser ist einerseits Paulusbegleiter (Apostelgeschichte 12,12) und andererseits Vertrauter des Petrus (1. Petrusbrief 5,13).
Das Markusevangelium beginnt in der Wüste (Mk 1,1-13) mit dem Auftreten des Täufers und der Taufe Jesu. Dann schildert es den Beginn der Verkündigung Jesu in Galiläa (Mk 1,14-8,26) und den Weg nach Jerusalem (Mk 8,27-10,52) und endet mit den Ereignissen in Jerusalem (Mk 11,1-16,20). Das ursprüngliche Ende des Evangeliums war die Begegnung der Frauen mit dem Engel am leeren Grab (Mk 16,8). Die Erweiterung um die Erscheinungserzählungen sind später hinzugefügt worden (Mk 16,9-20).
Mit Mk 8,27 hatte ein neuer großer Abschnitt im Markusevangelium begonnen. Nachdem Jesus vorher rund um den See Genesareth unterwegs war, von einer Seite des Sees zur anderen fuhr und sich sogar im heidnischen Grenzgebiet bewegte, ist er nun auf dem Weg nach Jerusalem und damit dem eigenen Leiden entgegen. Dieser Abschnitt ist gegliedert durch drei Ankündigungen des Leidens (Mk 8,31, Mk 9,31 und Mk 10,33-34). Der Abschnitt Mk 9,38-43.45.47-48 schließt unmittelbar an die Szene an, in der Jesus ein Kind in die Mitte stellt. Er möchte damit ein Beispiel dafür setzen, dass am Verhältnis zu den Kleinen und Geringen ganz entscheidend das Handeln nach dem Willen Gottes zum Ausdruck kommt.

 

2. Aufbau
Zwei Gedankengänge beziehungsweise Szenen lassen sich ausmachen. Die Verse 38-40 hängen über den konkreten Anlass, die Dämonenaustreibung durch jemanden, der nicht zum Jüngerkreis gehört zusammen. Die Verse 41-48, die Verse 44 und 46 fehlen in den meisten Textüberlieferungen und werden in der Einheitsübersetzung deshalb nicht berücksichtigt, kreisen um die Frage nach dem, was den Weg ins Leben, ins Reich Gottes verstellen kann. Hier sind eine Reihe von Sprüchen aneinandergereiht.

 

3. Erklärung einzelner Verse

Vers 38: Anders als zum Beispiel in Mk 8,27-33, wo Petrus als Sprecher der Jünger nach vorne tritt, übernimmt hier Johannes die Gesprächseröffnung. Er äußert die Irritation der Jüngergruppe, dass jemand im Namen Jesu Wunder vollbringt, ohne zum Kreis der Jünger zu gehören. Johannes bittet stellvertretend für die Jünger Jesus darum, diesem Verhalten Einhalt zu gewähren. Offenbar haben sie Sorge, jemand bediene sich ihrer „Exklusivität“ als Nachfolgende Jesu. Wahrscheinlich artikuliert Johannes deshalb auch sehr klar, dass der Jüngerkreis eine Einheit mit Jesus bildet. Die Formulierung „weil er uns nicht nachfolgt“ ist eine einmalige Umschreibung in den Evangelien. Nur hier verschmelzen Schüler und Meister zu einer geschlossenen Gruppe. Vermutlich schimmert hinter der Formulierung und dem Anspruch des Johannes eine Frage der Gemeinde durch.

Wundertätigkeiten, die unter Anrufung eines Namens geschehen, sind in der Antike bekannt. Jesus selbst handelt ohne diesen Verweis auf eine „höhere Macht“ allein aus seiner Vollmacht als Gottessohn. Die Jünger hingegen werden sich in ihrem Wunderwirken auf den Namen Jesu berufen als Zeichen, dass sie nicht aus einer Selbstermächtigung heraus handeln, sondern autorisiert durch Jesu Machtübertragung an sie. Das Markusevangelium erwähnt diese Form von Machtausübung im Namen Jesu in den später hinzugefügten Schlussversen (Mk 16,15-18). Auch in der Apostelgeschichte wird vom heilenden Handeln der Jünger im Namen Jesu berichtet (Apostelgeschichte 3,6; 9,34; 16,18).

 

Verse 39-40: Die Antwort Jesu ist eindeutig: Es gibt keinen Grund, den „fremden Wundertäter“ zu hindern. Wie Johannes verwendet Jesus ein „wir“, um sich und die Jünger als Gruppe auszuzeichnen. Denn mit „wer nicht gegen uns ist, ist für uns“ schließt auch er einen Kreis um die Gemeinschaft zwischen ihm und den Jüngern. Anders als Johannes sieht er diese aber nicht als Exklusivgemeinschaft an. Gemeinsam haben Jesus und seine Jünger die Erfahrung, dass Menschen ihnen kritisch und ablehnend gegenüberstellen. So wie Jesus dies immer wieder vor allem im Dialog mit den jüdischen Autoritäten erlebt, sind ähnliche Situationen auch für die verkündigenden Jünger vorstellbar. Ganz sicher steckt aber auch hier der Erlebnishorizont der Gemeinde des Evangelisten Markus mit hinter der Darstellung. Da ist es naheliegend zu sagen: Wenn sich jemand nicht gegen uns wendet, haben wir zumindest nichts zu befürchten. Wer also „im Namen Jesu“ etwas Gutes tut, wird den Namen Jesu nicht gleichzeitig als Fluch verwenden (vgl. 1. Korintherbrief 12,1-3).

 

Verse 41-42: Es schließt sich nun eine Reihe von Sprüchen an, von denen der erste eine Verheißung darstellt. Sie gilt denjenigen, die den Jüngern Gutes tun und das auch im ganz Kleinen. Das Reichen eines Wasserbechers steht für einen kleinen und unscheinbaren Dienst an den Verkündigern. Vor allem in der missionarischen Arbeit sind solche „Sympathisanten“ wichtig (vgl. die Hinweise in der Aussendungsrede Mk 6,6-13).

Vers 42 setzt das Thema der „Kleinen“ fort, das schon in den Versen 37 angeklungen war. Die Umschreibung „die an mich glauben“ war wahrscheinlich nicht von Anfang an Teil des Textes. In der vorliegenden Version sind mit den Kleinen nun ganz klar die sozial Schwachen, Geringen und „Übersehenen“ in der Gemeinde gemeint. Ein Ärgernis zu geben bedeutet nichts Anderes als jemanden zum Abfall vom Glauben zu bringen z.B. durch ein schlechtes Vorbild. Gerade den Kleinen gegenüber soll mit Bedacht und Vorsicht gehandelt werden, sie, die überall sonst schon mit Geringachtung behandelt werden, sollen in der Gemeinde ein anderes Verhalten erfahren. (vgl. die Auseinandersetzung um den Umgang mit Götzenopferfleisch im 1. Korintherbrief (1 Kor 8,9-13). Das drastische Bild vom umgehängten Mühlstein ist eine klare Warnung. Sie will wachrütteln und mahnen, nicht gedankenlos zu handeln.

 

Verse 43-48: In diesem warnenden Duktus folgen nun noch weitere Sprüche, deren gemeinsames Thema der Aufruf ist, sich den Ärgernissen entgegen zu stellen. Über das Wort skandalizein (griechisch: σκανδαλίζειν, deutsch: zu Fall bringen, Anstoß geben, zur Sünde reizen) sind sie mit Vers 42 verbunden. Allerdings geht es hier nicht mehr um das Ärgernis, das ich durch mein Verhalten anderen bereite und sie damit womöglich vom Glauben abbringe. Hier steht nun das Ärgernis im Mittelpunkt, das ich mir selbst bereite durch Begierden, Eitelkeiten, Neid, Habgier etc. Die wiederum drastischen Bilder der körperlichen Verstümmelung erinnern an „Notoperationen“, bei denen der gesunde Rest des Körpers durch das Entfernen von Krankem gerettet werden soll. 
Dem Ärgernis werden das Leben und das Reich Gottes als positive Ziele entgegengestellt. Wer das Ärgernis meidet, darf sich darauf freuen.

Auslegung

Die Jünger hatten offenbar nach den zahlreichen Gesprächen mit Jesus gerade den Eindruck gewonnen, sie würden verstehen, was eine Zugehörigkeit zu Jesus bedeutet. Unter anderem gehört dazu „ihm nachzufolgen“ und das auch mit der Bereitschaft zu tun, für ihn einzustehen, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen und einen Weg ins Leiden einzukalkulieren. Als Verheißung steht denjenigen, die sich auf die Nachfolge einlassen, das wahre Leben und die Gemeinschaft mit Gott in dessen Reich vor Augen. Über all das hatten die Jünger auf den vorherigen Wegetappen mit Jesus gesprochen, zum Teil mussten sie dies auch durch Jesu Belehrung erst deutlich vor Augen geführt bekommen. Nun handeln die Jünger dem fremden Wundertäter gegenüber eigenständig, sie haben ja „verstanden“, worum es bei der Nachfolge geht. Und doch zeigt ihr Verhalten einmal mehr wie wenig sie verstanden haben. So reiht sich diese Episode nahtlos ein in die vorangegangenen Wegesetappen. Nach den Diskussionen um den ersten Platz folgt nun ein Privilegiendenken. Wer sich nicht zu „ihnen“, also der Gemeinschaft Jesu mit seinen Jüngern offiziell bekennt, kann auch nicht den Namen Jesu in Anspruch nehmen. In seinem Namen Gutes zu tun, sollte auf sie als Jüngergruppe begrenzt sein, so ihre Auffassung. Mit wenigen, aber deutlichen Worten zeigt Jesus ein weiteres Mal die Korrekturbedürftigkeit des Verhaltens der Jünger auf. „Hindert ihn nicht“ ist eine klare Anweisung, nicht exklusivistisch zu denken und handeln. „Wer nicht gegen uns ist, ist für uns“ ist der eindeutige Appell, nicht zu schnell zu urteilen, wo sich Bereitschaft zum Handeln und Denken im Namen Jesu und im Willen Gottes finden lässt.
Was die Jünger meinen verstanden zu haben und an Klarheit gewonnen zu haben, birgt weiteren Klärungsbedarf für das richtige Verständnis der Jüngerschaft. Zu durchdringen, wie ein Leben in Nachfolge gelingt, wird vom Evangelisten Markus auf dem Weg der Jünger und Jesu nach Jerusalem zu einer anhaltenden Aufgabe. Jede mühsam errungene Erkenntnis wird wieder auf den Prüfstand gestellt, muss sich im Handeln beweisen und bedarf manches Mal einer weiteren Justierung.